Tag 134 – 14.Juni

Osh – 30km vor Jalal-Abad: 80km; 4:19h im Sattel; 27 – 36 Grad, Sonne
Camping

Die zwei Tage in Osh hatten sehr gut getan. Ich fühlte mich wieder fit und freute mich auch schon wieder auf die kommende Etappe bis Bishkek. Gestern Abend wurde noch das Höhenprofil der Strecke studiert. Es stehen einige Höhenmeter bevor. Franzi und Jona wollten ebenfalls heute wieder aufbrechen und so starteten wir gegen Mittag gemeinsam in Richtung Jalal-Abad. Als Startetappe war die heutige Strecke ideal. Auf gutem Asphalt verlief die Strecke hauptsächlich flach, oder mit leichtem Gefälle. Einzig der starke Verkehr war etwas störend.
Die vielen Esel, die wir bisher immer gesehen / gehört hatten werden langsam weniger, dafür sieht man immer mehr Pferde. Schafherden sieht man auch kaum noch, dafür prägt jetzt die Landwirtschaft die Umgebung. Überall sieht man Getreidefelder. Die sanften Hügel leuchten in unterschiedlichsten Grüntönen. Der Geruch von frischem Heu liegt in der Luft, bis zum absoluten Maximum beladene Kleinlaster transportieren Heuballen in die benachbarten Dörfer.
Auf der Strecke treffen wir auf Simon und Kathrin aus Australien, die mit ihrem PKW von Australien in Richtung England unterwegs sind. Ihr Weg führt sie ziemlich genau auf derselben Strecke nach Europa, die ich mit dem Rad in die andere Richtung gefahren bin. Bisher waren sämtliche Wohnmobile die ich auf der Strecke gesehen hatte ohne anzuhalten an mir vorbeigefahren. Es war recht interessant, einmal die Erfahrungen eines Autofahrers zu hören. Auf China bin ich jetzt auf alle Fälle schon sehr gespannt. Vor allem von der Mentalität der Menschen soll sich dort im Verhältnis zu Zentralasien einiges ändern. Ich lasse mich überraschen.
Seit ich in Kirgistan bin ist mir aufgefallen, dass es wieder erstaunlich viele Moscheen gibt. In Tajikistan sah man kaum welche, aber jetzt gibt es teilweise mehrere im selben Dorf. Teilweise sieht man die Frauen noch mit Kopftuch, aber teilweise auch in kurzen Hosen und mit schulterfreien Tops. Die Mischung ist noch etwas ungewohnt. Religion spielt nun aber definitiv wieder eine größere Rolle.
Erstaunlich finde ich den kreativen Einsatz von Überseecontainern. Man sieht sie praktisch überall. Mich wundert ein wenig, woher die Container alle kommen, aber die Leute setzen sie recht kreativ ein. Man sieht Dächer, die mit Wandelementen gedeckt sind, Gartenzäune, Kioske, Werkstätten, oder sogar mehrstöckige Häuser.
Die Sonne brennt heute einmal wieder erbarmungslos auf uns herab. Bei fast jeden Fluss, über den wir fahren, sieht man Gruppen von Burschen beim Baden. Im Wasser kommt man mit den Sommertemperaturen wohl am besten zurecht.
Kurz vor Jalal-Abad kommt man an einem großen See vorbei. Leider eignet sich das Ufer nicht sonderlich gut zum Zelten, also gehts noch einmal ein paar Höhenmeter hinauf. Wir zweigen von der Hauptstraße ab und finden einen netten Platz in Mitten von Getreide- und Sonnenblumenfeldern. Gerade als wir das Zelt aufstellen wollen, sehe ich in der Ferne einen Radler in Richtung Osh strampeln. Wir sind zu weit von der Straße entfernt, sodass er unser Rufen nicht hört. Die Gelegenheit wollen wir aber nicht verstreichen lassen, also werfe ich mich noch einmal kurz aufs Rad und verfolge Zac. Er kommt aus England und ist auf dem Weg nach Vietnam. Seit sieben Monaten ist er jetzt schon unterwegs. (Zac Newham – www.thesolocyclist.com Es bedarf keiner großen Überredungskunst ihn davon zu überzeugen, heute gemeinsam mit uns zu zelten. Unerwartet also auf einmal zu viert… Morgen geht es für uns aber wieder in unterschiedliche Richtungen weiter. Trotzdem freut man sich darüber, mit anderen Radlern sich austauschen zu können.

Tag 135 – 15.Juni

30km vor Jalal-Abad – kurz vor dem Kaldama Pass: 84km; 5:24h im Sattel; 13 – 32 Grad, bewölkt / Regen
Camping

Zac gehört nicht unbedingt zu den Frühaustehern, weshalb er sich erst zu uns gesellte, nachdem wir mit dem Zusammenpacken fast fertig waren. Wir plauderten noch ein wenig und rollten dann in Richtung Jalal-Abad. Auf dem Weg dorthin trafen wir erneut auf zwei Radler. Gerade hier in der Gegend scheint man jeden Tag jemanden treffen zu können. Bishkek ist für viele der Ausgangspunkt für eine Zentralasien-Tour.
Bis Jalal-Abad ging es sehr gemütlich dahin. Die Stadt überraschte mich ein wenig. Ich hatte nur ein etwas größeres Dorf erwartet, aber statt dessen fanden wir uns in Mitten von geschäftigem Treiben. Die Hauptstraße war voll von Geschäften und die Straßen waren voll von Leuten. Wir deckten uns noch einmal mit Lebensmitteln ein, weil offenbar längere Zeit vor und nach dem anstehenden Pass keine Einkaufsmöglichkeit mehr besteht. Die Wasservorräte wollten wir so spät als möglich auffüllen, um etwas Gewicht zu sparen. Vormittags waren wir noch mit Sonnenschein gesegnet, da schmeckte das Eis in Jalal-Abad auch besonders gut. Nachmittags zog es dann aber zu und zu unserer Linken braute sich eine immer schwärzer werdende Schlechtwetterfront zusammen. Wir hofften ständig darauf, dass der Wind die pechschwarzen Wolken ins Nachbartal treiben würde, aber dieses Mal hatten wir kein Glück. Wir kamen gerade an einer Ansammlung von Jurten vorbei und füllten hier unsere Wasserflaschen auf. In den vorangehenden Dörfern waren die Wasserhähne entlang der Straße alle leer. Sonderlich vielversprechend sieht das Wasser hier aber auch nicht aus. Es riecht leicht muffelig und so richtig klar ist es auch nicht…
In einer der Jurten trafen wir auf Andreas und Hans, zwei Motorradfahrer aus Regensburg / Flachau. Die Beiden waren in Ulan Bator mit ihren Maschinen gestartet und fahren jetzt zurück in die Heimat. Eine Wohltat, einmal wieder heimatlichen Dialekt im Ohr zu haben. Die Beiden kamen gerade von der Strecke die noch vor uns liegt. Es wird sicherlich kein Spaziergang zum See werden, aber offenbar lohnt sich die Mühe. Ich bin schon mehr als gespannt. Die vor uns liegende Schlamm und Schotterpiste versuche ich momentan noch zu verdrängen.
Seit einigen Kilometern sieht man jetzt immer häufiger Jurten am Straßenrand. In der Nationalflagge von Kirgistan findet man ja einen klaren Verweis auf die Jurten. Der Kreis mit den gebogenen Linien stellt die Dachöffnung der Jurte dar.
Gerade wenn es draussen ordentlich regnet, ist man froh, in einer geräumigen Jurte sitzen zu können. Wir hoffen darauf, dass der Regen noch ein wenig nachlässt und lassen uns in der Zwischenzeit bekochen. Die regionale Küche ändert sich nun schon ein wenig. Zum Fleisch gibt es jetzt Kartoffeln, eine sehr willkommene Abwechslung. Zu unserem Glück lässt der Regen etwas nach und wir können noch ein paar Kilometer radeln. Nach und nach steigt die Straße an. Den Asphalt haben wir schon seit einiger Zeit hinter uns gelassen und es geht auf einer, nach dem Regen etwas glitschigen Schotterpiste weiter. Den Pass können wir leider noch nicht sehen, die Sicht ist durch den Nieselregen und den Nebel etwas eingeschränkt. Nachdem wir das Zelt abseits der Straße aufgeschlagen hatten, reißt die Wolkendecke zum ersten Mal auf und gibt den Blick auf den zu überwindenden Berg frei. Schneefelder reichen weit hinunter, aber das Tal, das sich dem Berg nähert sieht sehr vielversprechend aus. Jetzt hoffe ich nur, dass sich der Regen bis morgen wieder verzieht. Bei Regen sinken die Temperaturen immer dramatisch ab, was gerade auf dem Pass nicht unbedingt von Vorteil ist. Auf Schneegestöber habe ich im Moment nicht so wirklich Lust.

Tag 136 – 16.Juni

25km vor dem Kaldama Pass – 5km vor dem Kaldama Pass: 18km; 1:54h im Sattel; 25 – 30 Grad, Sonne
Camping

Strahlender Sonnenschein empfing uns heute Morgen. Der Blick zur Bergspitze des Kaldama Pass war frei und das vor uns liegende Tal versprach einen landschaftlich reizvollen Anstieg. Viele Bäume säumen das tief eingeschnittene Flusstal. Den Fluss kann man nur von der Ferne sehen. Er führt sehr viel Sand mit sich, das Wasser ist fast schwarz, offenbar ist noch viel Schmelzwasser unterwegs.
Franzi hatte sich leider gestern den Magen verdorben. Ihr Appetit hielt sich am Morgen in Grenzen, aber sie war guter Dinge, den Pass heute überqueren zu wollen.
Gemeinsam schleppten wir die vollbepackten Räder wieder den steilen Hügel zur Straße empor und wollten gerade starten, als meine Kamera wieder ihren Dienst quittierte. Es scheint, als ob eine Schraube bei der Reparatur nicht richtig angezogen wurde, jetzt bewegt sich das Objektiv auf alle Fälle nicht mehr zurück. Eieiei, und ich hab mich schon so darüber gefreut, dass alles wieder funktioniert. Vielleicht habe ich ja in Bishkek mehr Glück. Für Jona lief es auch nicht viel besser. Schon nach 3km gab es die erste Zwangspause wegen eines platten Hinterrades. Franzis Befinden schien sich auch nicht unbedingt zu bessern und so legten wir nach 10km eine längere Pause ein. Im Schatten eines Baumes konnte man gut Zeit verbringen. Eigentlich rechnete ich jeden Moment damit, dass Enzo an uns vorbeiradelte. Gestern hatte er mir noch ein SMS geschickt, dass er heute um 6 Uhr aus Jalal-Abad aufbrechen will. Eigentlich hätte er uns jetzt schon einholen müssen. Spekulationen nahmen mal wieder ihren Lauf. Immer dann, wenn man nicht wirklich weiß was los ist, überlegt man sich alle möglichen Szenarien, weshalb und warum es jetzt so ist, wie es ist. Wir gingen davon aus, dass Enzo auf die Hauptstraße eingebogen ist und nicht auf dem Weg zum Pass ist. Er ist ja unseres Wissens nach ohne Karte unterwegs, da kann es schon vorkommen, dass man die Abzweigung in ein kleines Seitental verpasst.
Kurzzeitig fühlte sich Franzi wieder besser, aber das hielt nicht lange an. Wir entschieden, bei der Erstbesten Gelegenheit das Zelt aufzuschlagen und den Tag als Ruhetag zu beenden. Der Pass läuft uns nicht davon, den können wir auch noch morgen in Angriff nehmen. Mit Magenproblemen auf schlechten Straßen unterwegs zu sein ist schon schlimm genug, wenn es dann aber auch noch 1500 Höhenmeter zu klettern gilt, dann muss man sich die Kräfte gut einteilen.
Ich nutzte die Gelegenheit und servicierte mein Hinterrad. Der Freilauf hatte offenbar etwas Wasser abbekommen und lief nicht mehr so rund. Das entscheidende Werkzeug um den Freilaufkörper zu demontieren hatte ich natürlich nicht dabei, aber mit ein bisschen WD40, Fett und Öl bekam er zumindest ein bisschen der ursprünglichen Leichtgängigkeit zurück.
Wir hatten unsere Wasservorräte gestern auf die Überquerung des Passes ausgerichtet. Hier in der Gegend sind Wasserquellen rar gestreut. Der Fluss ist zwar nur ein paar Meter entfernt, führt aber sehr sedimenthaltiges Wasser. Es wird Zeit, zum ersten Mal den Wasserfilter auszupacken. Seit Wien schleppe ich nun dieses schwere Ding mit mir herum und hatte es noch nie in Verwendung. Und siehe da, aus 5l schwarzem Wasser werden mit etwas Mühe 4l klares Trinkwasser. Der Filter verschlammt zwar ungemein, aber eine Möglichkeit zum reinigen werde ich morgen wohl finden.
Der Pass ist greifbar nahe. Man sieht bereits die letzten Serpentinen zum Gipfel. Zu beiden Seiten des Flusses steigen die Hänge steil an. Kühe und Pferde grasen auf den Wiesen, Zäune gibt es nicht und die Tiere können sich nach Lust und Laune bewegen. Ich bin erstaunt, wieviele verstreute “Dörfer” es gibt. Meist sind es nur Ansammlungen von Zelten, aber es sieht so aus, als ob sich die Leute durchaus für einen längeren Aufenthalt eingestellt haben. Aus den wenigen vorbeikommenden Autos wird man stets freundlich gegrüßt. Die Leute sind neugierig, aber nicht aufdringlich. Wenn das Zelt steht und man von der Ferne ein paar Einheimische sieht, wird zu meiner Überraschung meist nur kurz gewunken. Bisher war ich immer gewohnt, dass man umgehend belagert wird, sobald das Zelt gesichtet wurde. So macht Zelten richtig Freude.
Es ist immer wieder ein sehr schönes Bild, wenn eine Herde Pferde vorbeizieht. Schafe und Esel habe ich jetzt schon länger nicht mehr gesehen. Von den bisher gesehenen Herdentieren sind die Pferde definitiv die elegantesten.
Abends bekomme ich noch eine Nachricht von Enzo. Er hat ca. 5km von uns entfernt sein Zelt aufgeschlagen. Offenbar hatte er die Nachricht, die ich ihm mit Steinen auf die Straße geschrieben habe, nicht gesehen. Nun ja, vielleicht klappt es ja morgen, dass wir gemeinsam den Pass in Angriff nehmen.