Tag 262 – 265 / 19. – 22. Oktober

Moskau: 4 Ruhetage; Sonne, Regen Eis und Schnee; minus 5 – 7 Grad Warmshowers Moskau, die Hauptstadt Russlands und mit rund 11.5 Millionen Einwohnern die größte Stadt Europas – so zumindest kann man es im Internet nachlesen. Was hat man im Kopf, wenn man an Moskau denkt? Mir zumindest fallen an allererster Stelle die bunten Zwiebeltürme der Basilius Kathedrale am roten Platz ein. Wenn ich ein wenig länger nachdenke dann noch der Kreml und die angeblich schönste U-Bahn der Welt… Und ja – selbstverständlich – unvorstellbar breite Straßen, viel Verkehr und beispielhafte Sowjetarchitektur. Ob die Vorstellung mit der Realität übereinstimmt, sollte sich in den vier Tagen Moskau herausstellen. Über Warmshowers habe ich mich bei Stanislav einquartiert, der mit Frau und zwei Kindern in einer Zweizimmerwohnung, nahe der Moskwa und dem Kolomenskaja Park wohnt. Seine Frau ist momentan mit einem der Söhne im Süden Russlands auf Urlaub – das elektronische Klassenzimmer macht es möglich… Silke und ich teilen uns also mit Timor, dem 9 jährigen Sohn von Stanislav das Wohnzimmer, in dem er eigentlich mit seinem älteren Bruder schläft. Für mich schwer vorstellbar, wie die Wohnung von vier Personen dauerhaft bewohnt wird. Am Esstisch in der ca. 5qm großen Küche finden eigentlich nur zwei Personen gleichzeitig Platz und im Badezimmer kann man sich auch gerade einmal alleine umdrehen. Wohnraum für Familien ist teuer und wenn man nicht Kilometerweit ausserhalb wohnen will, so muss man offenbar bei der Größe Kompromisse eingehen. Vom Phänomen der Schlafstädte können wir uns am Montag ein Bild machen, doch erst einmal liegt der letzte Tag des Wochenendes vor uns, an dem wir mit bestem Herbstwetter beglückt werden. Die Stadt scheint fast ausgestorben. Auf den breiten Straßen fahren kaum Autos und auch in der U-Bahn ist nicht viel los. Von Stanislavs Wohnung aus sind es nur ein paar Haltestellen bis zum Stadtzentrum, trotzdem ist man eine Weile unterwegs, weil die Abstände zwischen den U-Bahn Stationen ungewohnt lange sind. Zielstrebig gehts zum Roten Platz. Schon die Annäherung an den Platz ist eine wahre Freude. Man marschiert eine leichte Schräge empor und schrittweise taucht am anderen Ende des Platzes die Basilius Kathedrale auf. Strahlend blauer Himmel setzt die bunten Zwiebeltürme in ein nahezu perfektes Licht. Im ersten Moment bleibt man einfach einmal stehen und lässt den Platz auf sich wirken. Zur Linken das große und über Russland hinaus bekannte Kaufhaus GUM, zur Rechten die rote Kremlmauer, hinter uns in dunklem Rot das historische Museum und vor uns am abfallende Ende des Platzes die freistehende Basilius Kathedrale. Steht man erst einmal am Roten Platz drängt sich die Frage auf, warum der Rote Platz eigentlich Roter Platz heißt. Wegen der Kremlmauer, wegen des historischen Museums, oder wegen der für den Sozialismus wichtigen Farbe Rot? Keine der Assotiationen stimmt – der Rote Platz hieß ursprünglich Schöner Platz. Das Russische Wort krasny hatte anfangs zwei Bedeutungen – Schön und Rot. Mit der Zeit verwendete man das Wort krasny allerdings nur noch im Zusammenhang mit der Farbe Rot, woher schlussendlich der Name für einen der schönsten Plätze rührt. Schöner Platz – das trifft es eigentlich ganz gut. Die Proportionen, die geographische Lage, die umgebenden Gebäude – alles fügt sich zu einem fast perfektem Ganzen. In unseren vier Tagen in Moskau zog es uns immer wieder auf den Platz zurück, um diesen bei unterschiedlichsten Wetterverhältnissen zu bewundern. Sowohl bei Sonnenschein, als auch im Schneetreiben, bei Nieselregen und in der Nacht strahlt der Platz eine ganz spezielle Faszination aus. Leider wird diese Faszination Nachts durch die etwas billig wirkende Illumination des Wahrenhauses GUM stark beeinträchtigt, doch wenn man das GUM im Rücken hat, kann man auch das umgehen. Das Wetter in Moskau war uns leider nur am ersten Tag wohl gesonnen denn danach zeigte uns der Winter die kalte Schulter. Doch zumindest an unserem ersten Tag durften wir uns wirklich über perfekte Bedingungen freuen. Ideal, um dem Kreml einen Besuch abzustatten. Touristenattraktion und Regierungssitz gleichzeitig, eine seltene Konstellation, aber als ältester Teil der Stadt definitiv sehenswert. Innerhalb der Kremlmauern reihen sich einige Kirchen direkt aneinander. Generell ist die Kirchendichte in Moskau relativ hoch, doch hier im Kreml auf engstem Raum gleich fünf Kirchen nebeneinander zu sehen ist doch etwas ungewöhnlich. Beeindruckend die mysteriös anmutenden Innenräume der meist aus dem 15. / 16. Jahrhundert stammenden Kirchen, interessant die Überschneigung der Touristenströme mit den täglichen Wegen der Angestellten des Kremls. Eine Schar an Polizisten achtet penibel darauf, dass kein Fußgänger abseits der breiten Zebrastreifen die Straße betritt und falls doch wird man umgehend mit einem schrillen Pfiff belehrt. Mit Kehrmaschinen wird das noch kräftig leuchtende Blattwerk vom Boden gekehrt, kein Blatt entkommt dem Kehrkommando. Das traumhafte Wetter nutzend gehts noch hinaus zum Campusgelände der Lomonossow Universität. Bereits während meiner Fahrt vom Bahnhof zu Stanislavs Wohnung ist mir ein gewaltiger Baukomplex nahe der Moskwa aufgefallen, der sich nach kurzer Recherche als eines der sieben Prestigebauten Stalins entpuppte. Stalin hatte kurz nach Ende des Zweiten Weltkrieges den Bau von acht gewaltigen Hochhausprojekten in Auftrag gegeben. Sieben davon wurden im Zeitraum von 1947 bis 1957 fertiggestellt. Die Lomonossow Universität ist das höchste Gebäude der sogenannten Sieben Schwestern. Beeindruckend, irritierend, aber irgendwie faszinierend ist der Anblick des hoch in den Himmel ragenden Mittelturms der Universität. Überraschend ist dann aber auch der Ausblick vom Plateau des Sperlingberges, auf dem die Universität angesiedelt ist. Ganz Moskau liegt einem zu Füßen, die Moskwa macht hier eine große Schleife und in der Ferne kann man die wenigen neuen Hochhäuser Moskaus erkennen. Von Skyline zu sprechen wäre hier eine eindeutige Übertreibung, aber immerhin bildet sich hier ein deutliches Zentrum an Bürohochhäusern. Die große Fußballarena am Fuße des Sperlingberges wird momentan für die Fußball WM 2018 vorbereitet und auch an der Aussichtsplattform wird trotz kühler Temperaturen noch eifrig gearbeitet. Die Sonne verabschiedet sich langsam und man bekommt schon langsam einen Vorgeschmack auf das, was in Punkto Temperatur auf uns zukommt. Die Fahrt mit der U-Bahn am Montag Morgen wird gleich einmal zur Lehrstunde für Siedlungsstruktur. Am Wochenende hatte sich das Stadtzentrum beinahe leer angefühlt. Jetzt zum Wochenbeginn strömen Tausende ins Zentrum. Die U-Bahn verkehrt im 90 Sekunden Takt, doch wir müssen erst einmal drei U-Bahnen vorüberziehen lassen, bevor wir uns in einen der heillos überfüllten Wagons quetschen können. Die Menschentrauben am Bahnsteig werden nicht weniger und es steigt nur selten jemand aus. Es scheint, als ob Alle ins Zentrum wollen. Unser Tag beginnt relativ früh, weil Stanislav und Timor noch vor 8 Uhr die Wohnung verlassen. Über Nacht hatte es mal wieder geschneit und die Morgentemperaturen lagen deutlich unter Null Grad. Der Rote Platz bei leichtem Schneetreiben hat auch seinen Reiz, doch die ungemütliche Witterung treibt uns dann doch recht bald in ein Cafe zum ausgedehnten Frühstück. Aus dem nächtlichen Schneefall wird recht bald penetranter Regen, der den ganzen Tag über nicht mehr nachlässt. Wir hangeln uns von trockenen, geheizten Plätzen durch die Stadt und machen uns auf dem Weg ein Bild von drei weiteren Stalinbauten aus der Reiche der Sieben Schwestern. Das Aussenministerium, ein Apartmenthaus und das ehemalige Hotel Ukraine, das nun zu einem Luxushotel der Radisson Kette umgebaut wurde. Ohne Regenschutz durch die Stadt zu laufen stellt die gute Laune ein wenig auf die Probe, doch noch sind wir guter Dinge. Schon in Wladiwostok bin ich über Warmshowers mit Olga in Kontakt getreten. Sie ist vor kurzem nach Moskau gezogen und nun treffen wir uns am Abend um ein wenig zu plaudern. Im strömenden Regen führt sie uns ein wenig durchs nächtliche Moskau zum Gelände einer Schokoladenfabrik auf dem sich neben dem regulären Betrieb eine Handvoll Kreativbüros, Bars und Restaurants angesiedelt haben. Olga schwärmt von Ostrussland und der sagenhaften Landschaft Sibiriens. Sie zeigt uns atemberaubende Bilder ihrer Freunden, die mit dem Rad im Winter den Baikalsee umrundet hatten und erzählt viel von ihrer Zeit als Bergführerin in Zentralasien. Auch sie ist vor kurzem auf den Geschmack gekommen, mit dem Rad das Land zu bereisen, da sie die Unabhängigkeit in der Art der Fortbewegung überzeugt hatte. Kein Warten auf den Bus, kein Ausverhandeln von Transportkosten, keine bösen Überraschungen… Gut 5000km war sie mit ihrem Freund in Südostasien unterwegs und ist seitdem mit dem Virus des Fahrradreisens infiziert. Als wir am späten Abend wieder zu Stanislav aufbrechen ist die U-Bahn schon wieder fast leer. Vom morgendlichen Gedränge ist ganz und gar nichts mehr zu spüren. Die Schlafstadt hat sich bereits wieder gefüllt. Am nächsten Morgen dasselbe Bild. Die U-Bahn Wagons sind zum Bersten gefüllt, die Bewohner der Schlafquartiere im Randbereich der Stadt strömen wieder ins Zentrum. Silke und mich verschlägt es zur Abwechslung mal wieder auf den Roten Platz, ein wenig Morgenstimmung schnuppern und anschließend dem Herrn Lenin einen Besuch abstatten. An der Längsseite des Roten Platzes befindet sich das Lenin Mausoleum in dem dessen Leichnam aufgebahrt liegt. Nach seinem Tod im Jahre 1924 wurde Lenins Leichnam einbalsamiert und im Mausoleum aufgebahrt. Zu Sowjetzeiten gehörte ein Besuch des Lenin Mausoleums zum Pflichtprogramm jedes Moskaubesuchers, jetzt muss man nicht einmal mehr in der Schlange stehen, um die paar Meter durch das in dunkles Licht gehüllte Mausoleum zu schreiten. An jeder Ecke des Mausoleums steht ein Soldat, der die Besucher im Mausoleum sehr genau beobachtet. Aufgrund der noch immer recht ungemütlichen Wetterverhältnisse verlegen wir die kommenden Stunden in den Moskauer Untergrund. Eine weitere Sehenswürdigkeit, die Moskauer U-Bahn wartet darauf erkundet zu werden. Für schlechtes Wetter wohl eine der besten Aktivitäten. Abseits der Stoßzeiten macht U-Bahnfahren auch unter der Woche Spaß. Die Taktung der Züge ist phänomenal. Alle 90 Sekunden donnert ein neuer Zug in die Station. Umsteigen ist meist mit einem relativ langem Fußweg verbunden und man sollte sich im Vorfeld schon überlegen, bei welcher U-Bahnlinie man den Ausgang ans Tageslicht wählen möchte, weil die Ausgänge sehr weit voneinander entfernt liegen. Oft geht es auch recht tief hinab auf die Bahnsteige. Manche Rolltreppen sind über 100m lang und es vergehen fast 1 1/2 Minuten, bis man in der Tiefe angekommen ist. Das Tunnelsystem ist aber perfekt ausgekügelt. Meist im Einbahnstraßensystem werden die gewaltigen Fahrgastmassen bewältigt, Stau gibt es nur selten, wenn beispielsweise eine der drei Rolltreppen ausfällt. In den 1930er Jahren wurde mit dem Bau der Moskauer U-Bahn begonnen. Selbst direkt nach Ende des Zweiten Weltkrieges wurden noch prachtvolle Stationen eröffnet. Beeindruckend ist die vielfältige Gestaltung der unterschiedlichen Stationen. Keine Station gleicht der anderen. Selbst moderne Stationen werden noch künstlerisch gestattet, wie beispielsweise die Station Dostojewskaja aus dem Jahre 2010, die Dostojewski und dessen Werken gewidment ist. In meinen Augen herrausragend, weil ausserordentlich filigran gestaltet ist die Station Majakowskaja aus dem Jahr 1938, die sogar den Hauptpreis der internationalen Ausstellung in New York im selben Jahr gewann. Für die 1930er Jahre stellt die Gestaltung durchaus einen avantgardistischen Entwurf dar. Mit modernen Materialien und Formen setzt sich diese Station klar von den eigentlich später entstandenen, jedoch sehr traditionell gestalteten Stationen wie z. B. Kiewskaja, oder Kosmolskaja ab. Um die Station in ihrer Ganzheit erfahren zu können muss man sich der Decke bewusst nähern, den Kopf in den Nacken legen und eines der vielen Deckenmosaike bestaunen, die in ovalen Nischen Szenen aus dem sowjetischen Alltag darstellen. Ein Großteil der restlichen Stationen widmet sich kriegerischen Themen, vereinzelt werden aber auch dort Alltagsszenen, bzw. historische Darstellungen präsentiert. Jede Station ist einem gewissen Grundthema gewidmet, welches sich oft im Stationsnamen wiederfindet. Im Vorübergehen lässt sich die Vielalt der U-Bahn Stationen nicht wahrnehmen, weshalb es sich durchaus lohnt, sich ein wenig aus dem zügigen Strom der Passagiere auszuklinken und ein paar Minuten in der Station zu verbringen. Zurück am Tageslicht empfängt uns ein eiskalter Wind. Der Regen hat sich zum Glück nun verzogen, dafür kündigt sich bereits eine sehr kalte Nacht an. Was liegt näher, als vor dem Heimweg noch einmal kurz am Roten Platz vorbeizuschauen? Jedes Mal einen Abstecher wert! Über Nacht ist das Thermometer empfindlich abgefallen. Minus 5 Grad und ein schneidiger Wind lassen uns den geplanten Morgenspaziergang im nahegelegenen Park frühzeitig beenden. Ein gut geheiztes Cafe ist das, was in solchen Situationen angestrebt werden sollte. Dieses Mal gehts ohne Umweg über den Roten Platz direkt ins Stadtzentrum, erst einmal gemütlich in ein Cafe und von dort aus dann weiter zur Akademie der Wissenschaften. Die Zentrale der Akademie der Wissenschaften in Russland ist in einem futuristisch anmutenden Gebäude aus den frühen 1990er Jahren angesiedelt. Von der Bar im 22. Stock hat man einen traumhaften Blick über die Stadt. Die dunklen Wolken der vergangenen Tage lösen sich langsam auf und stellenweise blitzt sogar die Sonne durch. Unter uns liegt die pulsierende Stadt. In weiten Schleifen werden die Autokolonnen um die Kreuzungspunkte der breiten Prospekts geführt. Der städtebauliche Grundriss erschließt sich sehr leicht aus dieser Perspektive. Man kann sehr gut die vielen Heizkraftwerke erkennen, die die Stadtviertel Moskaus mit Wärme versorgen und nun dichte Kondensschwaden in den Himmel stoßen. Wärme ist hier im Winter verständlicherweise ein bedeutendes Thema. Die Winter können auch in Moskau sehr kalt werden. In den U-Bahn Zugängen bereitet man sich bereits darauf vor, zusätzliche Schwingtüren einzubauen, um die kalte Luft besser draussen zu halten. In den Unterführungen werden dicke Socken, Schuheinlagen, Handschuhe, Schals und Mützen verkauft. Man stellt sich schon auf die kalte Jahreszeit ein, aber ich habe nicht den Eindruck, als ob es für irgendjemanden überraschend ist, dass bereits Mitte Oktober die Temperaturen konstant unter Null liegen. Meine geplante Weiterreise habe ich um einen Tag nach hinten verschoben. Die Wetterprognose verspricht zumindest ein paar trockene Tage, dafür wird die Temperatur auch weiterhin unter Null liegen, was mir in Anbetracht des bereits erlebten Regens in Moskau sogar lieber ist. Für Silke geht es nun aber wieder zurück ins gewohnte Alltagsleben. Zwei Wochen Auszeit in Russland sind rasend schnell vergangen. Für mich schon einmal eine kleiner Vorgeschmack auf die Ankunft zuhause. Hier in Moskau ist vom fernen Asien ohnehin nichts mehr zu spüren, weshalb ich mich schon fast wieder wie zuhause fühle. Bis nach St. Petersburg liegen nur noch etwas mehr als 700km vor mir. Nach dem Ausflug in den Norden gehts dann aber schlussendlich westwärts, also in Richtung Heimat. Die kurzen Radelklamotten können jetzt wohl getrost in den Packtaschen verschwinden und die Winterklamotten werden aus den Tüten geschält. Monatelang hatte ich sie jetzt mit mir herumgeschleppt, aber jetzt kommt die lange Hose und die warme Jacke wieder zum Einsatz. Ein wenig werde ich mich wohl noch an die neuen Bedingungen gewöhnen müssen, immerhin war noch T-shirt Saison, als ich in Wladiwostok vom Rad gestiegen bin, aber ich bin zuversichtlich, dass ich den Rhythmus bald wieder finde.