Tag 16

Sofia – Iganovo: 131km; 6:00h im Sattel; 8-14 Grad, Sonne
Camping

Wie erwartet war Morgens noch nicht viel los in der Stadt. Nach einem kurzen Frühstück in der Markthalle bestieg ich bestens erholt wieder das Rad. Im Gegensatz zur Stadteinfahrt war das Stadtende Richtung Osten sehr schnell und sehr unspektakulär erreicht. Relativ rasch ging die urbane Struktur in eine sehr dünn besiedelte Vorstadt über, die dann beinahe abrupt endete. Kurz nach dem Ortsschild von Sofia wurde ich überraschend von einer Gruppe Rennradlern überholt. Da mir noch einige Höhenmeter bevorstanden, entschloss ich mich nicht in den Windschatten zu hängen. Ich traf dann nach einigen Kilometern wieder bei ihrer ersten Pause. Sonntags sind nach ihrer Aussage immer viele Radler auf der Strecke. In Sofia scheint es eine doch relativ große Gruppe von Rennradlern zu geben… Nach einer kurzen Plauderei ging es weiter. Als ich bei strahlendem Sonnenschein eine der vielen Wasserquellen am Straßenrand passierte, beschloss ich, hier den erforderlichen Radservice durchzuführen. Ich war nicht der Einzige, der hier Pause machte, um sein Gefährt zu reinigen. Alle paar Minuten stoppte wieder ein Auto, und die Scheiben wurden geputzt. Ein paar Rennradler kamen auch noch vorbei, um Wasservorräte aufzufüllen. Nach etwa 1 1/2 Stunden glänzte das Rad wieder wie neu. Der Schlamm aus Ungarn und Serbien ist nun endgültig ab. Zur Krönung des Tages gab es dann auch noch eine neue Kette. Die erste hat schon 2000km drauf…
Nun ging es also den Bergen entgegen. Die Strecke scheint bei Motorradfahrern und Rennradlern auch sehr beliebt zu sein. Immer wieder passierten größere Gruppen. Für mich war es seit Langem wieder das erste Mal, Radler zu sehen, die nicht das Rad als reines Transportmittel verwendeten.
Zurück zum Thema… es ging in Richtung Berge. Schon der erste Anstieg hatte es ziemlich in sich. Bis auf knapp unter 1000m schlängelte sich die Straße durch dichten Buchenwald. Am Gipfel angekommen öffnete sich ein sagenhaft schönes Tal. Die Vegetation wechselte abrupt von Buchen auf Kiefern und die erste große Abfahrt stand bevor.
Mir kam es vor, als hätte ich ein vergessenes Tal betreten. An beiden Seiten flankiert von Bergrücken liegt vor mir eine schier endlos scheinende Ebene. Auf manchen Gipfeln liegt noch Schnee, das Panorama ist atemberaubend, mit rasantem Tempo geht es bergab.
Immer wieder sieht man große Gruppen Pferde, die in aller Seelenruhe grasen. Vereinzelt treiben Hirten Kuh- oder Schafherden zu neuen Weideplätzen.
Bei relativ wenig Verkehr lasse ich mich durch das Tal treiben und nehme fast unbemerkt den einen oder anderen kleineren Anstieg mit. Wie beflügelt treibt es mich durch die Landschaft.
Es fällt auf, dass die Bevölkerung hier deutlich ärmer ist. Viele Pferdefuhrwerke sind auf der Straße und die Häuser sind häufig so konstruiert, wie es mir in Serbien schon aufgefallen ist. Wenn ich durch die Dörfer fahre, winken mir die Leute oft freundlich zu. Ich fühle mich heute auf dem Rad wirklich wohl!
Am Nachmittag steht nochmal ein ziemlich kräftezehrender Anstieg bevor. Bis auf über 1100m zieht sich die Bundesstraße 6. Am Gipfel angekommen steht mir aber nun eine Abfahrt mit 500 Höhenmetern in einem Stück bevor. Die 60km/h Marke wird heute des öfteren geknackt.
Es ist schon später Nachmittag und ich sollte mir langsam Gedanken um einen Schlafplatz machen. Ich muss mich heute aber direkt dazu zwingen, vom Rad zu steigen. So schön ist die Gegend, dass ich gar nicht aufhören will…
Bereits Mittags hatte ich entschlossen, heute wieder mal das Zelt aufzuschlagen. Bei so einer Kulisse muss man ja fast im Zelt schlafen.
Die nicht existenten Sonntags-Schließzeiten machen es natürlich sehr leicht, tagtäglich einkaufen zu können, ohne auf das Datum achten zu müssen.
Also noch kurz Brot, Käse und Getränke im Supermarkt besorgt und los geht die Suche nach einem netten Platz.
Als sich nach 5km immer noch kein geeigneter Platz bietet bereue ich es schon fast, so lange geradelt zu sein, doch da ist er… der perfekte Platz. Das totale Bergpanorama vor mir, kaum einsichtig von der Straße auf einer frisch abgegrasten, nahezu ebenen Wiese…
Als die Suppe kocht verschwindet die Sonne langsam hinter den Bergen und das Thermometer sinkt sofort um ein paar Grad ab.

Tag 17

Iganovo – Stara Zagora: 113km; 4:58h im Sattel; 14-28 Grad, Sonne
Camping

In der Nacht sank das Thermometer im Zelt auf 3 Grad ab. Morgens war dementsprechend das Zelt innen und Außen naß. Ich hatte gestern bereits versucht, das Zelt so aufzustellen, dass die Morgensonne so früh als möglich aufs Zelt trifft. Bis alles trocken war, verging aber einige Zeit. Ich frühstückte derweil ausgiebig und genoss den fabelhaften Ausblick auf die Berge. Kurz nach 10 konnte es dann losgehen. Das Thermometer war schon auf 15 Grad geklettert, die Softshellhose blieb diesmal gleich in der Tasche, die Windjacke sollte im Laufe des Tages auch noch dort landen…
Das Tal fiel ein wenig in meiner Faahrtrichtung ab, was mir einen ziemlich hohen Tagesschnitt ermöglichte. Bis zur verspäteten Mittagspause war nur ein größerer Anstieg zu bewältigen. Die 20 Grad Marke war schon lange durchbrochen und der Schweiß tropfte unaufhaltsam von der Stirn.
Als ich bei der darauffolgenden Abfahrt den Ort Kalofer passierte, musste ich einen kurzen Abstecher dorthin machen. Eine unvorstellbar große Statue war mir ins Auge gestochen… es handelt sich um Herrn Hristo Botev.
Nach kurzer Internetrecherche stellte sich heraus, dass es sich um einen der bedeutendsten Nationalhelden Bulgariens handelte. Der Dichter Botev lebte in Kalofer und zählte im Aprilaufstand zu den führenden Revolutionären in Bulgarien. Resultat dieser April Aufstände war die Unabhängigkeit Bulgariens.
Ihm zu Ehren werden am Nationalfeiertag die Sirenen eingeschaltet. Auch der höchste Berg des Balkangebirges wurde nach ihm benannt. Wie es der Zufall will, sieht man von Kalofer hervorragend auf den 2376 hohen Berg Botev.
Denkmäler in bombastischer Dimension sieht man hier in Bulgarien immer wieder. Teilweise thronen sie von weitem sichtbar von Berggipfeln, oder überragen die Häuser. In Stara Zagora habe ich auch schon von weitem ein sagenhaft großes Denkmal gesehen, doch leider musste ich den Ort mehr oder weniger links liegen lassen, weil die Sonne schon langsam unterging und ich noch einen geeigneten Platz für mein Zelt suchte.
Kurz zurück zur heutigen Tour… Nachdem ich Katofer hinter mir gelassen hatte, wurden die Berge zu beiden Seiten kontinuierlich niedriger. Der Verkehr nahm wieder zu und die Orte durch die ich fuhr wurden auch immer größer. Mir kam es so vor, als ob viele Orte innerhalb kürzester Zeit entstanden sind. 8-stöckige Betonblocks reihten sich aneinander, ein klassisches Ortszentrum war nicht mehr zu erkennen.
Kazanlak und Stara Zagora scheinen zu den größten Orten hier in der Gegend zu gehören.
Hatte ich den gestrigen Tag fast zur Gänze in nahezu menschenleerer Gegend verbracht, tauchten heute immer öfter wie aus dem NIchts größere Siedlungen auf. Ich erinnerte mich kurz an die abrupten Wechsel von Land und Stadt in Ungarn. Ähnlich fühlte sich das auch heute an.
Zwei Tage schönster Naturerlebnisse liegen hinter mir. Es war eine hervorragende Idee, die etwas hügeligere Strecke der Direktpassage vorzuziehen. Die Landschaftseindrücke werden mich sicher noch länger begleiten.
Wenn möglich möchte ich morgen Abend schon Edirne erreichen. Dazu muss ich morgen aber ein paar Meter machen.
Ich versuchte daher heute möglichst lange auf dem Rad zu bleiben. Nachdem ich aber schon relativ spät gestartet bin, fehlte mir zum Schluss etwas Zeit.
Dafür fand ich kurz nach dem Ortsende von Stara Zagona einen Bilderbuch-Zeltplatz. Wenn ich es richtig einordnen kann, müsste es sich um den Randbereich eines – vermutlich nicht mehr in Betrieb befindlichen – Flughafens handeln.
Ich bin heute zwar ca. 200m tiefer, als gestern, aber ich habe das Gefühl, dass es Nachts ebenso kalt werden wird…