Tag 31 – 03.März

Gümüshakiköy – Amasya: 68km; 3:00h im Sattel; 15-21 Grad, diesig
Hotel

Trotz überaus angenehmen Temperaturen konnte man die Landschaft heute nicht wirklich genießen, da sie praktisch nicht zu sehen war. Die Sicht war sehr schlecht, eine Mischung aus Nebel und Dunst ließ alles, was mehr als 500m entfernt war nur noch schemenhaft erkennen. Dafür standen immer wieder Obstbäume am Straßenrand, die fantastisch dufteten. So konnte man auch dieser Wetterstimmung noch etwas abgewinnen. Unspektakulär bahnte sich die D 100 ihren Weg in Richtung Osten.
Nach knapp 20km auf dem Rad wurden wir von der Verkehrspolizei gestoppt. Nicht aber etwa zur Kontrolle, sondern – wie wäre es anders zu erwarten – um uns zum Tee einzuladen. Natürlich größtes Interesse, woher wir kommen und wohin die Reise geht. Martin hat schon aufgegeben, zu erklären, dass er erst in Istanbul dazugestoßen ist und nur bis Tiflis fährt… Manchmal müssen die Geschichten eben ein wenig vereinfacht werden. Die dünnen Reifen an seinem Rennrad erregen aber immer wieder große Aufmerksamkeit.
Der Arbeitsalltag der Verkehrspolizei scheint nicht sonderlich aufregend zu sein. Hie und da wurde ein Auto aufgehalten und die Fahrzeugdaten in ein Formular eingegeben. Mit vielen Fahrern wurde lange geplaudert, einige waren offensichtlich schon “Stammgäste” und blieben freiwillig stehen, um auf einen Tee vorbeizukommen. Es herrschte eine sehr lockere Atmosphäre. Zwei Polizisten erledigten das Offizielle, der dritte im Bunde pflanzte in der Zwischenzeit in Uniform und frisch gelackten Schuhen einen Baum am Straßenrand. Die größte Sorge war wieder einmal dass uns auf den Rädern zu kalt sei. Einer der Polizisten präsentierte gleich einmal seine lange Unterhose, dank der er bei diesen Temperaturen (etwa 15 Grad) nicht frieren muss. Ich konnte ihn aber geruhigen. Wir haben ja momentan eher Probleme mit der Überhitzung…
Die drei winkten uns noch lange hinterher. Auch wenn die Einladung zum Tee noch so schön war, irgendwann ist es wieder Zeit aufzubrechen.
Für heute war nur ein halber Fahrtag geplant. Kurz vor dem Etappenziel begann es leicht zu regnen. Kaum spürbar, dafür aber sichtbar. Jeder Regentropfen hinterließ dunkelbraune Ränder. Brauner Regen… ob da Sand in der Luft ist? Man weiß es nicht. Gottseidank blieb es bei einem kurzem Intermezzo und wir rollten noch trocken in Amasya ein.
Amasya ist im Sommer ein großer Touristenmagnet. Eine schöne Altstadt, Felsengräber, eine Burg und eine beeindruckende Umgebung locken tausende Touristen an. Die Dichte an Hotels legt davon Zeugnis ab. War gestern im Ort nur ein einziges Hotel zu finden, steht heute praktisch Haus an Haus eine Unterkunftsmöglichkeit.
Nachdem die Felsengräber besichtigt waren, wollte Martin noch den Burgberg erklimmen, um die Reste der Festung zu besichtigen. Also noch ein bisschen Klettern… Zu unserem Bedauern war die Burg dann schon geschlossen, wir konnten aber an der Burgmauer entlangwandern und dann doch noch ins Innere gelangen. Der Blick auf die Stadt war beeindruckend, leider hatte sich der Dunst aber noch nicht verzogen. Pünktlich vor Einbruch der Dunkelheit waren wir wieder im Stadtzentrum angekommen.
Sehr pittoresk reihen sich die alten Holzhäuser am Fluss auf. Bei Einbruch der Dunkelheit werden sämtliche Sehenswürdigkeiten in ein Lichtermeer getaucht. Die Grenze zum Kitsch ist hier schon deutlich überschritten worden. Trotzdem ein nettes Bild, das sich von der Uferpromenade aus bietet.
Den ganzen Tag hatte ich mich heute schon auf Entspannung gefreut. Es ging wieder einmal ins Hamam. Ein sehr einfaches, relativ altes Hamam fand sich in direkter Nachbarschaft zu unserem Hotel. Genau das Richtige nach den letzten Tagesetappen. Ein bisschen gewöhnungsbedürftig war vielleicht, dass der Masseur einen dezenten Spuckreflex hatte und alle paar Minuten auf den Boden spuckte, aber was solls… wird ja eh alles wieder weggespült. Schrubben und Massage war trotzdem traumhaft.
Nachdem in den nächsten Tagen immer wieder mal Regen angesagt ist, haben wir uns dazu entschlossen, die Route abermals ein wenig zu ändern. Wir werden nun bei Orlu ans Schwarze Meer fahren. Den großen Pass mit über 2200m Höhe streichen wir wegen möglichen Schneefalls nun doch von der Liste.

Tag 32 – 04.März

Amasya – Niksar: 115km; 5:33h im Sattel; 11-19 Grad, Sonne / Regen
Hotel

Strahlender Sonnenschein erwartete uns am heutigen Morgen. So konnten wir uns noch ein ungetrübtes Bild von Amasya machen. Bei Sonnenschein wirklich ein sehr pittoresker Ort. Verständlich, dass er Ziel vieler Touristen ist. Für uns gings aber wieder weiter. Der halbe Tag Pause gestern hatte die Energiereserven wieder aufgefüllt. Hochmotiviert ging es nun weiter. Traumhaft schön war es, bei Sonnenschein und wenig Verkehr durch das immer breiter werdende Flusstal zu pedalieren. Das Höhenprofil war uns heute auch sehr wohlwollend gestimmt. Es ging hauptsächlich leicht bergab. Das heißt allerdings auch, dass es später wieder umso mehr bergauf geht…
Als ich etwa 20km vor Erbaa (unserem Mittagsziel) kurz stoppte, um die Wasserflasche aufzufüllen, gesellte sich Ömer mit seinem Rad zu uns. Ömer (62) ist pensionierter Volksschullehrer, hat sich Englisch selbst beigebracht und passt immer wieder Radler auf der Strecke ab. Seiner Aussage nach zur körperlichen Ertüchtigung, meiner Einschätzung nach wohl aber auch um ein paar Stunden ausser Haus zu sein, fährt er regelmäßig von Erbaa nach Tasova hin und zurück. Nachdem er uns zu sich zum Mittagessen eingeladen hatte, radelten wir gemeinsam in Richtung Erbaa. Nach wenigen Kilometern mussten wir aber schon wieder stoppen, weil Ömers Rad Luft verlor. Er war aber dafür perfekt ausgestattet. In seinem Plastikkorb am Gepäckträger führte er eine komplette Werkstattausrüstung inklusive Ersatzschlauch mit sich. Offensichtlich muss er sich öfter derartigen Problemen stellen. Wir erreichten Ömers Haus gerade rechtzeitig, da es gerade heftig zu regnen begann.
Nach einem ausgiebigen Mittagessen verbrachten wir noch etwas Zeit in der benachbarten Apotheke, die von Ömers Schwager geführt wird. Die Apotheke dient als Treffpunkt für die Nachbarschaft. Es wird Tee getrunken und viel geplaudert.
Ömer ließ es sich nicht nehmen, uns noch ein paar Kilometer zu begleiten. Hierzu hatte er zuvor noch für jeden von uns 1/2 Liter selbstgemachten Sake abgefüllt. Unterwegs prosteten wir uns zu und leerten genüsslich Ömers “Energiedrink”. Kurz nachdem alle drei Flaschen geleert waren, musste Ömer erneut stoppen, da sein Ersatzschlauch ebenfalls ein Loch hatte. Nach einer sehr herzlichen Verabschiedung ging es für uns dann wieder weiter. Der Sake machte etwas schwere Beine, motivierte aber zu Höchstleistungen. Schon erstaunlich, wie so ein bisschen Alkohol die Fahrmotivation verändert.
Der Regen hatte nachgelassen und die Sonne brach wieder durch die Wolkendecke. Wir versuchten noch vor Dämmerung Niksar zu erreichen. Die tiefstehende Sonne tauchte das Tal und die angrenzende Bergkette in ein faszinierendes Licht. Für mich hieß es jetzt, die D 100 zu verlassen. Seit ich in die Türkei eingereist bin war ich jetzt auf dieser Straße unterwegs. Ziemlich genau 1000km auf ein und derselben Straße… Ab jetzt gehts aber in Richtung Norden. Eine Gebirgskette muss noch überwunden werden, dann sind wir am Meer.