Tag 19

Edirne – Corlu: 127km; 5:48h im Sattel; 14-20 Grad, bewölkt / Sonne
Pension

Morgens lag Edirne noch in einen dichten Nebelmantel gehüllt. So konnte ich das Panorama vom Frühstücksraum nicht wirklich genießen. Immerhin hatte ich gestern noch einen Rundgang durch die Stadt unternommen.
Kurz nach Neun ging es dann wieder los. Problemlos fand ich den Weg raus aus der Stadt auf die D_100. Ohne eine einzige Abzweigung sollte mich die Straße bis nach Corlu führen.
Schon kurz nach dem Stadtende wurde klar, dass es keine besonders spannende Etappe werden würde. Schon von Beginn an herrschte reger Verkehr, dafür gab es aber einen sehr breiten Seitenstreifen, der das Radeln den Umständen entsprechend angenehm gestaltete. Primär Industrie- und Gewerbebauten prägten die Landschaft. Erst nach gut 50km führte mich die Straße durch einen etwas größeren Ort. Der Energieverbrauch der letzten Tage zeigte langsam seine Wirkung. Erst nachdem ich mir zum Döner noch einen Adana Sandwich bestellt hatte, war ich wieder soweit hergestellt, dass ich die restlichen 75km in Angriff nehmen konnte.
Der Muezzin stimmte gerade zum Gebet an, als ich den Marktplatz überquerte. Da war es wieder… das Gefühl, mich dem Orient zu nähern.
Während der Mittagspause hatte ich begonnen, die wichtigsten türkischen Vokabeln aufzuschreiben, damit ich während der Fahrt ein wenig üben konnte. So entkam ich stellenweise auch der Monotonie der Strecke.
Leider war die heutige Etappe sehr hügelig. Würde man nicht erwarten, wenn Start- und Zielort nahezu auf derselben Meereshöhe liegen und die Straße auf der Karte wie mit dem Lineal gezogen aussieht. Aber schlussendlich reihte sich Anstieg an Anstieg. Immer nur ein paar hundert Meter, aber immer um 5-6 Prozent. In Summe kamen über 1200 Höhenmeter zusammen.
Nach knapp einer Stunde Fahrt gesellte sich ein türkischer Radler zu mir und wir versuchten uns ein wenig auszutauschen. Bei einem Glas Chai im nächsten Ort zeigte ich ihm kurz meine bisherige Route auf der Karte und versuchte zu erklären, was noch bevorsteht. Nach einem kurzen Erinnerungsfoto verschwand er dann auch wieder in der nächsten Seitengasse.
Meine Wasserreserven waren bei der letzten Rast, knapp 20km vor Corlu nahezu aufgebraucht. Bis auf ein paar Kekse und einer Banane gab die Packtasche auch nicht mehr viel her. Da blieb, wie bestellt ein Bauer mit seinem Traktor neben mir stehen und reichte mir einen noch warmen Börek. Ich weiß nicht, wer sich mehr freute… er oder ich, auf alle Fälle genau das Richtige knapp vor dem Ziel.
Die letzten Kilometer waren dann noch ziemlich harte Arbeit. Die Temperatur fiel plötzlich von 20 auf 12 Grad und es zog wieder dichter Nebel auf. Als ich in Corlu ankam waren die Häuser auf der anderen Straßenseite teilweise nur noch schemenhaft zu erkennen.
Eigentlich hatte ich mir gestern ein Hotel in der Stadt ausgesucht. Auf dem Weg dorthin kam ich aber kurz mit einem Radler ins Gespräch und siehe da… er betreibt eine Pension direkt neben dem von mir gewählten Hotel. Das Zimmer bei ihm kostete dann auch nur ein Drittel und somit war klar, wo ich die heutige Nacht verbringen werde.
Liebend gerne hätte ich heute etwas leichte Kost – Nudeln etc. zu mir genommen, das örtliche Angebot beinhaltete aber nur Pide, Döner, Dürim, Köfte und sonstige fleischhaltige Gerichte. Immerhin gab es einen Salat zusätzlich zum Fleischmenü…
Nun trennen mich nur noch 100 Kilometer von Istanbul. Der Gedanke, die Stadt in einem Tag erreichen zu können hat mich heute fast die ganze Strecke über vorangetrieben. Für mich ist der erste Meilenstein gesetzt, wenn ich in Istanbul am Meer stehe.
Die bevorstehende Stadteinfahrt wird aber noch ein Kapitel für sich werden. Viele Radreisende berichten davon, dass der Verkehr schier unerträglich sein soll. Ich bin gespannt und lasse mich überraschen.

Tag 20

Corlu – Istanbul: 113km; 4:51h im Sattel; 15-20 Grad, Sonne
Hostel

Vom gestrigen Nebel zeugten heute Früh nur noch die nassen Straßen. Gut erholt konnte ich mich zum letzten Mal aufs Rad schwingen. In einem kleinen Laden gönnte ich mir noch einen Börek samt Tee und war so bestens gerüstet für die letzten 100 Kilometer. Die Strecke war anfangs bei Weitem nicht so hügelig wie gestern. Die Kilometer schmolzen zügig dahin. Landschaftlich war anfangs nicht viel zu sehen, doch dann blitzte plötzlich das Meer am Horizont auf. Ein tolles Gefühl nach knapp drei Wochen im Sattel endlich das Meer zu erblicken. Um die freidige Stimmung noch zu komplettieren, näherte sich langsam ein PKW von hinten und aus dem Beifahrerfenster wurde mir einen Sesamring gereicht. Was will man mehr?
Bei der Erstbesten Gelegenheit bog ich dann von der viel befahrenen D 100 ab und gönnte mir einen Toast an der Promenade. Die Möwen kreisten über dem Wasser, der Geruch von Meer lag in der Luft. Noch einmal tief durchatmen bevor der wilde Ritt in Richtung Istanbul beginnt.
Der Verkehr nahm mit jedem Kilometer zu. Eine Blechlawine wälzte sich in Richtung Istanbul – und ich mitten drin. Das Streckenprofil wurde leider wieder ziemlich hügelig. Die Anstiege hatten es teilweise ziemlich in sich. 10% war heute das Maximum (in Summe waren es wieder 1100 Höhenmeter). Konditionell stand ich aber offensichtlich noch gut im Saft. Hügel um Hügel ließ ich hinter mir, getrieben vom lange erwarteten Etappenziel.
Etwa 20km vor Istanbul hatte die D 100 dann autobahnähnliche Ausmaße angenommen. Der Seitenstreifen verschwand streckenweise und ließ dafür eine neue Fahrspur entstehen.
Viel Schlechtes hatte ich von der Stadteinfahrt nach Istanbul gelesen, nun war es so weit. Der Puls stieg merklich an, ich fühlte mich wie in einem Strudel… aber irgendwie fühlte sich das auch ganz gut an. Die Kette ziemlich oft auf dem großen Blatt ging es mit Spitzengeschwindigkeiten von 70km/h die Hügel bergab. PKW, LKW, Busse von links, von rechts… viel Zeit zum Schauen blieb nicht. Ich war froh über meinen Rückspiegel. Vor allem bei den Anstiegen war es immer wieder eine Herausforderung, die Spur rechtzeitig zu wechseln, um dem abbiegenden Verkehr Platz machen zu können. Aber ohne auch nur einen einzige brenzlige Situation erlebt zu haben bog ich dann schlussendlich in Richtung Altstadt ab.
Kurz durchgeatmet und weiter ging der wilde Ritt. Mein Hotel lag in der Nähe des Galata Turm, ich musste also noch einmal über das Meer und dann war es geschafft. Zum Schluss kämpfte ich mich noch die engen Gassen hoch und erreichte am frühen Nachmittag meine Unterkunft.
Wahnsinn… nach 20 Tagen schlussendlich in Istanbul zu sein.
Für die nächste Etappe nach Tiflis werde ich von Martin Wille begleitet. Er hatte mich kurz vor meiner Abfahrt schon angeschrieben, ob er mich ein Stück begleiten könne. Nun hat sich alles zum Besten gewendet und er hat den Flug schon gebucht. Wir haben vor, Tiflis in der dritten Märzwoche zu erreichen.
Jetzt aber erst mal ausspannen… Europa werde ich nächste Woche hinter mir lassen. Ein paar Tage Pause sind da eine gute Gelegenheit die letzten Wochen Revue passieren zu lassen.