Tag 137 – 17.Juni

5km vor dem Kaldama Pass – Ende der Serpentinen: 41km; 4:36h im Sattel; 7 – 18 Grad, Regen
Camping

Früh am Morgen spitzte noch die Sonne hinter dem Pass hervor, doch dann zogen von Süden her pechschwarze Wolken auf. Dumpfes Donnergegroll ließ nichts Gutes erahnen und schon nach kurzer Zeit regnete es, als ob es der letzte Tag auf Erden wäre. Erst einmal ein ernüchternder Start in den Tag, nachdem wir doch gestern mit bestem Sonnenschein verwöhnt wurden. Anfangs dachten wir, wir könnten den Regen noch aussitzen, doch je länger man wartete desto mehr machte es den Anschein, dass es wohl den ganzen Tag regnen würde.
Franzi fühlte sich heute wieder fit und wollte den Pass in Angriff nehmen. Unsere Essensvorräte würden zwar noch einen weiteren Tag Pause erlauben, aber trotzdem wollte jeder von uns auf die andere Seite. Und so warfen wir uns in die Regenklamotten, bauten bei strömendem Regen das Zelt ab und hofften insgeheim darauf, dass der Regen nachlässt. Nach etwa einer halben Stunde sahen wir das Zelt von Enzo neben der Straße stehen. Er hatte offenbar meine Nachricht nicht erhalten und so war er sichtlich überrascht, uns Drei tropfnass vor seinem Zelt zu sehen. Rasch packte er seine Sachen zusammen und es ging gemeinsam in die erste Serpentine.
Obwohl fester Straßenbelag schon einige Kilometer hinter uns liegt, war die Straße verhältnismäßig gut zu fahren. Das mag vielleicht auch daran liegen, dass hier wirklich äußerst wenig Verkehr herrscht. Nur selten musste man sich durch Abschnitte mit losem Gestein quälen. Es galt bis auf knapp unter 3000m hinaufzuklettern. Unsere Ausgangsposition auf 1800m war schon recht gut, trotzdem zog sich der Anstieg ziemlich in die Länge. Die Serpentinen schlängeln sich sehr langezogen den Bergrücken empor. Die Kehren liegen teilweise ein paar Kilometer voneinander entfernt und trotzdem sieht man den Straßenverlauf über einem. In quälend langem Zick-Zack gehts also in Richtung Passhöhe.
Franzis Zustand verschlechterte sich leider zusehends auf dem Weg nach oben. Sie hatte sichtlich zu kämpfen, aber wollte auf jeden Fall über den Pass kommen. Mit Bauchkrämpfen eine Schotterpiste zu fahren ist schon schlimm genug, wenn es dann aber auch noch steil bergauf geht, benötigt man schon sehr starken Durchhaltewillen.
Keiner von uns hatte viel gefrühstückt. Enzo hatte nicht mit einem Start im Regen gerechnet, sodass er noch gar nichts gegessen hatte. Mit Keksen versuchten wir den Energiehaushalt zumindest ansatzweise zu befriedigen. Am Nachmittag ließ der Regen dann langsam nach und die Temperaturen stiegen wieder an. Endlich konnte man sich der Regenhose entledigen und es kam wieder Luft and die Beine. Die wasserdichten Handschuhe waren jetzt auch schon völlig durchnässt, es war Zeit die Garderobe auszutauschen.
Schon von weitem hatten wir am Gipfel eine Gruppe Radfahrer gesichtet. Kurz bevor wir die Passhöhe erreichten trafen wir die Drei. Sie waren ebenfalls heute Morgen vom Beginn der Serpentinen auf den Gipfel geklettert. Es wurden die üblichen Informationen ausgetauscht und noch ein paar Tips mit auf den Weg gegeben. So erfuhren wir, dass es bis zum nächsten Dorf doch noch weiter ist, als gedacht. Dafür bekamen wir eine gute Beschreibung für einen Zeltplatz mit nahegelegener Wasserquelle. Eigentlich hatten wir damit gerechnet, heute noch ein Dorf zu erreichen, aber das müssen wir jetzt wohl auf morgen verschieben. Es war schon 17 Uhr als wir auf 2960m ankamen. Ein ziemlich langer Anstieg, aber jeder von uns war froh, endlich einen Blick ins nächste Tal werfen zu können. Die Temperatur war nun schon deutlich unter die 10 Grad Marke gefallen weshalb wir uns auch nicht länger als nötig auf der Passhöhe aufhielten. Noch schnell eine weitere Schicht angezogen und los gings in Richtung Tal. Vorbei an Pferden und Kühen ließen wir es bergab rollen. Für die Pferde ist der Anblick von Radlern offenbar noch sehr ungewohnt. Anfangs flüchteten sie meist vor uns, blieben dann aber sehr verängstigt am Straßenrand stehen und preschten bei der ersten Gelegenheit an uns vorbei. Die Kühe nehmen das ganze viel gelassener und bewegen sich kaum wenn wir an ihnen vorbeiradeln.
Die Landschaft, die sich vor uns ausbreitete war atemberaubend. Einzig ein bisschen mehr Sonne fehlte, aber die Hügelformationen und das viele Grün verleitete immer wieder zum Stehenbleiben. So in etwa hatte ich mir Kirgistan vorgestellt. Im Gegensatz zu Europa zieht sich das Gras bis auf über 3000m hinauf. Frei liegenden Fels sieht man eher selten. Um die einzelnen Jurten gruppieren sich große Herden von Kühen und Pferden. Was die Leute mit den vielen Pferden hier anfangen ist mir jetzt noch ein Rätsel, aber vielleicht klärt sich das noch.
Der Hunger war schon ziemlich groß als wir endlich den Fußpunkt des Passes erreicht hatten. Den beschriebenen Zeltplatz fanden wir dann auch gleich, nur nach der Quelle mussten wir ein wenig suchen. Es gibt schöneres als ein vor Nässe triefendes Zelt aufzustellen, aber zum Glück trocknete der Zeltboden dann doch noch auf bis Matte und Schlafsack darauf landeten. Die Kocher liefen heiß und jeder freute sich auf die erste richtige Mahlzeit des Tages. Dem erneut einsetzenden Regen war es zu verdanken, dass dann doch jeder für sich ins Zelt verschwand. So wie der Tag begonnen hatte, endete er auch… Regen Regen Regen.

Tag 138 – 18.Juni

Ende Kadama Pass – 15km hinter Kazaman : 59km; 3:50h im Sattel; 18 – 31 Grad, wechselhaft
Camping

Nachts hatte es noch fleissig weiter geregnet, aber zum Glück gab es in der Früh ein Schönwetterfenster. Ein paar Sachen konnten dann noch zum Trocknen ausgelegt werden bevor wir gegen 10 Uhr in Richtung Kazaman starteten. Gleich zu Beginn musste ein recht steiler Hügel überwunden werden. Betriebstemperatur erreichte man also sehr schnell. Der Blick, den man sich dadurch erarbeitete war dafür aber atemberaubend. Am besten trifft es der Ausdruck “in Landschaft ertrinken”. Egal wohin man schaut, überall beeindruckend schöne Landschaftsformationen. Wie ein locker hingeworfenes Tuch liegt vor uns eine leicht hügelige Umgebung, alles von einem grünen Teppich überzogen. Das sind die Bilder, die ich von Kirgistan im Kopf hatte nur dass sich in Realität alles viel eindrucksvoller darstellt. Auf einer weiterhin recht guten Sandstraße geht es bis auf zwei weitere Hügel konstant bergab. Obwohl man die vorbeiziehende Landschaft vom Rad aus genießen kann, bleibe ich immer wieder stehen, um die Umgebung auf mich wirken zu lassen. Ein bisschen Staunen ist stets mit dabei. Überall Grün, hie und da einige Pferde und ganz vereinzelt ein paar Jurten. Manchmal sieht man auch befestigte Häuser, diese sind aber allesamt verfallen und meist unbenutzt. Es geht über lange Strecken bergab, der Straßenrand ist gesäumt von wilden Canabispflanzen, die schon kräftig Blüten angesetzt haben. Wohin man auch schaut, überall sieht man Canabis.
Wir erreichen Kekirim, das erste Dorf nach dem Pass und treffen auf Oliver und Dan aus England, die auf dem Weg nach Thailand sind (www.supersizedadventure.com). Mit ihren 28 Zoll Rennrädern haben sie hier in der Gegend auch ihre Schwierigkeiten, schlagen sich aber ganz tapfer. Vor allem das 16-Speichen Hinterrad macht bei der Zuladung immer wieder mal schlapp. Im Gegensatz zu uns ist ihnen in den letzten Wochen kein einziger Radler begegnet. Es werden Informationen über den Straßenzustand ausgetauscht und dann treibt uns der Hunger auch schon weiter. Das Frühstück war eher kurz ausgefallen und jeder sehnt sich zumindest nach einem kleinen Schokoladensnack.
Es trennen uns nur noch wenige Kilometer von Kazaman da bricht bei Jona die in Osh ausgetauschte Speiche erneut. Hier in der Gegend alles andere als optimal. Mit einem immer stärker eiernden Hinterrad gehts also in Richtung Stadt. Hier wird erst mal ein Mini-Market geplündert und dann beginnt die Suche nach einem Kassettenabzieher. Die Besitzerin des “Supermarktes” spricht ein paar Brocken Englisch und zitiert ihren Mann herbei, damit er mit Jona und mir ins “Zentrum” fährt, um dort nach einem Werkzeug zu suchen. Der Karte nach zu urteilen hatte ich mir die Stadt ganz anders vorgestellt. Es handelt sich offenbar um eine auf dem Reißbrett entstandene Stadt, die eher europäischen Maßstäben gerecht werden würde. Die Leute hier kommen mit der Stadtstruktur nicht wirklich zurecht. Vom Auto aus macht das Zentrum einen sehr ärmlichen und heruntergekommenen Eindruck. Verloren liegen die groß angelegten Kinderspielplätze zwischen den vierstöckigen Wohnriegeln. Die Straßen sind überall aufgebrochen und die Fassaden bröckeln an jedem Haus. Wir versuchen unser Glück in ein paar Hardwarestores. Zu meiner Überraschung wird dort auch Zubehör für Fahrräder verkauft. In einem Laden gibt es sogar eine neue Schraubkassette zu kaufen, aber das erforderliche Werkzeug dazu kennt niemand. Schließlich versuchen wir unser Glück bei einer Autowerkstätte. Der Mechaniker nimmt sich, auf einem Kieshügel vor dem Haus sitzend, dem Hinterrad an und beginnt mit einem Schraubenzieher und einem Hammer die Kassette zu bearbeiten. Jona rutscht sichtlich das Herz in die Hose beim Anblick dieser eher brutal wirkenden Methode. Aber scheinbar weiß der gute Herr ziemlich genau was er tut. Wenn man keinen Kassettenabzieher zur Hand hat, kann man auch einfach den Schraubring für den Freilauf aufschrauben und so die Kassette abnehmen. Hunderte kleiner Kugeln fallen einem dabei zwar entgegen, aber wenn man alle wieder aufsammelt, bekommt man die Kassette auch wieder aufs Rad. So 100%ig glaubte Jona immer noch nicht daran, dass wir das Rad wieder in Schuss bringen. Die erste Speiche die eingesetzt wurde, brach gleich beim einfädeln ab. Die Materialqualität lässt wirklich zu wünschen übrig. Eine Speiche war noch übrig, die wurde mit äußerster Sorgfalt vorgebogen und schließlich erfolgreich eingefädelt. Nun nur noch sämtliche Kugeln säubern und die Lager ordentlich einfetten und schon war die Kassette wieder auf dem Rad. Es kann also weitergehen. Trotzdem melden sich bei Jona und Franzi jetzt verstärkt Zweifel, ob sie mit ihren Rädern diesen Straßenbedingungen gewachsen sind.
Vor uns liegen einige hohe Pässe mit äußerst schlechten Straßen. Bis zum Song Köl See gibt es keine Asphalt mehr. Ich hoffe, dass bei den Beiden die Räder zumindest bis Bishkek noch durchhalten.
Wir stocken unserer Essensvorräte auf, nachdem wir jetzt auf immer weniger Dörfer stoßen werden. Bei mir nimmt die Vorratshaltung jetzt schon bedenkliche Züge an. Mein Rad erreicht schon Rekordgewicht. In Zukunft muss ich mich bei den Einkäufen mehr zurückhalten und wirklich nur das nötigste kaufen. Ich habe das Gefühl vom Essen her für mindestens eine Woche versorgt zu sein. Vielleicht nicht unbedingt die beste Ausgangssituation wenn man die Höhenmeter betrachtet, die noch vor uns liegen. Aber egal… auch mit schwerem Gepäck kommt man die Steigung hoch.
Am Ortsausgang liegt leicht erhöht ein Friedhof. Die Gräber unterscheiden sich stark von allen bisher gesehenen. Es gibt sogar eine Art Kapelle am Hügel, die fast wie eine Kirche aussieht. Gerade als wir wieder losfahren wollen, gibts bei mir mal wieder einen Platten. Ein beachtlicher Nagel steckt im Hinterrad. Der Schlauch wurde auf beiden Seiten durchbohrt. Nachdem der Schlauch gewechselt war, gings endlich wieder weiter. Die Straßenbedingungen verschlechterten sich zusehends. Die Schotterstraße wird jetzt auf langen Passagen zur Wellblechpiste. Mit dem Rad alles andere als angenehm zu befahren… Aber zumindest gehts flach dahin.
Nachdem jeder von uns feuchte Sachen im Gepäck hat beschließen wir, etwas früher das Zelt aufzuschlagen, um noch ein paar Sonnenstrahlen nutzen zu können. In direkter Nähe zum Fluss finden wir einen traumhaften Zeltplatz mit vielen Büschen und Bäumen die umgehend mit den feuchten Sachen behangen werden. Leider führt der Fluss recht dunkelbraunes Wasser. Zum Waschen reicht es aber allemal.
Ab morgen wird dann wieder geklettert. Die Landschaft wirkt vielversprechend, ich hoffe nur, dass die Straßenbedingungen einigermaßen gut sind. Vom Wetter müssen wir uns mal wieder überraschen lassen. Abends ziehen gefährliche Gewitterwolken auf. Man sieht die ersten Blitze als wir ins Zelt schlüpfen und der Regen kommt auch schon näher. Aber vielleicht ist morgen ja alles schon wieder anders…

Tag 139 – 19.Juni

15km hinter Kazerman – Beginn Pass nach Akkyja: 54kn; 5:08h im Sattel; 25 – 32 Grad, wechselhaft
Camping

Der drohende Regen ist über Nacht ausgeblieben und wir wurden von strahlendem Sonnenschein empfangen. Die ersten Sonnenstrahlen wurden noch genutzt, die restlichen nassen Klamotten zum Trocknen auszulegen. Nach einem kräftigen Frühstück gings dann los. Es wartete der erste Anstieg auf uns. Zuerst ging es recht moderat los, doch dann wurde die Steigung immer mehr. Bei dem losen Untergrund kann man durchaus von einer Herausforderung sprechen. Man ist stets auf der Suche nach der Ideallinie, vorbei an den Bodenwellen, den Schlagllöchern und dem losen Schotter. Für mich endete diese Suche an einem Punkt damit, dass ich einfach vom Rad fiel. Bei der starken Steigung kommt es immer wieder vor, dass der Vorderreifen abhebt und wenn dann auch noch der Hinterreifen wegrutscht, dann ist es vorbei mit der Balance. Zum Glück ist aber nichts passiert.
Franzi kam heute Vormittag auch an ihre Grenzen. Die Tatsache, dass sie stets der Gruppe hinterherfährt und immer das Gefühl hat, alle aufzuhalten brachte sie fast dazu, auf ein motorisiertes Transportmittel umzusteigen. Wie auch schon die letzten Tage versuchten wir dagegen sicherzustellen, dass keiner von uns unter Zeitdruck nach Bishkek fährt. Enzo und ich würden gerne mit Franzi und Jona gemeinsam nach Bishkek radeln. So gut es ging redeten wir Franzi gut zu und so langsam bekam sie wieder etwas Zuversicht. Die Strecke die wir uns ausgesucht hatten ist sicherlich nicht die leichteste, aber dafür landschaftlich wirklich sehr schön. Praktisch jeder von uns fährt an seiner körperlichen Belastungsgrenze. Der Straßenbelag und die Steigungsverhältnisse verlangen einiges von uns ab.
Kurz nach Mittag war dann der höchste Punkt auf 2160m erreicht. Pünktlich zum “Gipfelglück” riss bei Jona erneut die eben erst gewechselte Speiche. Kurzzeitig war die Stimmung wieder ziemlich am Boden, aber man wird ja auf freier Strecke recht erfinderisch. Ich transportiere seit Wien eine Universalspeiche mit mir rum, die eigentlich für 26 Zoll Räder gemacht ist. Ich versuchte, die gerissene Speiche an der richtigen Stelle umzubiegen, um die Universalspeiche einzuhängen und siehe da, die Operation gelingt. Mit Kabelbindern wird die gebogene Speiche gesichert und weiter gehts. Ich hoffe mal, dass diese etwas abenteuerliche Konstruktion bis Bishkek durchhält, ansonsten müssen wir uns was anderes einfallen lassen. Die Ersatzspeichen in der richtigen Länge sind jetzt verbraucht…
Es geht ein paar hundert Höhenmeter bergab, vorbei an einem einzelnen Dorf mit einem beeindruckenden Friedhof auf der gegenüberliegenden Straßenseite. Interessant zu sehen, dass auch bei den Friedhöfen die Jurten eine bedeutende Rolle spielen. Einzelne Grabstätten bestehen aus dem Gerüst der Jurte, adere sind klassisch gemauert. Wie auch schon in Uzbekistan werden die Toten auch hier mit einem Erdhügel bedeckt, sodass der Friedhof kontinuierlich in die Höhe wächst.
Bis wir den tiefsten Punkt der heutigen Tour erreicht haben geht es noch unzählige Male bergauf und bergab. Quälend langsam schleppt man sich die Hügel empor und muss dann bei der darauffolgenden Abfahrt höllisch aufpassen, die richtige Spur zu finden aber schließlich kommen wir beim lange ersehnten Bachlauf an, füllen die Wasservorräte erneut auf und gönnen uns eine Katzenwäsche im Fluss. Jetzt gehts noch knapp 5km leicht bergauf und dann startet ein neuerlicher Pass. Direkt davor finden wir einen herrlichen Zeltplatz in einem ausgetrockneten Flussbett. Wir können noch kurz ein paar Sonnenstahlen genießen und dann beginnt die übliche Routine. Zelt aufstellen, Zelt einrichten, Essen vorbereiten, Kochen, Essen, Abwaschen… Die untergehende Sonne tauch das hinter uns liegende Bergmassiv in einen Rotton der mich nur noch staunen lässt. Für morgen ist jeder von uns guter Dinge. Schritt für Schritt nähern wir uns unserem eigentlichen Ziel, dem Song Köl See. Vermutlich noch drei Tage, dann sollten wir dort sein.

Tag 140 – 20.Juni

Beginn Pass nach Akkyja – Straßenkreuzung vor Aktal: 58km; 4:47h im Sattel; 18 – 32 Grad, wechselhaft
Camping

Heute Früh ging es sozusagen als Kaltstart direkt los mit dem Anstieg zum 2760m hohen Pass. Wie erwartet war die Straße in relativ schlechtem Zustand, aber man kam trotzdem verhältnismäßig gut voran. Verkehr ist hier auf dieser Straße praktisch nicht existent, man fühlt sich wie auf einer Privatstraße. In der Gruppe haben sich jetzt zwei Fahrerlager herausgebildet. Franzi und Enzo bestreiten die Anstiege im selben Tempo, Jona und ich warten meist, bis die Beiden ein gutes Stück vorausgefahren sind und rollen dann von hinten wieder heran. Die Pausen stellen für mich immer wieder eine willkommene Gelegenheit dar, die Landschaft zu genießen und den Blick über die bereits gefahrene Strecke schweifen zu lassen. Man kann gut die gesamte Strecke sehen, die wir seit dem Pass gestern gefahren sind. Von hier aus sieht es nach nur 2 Stunden Fahrt aus, in Wirklichkeit benötigt man einen ganzen Tag dafür. Auch wenn die Straße mal flach ist, kommt man nur sehr langsam voran. Wir haben uns alle schon an einen Tagesschnitt von ca. 50km gewöhnt.
Kurz vor der Passhöhe überrascht uns noch ein sehr heftiger Graupelschauer der aber so schnell wieder weiterzieht, wie er gekommen ist. Und so erreichen wir um die Mittagszeit die Passhöhe von der aus sich ein atemberaubender Blick in das unter uns liegende Tal bietet. Wir sitzen einige Minuten nur da und erfreuen uns an dem gigantischen Ausblick. Direkt auf der Passhöhe hat eine Familie mit ihrer Jurte niedergelassen. Der Vater und seine zwei Söhne begutachten uns recht skeptisch. Sonderlich gesprächig ist aber keiner von ihnen. Man hat den Eindruck, dass sie sich sehr über den etwas fremdartig wirkenden “Besuch” wundern. In letzter Zeit ist es mir schon öfter aufgefallen, dass Leute denen wir begegnen nicht mehr recht viel reden. Oft stehen sie einfach nur da und starren uns an, nachdem sie jedem von uns die Hand gegeben haben. Ich kann mir gut vorstellen, dass es für die meisten kaum vorstellbar ist, warum / wie man auf die Idee kommt mit dem Rad hierher zu fahren, geschweige denn, dass man sich vorstellen kann von Deutschland aus mit dem Rad durch die Welt zu fahren. Es wirkt so, als ob sie in ihrer kleinen Welt aber ganz zufrieden sind. Es gibt keinen Strom, kein fließend Wasser und manchmal nicht einmal ein Auto.
Nach einer kurzen Rast steigen wir wieder auf die Räder und rollen in Richtung Tal. Die ersten Kurven liegen hinter uns, da öffnet sich uns ein völlig neuer Blick auf die tief unter uns liegende Landschaft. Ich bleibe wie angewurzelt stehen und kann kaum glauben welches Schauspiel sich uns hier bietet. Wie aus der Vogelperspektive blickt man auf eine Faltenlandschaft in allen möglichen Farben. Weit hinten am Horizont reihen sich schneebedeckte Bergspitzen aneinander, ein breiter Fluss schlängelt sich durch die Ebene. Bei fast jeder Kehre eröffnet sich ein neuer Blick auf das beeindruckende Landschaftsspiel. In engen Serpentinen schlängelt sich die Schotterpiste ins Tal. Akkyja, das erste Dorf ist bereits von Weitem zu erkennen. Hier wollen wir unsere Essensvorräte aufstocken. Ganz reibungslos verläuft der Weg dorthin leider nicht. Enzo fährt sich seinen zweiten platten Reifen der gesamten Tour ein. Er ist jetzt ungefähr 13.000km unterwegs, also eigentlich ein ganz guter Schnitt. Beim Reparieren sticht aber ein ganz anderes Problem ins Auge: Seine Felge muss so rasch als möglich getauscht werden. Eine Speiche reisst bereits aus. Fürs erste wird die Speichenspannung der Nachbarspeichen gelockert und wir hoffen alle, dass er so noch bis Bishkek kommt.
in Akkyja erwartet uns eine etwas befremdlich wirkende Stimmung. Es gibt nur zwei sehr kleine Läden und die Leute wissen nicht so recht, wie sie mit uns umgehen sollen. Die Kinder stehen erst einmal in einem Halbkreis um uns herum und nähern sich Schritt für Schritt, um dann bei einer unerwarteten Bewegung unsererseits wieder zurückzuschrecken. Es liegt keine angenehme Stimmung in der Luft, trotzdem bereiten wir unser verspätetes Mittagessen hinter dem Mini-Market zu. Die Augen der Kinder und Jugendlichen verfolgen jeden Handgriff, auf Fragen reagiert aber niemand.
Am Ortsausgang ein großer Friedhof, dann kurz hinunter ins Flusstal und gleich wieder hoch… Auf der anderen Seite des Flusses befindet sich ebenfalls ein Dorf. Beide Friedhöfe liegen in Wurfdistanz gegenüber, nur das Dorf selbst wirkt etwas wohlhabender. Wir versuchen unser Glück noch einmal im örtlichen Laden und finden zumindest noch ein paar Schokoriegel. Brot, Früchte oder Gemüse gibts hier aber nirgendwo.
Von nun an geht es im Flusstal eben voran. An ein rasches Fortkommen ist aber nicht zu denken. Die Straße lässt nur eine Maximalgeschwindigkeit von etwa 10km/h zu. Kurzzeitig weichen wir auf die unbefestigte Steppe aus und kommen dort sogar besser voran. Franzi fährt sich dabei aber einen Dorn ein und somit gehts nach der Reparatur wieder zurück auf die Rüttelpiste.
Ich hatte ja bereits einmal das “Glück”, dass mir eine Befestigungsschraube des Gepäckträgers abgerissen ist. Dummerweise habe ich mir die festsitzende Schraube nicht ausbohren lassen, weil jetzt auch die zweite Schraube abreisst. Nun stehe ich vor einem ernsthaften Problem. Es gibt keine Möglichkeit mehr, den Gepäckträger zu montieren und zum nächsten Dorf sind es noch knapp 10km. Notdürftig befestige ich den Gepäckträger mit Kabelbindern und hoffe, dass die Konstruktion noch bis zur Straßenkreuzung durchhält. Es ist schon früher Abend als wir an der Kreuzung ankommen. Ich beschließe den Versuch einer Reparatur auf morgen zu verschieben und wir stellen erst mal unsere Zelte auf.
Morgen muss ich zwingend jemanden mit einer Bohrmaschine auftreiben, ansonsten schaut es mit einem Fortkommen übel aus. Zum Glück befinden sich in der Nähe der Straßenkreuzung drei Dörfer, es sollte also möglich sein, einen Bohrer aufzutreiben.

Tag 141 – 21.Juni

Kreuzung bei Aktal – Beginn der Serpentinen zum Song Köl See: 41 km; 3:47h im Sattel; 10 – 26 Grad, wechselhaft / Regen
Camping

Oberste Priorität war heute die Reparatur meines Gepäckträgers. Jona begleitete mich nach Aktal wo ich am ehesten eine Bohrmaschine vermutete. Und wir hatten auch wirklich Glück. Gleich der Erste, den wir ansprachen konnte uns weiterhelfen. Wir wurden zu einem Haus geführt in dem uns ein etwa 12 jähriger Junge empfing. Es gab eine Bohrmaschine, verschieden große Bohrer, nur mit dem Strom haperte es Anfangs noch ein wenig. Schlussendlich bekamen wir dann aber die Maschine zum laufen und ich mühte mich ab, die abgerissenen Schrauben aufzubohren. Zur Sicherheit wollte ich das Loch der noch intakten Seite ebenfalls aufbohren, da sah ich, dass auch diese Schraube bereits abgerissen war und nur noch aus Gewohnheit den Gepäckträger hielt. Die Bohrer kamen schnell an ihre Grenzen und abwechselnd wurde der Junge und dann ich nervös. Der Junge immer dann, wenn die Bohrer zu rauchen anfingen und ich, wenn er mit einem schweren Hammer versuchte, die neue Schraube einfach mit purer Gewalt durchzuhämmern. Abwechselnd hatte also jeder seinen Spaß und nach gut einer Stunde Arbeit waren die Löcher gesetzt. Mit zwei Stunden Verspätung konnten wir dann in Richtung Pass starten.
Es ging Anfangs recht gemütlich an einem kleinen Bach entlang. Das Tal, durch das wir fuhren war wie aus dem Katalog. Einzig die schwarzen Wolken, die immer näher kamen beunruhigten ein wenig. Wir nutzten die Gelegenheit und machten noch eine ausgedehnte Mittagspause am Fluss. Endlich einmal wieder ausreichend Wasser, damit die Nudeln im Topf nicht so klebrig werden…
Nach einigen weiteren Höhenmetern gab es die erste Kampfansage der Passstraße. 15% Steigung, Schotterstraße und ein vollbepacktes Rad – da hilft nur noch absteigen. Es sieht so aus, als ob es ein harter Anstieg werden wird. Völlig ausser Puste genehmigen wir uns eine kurze Rast am Straßenrand als uns der Regen einholt. Anfangs verharren wir noch unter den Büschen, doch schließlich versuchen wir noch ein paar Höhenmeter zu gewinnen. Als der Blick auf die Serpentinen frei wird, realisieren wir schnell, dass für heute die Passhöhe nicht mehr zu erreichen ist. Es scheint, als ob sich die Straße eine annähernd senkrechte Wand emporwindet. Ein geeigneter Zeltplatz im Anstieg ist nicht wirklich auszumachen und so folgen wir noch ein paar Metern dem Fluss und finden weit abseits der Straße einen herrlichen Platz, direkt am Fluss mit Feuerstelle und ausreichend trockenem Holz. Zum ersten Mal gibts Lagerfeuer und das sogar noch in bildhaft schöner Umgebung. Die Berghänge erinnern jetzt schon ein wenig an die Alpen. Überall sieht man spitz aufragende Nadelbäume, dazwischen Gras und immer öfter offenliegendes Gestein.
Ich bin immer wieder erstaunt, wie abwechslungsreich die Landschaft hier in in Kirgistan sein kann. Binnen eines Tages sieht man so viele verschiedene Landschaftsformationen, man kommt aus dem Staunen gar nicht mehr raus.