Tag 48 – 51: 20. – 23.März

Vier Ruhetage in Tiflis:
Zwischenstand: 3876km; 192:36h im Sattel
Hostel

Mein zweiter Meilenstein ist erreicht. Nach Istanbul war für mich Tiflis Anlaufstelle Nummer zwei. Als ich mich in Akhaltsikhe dazu entschlossen hatte, den etwa 40km längeren Weg über Akhalkalaki zu wählen wusste ich noch nicht, dass aus dieser Variante ein Ausflug nach Armenien werden würde. Schlussendlich haben wir den “Umweg” aufgrund der Wetterlage auf 160km ausgeweitet. Dafür gab es aber einen beeindruckenden Einblick nach Armenien. Landschaftlich war die Strecke unschlagbar.
Die zurückliegenden Tage hatten Körper und Geist kurzzeitig an die Grenzen gebracht. Somit kommt es gerade recht, dass ich mich in Tiflis ein wenig ausruhen kann. Für Martin endet die Reise hier. Er muss am Sonntag wieder nach Wien zurückfliegen.
Ich fand ein sehr nettes Hostel, das entgegen meiner bisherigen Hostel-Erfahrung erstaunlich ruhig ist. Die Zimmer sind nicht voll ausgelastet, doch auch bei Vollbelegung gibt es hier nur Platz für 18 Leute. Die Nächte sind ruhig und morgens lässt es sich in aller Ruhe in der Küche frühstücken.
Es sind zwar nur wenige Meter bis zur Rustaveli Avenue, dem Prachtboulevard von Tiflis, doch für mich vergehen zwei volle Tage, bis ich mich aufmache und die Stadt besichtige.
Vorher wird erst die Ausrüstung wieder auf Vordermann gebracht, am Blog gearbeitet, alles mögliche im Internet recherchiert und am wichtigsten… es werden Freunde getroffen.
Im November hatte ich Tyson und Hanne für einige Tage in meiner Wohnung aufgenommen. Tyson ist aus Rotterdam in Richtung Thailand aufgebrochen (sein Blog auf: http://rollingalong.org). Hanne, seine Freundin, hatte ihn damals in Wien besucht. Sie ist vor kurzem nach Batumi geflogen und begleitet ihn nun auf dem Rad. Ihre Arbeit ist gekündigt, sie kann nun also so lange mit Tyson reisen, wie es ihr gefällt.
Friedemann und Natascha, die beiden deutschen Tandemfahrer, die wir in der Türkei getroffen haben, sind mit dem Zug von Batumi aus in Richtung Tilis gefahren und haben von hier aus Ausflüge mit Leichtgepäck unternommen. Sie werden noch einige Tage in Georgien bleiben, müssen dann aber wieder nach Deutschland zurückfliegen. Die Fahrt in die Ukraine müssen sie leider aus politischen Gründen absagen.
Julien, ein französischer Weltreisender der mit einem Mercedes Bus für 5 Jahre um die Welt fahren will, haben wir beim Grenzübertritt in Batumi kennengelernt. Kurz darauf ist er auf Tyson und Hanne gestoßen und hat sich mit ihnen in Tiflis verabredet. (http://www.aiguilleetjongle.org/) Nun treffen wir uns alle hier und gehen in wenigen Tagen wieder getrennte Wege.
Hanne leitet für zwei Tage einen Theaterworkshop an der Kunstakademie in Tiflis. Bereits an meinem ersten Tag in der Stadt sitze ich also am Abend gemeinsam mit Hanne, Tyson und Julien am Tisch von Anna, deren Eltern, und deren Freunden gemeinsam an einem Tisch. Anna organisiert den Workshop an der Akademie. An sich ist sie Malerin, ebenso wie ihr Vater. Die Wohnung ist dementsprechend über und über mit Bildern bestückt. Wir werden überaus herzlich aufgenommen. Alle möglichen georgische Spezialitäten landen auf dem Tisch. Ein Nein wird nicht akzeptiert, folglich muss alles gekostet werden…
Julien hat seinen Camping-Bus nur etwa 200m von unserem Hostel entfernt geparkt, Friedemann und Natascha wohnen bei Freunden ihres Vaters, nur zwei Parallelstraßen von uns, zum Hostel von Tyson und Hanne sind es nur 15min. Fußmarsch… wieder einmal hat uns der Zufall auch örtlich nahe zusammengebracht.
Tiflis, die größte Stadt Georgiens, hat etwas mehr als 1 Million Einwohner. Durch die geographische Lage am Fluss und an einem Bergrücken ist die Stadt sehr linear organisiert. Auf dem Hügel thront ein riesiger Fernsehturm und direkt daneben ein Riesenrad, das leider im Winter nicht in Betrieb ist. Der Blick auf die Stadt ist fantastisch. Einige wenige moderne Bauten stechen ins Auge. Leider wurde dabei nicht das volle Potential ausgenutzt. Die meisten Leute in Tiflis mit denen ich gesprochen habe, sind nicht sehr begeistert über die Neubauten. Architektonisch sind es nicht gerade Meisterleistungen. Doch nach Ansicht der Regierung ist es ein Zeichen für den Aufbruch in ein neues Zeitalter für Georgien.
Das eigentliche Altstadtviertel ist vom Hostel aus in etwa 20 Minuten zu Fuß erreichbar. Der ursprüngliche Altstadtkern gruppiert sich um die historischen Schwefelbäder am Fuß der Festung. Tiflis ist bekannt für seine Thermalquellen. Daher rührt auch der Name der Stadt.
Martin und Ich gönnen uns an seinem letzten Tag ein Schwefelbad samt Schrubben und Massage. Im Gegensatz zum Hamam geht die Massage mehr in Richtung Thai Massage. Der Masseur klettert auf meinem Rücken herum und versucht mit seinem Körpergewicht die Knocken zum Knacken zu bringen. Zuvor wird der ganze Körper mit einem besonders rauen Roßhaarhandschuh abgeschrubbt. In Kombination mit dem sehr warmen Schwefelbecken eine überaus entspannende Angelegenheit.
Aktuell wird viel renoviert im Altstadtkern. Parallel dazu sind die verwinkelten Gassen mit unzählige Touristenlokalen und Souvenierläden vollgestopft. Der ursprüngliche Charme geht hierdurch leider etwas verloren. Sobald man aber ein wenig abseits der Touristenpfade unterwegs ist, findet man immer wieder sehr schöne, unrestaurierte Gebäude. Tiflis muss vor gut hundert Jahren eine sehr elegante Stadt gewesen sein. Äußerst filigrane Dekorationselemente schmücken die Balkone und Erker an den Häusern. Besonders in den Hinterhöfen stößt man praktisch bei jedem Haus auf großzügige Laubengänge. Leider wurden diese im Lauf der letzten Jahrzehnte als Wohnraumerweiterung verstanden. Die grundsätzlich offen strukturierten Innenhöfe wirken dadurch wieder geschlossen und unkommunikativ. Auffallend aber der dominante Einsatz von Holzelementen. Die feuerpolizeilichen Auflagen dürften hier nicht allzu streng sein. Darüber hinaus sticht ins Auge, dass sich die Erde offenbar im Stadtgebiet des öfteren bewegt. Immer wieder findet man Häuser, die keine horizontalen Linien mehr in der Fassade aufweisen. Balkone und Erker hängen windschief am Gebäude.
Als Fußgänger ist man ständig mit dem überaus starken Autoverkehr konfrontiert. Fußgängerübergänge existieren zwar auf dem Papier, doch darauf pochen darf man nicht. Sobald man sich aber in diesen etwas gewöhnungsbedürftigen Verkehrsfluss eingliedert, gelingt die Straßenquerung auch bei 6 Spuren mit Gegenverkehr reibungslos. Fahrradfahrer sichtet man leider wirklich nur sehr selten in den Gassen. Die Dominanz des Autoverkehrs ist offenbar zu groß als dass die Bewohner den Schritt zum Fahrrad wagen.
Auch ich vermisse mein Rad nicht während meiner Tage hier in Tiflis. Die Stadt lässt sich äußerst bequem zu Fuß erkunden und die Beine freuen sich auf über ein bisschen Auszeit.
Ich bin erstaunt, wie schnell sich der Kopf auf “Stadtbetrieb” umstellt. Ein sehr angenehmes Gefühl, für mehrere Tage dem gewohnten Rhythmus aus Radeln, Schlafen, Radeln, Schlafen… zu entkommen und sich einfach treiben zu lassen. Bei strahlend blauem Himmel und sehr angenehmen Temperaturen lässt es sich blendend entspannen.
Plötzlich ist man selbst aber auch wieder anonymer Tourist in einer Stadt. Solange man mit dem Rad unterwegs ist, ist die Wahrnehmung der Leute vor Ort eine völlig andere. Auch ich selbst bemerke, dass ich mich anders verhalte. Stellenweise ist es ganz angenehm, sich der Anonymität hinzugeben, doch andererseits vermisse ich auch die offenherzige Reaktion der Leute, denen man begegnet. Auffallend auch, dass in Tiflis fast jeder zumindest rudimentär Englisch spricht.
Ein bisschen Organisation steht aber bereits wieder an. Der Weg in den Iran ist geebnet, das Visum klebt im Pass. Doch nun beginnt der etwas kompliziertere Part. Visa für Turkmenistan, Usbekistan, Tadschikistan und Kasachstan müssen vororganisiert werden. Ich bin noch nicht sicher, ob ich mich auf eine Agentur verlassen sollte, oder den “Standard-Weg” über die Konsulate in Teheran in Angriff nehme. Es vergehen einige Stunden mit Recherche, doch bis jetzt bin ich noch zu keiner Entscheidung gekommen.
Nun ja, vielleicht sollte man erst einmal starten und abwarten, was sich ergibt.
Für den letzten Abend kommen Tyson und Hanne auch noch in meinem Hostel vorbei. Ihre Unterkunft ist bereits verbucht. Morgen können wir also gemeinsam die Stadt verlassen. Die beiden werden in Richtung Azerbaijan weiterreisen, ich werde einige Kilometer der bereits zurückgelegten Strecke zurückradeln und wieder nach Armenien einreisen.
Das Abenteuer geht weiter, ab jetzt wieder ohne Begleitung. Bis nach Yerevan sind es knapp drei Tage. Dort gibt es wieder eine fixe Anlaufstelle. Vier sehr entspannende Tage liegen nun hinter mir. Der Körper ist wieder zur Ruhe gekommen und die Beine werden schon wieder ein wenig unruhig.