Tag 14

Pirot -Sofia: 87km; 4:07h im Sattel; 8-10 Grad, Sonne
Hostel

Ich bin immer wieder erstaunt, wie günstig man ich Serbien frühstücken kann. Die Restaurantpreise ähneln teilweise unserem Preisniveau, aber in der Früh ist das Preis – Leistungsverhältnis unschlagbar. Für ca. 1,50 EUR gibts einen Burek, Jogurt und eine Mehlspeise. Mit dieser Energiebombe lässt es sich dann problemlos bis weit über Mittag radeln.
Dichter Nebel senkte heute die gefühlte Temperatur weit unter den Wert auf dem Thermometer. Gottseidank lichtete sich der Nebel nach etwa 10km und die Sonne kam wieder durch.
Die Grenze war nur etwa 25km von Pirot entfernt. Überraschend wenig Verkehr ließ vergessen, dass ich mich gerade auf der Haupttransitroute von der Türkei nach Zentraleuropa befinde.
Kurzes ungläubiges Kopfschütteln der Grenzer und schon war ich wieder in der EU. Mit dem Grenzübertritt habe ich aber auch eine Stunde verloren… Die Uhr wird nach Vorne gedreht. Eine Woche Serbien von Nord nach Süd liegt hinter mir, eine Woche Bulgarien liegt vor mir.
Mein nächster Meilenstein hat auch schon Platz gefunden auf den Hinweistafeln für den Fernverkehr. Istanbul ist in greifbare Nähe gerückt. Von Sofia aus werde ich noch etwa eine Woche unterwegs sein, bevor ich den asiatischen Kontinent betreten werde.
Wie von einer Transitstrecke zu erwarten, war der Straßenrand wieder über und über mit Abfall gesäumt. Einziger Ausweg… den Blick in die Ferne richten. Dort spitzt bereits das Witoscha Gebirge (2290m) aus einer Dunstwolke. Eingezuckert mit einer weißen Haube ragt der Berg von weitem sichtbar aus der Ebene.
Nachdem für heute ja nur eine kurze Etappe geplant war, beschloss ich, ohne größere Pause direkt bis Sofia durchzufahren.
Die Stadteinfahrt dauerte eine gefühlte Ewigkeit. Der Verkehr nahm mit jedem Meter zu. Die wenigen Pferdefuhrwerke am Stadtrand waren aber auch schon bald wieder aus dem Stadtbild verschwunden. Neben den 15-stöckigen Hochhäusern aus der kommunistischen Ära gruppieren sich unzählige schwer definierbare Behausungen. Teilweise Bretterverschläge, teilweise ruinöse Einfamilienhäuser… viele Verbindungswege nur als Sandstraße.
In einem unspektakulären Hostel mitten im Stadtzentrum quartierte ich mich für zwei Nächte ein. Das Rad kam mit ins Zimmer. Schon beim Abladen meiner Taschen hatte mich ein vorbeikommender Radfahrer davor gewarnt, das Rad in der Stadt stehen zu lassen… Naja, jetzt steht es mal für zwei Tage im Zimmer. Eine Waschgelegenheit wäre mal gut. Vielleicht steuere ich einfach mal eine Autowaschanlage an und mache dort ein bisschen Fahrradkosmetik.
Ich genoss die verbliebenen Stunden bei Tageslicht. Besonders beeindruckend war der nationale Kulturpalast. Ein Kongress und Konzertgebäude aus den frühen 80er Jahren. Die Vorplatzgestaltung lockt die Skate-Jugend an. Rampen, viele Treppen und glatte Oberflächen bilden eine perfekte Grundlage für einen improvisierten Skatepark.
Auf der Suche nach der Dachterrasse des Kulturpalasts konnte ich auch einen Blick ins Innere des Gebäudes werfen. Die Nachmittagssonne stand bereits sehr tief und tauchte jede Ebene in ein ganz spezielles Licht.
Heute war ja Valentinstag, der offensichtlich hier in der Stadt groß gefeiert wird. Pärchen über Pärchen… Kaum eine Frau ohne Blumen in der Hand. Bei vielen lag der Verdacht aber nahe, dass sie bis auf heute nie Blumen geschenkt bekommen. So unbeholfen standen viele Burschen in der Gegend und warteten auf ihre Freundinnen mit einem viel zu großen Blumenstrauß in der Hand.
Bei der abendlichen Stadtführung durch Sofia erfuhr ich, dass es in Bulgarien kaum Singles gibt. Zufrieden mit ihrer Beziehung sind dagegen aber nur sehr wenige. Da lobe ich mir doch das erfüllte Single-Leben.
Nach Tagen intensiven Fleischkonsums freute ich mich heute über einen “italienischen Abend” mit Pasta, Wein und Tiramisu. Es muss ja nicht jeden Tag Fleisch geben…
Morgen muss ich mich entscheiden, in welche Richtung ich weiterfahren will. Zur Auswahl steht die große Transitachse nach Istanbul, die durch den Ort Plovdiv führt, oder eine Variante weiter nördlich am Nationalpark Zentralbalkan entlang. Plovdiv soll mit einem sehr schönen Altstadtkern locken, aber meine Präferenz liegt aktuell bei der Variante entlang der Berge. Ich muss nur noch eruieren, wie das Höhenprofil dieser Strecke aussieht.

Tag 15

Ruhetag Sofia; Zwischenstand 1280km
Hostel

Im Gegensatz zu den bisher besuchten Orten in Serbien erwacht Sofia nur sehr langsam. Wenige Cafes haben schon vor neun schon geöffnet. War die Fußgängerzone gestern mit Massen bevölkert, trifft man am Morgen nur vereinzelt Passanten.
Nach einem gemütlichen Frühstück gehts auf Erkundungstour in die Stadt. Die Sonne scheint, die Sicht ist gut, vom gestrigen Dunst ist nichts mehr zu sehen… Ein ganzer Tag Stadtbesichtigung steht zur Verfügung.
Die meisten Hard-facts habe ich bei der gestrigen Stadtführung bereits erfahren. Jetzt heißt es, sich treiben lassen.
Beeindruckend der Innenraum der Alexander Nevski Kirche. In den orthodoxen Kirchen gibt es ja keine Sitzbänke, daher kann man sich frei im gesamten Kirchenraum bewegen. Die Lichtstimmung ist faszinierend. Kaum zu glauben, dass die Kirche erst in den 1920er Jahren fertiggestellt wurde (Ende des 19. Jahrhunderts wurde mit der Planung begonnen). Die orthodoxe Kirche in Belgrad wurde etwas später gebaut, ist aber nur außen fertig gestellt worden. Der nackte Stahlbeton im Inneren kann natürlich bei weitem nicht mit der Kirche in Sofia mithalten.
Sofia erinnert mich in vielen Situationen immer wieder an Ostberlin. Die aufgebrochenen Gehwege, viele Bäume im Straßenraum, die leicht maroden Fassaden mit ihren massiven Balkonen, Kopfsteinpflaster in den Straßen… einzig das kreative Publikum fehlt noch. Der Kommunismus prägt natürlich auch architektonisch das Stadtbild. Mag sein, dass ich auch daher große Ähnlichkeiten feststelle.
Aufgrund des guten Wetters – und vermutlich weil Wochenende ist – tummeln sich unglaublich viele Leute in den zahlreichen Parks und auf den öffentlichen Plätzen.
Eine gefühlte Ewigkeit sitze ich auf dem Platz vor dem Kulturpalast und beobachte die Leute. Es schein wieder Normalität eingekehrt zu sein. Die Gefühlsverwirrungen des gestrigen Valentinstag sind vergessen. Burschen und Mädel sind wieder getrennt in Gruppen unterwegs. So wie es den Anschein macht, ist auch jeder wieder ganz zufrieden.
Sofia eignet sich hervorragend dazu, planlos durch die Stadt zu schlendern. Die größten Sehenswürdigkeiten sind in knapp 2 Stunden besichtigt, den Rest des Tages kann man sich einfach treiben lassen. Für mich eine ganz neue Erfahrung, eine Stadt mal auf diese Weise kennenlernen zu können. Bei den bisherigen Städteurlaube hatte ich mir viel zu selten Zeit zum Innehalten genommen. Mir fällt auf, dass sich bei mir eine leichte Prioritätenverschiebung einstellt. Bisher hatte ich immer versucht, so viel als möglich zu besichtigen, doch um ehrlich zu sein… es steht noch so viel Neues bevor, daher konzentriere ich mich mehr darauf, den Moment zu genießen. Und heute galt es, die Frühlingssonne zu nutzen.
Ich bin schon sehr gespannt auf das bulgarische Hinterland. Die Hauptstadt ist bereits sehr westlich orientiert. Auf mich wirkt es so, als ob ein großer Teil der Ursprünglichkeit bereits verloren gegangen ist.
Ich habe mich entschlossen, für die weitere Tour einen kleinen Umweg in Kauf zu nehmen und werde entlang des Nationalparks Zentralbalkan radeln. Es werden mich zwar sicherlich bei Weitem mehr Höhenmeter erwarten, aber auf der Karte schein es so, als ob die Landschaft dafür auch weit abwechslungsreicher sein wird.
Morgen gehts wieder los!