Tag 93 – 4.Mai

Kurz hinter Turkmenabad – Bukhara: 137km; 6:34h im Sattel; 24 -44 Grad, Sonne
Hotel

So, für heute stand der Grenzübertritt nach Uzbekistan auf dem Plan. Auf der Karte war nicht ganz klar auszumachen, wo genau die Grenze verläuft, aber ich rechnete damit, dass es von Turkmenabad aus noch etwa eine Stunde Fahrt war. Kurz vor 8 Uhr verließ ich meinen Zeltplatz, doch leider wurde ich nach einer halben Stunde schon wieder durch einen platten Vorderreifen aufgehalten. Bereits gestern hatte ich mir einen Dornen eingefahren, heute war die Ursache mal wieder nicht auszumachen. Immerhin hielt die Luft noch so lange, bis ich einen Schattenplatz gefunden hatte. Lange bleibt man beim Reifenflicken ohnehin nicht unentdeckt. Schon nach gut einer Minute war ich um zingelt von Feldarbeitern, die mir alle ihre Hilfe anboten. Als ich dann um kurz vor 10 die Grenze erreicht hatte, näherten sich die Temperaturen schon wieder der 30 Grad Marke. Vor der Grenze mal wieder die langen Warteschlangen der LKW Fahrer. Dazwischen immer wieder Leute, die aus großen Plastiktüten Geld zum Wechseln anboten. Mir war die Sache nicht ganz geheuer, also wartete ich noch bis nach der Grenze. Auf der Uzbekischen Seite bot sich dann aber dasselbe Bild…
Ich hatte mich heute schon auf einen relativ langwierigen und komplizierten Grenzübertritt eingestellt. Schlussendlich verlief alles mehr als reibungslos. Offenbar hat man als Reiseradler einen gewissen Bonus bei den Grenzbeamten. Dem großen Buch war zu entnehmen, dass ich heute der 17. war, der aus Turkmenistan ausreisen wollte. irgendwie schaffte ich es dann aber an einem Großteil der Wartenden vorbei bis zur Zolldeklaration. Auf einmal war die Schlange hinter mir… und zur Krönung des Tages half mir dann sogar noch der Grenzbeamte beim Ausfüllen der Zollerklärung, die sinnvollerweise nur in Russisch als Formular auslag. So genau nahm er es dann aber eh nicht. Ich hatte schon die wildesten Geschichten über die schriftlichen Erklärungen gehört. Manche mussten fast jedes Kleidungsstück angeben. Bei mir reichte es aus, einfach “alle meine Kleider” und die elektronischen Geräte, die ich hatte anzugeben. Bei den Devisen wurde auch nicht so genau nachgefragt… Alles in Allem ein sehr angenehmer Grenzübertritt.
Eigentlich ist es mir immer suspekt, auf der Straße Geld zu wechseln, aber hier fehlte schlichtweg die Alternative. Für 120 Dollar bekam ich ein Bündel Geldscheine, das ich unmöglich nachzählen konnte und das in keine Geldbörse der Welt passt… Es gibt Scheine zu 500, 1000 und 5000 Som. Das entspricht ca. 20 / 40 Cent, oder 3 EUR. Warum es keine größeren Schein gibt, ist mir ein Rätsel. Ab nun heißt es also fleissig Scheine zählen…
Gegen Mittag ging es nun also los. Neues Land, neues Glück. Die Sonne brannte vom Himmel, und vor mir lagen noch 100km bis nach Buchara. Als das Thermometer konstant 44 Grad anzeigte, kapitulierte ich und suchte mir einen Platz unter einem großen Baum. Kurz darauf radelten auch gleich zwei Burschen aus dem Ort vorbei und beobachteten mich gespannt, wie ich mir mein Omelette zubereitete. 38 Grad im Schatten waren fast schon eine Wohltat gegenüber den Temperaturen auf der Straße… In den letzten Tagen lag mein Wasserverbrauch stets bei ca. 10 Litern unter Tags. Auch heute sollte das nicht anders werden.
Anfangs ähnelte die Umgebung noch sehr der Wüste in Turkmenistan, doch langsam wurde alles etwas grüner. Die Bäume wurden mehr und immer wieder gab es richtig grüne Wiesen. Auch die Siedlungsdichte nahm laufend zu. Immer wieder radelte man durch einen kleineren Ort. Auch hier in Uzbekistan reagieren die Leute extrem offen und freundlich auf den Anblick eines Reiseradlers. Manche bleiben extra stehen, um die paar Sätze Englisch, die sie beherrschen, an den Mann zu bringen. Bei jedem Zusammentreffen, ganz egal mit wem, gibt man sich erst mal zur Begrüßung die Hand. Diese Geste ist mir auch schon im Turkmenistan aufgefallen.
Auch die Frauen grüßen neuerdings lächelnd vom Straßenrand. Man sieht plötzlich wieder viel Haut. Auch die Frauen tragen jetzt wieder kurze Hosen / Röcke und knappe Shirts. Eigenartig, wie einem plötzlich derartige Dinge auffallen…
Wie schon in Turkmenistan haben die Traktoren nur drei Reifen. Der Esel dient vielen Bauern als Transporttier für Dinge aller Art.
Auch heute noch verfolgt mich der Gegenwind. Die Kilometer bis nach BUchara schmelzen nur sehr langsam dahin. Schlussendlich komme ich aber kurz vor 18 Uhr an der Stadtgrenze an. Ich folge der Hauptstraße und finde mich wieder zwischen diversen Sportpalästen und großen Alleen. Von dem angekündigten Altstadtkern nichts zu sehen. Ein paar Straßenpolizisten weisen mir dann aber den Weg ins Stadtzentrum.
In Uzbekistan muss man sich als Tourist alle 72 Stunden in einem Hotel registrieren lassen. Mein Hintern zeigt schon leichte Schwächeerscheinungen und somit beschieße ich, bereits in Buchara einen Ruhetag einzulegen. Ich bin direkt ein wenig geschockt von der Dichte an Touristen hier im Stadtzentrum. Die ersten Hotels, die ich aufsuche sind alle ausgebucht, oder bei weitem zu teuer. Schlussendlich werde ich dann aber freundlich winkend in eine Herberge gelotst, die genau meinem Geschmack entspricht. Für 10 Dollar gibt es ein Bett im 6er Zimmer. Ich bin nicht der einzige Gast, der mit einem zweirädrigen Gefährt angekommen ist. Der Innenhof ist bereits vollgeparkt mit schweren Motorrädern aus allen Herrenländern. Allesamt sind sie auf dem Weg in Richtung Tajikistan zum Pamir Highway. Für die meisten Motorradfahrer offenbar auch eine Top-Destination.
Für den Rest des Tages verlasse ich die Unterkunft nur noch, um Getränke zu kaufen. Nach Tagen der Ruhe plötzlich fas aggressives Treiben im Altstadtkern. Ich werde mir morgen in aller Ruhe ein Bild vom Stadtkern machen. Für heute bin ich froh, eine gemütliche Unterkunft gefunden zu haben. Unter den Bikern sind sogar zwei Deutsche, mit denen ich mich den restlichen Abend über das Reisen auf zwei Rädern unterhalte.

Tag 94 – 5.Mai

Bukhara, Ruhetag; 24 – 37 Grad
Hotel

Zwischenstand: 7323km; 360:32h im Sattel;

Nachdem die Abendtemperaturen gestern noch so angenehm waren, hatte ich kurzentschlossen die Nacht im Innenhof des Hotels verbracht. Unter freiem Himmel zu schlafen war der Option des nicht klimatisierten 6er Zimmers definitiv vorzuziehen. Kurz nach Sonnenaufgang war ich dann auch schon munter und nutzte die Gunst der frühen Stunde, um die noch menschenleere Altstadt zu erkunden. Das sanfte Morgenlicht taucht die Gassen in eine ganz spezielle Stimmung.
Zum ersten Mal spürt man den Flair der legendären Seidenstraße. Jetzt, da noch keine Touristen die Gassen bevölkern kann man sich richtig vorstellen, dass sich die Stadt langsam mit Kaufläuten aus aller Herrenländer füllt. Ein Großteil der Altstadt ist vor kurzem bis aufs Kleinste restauriert worden. In den meisten Gebäuden haben sich Hotels angesiedelt.
Schon gestern Abend hatte ich gemerkt, dass das Preisniveau hier um einiges höher ist, als auf dem Land. Offenbar bringen vor allem die russischen Touristen viel Geld in die Stadt. Der Einkauf im Supermarkt ist gleich mal um ein vielfaches teurer, als bisher. Auch die Hotelpreise sind grundsätzlich sehr hochpreisig. Mit meiner Unterkunft hatte ich offenbar wirklich Glück.
Ich schlendere ganz entspannt durch die gerade erwachende Stadt und treffe auf John und Gayle, ein Radlerpaar aus der Nähe von Manchester, die sich gerade aufmachen, um in Richtung Samarkand weiterzufahren. Erstaunlich mit wie wenig Gepäck die Beiden unterwegs sind. Für sie steht auch der Pamir Highway auf dem Programm. Nachdem sie sich aber für ein 45 Tage Visum entschieden haben, wollen sie das Pamir-Gebirge voll auskosten. Ich denke, dass ich ihnen unterwegs sicher noch einmal begegnen werde.
Für mich steht heute einmal richtig Ausspannen auf dem Programm. Die letzten Tage waren doch sehr kräftezehrend und so tut es einmal richtig gut, den Tag völlig entspannt beginnen zu können. Gegen neun Uhr treibt mich die Hitze dann aber schon wieder in den schattigen Innenhof des Hotels zurück. Ich frühstücke in aller Ruhe und sehe den restlichen Gästen dabei zu, wie sie in die Stadt ausschwärmen.
Nun bin ich seit gut drei Monaten unterwegs. Über 7000km liegen schon hinter mir, das Abenteuer Zentralasien beginnt gerade. Vor mir liegen nur noch Tajikistan, Kirgistan, Kasachstan und dann kommt auch schon der große Brocken China. Wenn ich einen Blick auf die Karte werfe, bin ich selbst erstaunt, wie weit ich schon gekommen bin. Während der letzten Wochen in denen ich immer wieder durch wüstenartige Regionen geradelt bin, haben sich meine Gedanken immer wieder um die Königsetappe Pamir Highway und Kirgisien gedreht. Es sind nur noch ein paar Wochen, dann gehts hoch hinaus! Das monotone Radeln im Flachen zermürbt auf Dauer ein wenig.
Ich bin gespannt, wen ich in den nächsten Wochen noch alles auf dem Rad treffen werde. Die Saison beginnt gerade und die Routen der Einzelnen bündeln sich nun langsam.
Nachdem ich den halben Tag im schattigen Innenhof verbracht habe, ziehe ich am Nachmittag noch einmal los. Das Gesicht der Stadt hat sich nun ziemlich geändert. Morgens gab es noch viele idyllische Plätze die jetzt alle mit Souvenierständen bevölkert sind. Fast schon ein Kulturschock auf einmal mit so vielen Touristen konfrontiert zu sein. Ich lasse mich trotzdem durch die Gassen treiben und lande plötzlich wieder im Wohnviertel, abseits der Touristenströme. Zwei Pensionisten sitzen im Schatten vor ihrem Haus und versuchen mir ihre Lebensgeschichte näherzubringen. Der eine erzählt mir ständig davon, dass er für Gorbatschow per LKW Diesel nach Deutschland transportiert hat. Ein paar Brocken Deutsch sind von der Zeit noch übrig geblieben. Den Wahrheitsgehalt der Geschichte bezweifelt sein Nachbar aber auch und ich versuche mich elegant aus der Affäre zu ziehen und schlage die Einladung auf den Wodka bei ihm zuhause aus.
Die Altstadt von Bukhara ist nahezu autofrei. Um den historischen Kern haben sich simple, einstöckige Wohnhäuser angesiedelt. Fast jedes Haus hat einen kleinen Garten und eine Bank vor dem Haus. Weinreben spenden den notwendigen Schatten. Ein bisschen ungewohnt ist das direkte Nebeneinander von intensivem Tourismus und sehr simplem Wohnen. Ich schlendere noch ein wenig durch die engen Gassen und lande plötzlich vor gigantischen Wehrmauern der antiken Festungsanlage. Meiner Meinung nach aber das schönste Gebäude in ganz Bukhara befindet sich direkt gegenüber der Festungsanlage: Die Bolo Xauz Moschee aus dem 18.Jhdt. Beeindruckend die hölzernen Säulen, von denen jede einzelne unterschiedlich verziert ist. Staunend stehe ich einige Zeit zwischen den Säulen und lasse meinen Blick über die farbig verzierte Decke schweifen. Kurz darauf werde ich von einer Vierergruppe Uzbeken zu sich gerufen. Eine von ihnen spricht recht gut Englisch und so kommen wir leicht ins Gespräch. Schlussendlich die obligatorischen Fragen, nach Alter, Kindern, Frau etc… Eine der Vier ist ebenfalls in meinem Alter und noch nicht verheiratet und schon werden Pläne geschmiedet. Für mich wird es also langsam Zeit, wieder weiterzuziehen…
Hier in Bukhara sind die Einheimischen offenbar primär daran gewöhnt, dass Touristen in großen Gruppen auftreten. Einzeltouristen, die sich dann auch noch etwas abseits der großen Masse bewegen erregen dann doch wieder Aufmerksamkeit. Fahrradtouristen sind hier jedenfalls keine Seltenheit. Man muss nur kurz erwähnen, dass man mit dem Rad gekommen ist, dann wird einem die weitere Route schon geschildert. Zum ersten Mal seit ich aufgebrochen bin wird diesmal nicht vor den Nachbarländern gewarnt. Die Beziehungen zu Tajikistan und Kirgistan scheinen also ganz gut zu sein. Einzig vor Kasachstan wird immer wieder “gewarnt”.
Ein wirklich erholsamer Tag in Bukhara geht langsam zu Ende. Zum Abendessen bin ich noch mit Laura verabredet. Ich habe sie beim Grenzübertritt nach Uzbekistan kennengelernt. Sie reist schon längere Zeit alleine und bewegt sich primär mit öffentlichen Verkehrsmitteln fort. Zufällig habe ich sie heute Nachmittag in der Stadt wieder getroffen. Nachdem die Altstadt aber recht überschaubar ist, war das zu erwarten. Laura hat auch viele Geschichten zu erzählen. In den 70er Jahren hatte sie ein Jahr in Nepal verbracht, hat ein Jahr in Moskau gelebt und ist in regelmäßigen Abständen immer wieder auf längeren Reisen. Mit ihren Russischkenntnissen kommt sie in der Region natürlich sehr gut zurecht. Als Alleinreisende ältere Frau fühlt sie sich gerade in Zentralasien besonders wohl.
Viele Leute haben nun schon recht von Samarkand geschwärmt, ich bin also gespannt, was mich in drei Tagen dort erwartet. Womöglich lege ich noch einmal einen Ruhetag ein. Nachdem man sich in Uzbekistan ohnehin alle 72 Stunden in einem Hotel registrieren lassen muss, bin ich eh gezwungen in Samarkand ein Hotel aufzusuchen. Bis dahin lasse ich mich aber noch überraschen. Ich hoffe, dass der abendliche Regen für morgen etwas Abkühlung mit sich bringt.