Tag 302 – 28.November

Prag – Sonndorf: 190km; 9:22h im Sattel; minus 2 – 0 Grad, bedeckt
Privater Gastgeber

Für heute hatte ich mir noch einmal ein beachtliches Stück Weg vorgenommen, doch Heimatluft lag schon fast in der Luft und ich wollte es bis kurz hinter die bayerische Grenze schaffen, um bei einem guten Freund übernachten zu können. Ich hatte mich schon auf eine kräftezehrende Etappe eingestellt und dementsprechend ausgiebig fiel das Frühstück aus. Es begann gerade zu dämmern, als ich bei noch recht kühlen Null Grad aufs Rad stieg und mir den Weg aus der Stadt hinaus suchte. Anfangs blies mir noch ein kräftiger Wind entgegen, doch glücklicherweise ließ der mit der Zeit nach. Eine lange Gerade führte mich aus Prag hinaus, bevor der erste lange Anstieg in Angriff genommen werden musste. Die Bundesstraße 4 führt direkt von Prag in Richtung Passau, doch zweimal musste ich die Straße verlassen, weil die B4 in diesen Streckenabschnitten als Schnellstraße ausgebaut war und folglich für Radfahrer gesperrt waren. Zum Glück hatte ich meine offline Karten am Tablet, sodass ich mich durch die kleinen Dörfer navigieren konnte und schließlich auf dem früheren, jetzt stillgelegten Streckenabschnitt der B4 landete. Die Natur holte sich die alte Asphaltfahrbahn bereits wieder zurück, kleine Büsche und Gras wucherten bereits aus den Rissen in der Straße. Eigentlich ist die Straße für den Verkehr gesperrt, doch als Radfahrer kam ich sehr leicht an Schlagbaum vorbei und so hatte ich über viele Kilometer eine traumhaft ruhige Strecke vor mir.
Fast schon wellenartig arbeitete ich mich immer höher hinauf, doch mir war ja schon von Beginn an klar, dass heute die Anstiege dominieren würden. Das feuchtkalte Wetter und der dunkle Himmel setzten mir mit der Zeit schon ein wenig zu und mein Gefühl in den Füßen drohte schon fast zu schwinden. Doch wie so oft, wenn man mit den Gedanken ganz woanders ist, wurden Füße und Hände wieder warm und ich beschloss, noch bis Strakonice weiterzuradeln, um dort eine wärmende Pause einzulegen. Weit über 100km lagen nun schon hinter mir und es war an der Zeit, endlich was warmes zu mir zu nehmen. Sozusagen ein Abschiedsessen von Tschechien – ein kräftiges Stück Rostbraten mit schöner dunkler Sauce, kulinarisch vielleicht nicht unbedingt ein Highlight, doch als Energieträger perfekt. Auf das obligatorische Bier verzichtete ich aber und zog eine Kanne Tee vor. Ich drückte mich eng an den Heizkörper und kam so langsam wieder auf Temperatur. Zwei Drittel des Weges hatte ich jetzt schon fast hinter mir und die Vorfreude wurde schon immer größer. Die Ortsnamen kamen mir nun schon bekannt vor, auch wenn ich mich nicht wirklich daran erinnern konnte, bewusst in dieser Gegend jemals gewesen zu sein. Bis Volyne (Wolin) ging es noch relativ gemütlich dahin, doch dann begann die Kletterpartie erneut. Es schien, als ob es jetzt nur noch bergauf ginge. Lange ging es mit über 10% in die Höhe, doch leider folgte darauf wieder eine lange Abfahrt. An sich sind ja Abfahrten etwas schönes, doch wenn man weiß, dass es eigentlich noch weiter in die Höhe geht, bedeutet jeder Meter bergab zusätzliche Meter bergauf… In Vimperk begann es dann langsam zu dämmern. Der Verkehr hatte sich auf der B4 nun deutlich reduziert und gleichzeitig wurden die mich umgebenden Wälder scheinbar immer dichter und dunkler. Nebel zog auf und die Umgebung schien in einem dumpfen Schleicher gepackt. Ein Ende des Anstiegs war nicht in Sicht und so strampelte ich, den Blick auf die paar Meter vor mir gerichtet, ins Dunkel des Waldes. Bis Strazny wollte ich eigentlich noch durchfahren, doch mitten im Anstieg begann dann der Blick schon etwas schummrig zu werden und es war höchste Zeit für eine kurze Zwischenpause. Kekse und heißer Tee brachten mich wieder in Schwung und so gings weiter ins Dunkle der Nacht. Kurz vor Strazny blitzten dann auch schon das erste Paar weißer Lackstiefel in der Dunkelheit auf, am Straßenstrich von Strazny war selbst bei diesen Temperaturen noch was los. Der mich umgebende Nebel war in den Bäumen bereits gefroren, das Thermometer fiel immer weiter unter Null. Erstmalig war die 1000m Marke wieder überschritten und es folgte eine langezogene Abfahrt in Richtung bayerischer Grenze. Den Grenzübergang Philippsreut hatte ich dann ob der Dunkeheit fast übersehen und schon war ich wieder auf deutschem Boden. Willkommen zurück in Bayern! Lang hat es gedauert, aber jetzt gehts zurück in die Heimat…
Einmal noch ein wenig in die Höhe, die 1000m Marke noch einmal überfahren und dann gings endlich die lange ersehnte Abfahrt nach Sonndorf hinab. Meine Windjacke leistete mir bei der Abfahrt gute Dienste, denn nach den vielen Höhenmetern war ich ganz schön aufgeheizt. Fast zeitgleich mit dem Grenzübertritt ließ ich auch den Nebel hinter mir und erstmalig konnte ich wieder einen klaren Sternenhimmel bewundern. Ach, wieder zurück in Bayern und dann auch noch eine sternenklare Nacht… schöner könnte man sich die Rückkehr nicht vorstellen.
In Sonndorf wurde ich herzlichst von Daniel, Tina und ihren zwei Kindern begrüßt. Bei kalter Schweinshaxe und köstlichem Bier konnte ich die letzten Tage in Ruhe Revue passieren lassen. Die Strapazen der letzten Stunden waren sofort vergessen und ich fühlte mich so, als ob ich nie weg gewesen wäre. Ein wenig wackelig war ich zwar auf den Beinen, doch bei über 2500 Höhenmetern war dies auch nicht verwunderlich. Es ist erstaunlich, wie schnell man sich wieder wie zuhause fühlen kann. Rein in die Wohnung und schon ist es so, als ob man erst vor ein paar Wochen zum letzten Mal hier gewesen wäre.
Nachdem ich heute so fleissig gestrampelt habe, steht morgen nur noch eine sehr kurze Etappe am Programm. Mein Elternhaus ist nur noch gut 40km Fahrt entfernt. Der letzte große Meilenstein auf meiner langen Reise ist schon fast erreicht.

Tag 303 – 29.November

Sonndorf – Taubing: 46km; 3:08h im Sattel; minus 1 – 4 Grad, Sonne
Privater Gastgeber

Nur noch eine halbe Tagesetappe vom Elternhaus entfernt, da stört es auch nicht, wenn man um kurz vor sechs Uhr von einem quitschfidelen Kleinkind aus den Federn gerissen wird. Im Grunde konnte ich es ohnehin schon nicht mehr erwarten meine Eltern wieder begrüßen zu können und auf dem Weg nach Hause noch ein paar Freunde zu besuchen. Strahlend blauer Himmel begrüßte mich heute in der Heimat. Die Wolken und das nebelige Wetter hingen offenbar im bayerischen Wald auf der tschechischen Seite fest. Sonne in diesem Ausmaß hatte ich nun schon eine gefühlte Ewigkeit nicht mehr erlebt. Meine Eltern konnte ich bereits heute Morgen wieder in die Arme schließen. Meine Mutter hatte beschlossen, mich auf den letzten Kilometern bis nach Hause noch auf dem Rad zu begleiten und wurde von meinem Vater dazu nach Sonndorf chauffiert. Welch eine Freude – nach zehn Monaten unterwegs gibt es endlich ein Wiedersehen. Schritt für Schritt hatte ich mich diesem Moment angenähert und nun war es endlich soweit. HERRLICH, mehr kann man dazu nicht sagen…
Noch war es ziemlich kühl, dicker Reif lag auf den Wiesen, doch die Sonne wärmte die Umgebung schon spürbar auf. Mit meiner Mutter radelte ich nun erst einmal in Richtung Oberfrauenwald. Auf ruhigen Nebenstraßen ging es noch einmal recht hügelig dahin. Der Ausblick auf die bayerische Hügellandschaft war aber atemberaubend. Die Nebelschwaden hingen in der Hügelkette des Bayerischen Waldes fest und auf unserer Seite lachte die Sonne. Auf einen Schlag war es vorbei mit den trüben Tagen, jetzt scheint endlich wieder die Sonne! Ein schwer zu beschreibendes Gefühl ist das, wenn man nach vielen Monaten in der “Fremde” nun wieder in die gewohnte Umgebung zurückkommt. Ähnlich wie schon gestern Abend fühlte sich vieles so vertraut an, als ob ich nie weg gewesen wäre. Mit einem breiten Lächeln radelte ich durch die traumhaft schöne Hügellandschaft. Kurz bevor wir den Oberfrauenwald erreicht hatten, wurde ich überraschend von Alois und Tobias empfangen. Die beiden hatten mir hinter einem Baum “aufgelauert” und begleiteten uns schließlich auf den kommenden Kilometern. Auf der Strecke hatten sie immer wieder kleine Tafeln aufgestellt, die mich in der Heimat willkommen hießen. Isolde und Maria läuteten dann noch lautstark unsere Ankunft ein. Bei Kaffee und Kuchen kam dann die gesamte Familie Fürst zusammen und bereitete mir einen sehr herzlichen Empfang.
Von vielen Reisenden hatte ich gehört, dass das Heimkommen mit zu den schwierigsten Teilen des Reisens gehört, doch für mich gehört offenbar das Heimkommen mit zu den schönsten Teilen der Reise.
Nachdem Kuchen und Kekse verdrückt waren, stieg ich gemeinsam mit meiner Mutter wieder aufs Rad und wir nahmen die letzte Etappe bis nach Taubing in Angriff. Kurz bevor ich mein Elternhaus erreicht hatte, zeigte der Tacho 22.222km an. Ankommen mit einer Schnapszahl… auch nicht schlecht!
Ich konnte mich an der eigentlich so gewohnten Landschaft gar nicht satt sehen. Es schien alles beim Alten geblieben zu sein, nicht viel hatte sich verändert und was mich am meisten freute war die Tatsache, dass ich mich sofort wieder wie zuhause fühlte. Die Sonne begleitete uns noch bis nach Hause wo wir von meinem Vater und Ingrid und Leo freudig empfangen wurden. Die beiden hatten immer gebannt meinen Blog verfolgt und wollten sich die Gelegenheit nicht nehmen lassen, mich als eine der Ersten begrüßen zu können. Auch Reinhard kam extra noch direkt von der Treibjagt bei uns vorbei und schüttelte mir freudig die Hand. Sie alle waren mir in den vergangenen Monaten als treue Leser durch sämtliche Länder gefolgt und nun konnten sie mich endlich persönlich zuhause willkommen heissen.
Ich weiß nicht, wer sich mehr über das Heimkommen freute. Meine Eltern, oder ich… Für mich ist es noch immer schwer fassbar, dass ich es nun wirklich geschafft habe, nach so vielen Tagen unterwegs, wieder mit dem Rad zuhause einzurollen. Im November letzten Jahres hatte ich meine erste und einzige “Testtour” von Wien nach Taubing und wieder zurück in Angriff genommen. Nun kam ich also zum zweiten Mal mit meinem vollbeladenen Rad zuhause an. Bis zur Weiterfahrt nach Wien stehen noch ein paar sehr entspannte Tage vor mir. Erst in fünf Tagen gehts wieder weiter, dann aber ebenfalls mit Begleitung bis nach Wien. In einer Woche schließt sich dann der Kreis wieder vollständig und ich komme wieder dort an, wo ich vor ziemlich genau zehn Monaten losgefahren bin.
Vermutlich brauche ich jetzt auch erst einmal eine Woche um zu realisieren, dass ich nun wirklich schon wieder zuhause bin. Fürs Erste kann ich aber nur mal DANKE sagen an all jene, die mich so herzlich willkommen geheissen haben. Heimkommen ist wirklich etwas schönes und gleich noch einmal viel schöner, wenn man sieht, wie sehr sich die Familie, die Freunde und Bekannten darüber freuen, dass man wieder zurück ist.