Tag 187 – 06.August

Ruhetag in Jiuquan; Zwischenstand: 13.838km; 714,92h im Sattel
Warmshowers

So nach und nach lässt die Schockstarre wieder nach. Schon erstaunlich, wie sehr einem ein Ausfall der Technik aus der Bahn werfen kann. Wenn ich so darüber nachdenke, dann gehe ich mal davon aus, dass die letzten Tage in der Wüste bei konstantem Gegenwind sich doch ein wenig auf die Psyche geschlagen haben. Es war auf alle Fälle die beste Entscheidung in der Situation sich bei Han einzuquartieren. Während er auf Strommasten klettert und Kabel überprüft sitze ich in seinem Zimmer und bringe langsam wieder Ordnung in mein geistiges Chaos. Den Vormittag verbringe ich damit, die Blogeinträge anhand meiner handschriftlichen Tagebucheinträge wieder herzustellen. Der Download der Karten zum Navigieren läuft auch schon heiß und ich fühle mich von Stunde zu Stunde besser. Alleine der Gedanke, einmal einen ganzen Tag im Zimmer zu verbringen entspannt schon sehr. Bisher hatte ich ja meist bei Ruhetagen stets etwas unternommen. Ich muss nicht einmal zum Essen das Zimmer verlassen. Han kommt am frühen Nachmittag vorbei und bringt mir aus der Betriebskantine was leckeres mit. Somit bin ich auch für den Nachmittag gerüstet. Es werden Emails geschrieben, es wird geskyped und alles mögliche im Internet recherchiert. Als Han dann wieder von der Arbeit zurück ist, bin ich auch soweit bereit, mal wieder an die frische Luft zu gehen. Es wird langsam Abend und die Leute strömen in die kleinen Parks oder auf die großen offenen Plätze und machen Gymnastik, tanzen oder spielen Solo-Tennis. Immer wieder faszinierend zu sehen, wie viele Leute sich da zusammenfinden, um gemeinsam, aber doch alleine Sport zu treiben. Han hat mich zum Basketballspielen eingeladen, aber schon nach den ersten Minuten ist mir klar, dass das im Moment nicht das Richtige für mich ist. Die Geschwindigkeit des Spiels überfordert mich und ich ziehe es vor, den Jungs vom Spielfeldrand zuzusehen. So bleibt Zeit, sich ein wenig Gedanken zu machen über China, die Leute und deren Kultur. Auf mich macht es oft den Eindruck, als ob viele Chinesen sehr Ich-bezogen sind und nicht wirklich mit Anderen auseinandersetzen. Natürlich sieht man gerade am Abend viele Chinesen gemeinsam bei der Gymnastik, aber wenn man ehrlich ist, macht es doch jeder für sich alleine und geht einfach in der Masse unter. Liegt es vielleicht an der 1 Kind Politik, dass die Chinesen scheinbar Schwierigkeiten haben gemeinsam sozialkompetent zu agieren? In den Lokalen sitzt jeder schmatzend und laut schlürfend nebeneinander, aber kaum jemand unterhält sich miteinander. Selten sieht man größere Gruppen etwas gemeinsam unternehmen. Meist ist man zu zweit, oder vielleicht zu dritt unterwegs, aber auch da wird laufend mit den Handys rumgespielt, es wirkt so, als ob die Einzelnen gar nicht wirklich anwesend sind. Nun ja, so ganz bin ich der Sache noch nicht auf die Schliche gekommen, aber meine Vermutung verstärkt sich, dass es offenbar Schwierigkeiten gibt mit andern zu agieren. Ich will jetzt nicht pauschal den Chinesen soziale Kompetenz absprechen, aber es sticht einfach ins Auge, dass viele sich sehr egozentrisch verhalten.
Man spürt das auch deutlich im Straßenverkehr. Die “Vorsicht, jetzt komme Ich und nach mir die Sintflut-Mentalität”findet man sowohl auf der Autobahn, als auch in der Stadt. Es herrscht eine klare Hierarchie. Fußgänger stehen da ganz unten. Trotz Zebrastreifen ist davon abzuraten, einfach auf die Straße zu treten. Autofahrer bremsen nicht extra, auch wenn man schon auf der Straße steht. Elektroroller und Motorräder stehen etwas über den Fußgängern und dann kommen die LKWs, zum Schluss die PKWs. Zur Sicherheit wird schon gehupt, auch wenn man noch hunderte Meter entfernt ist. Oft hat man den Eindruck, dass das Bremspedal direkt mit der Hupe verbunden ist.
Dass nicht alle Chinesen Egoisten sind, ist ja klar. Han zum Beispiel gehört auch zu den Ausnahmen. Er merkt aber selber an, dass er auch oft von der verschlossenen, oder auch ängstlichen Verhaltensweise seiner Landsleute überfordert ist. Ob es jetzt etwas damit zu tun hat, dass er eigentlich aus der Mongolei stammt, man weiß es nicht.
Seine Offenherzigkeit und überaus großzügige Gastfreundschaft erinnert mich wieder an die Zeit im Iran. Der Gast ist König und es wird alles unternommen, damit es dem Gast gut geht. Ich spüre schon, dass ich das nicht allzu lange durchhalten würde. Es ist nicht einfach, sich auf alles einladen zu lassen und nichts wirklich geben zu können, aber ich gebe mir Mühe und folge dem vorgeschlagenen Programm. Gemeinsam mit (s)einer Freundin gehen wir erst mal was essen und schlendern dann noch gemütlich durch das nächtliche Jiuquan. Han ist jetzt 28 und bekommt schon langsam Druck von seinen Eltern, dass er doch bald heiraten sollte. Die richtige Partnerin zu finden ist aber nicht so leicht. Erst einmal erwarten die Frauen anscheinend irgendwelche Vermögenswerte. Dafür hat sich Han jetzt mit großzügiger Unterstützung seiner Eltern eine Wohnung gekauft. Dann muss aber auch noch die Familie mit der Partnerin einverstanden sein und das macht es meist nicht einfacher. Älter als der Mann darf die Partnerin eigentlich nicht wirklich sein – das bereitet z.B. Han im Moment große Schwierigkeiten…
Eine Liebesbeziehungen in einer Gesellschaft aufzubauen, die sehr stark auf materielle Werte fixiert ist, ist nicht leicht. Nach dem Abend mit Han sehe ich die jungen Leute mit den nigelnagelneuen Autos mit ganz anderen Augen. Im Grunde ist es reines Balzgehabe, das sich nicht durch soziale Interaktion äussert, sondern einfach durch zur Schau stellen von materiellen Werten.

 

Tag 188 – 07.August

Jiuquan – 30km vor Linze: 145km; 5:48h im Sattel; 22 – 29 Grad, bedeckt
Camping

Die gestrigen Biere hatten Han etwas zugesetzt, denn er mühte sich ziemlich aus dem Bett. Ein langsamer Start war ohnehin geplant, daher war das für mich gerade recht. Er hatte sich für heute extra freigenommen, um auch wirklich sichergehen zu können, dass ich den Weg zur Autobahn auch finde. Auch wenn ich ihm mehrfach versichert hatte, dass ich mich schon zurechtfinden würde, immerhin bin ich jetzt ja schon fast um die halbe Welt geradelt, wollte er sich selbst davon überzeugen, dass ich auch wirklich die richtige Kreuzung erwische.
Kurz hatte ich überlegt, noch einmal nach Jiayuguan zurückzufahren, um die Festung und die Chinesische Mauer zu besichtigen, aber im Grunde wollte ich weiter. Ich werde schon noch ein paar Mal die Gelegenheit haben, die Chinesische Mauer aus der Nähe zu betrachten.
Es ist wirklich eigenartig, seit ich Jiayuguan passiert hatte gibt es jetzt immer häufiger grüne Streckenabschnitte. Die Wüstenabschnitte werden immer weniger, was mich ganz und gar nicht stört. Entlang des Qinlian Shan Gebirges geht es mit leichtem Rückenwind wieder weiter in Richtung Osten. Leider ist die Sicht durch den Dunst sehr eingeschränkt, sodass man den über 5000m hohen Gipfel nur schemenhaft erkennen kann.
Ich freue mich jetzt wieder richtig, dass es weitergeht. Der Tag Pause in Jiuquan hat wirklich Wunder bewirkt. Man fühlt sich jetzt auch nicht mehr ganz so verloren, da sich nun neben der Straße endlich wieder was tut. Die Maisfelder neben der Straße werden meist mit Handarbeit abgeerntet. Immer wieder passiere ich kleinere Ziegeleien. Der Lehm wird an Ort und Stelle abgebaut, die rohen Ziegel in Handarbeit auf dem Firmengelände zum Trocknen ausgelegt. Anschließend werden sie in die Brennhalle gefahren. Die Öfen werden vom Dach aus mit Kohle beheizt. Ein ganz interessantes Bild, meist sieht man eine einzige Person auf dem Dach herumlaufen und in kleine Löcher Kohle schaufeln, während zu ebener Erde aus unzähligen kleinen Toren fertig gebrannte Ziegel herausgefahren werden.
In Jiuquan hatte ich mich im Supermarkt wieder mit frischen Lebensmitteln und Getränken eingedeckt. Offenbar hatte ich ein wenig zuviel eingekauft, weil mir diesmal trotz ebener Strecke das Gewicht des Rades direkt ein wenig zu schaffen machte. Aber das Gute an zu viel Gewicht wegen Lebensmitteln ist ja, dass man es relativ einfach reduzieren kann…
Ich fand am Abend einen herrlich ruhigen Platz zum Zelten und konnte mir in aller Seelenruhe ordentlich aufkochen. Für morgen sind das schon wieder ein paar Kilo weniger zu schleppen.

Tag 189 – 08.August

30km vor Linze – kurz hinter Zhangye: 128km; 5:46h im Sattel; 26 – 38 Grad, Sonne
Camping

Für heute stand ein Ausflug zum Zhangye Danxia Geopark auf dem Programm. Von einer Freundin hatte ich den Tip bekommen, dort mal vorbeizuschauen. Weder auf meiner Karte, noch im Reiseführer fand ich einen Hinweis auf diese Sehenswürdigkeit, demnach war ich recht gespannt, was mich dort erwarten würde. Ich verließ die Autobahn und drehte eine kurze Ehrenrunde in Linze, bestieg den künstlichen Berg und machte mich dann auf in Richtung der echten Berge. Auf der gerade frisch asphaltierten, in Zukunft wohl vierspurigen Straße ging es recht gemütlich bergauf. Viel los war nicht, obwohl das Wochenende vor der Tür stand. Die neue Straße führt vorbei an einigen, sich gerade in der Fertigstellung befindlicher Hotelanlagen samt gigantisch großem Parkplatz. Man stellt sich offenbar auf eine zunehmende Besucherzahl ein. Ich folgte der Straße noch ein paar Kilometer und erreichte dann schlussendlich den Eingang zum gesuchten Park. Mit “auf eigene Faust erkunden” war leider nichts, was sich im Nachhinein aber als kein großer Nachteil herausstellte. Für knapp 8 EUR durfte man dann rein und sich mit dem Shuttlebus von Aussichtsplattform zu Aussichtsplattform chauffieren lassen. Die Szenerie war wirklich sehenswert. Stark erodierter Sandstein in allerlei Farben und Formen war zu sehen. Wohin man auch blickte, es gab immer was neues zu sehen. Die Aussichtsplattformen waren nach bestimmten Motiven benannt, die man angeblich in den Gesteinsformationen erkennen könnte, aber da war meine Phantasie wohl etwas zu schwach ausgebildet.
Umgeben von gut situierten, mit schweren Kameras bewaffneten chinesischen Touristen ging es durch den Park. Ein wenig zum Schmunzeln war, mit welchem Aufwand der Großteil der Besucher versuchte, sich vor der Sonne zu schützen. Regenschirme, große Hüte, Windjacken, Tücher usw. kamen zum Einsatz. Überall dort, wo auch nur ein bisschen Schatten war, drängten sich die Leute zusammen. Nachdem ich ohnehin tagtäglich in der prallen Sonne unterwegs bin, konnte ich mich dagegen recht entspannt bewegen.
Ich kann mir gut vorstellen, dass gerade im Morgen-, oder Abendlicht die unterschiedlichen Farben der Gesteinsschichten besonders gut zur Geltung kommen, doch auch jetzt zur Mittagszeit hatte der Ort durchaus seinen Reiz.
Danke Lydia für diesen Hinweis, der Abstecher war es auf alle Fälle wert!
Nach einer kurzen Stärkung ging es dann recht flott wieder bergab in Richtung Zhangye. Vorbei an kleinen Siedlungen, in denen interessanterweise vor jedem Haus ein Solarkocher stand. Die Parabolspiegel stehen meist auf Rollen und können über eine Kurbel in der Neigung verstellt werden. Offensichtlich funktioniert das System recht gut. Auf fast jedem dieser Spiegel stand eine Kanne mit Wasser, das bei genauem Hinhören oft am kochen war.
Vorbei an großen Maisfeldern, die gerade stückweise per Hand abgeerntet werden. Hoffnungslos überladene Dreiradmopeds und kleine Traktoren transportieren die abgeschnittenen Maisstauden zu einem Sammelplatz wo die Ware offenbar gewogen wird. Manchmal kann man den Fahrer gar nicht mehr erkennen, weil das Gefährt über und über mit Maisstauden beladen ist.
In Zhangye wollte ich eigentlich den großen liegenden Buddha, doch leider hatte der Tempel nur noch 20min geöffnet. Angesichts des doch recht beachtlichen Eintrittspreises ließ ich diese Sehenswürdigkeit dann links liegen und radelte statt dessen noch ein wenig durch die Stadt. Endlich einmal sah ich, wo die Melonen eigentlich landen, die seit Tagen an mir vorbeirauschen. Obstverkäufer reiht sich an Obstverkäufer, es ist kaum noch ein Durchkommen auf der an sich recht breiten Straße.
Das viele Hupen geht mir leider immer noch ein wenig auf den Geist und so bin ich recht froh, wieder auf der Autobahn gelandet zu sein. Hier ist an sich sogar weniger Verkehr, als auf der Bundesstraße. Zumindest hat man hier aber einen breiten Seitenstreifen nur für sich alleine. Dieses Mal wollte man mich schon fast abfangen, als ich durch die Mautstation wollte, ich legte aber einfach kurz noch einen Zahn zu, hob die Hand zum Gruß und schon war ich durch.
Die Zeltmöglichkeiten werden jetzt nach und nach seltener. Überall Landwirtschaft und kaum noch unbewohntes Gebiet. Bin gespannt, wie sich das so in den kommenden Tagen weiterentwickelt.

 

Tag 190 – 09.August

kurz hinter Zhangye – Raststation Yongchang: 156km; 7:08h im Sattel; 23 – 34 Grad, Sonne
Camping

Nach einem frühen Start am Morgen war es nach einigen Kilometern endlich soweit und die Chinesische Mauer, oder zumindest das, was noch von ihr übrig ist, taucht neben der Straße auf. Anfangs sieht man nur vereinzelt ein paar kleinere Türme, die vermutlich Wachposten waren, in der Landschaft stehen. Verbindet man diese Ruinen gedanklich miteinander, so entsteht eine Zick-Zack Linie, die durchaus der Chinesischen Mauer entsprechen könnte. Nach einiger Zeit sieht man dann endlich auch Überreste der eigentlichen Mauer. Viel ist nicht mehr übrig, aber ich finde es auf jeden Fall imposant, dass nach so langer Zeit immer noch etwas steht. Immerhin handelt es sich nicht etwa wie ich zuerst dachte um ein Steinbauwerk, sondern nur um eine recht massive Lehmmauer. Über das Baumaterial musste man sich damals schon keine Gedanken machen. Die erforderlichen Ziegel konnten direkt vor Ort hergestellt werden, vermutlich auf ähnliche Weise, wie teilweise noch heute in den kleinen Ziegeleien.
Warum auch immer, aber für mich fühlt es sich irgendwie besonders an, entlang der früheren Grenze des chinesischen Reiches zu radeln. Im Grunde hatte ich mir die Mauer etwas pompöser vorgestellt, aber auch so macht das ganze durchaus Eindruck.
Beim ersten Zwischenstop gibts seit langem mal wieder etwas Gutes fürs Rad. Am Hinterrad werden die Speichen nachgezogen, ein Loch, das mich schon seit drei Tagen verfolgt geflickt und zu guter Letzt noch die Mäntel von Vorder- und Hinterrad getauscht. Mal schauen, vielleicht komme ich mit den Mänteln ja noch bis nach Hause. Das Profil des Hinterreifens war schon ziemlich am Ende, aber jetzt mit dem Profil vom früheren Vorderrad sollte es schon klappen. Jetzt nach 14.000km sieht man schon gravierende Unterschiede in der Abnutzung von Vorder- und Hinterrad.
Nachdem sich jetzt viele Tage neben der Straße nicht viel getan hat, geht es heute richtig zur Sache. Erst mal entlang der Chinesischen Mauer und dann hoch bis auf über 2500m. Die Landschaft neben der Straße erinnert jetzt sehr an Kirgistan. Sanfte grüne Hügel, im oberen Bereich dicht bewaldet. Man kann sich gar nicht richtig sattsehen an der neuen Landschaft, nachdem ich jetzt wirklich ewig lange durch monotone Ödnis gefahren bin. So langsam beginne ich mich mit diesem Teil von China anzufreunden.
Nach der Abfahrt – welch ein Wunder, Gegenwind – wird auf einmal überall Getreide angebaut. Schon paradox, noch vor ein paar Tagen konnte ich die Bauern beobachten, wie sie per Hand das Getreide trocknen und im Wind Spreu vom Weizen trennen und hier gibts auf einmal sprechende Mähdrescher…
Gut, ich gebe zu, irgendwie bin ich nicht so der Wüstentyp. Berge oder zumindest Hügellandschaften liegen mir da mehr. Da kann man offenbar nicht so richtig raus aus seiner Haut. Dementsprechend wohl fühle ich mich jetzt in dieser neuen Umgebung.
Heute schein irgendein besonderer Tag für die Verstorbenen zu sein. Zumindest konnte ich den ganzen Tag beobachten, wie sich Familien um einzelne Gräber versammeln, dort Pavillions aufstellen und beim Zusammensitzen irgendetwas vor den Grabhügeln verbrennen. So ganz habe ich die Bestattungskultur ohnehin noch nicht durchschaut. Oft sieht man irgendwo in der Prärie vereinzelte Grabhügel, manchmal kilometerweit vom Ort entfernt eine Ansammlung von Grabhügeln, ein System dahinter kann ich bis jetzt noch nicht erkennen. Was sich aber überall wiederholt ist die Art und Weise, wie die Gräber gestaltet sind. Die Erde wird kreisförmig über dem Grab aufgehäuft und bildet so einen Kegel, der teilweise bis zu zwei Meter hoch ist. Oft liegen dann ein paar Ziegel auf der Kegelspitze und ein Ast steckt darin. Grabsteine gibt es trotzdem noch bei den meisten Gräbern. Interessant wäre schon, wie es zur Ortswahl der Grabstätte kommt. Naja, vielleicht komme ich ja im Laufe der Zeit noch drauf.
Fast den ganzen Tag begleitet mich heute ein eigenartiges Klappergeräusch in der Luft. Ziemlich große Heuschrecken gibt es hier in der Gegend und beim Fliegen machen die Flügel dieses laute Geräusch. Ich frage mich, ob das einen speziellen Zweck erfüllt, oder ob da einfach in der Evolution nicht so 100 Prozent optimiert wurde.
Als Tagesziel wurde heute die Raststation Yongchang auserkoren. Irgendwie hatte ich heute keine Lust auf die Zeltplatzsuche neben der Autobahn und hoffte darauf, irgendwo auf der Raststation mein Zelt aufstellen zu können. Besonders idyllisch fiel der Platz dann zwar nicht aus, dafür gibts fließend Wasser, Toiletten, ein Restaurant und einen Supermarkt. Was will man mehr. Besser als in irgendeiner Unterführung ist es hier allemal. Ich kann auch wieder mal mein “im richtigen Moment Nicken, oder Kopfschütteln” üben. Die Sicherheitsbeamten, die auf jedem Rastplatz rumlaufen sind meistens sehr kontaktfreudig und reden ganz munter drauf los. Hin und wieder erwarten sie dann aber auch eine Reaktion. Bisher klappt es ganz gut. Ich antworte ganz entspannt in deutsch und sie quatschen munter in chinesisch weiter. Ich denke, so hat jeder seinen Spaß und irgendwie ist es ja auch ganz nett, einfach mal ein paar Minuten zusammensitzen und so zu tun, als ob man sich unterhalten könnte.
In den letzten Tagen ist mir auch schon immer wieder mal aufgefallen, dass gerade mein Bart und die Form meiner Nase größtes Interesse hervorruft. Ich gehöre jetzt offenbar auch zu den “Langnasen”. Bartwuchs ist in China ja nicht sonderlich weit verbreitet, was aber vor allem daran liegt, dass den meisten Chinesen einfach kein Bart wächst. Schon klar, dass dann ein Europäer mit Vollbart ein wenig Verwirrung stiftet.

Tag 191 – 10.August

Raststation Jongchang – Wuwei: 72km; 2:25h im Sattel; 13 – 15 Grad, Regen
Hotel

Nun gut, es kann ja nicht jeden Tag die Sonne scheinen, aber dass es dann gleich so ins Gegenteil umschlägt, das hätte es wirklich nicht gebraucht. Wenn man mit einem Wort den heutigen Tag beschreiben müsste, dann würde es “ekelhaft” wohl am besten treffen.
Gegen vier Uhr früh fing es an zu regnen und wie sich im weiteren Tagesverlauf zeigen sollte, hörte es auch bis zum frühen Abend nicht mehr auf. Ich weiß nicht, warum Zelthersteller immer mit unvorstellbar hohen Zahlen einer sogenannten Wassersäule ihre Zelte bewerten, ich habe die Erfahrung gemacht, wenn es wirklich regnet, dann ist das Zelt nach einer gewissen Zeit einfach von allen Seiten her nass. Anfangs dachte ich noch, ich sitze die Situation in meinem “trockenen Zelt” aus, doch unter meiner Liegematte hatte sich bereits ein See gebildet, das gesamte Vorzelt stand unter Wasser, weil es ganz lustig von Oben her runtertropft und irgendwie hatte ich das Gefühl, in wenigen Stunden versinkt das Zelt ganz in den “Fluten”. Es hilft also nichts, ich muss in den sauren Apfel beissen, in die Regenklamotten schlüpfen und bei strömendem Regen meine Sachen verstauen und das Zelt zusammenpacken. Der Temperatursturz im Vergleich zum gestrigen Vormittag betrug satte 15 Grad, was die Situation nicht unbedingt angenehmer gestaltete.
Das Einzige was mich antrieb war die Vorstellung, im knapp 80km entfernten Wuwei ein trockenes und warmes Hotelzimmer zu finden. Also rauf aufs Rad und treten was das Zeug hält. Ein bisschen Glück darf man an so einem Tag dann doch auch noch haben und so gab es leichte Unterstützung durch konstanten Rückenwind. Ohne Pause ging es dann auf dem Standstreifen dahin. Schlussendlich waren es dann doch keine 80, sondern nur 70km, was mir in dieser Situation sehr gelegen kam. Von Weitem sah ich schon die ersten Hochhäuser von Wuwei und hoffte darauf, möglichst rasch ein Hotel zu finden. Die Hochhäuser entpuppten sich dann aber allesamt als große Baustelle. Abseits der Aussenringstraße gab es erst mal nur noch unbefestigte Straßen. So wie es aussieht bereitet sich der Ort auf einen Zuzug noch nie dagewesener Größe vor. Nach einigen Kilometern erreichte ich dann den etwas belebteren Teil des Ortes und stand dann auch gleich vor einem Hotel. Die Straßenkreuzung stand bis zur Tretkurbel unter Wasser, auch hier scheint der Regen ordentliche Arbeit geleistet zu haben. Meine Hoffnung auf ein Hotelzimmer musste ich aber erst einmal auf Eis legen. Im ersten Hotel abgelehnt, und über die Straße zum nächsten geschickt. Dort erklärte man mir, dass dieses Hotel keine Lizenz zur Beherbergung von Ausländern besitzt, ich solle es doch gegenüber versuchen. Also noch einmal zurück und zum zweiten Mal mein Glück versucht. Dieses Mal schaltete ich Han, meinen Warmshowers Host aus Jiuquan per Telefon mit in die Unterhaltung ein. Angeblich war das Hotel ausgebucht. Während ich versuchte herauszufinden, wo denn das nächste Hotel sei, kamen dann noch eine Familie und zwei Einzelpersonen, die allesamt problemlos eincheckten. Ganz so ausgebucht konnte das Hotel dann also nicht gewesen sein. Von einem der Gäste wurde mir dann in gebrochenem Englisch mitgeteilt: “you can not live here”. Ok, warum es dann aber so schwer ist, mir zu erklären wo ich das nächste Hotel finde, weiß ich auch nicht. So langsam war mir schon ziemlich kalt. Ich war bis auf die Haut durchnässt und viel wärmer war es unter Tags auch nicht geworden. Nach ein paar Minuten Fahrt durch den Regen fand ich dann schlussendlich noch ein Hotel in dem ich, wenn auch wiederwillig aber schließlich doch aufgenommen wurde.
Umgehend wurden im gesamten Zimmer die nassen Klamotten ausgelegt und das Zelt im kleinen Bad zum trocknen aufgestellt. Warmes Wasser gab es ohnehin keines, weshalb ich mich erst einmal eine Stunde im Bett verkroch.
So nach und nach taut mann dann aber eh wieder auf und die Welt sieht gleich wieder freundlicher aus. Der Regen hatte auch schon nachgelassen und schlussendlich konnte ich sogar noch trockenen Fußes ein Lokal aufsuchen, um für den heutigen Tag zum ersten Mal was zu essen.
So wie ich gestern schon unterwegs gesehen hatte, dass an den Gräbern verhältnismäßig viel los ist, sieht man auch in der Stadt auf der Straße überall Leute, wie sie Papiergeld, Früchte, Kekse oder Zigaretten verbrennen. Alles Gaben für die Verstorbenen. Die Überreste der Zeremonie bleiben einfach am Gehsteig zurück. Irgendwer wird sich schon darum kümmern.