Werte Lesergemeinde: Aufgrund des sehr sehr sehr langsamen Internets in China muss ich leider auf die Einbindung der Karten verzichten. Bei gegebener Gelegenheit werden die Karten wieder aktualisiert.

Tag 172 – 22.Juli

Khorgas (Kasachstan) – Khorgas (China): 18km; 1:08h im Sattel; 27 – 34 Grad, Sonne
Hotel

Nun ist es also soweit. Ich verlasse Kasachstan und reise nach China ein. Die Grenzbeamten nahmen gerade ihren Dienst auf, als ich auf der kasachischen Seite vorfuhr. Eine Menschentraube hatte sich schon vor dem verbogenen Schlagbaum gebildet und sobald der Grenzer das Zeichen gab, stürmten alle wie wild drauf los. Keinen kümmerte es, dass der Schranken eigentlich noch geschlossen war. Die meisten kennen sich untereinander. Die Grenzbeamten werden mit Handschlag begrüßt und es herrscht eine recht gelockerte Stimmung. Natürlich war das nur die erste Kontrollstelle. Nächster Knotenpunkt, ein Wachhäuschen mit einer engen Tür. Wieder bildet sich eine Menschentraube darum und nachdem sich die Tür öffnet, stürmt die Menge durch das Wachhäuschen. Mich erinnern diese Szenerie an Schulkinder, die aus dem Klassenzimmer stürmen, an einer Grenze hätte ich das nicht unbedingt erwartet. Knotenpunkt drei, jetzt wird es langsam ernst… die Menge muss sich hinter mobilen Absperrbändern sammeln und hin und wieder werden ein paar Leute durchgelassen. Hinter der Absperrung findet die eigentliche Passkontrolle statt. Ich nehme mich selbst ein wenig zurück, stehe mit meinem schwer bepackten Rad ohnehin ein wenig im Weg rum. Ich vertraue darauf, dass ruhiges und geduldiges Warten auch irgendwann zum Ziel führt. Und siehe da, nach einiger Zeit werde ich aus der Menge gefischt und darf an den ungeduldig Wartenden vorbei, direkt zur Passkontrolle. Viel wird nicht gefragt, die Ausreise aus Kasachstan ebenso unspektakulär, wie die Einreise. Als ich die Abfertigungshalle verlasse, ruft man mir noch “viel Glück” hinterher und dann gehts auf in Richtung China.
Zuvor muss man aber noch eine fast 10km lange Schleife durchs Niemandsland fahren. Wer sich diesen Schlenker ausgedacht hat, muss gute Verbindungen zur Asphaltmafia gehabt haben. Luftlinie wären es nur gut 200m gewesen. Man fährt also zwischen Zäunen ein langes U aus. Mitten im Niemandsland treffe ich dann mal wieder einen Radreisenden. Diesmal ein Südkoreanischer Radler, der gerade auf dem Weg nach Kasachstan ist. Ob der mangelnden Sprachkenntnisse fällt die Konversation relativ knapp aus. Ich muss selbst ein wenig über mich lachen, als ich laufend versuche, mit dem Koreaner Russisch zu reden, nachdem klar ist, dass er praktisch kein Englisch spricht.
Schon als ich die Abfertigungshalle auf der kasachischen Seite verlassen hatte, konnte man bereits sehen, dass auf chinesischer Seite viel mehr Betrieb ist. Hinter dem Grenzzaun ragen bereits die ersten Hochhäuser empor, Baukräne deuten auf eine optimistische Zukunft hin. Der Kontrast könnte größer nicht sein. Man verlässt Kasachstan auf einer mit Schlaglöchern übersäten Straße, der Schlagbaum ist nur notdürftig mit einer rostigen Kette fixiert und das Wachpersonal sitzt in Holzverschlägen. Von Infrastruktur vor der Grenze ist keine Rede… Und was erwartet einem auf chinesischer Seite? Moderne Architektur, gepflegte Gebäude, die Abfertigungshalle gleicht einer Ankunftshalle eines internationalen Flughafens. Der Boden glänzt, es gibt eine übersichtliche Beschilderung, der Beamtin hinter der Passkontrolle kann man sogar mittels Knopfdruck eine Bewertung für ihre Arbeit geben. Ich kann es kaum fassen. Nur ein paar hundert Meter trennen diese beiden Orte und die Unterschiede sind dermaßen groß…
Europäer reisen hier offenbar nicht allzuoft ein. Obwohl mein Passbild nur ein halbes Jahr alt ist, wandert der Pass durch viele Hände, bevor man sich auch wirklich sicher ist, dass ich die Person bin, die auf dem Passbild abgebildet ist. Ich habe ja schon diverse Schauermärchen über die Einreise nach China gehört, bei mir ging diesmal alles reibungslos. Mein Gepäck wurde kurz durch den Scanner geschickt, die Packtasche mit dem Werkzeug und den Ersatzteilen näher inspiziert, aber das war es dann auch schon. Mit dem Stempel im Pass ging es dann hinaus auf Chinesischen Boden.
Emsiges Treiben herrschte auf der “anderen Seite”. Elektroroller und Elektroautos surrten durch die Gegend, Händler am Straßenrand versuchten mich in ein Verkaufsgespräch zu verwickeln, die Straße war plötzlich vierspurig und alles wirkte so gepflegt. Ich fühlte mich gleich mal ein wenig überfordert. Bisher glichen sich meist beide Seiten der Grenze zumindest einigermaßen. Jetzt fühle ich fast ein wenig einen Kulturschock. Alles ist anders. Die Uhr wird zwei Stunden nach vorne gestellt, man kann nichts mehr lesen und von verstehen ist gar keine Rede mehr.
Erst einmal Geld besorgen und dann was essen. Beim Essen kommen einem meist die besten Gedanken… Die überraschend neue Situation überforderte mich spürbar. Ich überlegte kurz, ob ich mich gleich wieder aufs Rad schwingen soll, entschied mich dann aber für einen halben Ruhetag. Die letzten Tage in der Hitze hatten mir ziemlich zugesetzt und für die kommende Woche steht wieder einiges auf dem Programm. Ausserdem musste ich mich erst ein wenig mit der neuen Umgebung vertraut machen. Das was ich an meiner bisherigen Reise so faszinierend fand war, dass man stets einen gleitenden Übergang zwischen den Kulturen, den Standards und der Umgebung erlebt und jetzt DAS. Von einem Schlag auf den anderen in einer völlig fremden Welt.
Erst einmal verkrieche ich mich im Hotel, wasche Wäsche und ärgere mich über das quälend langsame Internet. Der Hunger und die Neugierde treiben mich dann aber am Abend doch noch aus der Lobby. Nach längerer Suche finde ich dann schlussendlich das, wonach ich gesucht habe. Chinesisches Essen… auf einmal gibt es wieder eine große Auswahl und vor allem wieder verschieden Geschmäcker. Ein Schluck chinesisches Bier dazu und so langsam schließe ich wieder Frieden mit der neuen Situation. Ich lasse mich durch die belebte Straße treiben. Es ist schon 22 Uhr Ortstzeit, doch noch haben alle Geschäfte geöffnet, es ist ja auch noch taghell. In Kasachstan ist es erst 20 Uhr…
Es geht vorbei an vollgestopften Ramschläden, Handyläden und Spielhöllen in denen kettenrauchende Männer stoisch auf ein paar Knöpfe drücken und gemeinsam am Tisch sitzend versuchen einen Riesenwurm zu erschießen.
Jaja, ich bin in China. Mir wird schnell klar, dass dies ein wenig Eingewöhnungszeit bedarf. Über viele Wochen habe ich mir nun ein paar Sprachkenntnisse angeeignet und nun wird wieder alles über den Haufen geworfen. Ein wenig bereue ich , dass ich kein Wörterbuch mitgenommen habe, aber vielleicht ist das ja auch ganz gut so.

Tag 173 – 23.Juli

Khorgas – Sayram Hu See: 93km; 5:52h im Sattel; 26 – 31 Grad, bedeckt
Camping

Morgens um neun Uhr Ortszeit war noch nicht viel los in den Straßen von Khorgas. Es scheint, dass sich das tägliche Leben wirklich mehr an der gefühlten Zeit orientiert. Ich hatte nichts gegen einen frühen Start, lag doch eine Strecke mit vielen Höhenmetern vor mir. Vorerst ging es aber noch durch flaches Land. Im Gegensatz zu Kasachstan wird hier überall Landwirtschaft betrieben. Unmittelbar neben der Straße beginnen die Felder auf denen primär Wein und Mais angebaut wird. Dass die Straßen ein wenig besser werden würden, als in Kasachstan, damit hatte ich ja schon gerechnet, dass es aber praktisch nur noch Autobahnartig dahingeht, das hatte ich mir nicht träumen lassen. Man kommt herrlich leicht voran, einziger Nachteil, die Straße ist durch einen durchgehenden Zaun abgetrennt. Das bedeutet, einmal auf der Straße, immer auf der Straße. Möglichkeiten, sich mal ins Gebüsch zu verziehen gibt es keine. Zum Glück kam aber nach gut 50km eine Tankstelle an der ich mich reichlich mit Säften eindeckte und dann in einer windgeschützten Ecke mein Mittagessen zubereitete. Ach ja, es gab wieder mal Gegenwind…
Direkt nachdem ich die Tankstelle verlassen hatte, begann der Aufstieg. die Landschaft änderte sich schlagartig. Auf einmal kommt man sich vor, wie auf der Autobahn von Österreich nach Italien. Eine mehrspurige Straße ist in ein tief eingeschnittenes Flusstal eingeschrieben und schlängelt sich gemütlich empor. Ich kann mich gar nicht mehr erinnern, wann ich zum letzten Mal eine Passstraße befahren habe, deren Steigung selten über 4% ging. Nach all den knackigen Anstiegen in den zurückliegenden Wochen mal wieder eine Wohltat.
Zum Pausieren läd eine derartige Straße aber leider nicht ein. Man befindet sich ständig mitten im Aktionskreis der LKWs, Busse und PKWs. Einfach mal das Rad zur Seite stellen und sich hinsetzen, da wäre eine kleine Parkbucht hilfreich, sowas gibts allerdings nicht. Am Straßenrand sieht man immer wieder eine Mischung aus Zelt und Hütte, hier wohnen offenbar Leute und verkaufen nebenbei Kleinigkeiten wie z.B. Honig.
Mir fehlen noch knapp 400 Höhenmeter bis zum “Gipfel”, als mir ungelogen der Mund offen stehenbleibt. Hinter einer Kurve taucht plötzlich eine gigantische Brücke weit über der Straße auf. Ich kann es gar nicht fassen, aber jetzt macht auch die kreisförmig verlaufende Straße auf der offline Karte plötzlich Sinn. So etwas ist mir ja noch nie untergekommen. Die Straße schraubt sich um die eigene Achse empor. Staunend unterfahre ich das gewaltige Bauwerk, tauch kurz darauf in einen langgezogenen Tunnel ein und befinde mich anschließend bereits auf dem aufgeständerten Teil der Passstraße. Über die Sinnhaftigkeit einer derartigen Konstruktion lässt sich streiten, aber dafür schraubt man sich mit minimalster Steigung in Richtung See empor. Es sind noch zwei Tunnels zu durchfahren, dann liegt der Sayram Hu See links neben mir. Kurz muss ich an den Song Köl See in Kirgistan denken, der liegt ähnlich eingebettet, nur eben viel größer und weitaus höher. Und ja, der größte Unterschied ist, dass dort keine Autobahn am See vorbeiführt. Ich muss ein wenig suchen, bis ich eine Unterführung finde, um unter der Straße hindurchzukommen, da der See auf der gegenüberliegenden Seite liegt. Erst einmal gönne ich mir was zu essen. 1300 Höhenmeter ohne nennenswerten Zwischenstop, da hab ich mir jetzt eine ausgedehnte Pause verdient.
Ein großer Parkplatz befindet sich am Seeufer und viele Chinesen bleiben hier stehen, um kurz ins Wasser zu gehen, oder um sich mit Kamelen oder Pferden fotografieren zu lassen. Mir wird der Trubel langsam zu viel und ich verabschiede mich wieder in Richtung Hauptstraße. Einige Kilometer weiter finde ich dann eine andere Unterführung, die den oberhalb des Sees wohnenden Nomaden als Zubringer zum See dient. Hier schlüpfe ich kurz durch und stelle in Ruhe mein Zelt am Ufer auf. Das Rauschen der Wellen übertönt die Geräusche der vorbeifahrenden Autos. Mal wieder ein Zeltplatz mit Ausblick…
Natürlich bleibt man nicht lange alleine, vor allem dann, wenn man das Zelt direkt neben der Wasserquelle für die oberhalb liegende Jurtensiedlung aufstellt. Auffallend ist aber, dass die Leute hier weit zurückhaltender, wenn nicht sogar scheu sind. Einzig die Kinder fragen gleich ungeniert drauf los und können es gar nicht fassen, dass ich sie nicht verstehe. Bei den Erwachsenen ist mir zuvor schon aufgefallen, dass nicht unbedingt viel gefragt wird, dafür wird einfach alles in die Hand genommen und ausprobiert. Interesse an einer Konversation besteht aber kein großes. So richtig chinesisch wird hier aber offenbar eh nicht gesprochen. Ich schnappe immer wieder ein paar Worte auf, die mir aus dem türkischen, oder dem persischen noch bekannt sind. Auch ein paar Wörter kasachisch kann ich erkennen. Es scheint, als ob man sich hier noch in einer ziemlichen Übergangszone befindet. Es bleibt spannend!
Abends braut sich dann noch ein Gewitter über dem See zusammen, zieht aber dann nach Osten ab und verschont mich vollständig. Wenn ich meine Karte richtig deute, dann war es das jetzt mit der Kletterei für einige Zeit. Morgen gehts wieder ordentlich bergab und dann bleibt es flach. In Turpan – das liegt noch etwa 10 Tage entfernt – nähere ich mich Meeresniveau. Kaum zu glauben, dass man in der Mitte von China auf mehr oder weniger 0m Seehöhe trifft. Ich bete jetzt schon für eine Kälteperiode, wenn ich dann dort bin. Hier auf 2000m ist es momentan ja noch sehr angenehm, das wird sich bald aber wieder ändern.
Woran ich mich wirklich noch gewöhnen muss ist, dass die Sonne jetzt erst um 22 Uhr untergeht. Um einen Sternenhimmel sehen zu können muss ich jetzt also wirklich lange wachbleiben…

Tag 174 – 24.Juli

Sayram Hu See – ca. 100km vor Kuytun: 220km; 7:39h im Sattel; 14 – 32 Grad, wechselhaft / Nieselregen
Camping

Über Nacht war die Temperatur mal wieder spürbar gefallen. Der immer wieder auffrischende Wind und vereinzelte Regenschauer hatten sicher ihren Teil dazu beigetragen. Früh Morgens blies der Wind immer noch kräftig über den See, doch für mich stand die Windrichtung gut. Es sollte eine rasante Abfahrt werden. Auf der Straße war relativ wenig Verkehr. Von 2100m ging es in einem Satz hinunter auf 800m. Der Wind heizte ordentlich ein, nur bei Querpassagen, wenn der Wind von der Seite kam, wurde mir ein wenig mulmig und ich drosselte die Geschwindigkeit ein wenig. Nach zwei Stunden Fahrt zeigte der Kilometerstand exakt 80km an, ein guter Zeitpunkt, an einer der viel zu selten auftauchenden Tankstellen den Getränkevorrat aufzustocken. Es scheint, als ob ich auf der Hauptstraße mich primär auf die Tankstellen verlassen muss, weil ansonsten auf der Strecke wirklich nichts zu finden ist. Dort gibt es aber stets Wasser und ein paar Softdrinks.
Nach ein paar Kilometern tauchten in der Ferne auf der Gegenfahrbahn zwei Reiseradler. Toby und Kate aus Neuseeland radeln von Hongkong aus nach Irland und wollen von dort dann wieder zurück nach Neuseeland. In Urumqi waren sie auf Jona und Franzi gestoßen und hatten ein paar Tage im selben Hostel verbracht. Bis zum See steht den beiden noch ein ziemlich langer Anstieg und vor allem kräftiger Gegenwind bevor. Aber gut, manchmal muss man auch ein wenig egoistisch sein. Für mich war der Wind perfekt. Die Temperaturen lagen in einem sehr angenehmen Bereich und der Straßenbelag war spitze. Nur die Umgebung hatte nicht viel zu bieten. links und recht der Straße entweder Felder, oder – was meistens der Fall war – einfach gar nichts.
Am frühen Nachmittag tauchte wie aus dem Nichts dann plötzlich eine Stadt auf. Ich hatte damit nicht gerechnet, weil auf meiner Karte nichts verzeichnet war. Wie man es aus Chinas neuen Städten gewohnt ist, reihen sich die Wohnschachteln aneinander. Zehngeschosser, immer dasselbe Modell vielfach kopiert und mit etwas Abstand zueinander platziert. Wieviel der Wohnblocks wirklich bewohnt sind, lässt sich schwer sagen, aber es hat den Anschein, als ob nur ein Bruchteil der Wohnungen wirklich verwendet wird. Eine Stadt aus dem Nichts… kommt gerade im rechten Moment. Der Hunger meldet sich schon langsam an und ich bin froh, direkt neben der Straße ein kleines Lokal zu finden. Selbstreden ist das Speisenangebot nur in chinesisch angeschrieben, doch das, was am Nachbartisch steht sieht bereits sehr lecker aus und somit wird einfach das bestellt. Ich denke mal, so wirklich groß danebenliegen kann man eh nicht, aber heute war es wirklich lecker.
Ich lag super in der Zeit und es schien ein kilometerreicher Tag werden zu können. Der Wind ließ zwar langsam nach, blies aber immer noch von einer guten Richtung. Leider lässt sich wirklich nicht viel von der Landschaft berichten. Nicht einmal Tiere sieht man neben der Straße. Hm, wenn das so weitergeht, wird es ein wenig öde werden…
Die Abstände zwischen den Tankstellen liegen so zwischen 60 und 90 Kilometer, gerade noch recht um sich gut ausstatten zu können. Die 200km Marke wurde gerade geknackt, da meldet sich der Sitzmuskel zu Wort und so langsam versuche ich einen geeigneten Platz für das Nachtlager zu finden. Ideal wäre aber noch eine Tankstelle davor… Und wie es der Zufall so will taucht dann wirklich noch eine auf. Alle Wasserflaschen und der Wassersack für die abendliche Dusche werden aufgefüllt. Lange hält es mich jetzt aber wirklich nicht mehr auf dem Rad. Ich habe schon einen potentiellen Platz neben der Straße ins Auge gefasst, da begegnet mir noch auf der Gegenfahrbahn eine Soloradlerin aus Taiwan. Von HongKong startend ist Liao Chai Ro auf dem Weg nach Portugal. Entgegen allen bisher getroffenen Radlern führt ihre Route aber von Kasachstan aus über Russland und die baltischen Länder in den Süden.
Die Straße ist eigentlich stets mit einer durchgehenden Leitplanke und einem dahinterliegenden Stacheldrahtzaun abgetrennt. Hie und da gibt es aber Durchlässe für Schmelz- / Regenwasser. Hier hat man meist die Chance, die Straße verlassen zu können. Ich hätte mir nie erträumt, dass ich dann noch so einen idyllischen Platz finden werde. Man muss sich einfach nur den Verkehrslärm im Hintergrund wegdenken, dann ist es wirklich traumhaft. Ich blicke auf die weißen Hügel des 5500m hohen Belukenu Shan Gebirges und genieße die tief stehende Sonne. Das Zelt steht blickgeschützt zwischen ein paar Büschen und so wie es aussieht ist heute auch nicht mehr mit Besuch zu rechnen. Für heute bin ich recht zufrieden. 220 Kilometer mit einem Schnitt von über 28 km/h, das kann sich durchaus sehen lassen. Bin gespannt, ob sich so etwas noch einmal wiederholen lässt. Vorerst ist dies zumindest meine längste und zeitgleich auch meine schnellste Tagesetappe.

Tag 175 – 25.Juli

100km vor Kuytun – kurz hinter Anjihai: 158km; 7:30h im Sattel; 27 – 36 Grad, Sonne
Camping

Ein bisschen gewöhnungsbedürftig ist der intensive Verkehrslärm beim Campen noch. Vor allem die LKWs fahren die ganze Nacht durch und immer wieder wacht man auf und hat den Eindruck, die LKWs fahren das Zelt nieder. Aber gut, viel bessere Möglichkeiten zum Zelten findet man hier nicht.
Wie zu erwarten war, hatte der Wind über Nacht gedreht. Das hieß, ein Tag harter Arbeit stand bevor. Zum Glück hatte der Wind aber auch an Intensität nachgelassen. Nach und nach verschwanden die Ausläufer des Belukenu Shan Gebirges aus dem Sichtfeld und dann war mal wieder absolut nichts geboten. Manchmal machte die Straße einen leichten Bogen, aber das war schon das aufregendste, was die Strecke heute zu bieten hatte. Es ging eigentlich nur noch darum, eine gute Balance zu finden, zwischen gegen den Wind ankämpfen und so viel Kraft als möglich sparen, um möglichst lange am Rad bleiben zu können.
Ziemlich schnell ist der Kopf absolut leergefegt. Man strampelt in einem meditativen Rhythmus vor sich hin und ertappt sich immer wieder, dass man von den zurückliegenden hundert Metern keinerlei Erinnerung mehr hat. Die Warntafeln am Straßenrand gegen Müdigkeit am Steuer muss ich mir wohl auch zu Herzen nehmen. Bei einer derart ereignislosen Umgebung ist die Gefahr des Sekundenschlafes durchaus gegeben.
Ich hangele mich von Raststation zu Raststation, gönne mir meist einen ausgedehnten Aufenthalt und beobachte die Autofahrer wie sie ihre müden Glieder strecken und versuchen die Muskeln zu lockern. Schon eine eigenartige Situation. Nach einigen hundert Kilometern im Auto fühlt man sich vermutlich ebenso gerädert, wie nach 30 oder 40 auf dem Rad. Ein wenig schmunzeln muss ich immer, wenn man ganz offensichtlich sieht, dass ich mit meinem Rad ziemliche Aufmerksamkeit erwecke, sich aber niemand traut, mich anzusprechen. Größer könnte der Kontrast zu den zurückliegenden Ländern kaum sein.
Mittags lasse ich mich wieder köstlich bekochen. Das Essen hier ist wirklich traumhaft. Ich muss zwar ein wenig Einsatz dafür geben, aber schlussendlich bekomme ich dann doch, was ich will. Es ist mir jetzt schon ein paar mal passiert, dass das Personal in einem Lokal kehrt macht, wenn klar ist, dass ich kein Chinesisch spreche.
Immer wieder treffe ich aber auch auf Leute, die mit mir munter drauf losreden. Ich muss sagen, ich verstehe wirklich kein einziges Wort, erfasse nicht einmal den groben Sinn ihrer Konversationsansätze und antworte meist irgendwas auf Deutsch. Das geht dann eine Zeit lang so dahin und dann trennt man sich wieder.
Das Verkehrsaufkommen wird nun deutlich stärker, was den Fahrspaß auf dem Seitenstreifen der Autobahn nicht unbedingt erhöht. Offenbar spürt man jetzt schon das Einzugsgebiet von Urumqi.
Der Wind, mein ständiger Begleiter forderte mich immer wieder aufs Neue, aber zum Glück wurde es kein ernsthaftes Kräftemessen. Als Tagesziel hatte ich mir die 150km Marke gesetzt, doch dann kam mir noch ein landwirtschaftlich intensiv genutztes Gebiet dazwischen. Stundenlang war nichts als Ödnis neben der Straße und genau dann, wenn ich mein Zelt aufschlagen will, kommen die Felder. Nun gut, dann gehts halt noch ein wenig weiter. Knapp 5km hinter Anjihai nutze ich dann die erste große Brücke über einem breiten Flussbett, um von der Straße zu kommen. Als Alternativplan hatte ich schon im Kopf, unter der Brücke das Nachtlager aufzuschlagen, aber das war zumindest heute noch nicht notwendig. Ein paar hundert Meter weiter gab es eine kleine Buschgruppe, wo ich mich hervorragend eingliedern konnte.
Abends gabs dann noch Besuch von 250 Schafen und dem dazugehörigen Hirten. Ein wenig irritierend ist für mich immer noch, dass man sich hier nun nicht mehr zur Begrüßung die Hand gibt, aber daran muss ich mich nun wohl gewöhnen. Zum Glück habe ich mein Bilderwörterbuch zur Hand und so kann ich dem Hirten zumindest ein paar Dinge erklären. Er zeigt mir dafür im Gegenzug ein paar verschwommene Handyotos seiner zwei Kinder und von seinen Pferden zu Hause. Die Frau war auf keinem der Bilder zu sehen. Scheint nicht so bedeutsam zu sein… Großes Interesse erzeugt auch hier mein Reisepass. Am meisten interessiert ihn das Iranische Visum, weil das in arabisch geschrieben ist. Gerade hier in der Provinz Xiniang wird noch viel arabisch geschrieben, die Verkehrszeichen sind zum Beispiel auch nur in chinesisch und arabisch angeschrieben, was die ganze Sache für mich nicht unbedingt einfacher macht.
Faszinierend, mit welcher Leichtigkeit die 250 Schafe zu kontrollieren sind. Der Hirtenhund kann jedes Signal perfekt deuten und erledigt die ganze Arbeit. Nur ein paar Pfeifsignale und ein paar Worte zum Hund und schon sind alle Schafe wieder dort, wo sie sein sollen. Ein perfekt eingespieltes Team die Zwei.
Wirklich schade, dass ich mich nicht besser verständigen kann, aber es ist ja erst der dritte Tag in China.

Tag 176 – 26.Juli

Kurz hinter Anjihai – Urumqi: 210km; 8:40h im Sattel; 27 – 39 Grad, Sonne
Jugendherberge

Eine weiterer Nacht neben der Autobahn. Gerade wenn man zurückdenkt an die wirklich traumhaften Zeltplätze in Kirgistan, oder auch in Kasachstan, ist es schon eine große Umgewöhnung, jetzt mit all dem Trubel umzugehen. Mir kam daher der Gedanke, noch einen kräftigen Radeltag einzulegen und die Strecke bis Urumqi entgegen der anfänglichen Planung nun doch in einem Tag zurückzulegen. Es stand ein hartes Stück Arbeit bevor. Zum Glück klappte der frühe Start und der Wind meinte es heute auch einigermaßen gut mit mir. Zumindest herrschte Windstille. Aufkommender Gegenwind, oder ein technischer Defekt waren eigentlich die einzigen Faktoren, die das Tagesziel für heute in Gefahr bringen konnten. Die Abstände der Raststätten kannte ich schon, da auf den Schildern immer die drei Nächsten angeschrieben sind. Alle 60km also die Möglichkeit, sich mit kalten Getränken und etwas Essen zu versorgen. Über Nacht hatte ich mich gut ausgeruht und fühlte mich fit genug für die bevorstehende Etappe.
Die ersten 100km passierte nicht sonderlich viel. Manchmal tauchte wie aus dem Nichts eine Industrieanlage auf und dann war wieder trostlose Leere für zig Kilometer. Wenn mal Flüsse, oder Wasserkanäle neben, oder unterhalb der Autobahn fließen, sind diese meist dunkelbraun, oder grau. Die Zeiten der kristallklaren Bäche sind nun definitiv vorbei.
Die Autobahn verfügt über einen durchgehenden Seitenstreifen, der das Fahren neben dem Schwerlastverkehr recht erträglich macht, allerdings muss man wirklich sehr vorsichtig sein, da ordentlich viel Unrat auf dem Seitenstreifen liegt. Besonderen Respekt hatte ich immer vor den Resten der LKW Reifen und trotzdem, irgendwann war es soweit und ich landete einen Volltreffer. Gleich drei Löcher auf einen Streich. Die Drahtarmierung der LKW Reifen ist kaum zu erkennen, aber extrem stabil und bohrt sich spielend leicht durch die sonst so robusten Reifen. Nun gut, ich hoffe mal, dass es damit nun genug ist. Drei auf einen Streich, da zahlt sich zumindest das Ausbauen des Reifens aus und andererseits war ich jetzt wirklich lange pannenfrei unterwegs.
Ich kenne nun jede einzelne Raststation zwischen Khorgas und Urumqui. Die Ausstattung und der Service steigern sich definitiv, je näher man an Urumqi herankommt. Das Essen hat mich auch heute wieder ziemlich überzeugt. Es scheint, man kann wirklich alles bestellen und liegt nie daneben. Die Chefin des Lokal erkannte offenbar, dass ich einen ziemlichen Energieverbrauch habe, weil sie mir ungefragt gleich Nachschub von den leckeren Nudeln an den Tisch brachte. Ich muss schon einen ziemlich ausgehungerten Eindruck gemacht haben.
Das Schöne an den Raststationen ist ja, dass man so wunderbar die Leute beobachten kann. Seit ich in China eingereist bin ist mir schon aufgefallen, dass Mann recht ungeniert den Bauch raushängen lässt. Offenbar ist dies das adäquate Mittel gegen die Hitze. Das T-shirt, oder das Hemd wird einfach über den Bauch hochgezogen und dann läuft man eben bauchfrei rum, da gibts auch keine Unterschiede, ob einfacher Arbeiter, Jugendlicher, LKW Fahrer, oder Business Man.
Meine Radelklamotten stehen praktisch auch schon selbstständig. Die Salzkruste wird dicker und dicker. Es wird Zeit, dass mal wieder eine Waschmaschine auftaucht, Handwäsche bringt den Dreck, den man so unter Tags auf der Straße ansammelt gar nicht mehr weg.
Die letzte Raststation 20km vor der Stadt. Noch einmal kalte Getränke und dann gehts in die Schlussetappe. Ein herrliches Gefühl, endlich in Urumqi einzufahren. Tagelang nichts als Ödnis gesehen und jetzt eine chinesische Stadt, wie man sie sich vorstellt. Zweistöckig zieht sich die Hauptstraße durch die Stadt, Hochhäuser wohin man schaut und überall wird fleissig gehupt. Endlich kommt das Gefühl auf, in China angekommen zu sein.
Fast auf die Minute exakt wie ich es mir vorgenommen hatte, stehe ich um 20 Uhr vor der einzigen Jugendherberge in Urumqi. Es ist geschafft! Zum zweiten Mal eine 200+ Etappe und das ganz ohne Rückenwind… Nur vier Fahrtage von Khorgos bis Urumqui, da bin ich selbst ein wenig erstaunt. So wie es scheint bin ich im Moment ganz gut in Form. Nun ist es aber auch an der Zeit, dass ich einen Ruhetag einlege. Vor mir liegt der wohl heißeste Teil der China-Etappe, mal wieder Wüste…
Aber darüber muss ich mir jetzt noch keine Gedanken machen. Erst mal Füße hochlegen und einen Tag nicht ans Radeln denken!