Tag 97 – 99 (08. – 10.Mai)

Samarkand: 3 Ruhetage
Hotel

Bisher war immer ich derjenige, der als Erster aufgebrochen ist, heute starten die Motorradjungs in Richtung Pamir Highway und ich sehe mir das Spektakel vom Hoteleingang aus an. Man kann durchaus von Spektakel reden. Zuerst verwandeln sich die zuvor ganz handsam wirkenden Burschen in kriegerähnliche Gestalten, dann werden bei laufendem Motor die Maschinen bepackt. Umständlich manövrieren sie ihre schweren Maschinen vom Parkplatz auf den Gehsteig und schlingern in Richtung Straße. Noch ein kurzes Aufheulen der Motoren und dann sind sie verschwunden.
Für mich heißt es jetzt ebenfalls Sachen packen und   in die Unterkunft meiner Wahl umziehen. Bahodir B&B ist offenbar ähnlich wie Vali´s Homestay eine bekannte Größe bei Fahrradtouristen. Ein begrünter Innenhof bietet ausreichend Platz um im Schatten dem Trubel der Stadt zu entkommen und den müden Beine ein wenig Ruhe zu gönnen. Die Wand hinter dem langen Esstisch ist voll mit Postkarten, Visitenkarten, Fotos etc. die Fahrradreisende, Motorradtouristen, Backpacker oder Globetrotter mit dem Caravan hinterlassen haben. Man findet auch ein paar bekannte “Gesichter”, von denen man in verschiedenen Internetblogs schon gelesen hat.
Gegen Mittag rollen auch Gayle und John (http://slothsonwheels.blogspot.com) bei Bahodir ein. Ich schlendere etwas plan- und orientierungslos durch die Stadt und versuche erst einmal ein Gefühl für den Ort zu bekommen. Ähnlich wie Bukhara ist auch Samarkand von vielen Touristen bevölkert. Schon am ersten Tag in der Stadt fällt auf, dass die Stadt stets zwei Gesichert hat. Einerseits gibt es das strahlend saubere und grüne Samarkand, das man hauptsächlich um die Hauptattraktion, den Regestan findet, und andererseits gibt es auch die nicht asphaltierten Straßen mit den einfachen Häusern, offenen Kanalrinnen und freilaufenden Hühnern. Der große Lebensmittelmarkt, an dem ich bereits gestern mit dem Rad vorbeigefahren bin wirkt auf mich irgendwie zu geordnet. Es scheint so, als ob die Anlage erst vor kurzem in Betrieb genommen wurde. Wie auf dem Bazar sind die einzelnen Produkte stets auf einem Ort konzentriert. Über den Köpfen der Markthändler weisen Schilder auf Uzbekisch und Englisch zu den einzelnen Abteilungen. Ein bisschen fühlt man sich wie im Supermarkt und weniger wie auf einem orientalischen Markt. Dennoch kann man sich langsam durch die Reihen der Marktstände schieben lassen und die Vielfalt an Gewürzen, Nüssen, Reis und Mehl bestaunen. Die Auswahl an Obst und Gemüse ist eher beschränkt. Es wird primär regionales verkauft. Gurken und Tomaten, ein paar Erdbeeren, Kartoffeln, Zwiebeln, Karotten etc. Exotische Früchte sucht man vergeblich.
Ich informiere mich schon mal über den aktuellen Dollarkurs auf dem Bazar. Offenbar hatte ich an der Grenze relativ schlecht getauscht. Es ist aber auch schwer, wenn man nicht weiß, wie der offizielle Schwarzmarktkurs ist. Ganz offiziell ist der Dollarkurs 1:2200. Ich hatte an der Grenze 1:2700 gewechselt, hier auf dem Bazar bekommt man aber nach ein bisschen Handeln 3000 SOM für 1Dollar.
Im Gegensatz zu Bukhara ist Samarkand viel weitläufiger. Die Sehenswürdigkeiten sind über die ganze Stadt verteilt und so legt man doch einige Meter zurück wenn man von einem Ort zum anderen will. Für den ersten Tag hatte ich mir aber nicht allzuviel vorgenommen. Vielmehr wollte ich einfach einmal die Atmosphäre aufschnappen. In der Nähe der großen Tamur-Statue wird die Springbrunnenanlage von ein paar Jungs als Swimmingpool verwendet. So etwas sollte eigentlich in jeder Stadt existieren. Gerade bei solchen Temperaturen wäre Baden in den städtischen Brunnen eigentlich perfekt…
Schon auf dem Weg in Richtung Samarkand ist mir aufgefallen, dass überall geputzt und erneuert wird. Die Betonleitplanken werden per Hand neu gestrichen, Gras wird aus den Ritzen der Gehsteigplatten gezupft, in der Stadt werden die Absperrgitter neu gestrichen, die Schulkinder putzen die Fenster der Klassenzimmer und der Rasen wird mit der Schere zurechtgestutzt… Es wirkt so, als ob sich das Land für einen großen Augenblick herausputzt. Mitte Mai findet in Samarkand eine große Wissenschaftskonferenz statt. Scheinbar kommt der Präsident auch vorbei. Mag sein, dass dies Grund genug dafür ist, dass jeder zum Putzdienst erscheint. Allerdings muss ich mich schon fragen, wieviel freier Wille hier wirklich vorhanden ist. Paradoxe Welt. Auf der einen Seite Straßen, die mit Schlaglöchern gespickt sind, aufgebrochene Gehsteige, fehlende Kanalisation etc. und auf der anderen Seite frischer grüner Rasen, der per Hand zurechtgestutzt wird.
Der Putzgedanke springt aber schlussendlich auch auf mich über und ich gönne meinem Rad die lange ersehnte Reinigung. Die letzten Tage im Iran und Turkmenistan hatten doch ordentlich viel Staub in die Kette getrieben. Vor dem Hostel wird das Rad geputzt, laufend kommen Neugierige vorbei und begutachten mein Werkzeug und das Rad. Zwei Burschen sind besonders neugierig und scherzen ein wenig mit mir, ob ich ihnen nicht den Letherman oder mein Schloss schenken möchte. Auf einmal flitzt einer der beiden mit meinem Satz Imbusschlüssel davon. Anfangs denke ich, der Rotzlöffel kommt gleich wieder, doch offenbar ist die Freude über den eben erstandenen Schatz so groß, dass er sich nicht mehr blicken lässt. Ein wenig enttäuscht beende ich den Großputz, wechsle mal wieder die Kette und lasse den Tag in aller Ruhe ausklingen.

Zum Glück gibt es trotz Feiertag einen Laden in direkter Nähe zum Hostel, der Imbusschlüssel verkauft. Somit ist der Werkzeugsatz wieder komplett.
Im Hostel fällt mal wieder das Internet aus und ich weiche schließlich ins Hostel des Sohnes aus. Dort gibts funktionierendes Netz. Anfangs dachte ich, dass die Internetversorgung im Iran schwierig war, aber jetzt werde ich eines Besseren belehrt. Überhaupt Internet zu finden ist schon mal eine Herausforderung und dass es dann auch einigermaßen flott ist, das ist eher ein Glücksspiel. Jederzeit kann die Verbindung auch wieder weg sein. Mal schauen, wie sich das ganze auf der weiteren Reise entwickelt. Für die Pflege des Blogs stellt das durchaus eine Herausforderung dar.
Im Hostel Abdu treffe ich auf Thomas und Thomas aus Dresden, die mit ihrem Rad von Tehran in Richtung Tashkent unterwegs sind. Die beiden hatten bereits im Iran Gabu aus Ungarn getroffen. In den letzen Tagen war Gabor ja mit Gayle und John unterwegs. Somit wird kurzerhand noch ein Treffen in meinem Hostel vereinbart. Während wir uns dann zum zweiten Mal verabschieden rollt gerade ein weiteres Fahrradpaar in Richtung unseres Hostels. Auf einen Schlag 8 Fahrradfahrer… Wie es scheint, bleibt man in Uzbekistan wirklich nicht lange alleine. Und die meisten kennen sich von unterwegs.
So… für heute hatte ich mir vorgenommen, mal ein wenig mehr von der Stadt zu sehen. Fürs erste muss aber erst mal Geld gewechselt werden. Am Bazar ist ein Geldwechsler schnell gefunden, allerdings muss ich hart verhandeln, bis ich den gewünschten Wechselkurs bekomme. Dafür werde ich aber auch noch meine eingerissene 20 Dollar Note los, von der ich schon gedacht hatte, dass sie niemand mehr annimmt. Bisher wurde jeder Dollar Schein ganz genau auf eventuelle Fehlstellen hin untersucht. Ein wenig paradox, wenn man betrachtet, wie die lokale Währung behandelt wird…
Mein erster Eindruck von gestern verstärkt sich auch heute wieder. Immer wieder werden einem die unterschiedlichen Gesichter der Stadt bewusst. Es gibt eine ziemlich harte Grenze zwischen dem touristischen Samarkand und dem Teil der Stadt, der primär von Einheimischen benutzt wird. Vermutlich existiert diese Grenze so stark weil die meisten Touristen in großen Gruppen unterwegs sind und sich demnach auch nur auf vorgegebenen Pfaden bewegen. In den ruhigen Seitengassen wird dann immer wieder mal auch das Gespräch gesucht. Voller Stolz zeigt mir ein älterer Herr seinen kleinen Garten mit den Maulbeerbäumen und weist mich mehrfach darauf hin, dass die drei Häuser dahinter alle ihm gehören. Es wirkt so, als ob sich wirklich nur sehr selten Touristen in diesen Teil der Stadt verirren.
Auf der Suche nach interessanten Flecken verschlägt es mich auf den Friedhof. Zu meiner Überraschung versammeln sich dort eine Vielzahl beeindruckender Mausoleen. Von der Ferne hatte ich nur die chaotisch angeordneten Grabsteine auf dem hügeligen Gelände ausmachen können, aber jetzt findet man sich in Mitten von detailreichen kleineren Mausoleen. Da ich den Friedhof praktisch vom Hinterausgang her betreten habe, bin ich auch um das obligatorische Eintrittsgeld gekommen. Ich hatte mich schon gewundert, dass für die Besichtigung der Mausoleen kein Eintritt zu bezahlen ist, aber als ich zum Haupteingang kam, sah ich dann schon die Kasse… Das Eintrittsgeld zu den großen Sehenswürdigkeiten ist teilweise recht ordentlich. Da sammelt sich über den Tag schon einiges zusammen. Nachdem ich ohnehin ohne Reiseführer unterwegs bin, lasse ich mich einfach überraschen, was mir über den Weg läuft. Auch hier in Samarkand ist das Friedhofsareal sehr hügelig. Gräberhügel würde wohl eher passen. Als ich auf dem Weg nach Samarkand war sind mir unterwegs auch schon derartige Gräberhügel aufgefallen. Besonders interessant anzusehen sind die vielen Portraits der Verstorbenen. Man kann recht deutlich erkennen, dass das große Areal in Volksgruppen aufgeteilt ist. Aber alle teilen offenbar die Tradition, ein großes Portrait auf den Grabstein gravieren zu lassen.
Mein Weg führt mich in den Teil der Stadt, der von den Russen errichtet wurde. Mit der Altstadt gibt es praktisch keine Verbindung. Hier wieder ein völlig anderes Bild. Große Alleen mit vielen Bäumen, Sowjetarchitektur und sogar eine russische Kirche… Man fühlt sich wie in einer völlig anderen Welt. Nichts mehr zu spüren vom Seidenstraßenflair.
Von der Fußgängerbrücke die zum Regestan führt hat man einen herrlichen Blick auf die vor mir liegenden Berge. Zwar ist es ein wenig diesig, doch immerhin lassen sich die schneebedeckten Gipfel erkennen. Ein erster Vorgeschmack auf das, was mich in den nächsten Wochen erwartet.

An meinem dritten Ruhetag betrachte ich die Stadt noch einmal im frühmorgendlichen Licht. Auch jetzt wird wieder eifrig gekehrt und geputzt. Es weht eine kühle Briese durch die Stadt, doch diese frühmorgendliche Stimmung, wie ich sie in Bukhara erlebt habe, kommt hier irgendwie nicht auf. Viel zu viel Trubel bereits um kurz nach sechs.
Ich beschließe, genug von der Stadt gesehen zu haben und ziehe mich erneut ins Hotel Abdu zurück um dort Informationen für die weitere Reise zu sammeln. Im Kopf bin ich schon wieder auf der Straße. Wenn alles klappt werde ich in zwei Tagen mit Tyson und Hanne zusammentreffen. Zuletzt hatten wir uns in Tiflis gesehen und noch darüber gescherzt, dass wir uns ja noch einmal in Uzbekistan treffen könnten.
Die Tage, an denen man wirklich nichts macht sind sehr selten auf dieser Reise. An meinem dritten Tag in Samarkand gönne ich mir einmal den Luxus, nur im Schatten zu sitzen, im langsamen Internet zu surfen und Emails zu lesen / zu schreiben. Ein bisschen Kontakt mit der Heimat… Darüber hinaus stehen diverse organisatorische Dinge an, die stets verschoben wurden, genau dazu ist jetzt der richtige Moment.
Zum ersten Mal mache ich mir jetzt schon Gedanken über die Rückreiseroute von Moskau aus. Das Visum für Russland kann ich leider nicht unterwegs beantragen, weshalb ich meinen Pass nach Deutschland schicken muss. Wenn das schon passiert, sollte ich mir im Vorfeld klar sein, ob ich noch ein alternatives Visum benötige. Von Moskau aus könnte man direkt über Weißrussland nach Polen reisen, oder alternativ über die Baltischen Länder ausweichen. In Bishkek möchte ich meinen Pass dann in die Heimat schicken, bis dahin sollte ich mir im Klaren sein, wie es dann weitergeht. Nachdem ich mir das Russische Visum zuschicken lassen muss, werde ich vermutlich meine Reiseroute ein wenig ändern. Anfangs wollte ich direkt von Peking aus nach Wladiwostok reisen. In China läuft aber irgendwann das Visum aus, weshalb ich lieber in Südkorea auf die Post mit dem Visum für Russland warte.
Derartige organisatorische Dinge erledigt man stets sehr ungern von unterwegs. Am liebsten würde ich einfach immer weiterradeln, aber dafür leben wir noch in einer Welt mit zu vielen Grenzen. Zum Glück öffnen sich immer mehr Länder. Noch vor kurzem musste man für Kirgistan ein Visum beantragen, jetzt kann man ganz entspannt ohne einreisen. Auch die Mongolei öffnet sich jetzt – zumindest schon mal für Deutsche. Hier kann man seit letztem Jahr nun auch für 30 Tage ohne Visum einreisen. Also vielleicht doch noch ein Abstecher in die Mongolei???
Nun gut, darüber kann ich mir noch lange genug Gedanken machen. Meine Tage in Samarkand sind nun langsam gezählt. Es geht wieder weiter. Erst mal in Richtung Süden und dann auf nach Dushanbe! Tag 100 steht bevor…