Tag 202 / 203 – 21./22.August

Xi´an: 2 Ruhetage; bisher geradelt: 15.438km; 798:01h im Sattel;
Hostel

Nach ziemlich genau einem Monat bin ich nun am Ausgangspunkt der Seidenstraße angekommen. Viel spürt man nicht mehr davon. Ab und an sieht man in der Stadt ein paar Statuen, oder mal ein Wandrelieff, das die Bedeutung von Xi´an für die Seidenstraße in Erinnerung ruft. Zwar bin ich nun über 3000km auf der Seidenstraße in China unterwegs gewesen, aber um ehrlich zu sein, eine Vorstellung von der Seidenstraße hatte ich eigentlich nur in Usbekistan bzw. in der Wüste Westchinas bekommen.
Ein Monat China liegt nun schon hinter mir. Es hat wirklich lange gedauert, bis ich mich mit Land und Leuten anfreunden konnte. Na gut, es gab auch ein paar Zwischenfälle, die Stimmung generell ein wenig drückten, aber rückblickend betrachtet lässt sich schon sagen, dass die ersten Wochen im Westen des Landes ziemlich mühsam waren. Meine Sprachkenntnisse haben sich noch nicht wirklich verbessert. Ein paar Zeichen erkenne ich nun zumindest schon, weiß aber nicht, was sie bedeuten. Ich fühle mich ein wenig wie ein Analphabet, der sich nur anhand von Symbolen und Zeichen im Alltag zurechtfindet. Doch zum Glück spürt man jetzt praktisch mit jedem Kilometer, den es weiter in Richtung Osten geht, eine Veränderung im Verhalten der Leute. Man wird etwas aufgeschlossener, interessierter, hilfsbereiter und generell freundlicher. Hier im Hostel bin ich umgeben von recht vielen Individualreisenden, die allerdings alle aus dem Süden, oder dem Osten nach Xi´an gekommen sind. Alle berichten aber von der überaus großen Offenherzigkeit der Chinesen, ein Bild, das mit meinen Erfahrungen im Westen nicht unbedingt übereinstimmt. Aber ich freue mich natürlich jetzt umso mehr, immer weiter in Richtung Osten vorzudringen.
Xi´an ist für mich auch die erste Großstadt in China in der man einen klaren Trend zur Verwestlichung feststellen kann. Zwar ist die Altstadt mit einer historisch wirkenden Stadtmauer umgeben, doch im Inneren wird man schon fast überschwemmt von Läden westlicher Marken. All das, was ich schon seit Monaten nicht mehr zu Gesicht bekommen habe, gibt es jetzt wieder. KFC, Burger King, Mc Dondalds, H&M, Zara, Watsons, und so weiter. Dass man sich noch in China befindet erkennt man fast nur noch an den Unterschriften in chinesischer Schrift. Ist die Jahrtausende alte Kultur in Gefahr? Der Fortschritt ist über China mit einer ziemlich hohen Geschwindigkeit gekommen. Gerade am Land konnte man das noch sehr deutlich sehen. Tradition und Moderne liegen hier sehr eng beisammen. Man hat allerdings den Eindruck, dass den Leuten gar nicht so viel an der Vergangenheit, der Tradition, der eigenen Kultur gelegen ist. Ganze Stadtteile werden plattgemacht, um neuen Hochhäusern Platz zu machen. Vor ein paar Tagen ist mir mal ein großes Plakat aufgefallen, darauf war zu lesen: “An industrial zone, the future of a city”. Alleine von dieser Einstellung lässt sich einiges ableiten. Die Prioritäten sind klar verteilt.
Um ehrlich zu sein hatte ich mir von der Altstadt Xi´ans etwas mehr erwartet. Altstadtflair kommt höchstens noch im muslimischen Viertel auf. Dort kann man sich durch enge Gassen schieben lassen, sich vom Duft der unterschiedlichsten Küchen betören lassen, den Leuten beim Arbeiten zuschauen und die Stadt mit ihren zig Hochhäusern einmal für einen Moment vergessen. Rinder und Schafe werden fast noch auf offener Straße zerteilt. Innereien türmen sich vor den teils recht kleinen Geschäften und so nach und nach bekommt man ein Gefühl dafür, was so alles in den Speisen verkocht wird, die man in den letzten Wochen zu sich genommen hat. Vieles davon würde ich vermutlich nicht bewusst bestellen, aber wenn man nicht weiß was drin ist, schmeckt es oft umso besser.
Ein Spaziergang durchs muslimische Viertel ist natürlich gerade dann perfekt, wenn man ohnedies ein wenig hungrig ist, so kann man sich erst mal mit den Augen sattsehen und dann bei verschiedensten Ständen immer wieder eine Kleinigkeit probieren.
Xi´an ist definitiv ein Touristenmagnet. Mich hatte es aber ziemlich überrascht, dass man auf derart wenige Touristen westlicher Herkunft trifft. Einzig bei den Hauptsehenswürdigkeiten sieht man vereinzelt den einen oder anderen westlichen Touristen. Man ist hier immer noch ein Exot. Immer wieder mal werde ich gefragt, ob man sich mit mir fotografieren lassen kann. Ein wenig verwunderlich finde ich nur, dass sich niemand danach erkundigt, woher ich eigentlich komme.
Nach Xi´an bin ich aber nicht nur als Tourist gekommen. Es gab auch durchaus wichtige Punkte zu erledigen. Nachdem in Tianshui die Visumsverlängerung nicht geklappt hatte, bin ich mehr oder weniger auf den letzten Drücker nach Xi´an gekommen. Gleich am ersten freien Tag suchte ich das PSB (Public Security Bureau) auf. Han hatte mir ja auch Chinesisch einen Zettel geschrieben, der beschreibt, was ich in China mache und weshalb ich hier im PSB bin. Zum Glück sprach der Beamte dann aber doch recht gut Englisch, aber immerhin wusste er jetzt schon über das meiste Bescheid. Nachdem Ausweis, Visum, Kreditkarte und Hotelregistrierung kopiert waren, ich das Antragsformular ausgefüllt hatte und 168 YUAN in der Zahlstelle eingezahlt hatte, dachte ich schon, dass alles viel zu glatt läuft. Ich bekam einen Abholschein in die Hand gedrückt und dann sollte ich in 8 Tagen wieder kommen… Puh, das waren mal wirklich keine guten Neuigkeiten. Es gab ja nichts zu verlieren, also versuchte ich den Beamten dazu zu bewegen, die Visumsverlängerung zu beschleunigen. Ich schilderte ihm den gesamten Hintergrund der Reise und das schien ihn irgendwie zu imponieren. Er bat mich, kurz zu warten und telefonierte mit seinem Vorgesetzten. Dem gefiel die Geschichte offenbar auch ganz gut, sodass ich schlussendlich die freudige Nachricht erhielt, bereits am nächsten Tag das Visum abholen zu können.
Im Hostel konnte man es gar nicht fassen, dass ich ohne Extrazahlung die Visumsverlängerung innerhalb von 1 Tag bekomme. Eine Woche warten, das hätte meine Pläne ziemlich durcheinander gebracht.
Zwei Tage Auszeit und jetzt kann es wieder weitergehen. Nachdem die Terracotta Armee ziemlich ausserhalb der Stadt situiert ist, werde ich Xi´an recht zeitig in der Früh verlassen und hoffentlich noch vor dem großen Touristenansturm die Terracotta Armee besichtigen können. Im Grunde war das ja der Grund, weshalb ich meine Route über Xi´an gelegt hatte.
Wie schon in den letzten Großstädten auch war das Bedürfnis nach intensiver Stadterkundung recht schnell befriedigt. Ein paar Hauptsehenswürdigkeiten hakte ich auf meiner gedanklichen Liste ab, doch dann ließ ich mich einfach treiben, saß oft genug recht lang an irgendeiner Kreuzung und beobachtete einfach die Leute. Am Freitag Vormittag landete ich irgendwie in einem gemütlichen Park und war ganz hin und weg von den vielen Leuten die sich allesamt zum gemeinsamen Singen, Tanzen und Musizieren getroffen hatten. Vor allem spanische Tänze sind hier sehr beliebt. Der Altersschnitt ist recht hoch, viele Großeltern sind mit den Enkeln unterwegs, es sind ja Sommerferien und die Eltern sind in der Regel in der Arbeit. Die Lieder sind für meine Ohren noch recht gewöhnungsbedürftig, auch die musikalische Begleitung erinnert im ersten Moment eher an ein völlig verstimmtes Musikschulorchester. In den Notenheften findet man interessanterweise gar keine Noten. Neben dem Text gibt es nur Zahlen und Linien, das reicht offenbar aus. Vielleicht klingt es aber auch gerade deshalb so schräg?
Die tanzenden Senioren zauberten mir aber für lange Zeit ein Lächeln ins Gesicht. Beeindruckend der Elan, mit dem sie bei der Sache waren.
Bis nach Peking sind es jetzt noch etwa 1200km. Eigentlich ein Katzensprung. Wenn ich zeitig genug in Peking ankomme, dann steht der Weiterfahrt bis zur Nordkoreanischen Grenze bei Donggang nichts mehr im Weg.