16.Juli – Tag 166

Almaty – 5km hinter der Nationalparkschranke zum Issyk Tal: 78km; 3:54h im Sattel; 25 – 32 Grad, Sonne
Camping

Mein Gastgeber musste gestern Abend nach Peking fliegen, doch großzügigerweise durfte ich in seiner Wohnung bleiben. Es gab mal wieder einiges zu organisieren, bevor es wirklich losgehen konnte. Ein Kettenwechsel war mal wieder dringend notwendig und der Befestigungshaken meiner vorderen Packtasche musste auch ausgetauscht werden. Meine Behelfskonstruktion aus Alu-Draht hält dem intensiven Schütteln nicht wirklich stand, weshalb ich es jetzt mal mit einem Stahl-Draht versuche.
Ich bin ja in Wien mit insgesamt drei Ketten gestartet. Alle waren jetzt zweimal drauf und nun steht der dritte Durchgang an. Bin gespannt, wie weit mich Kette und Kassette noch tragen. Die Kettendehnung ist eigentlich schon an einem Punkt an dem man die Kette durch eine neue ersetzen sollte. Nachdem ich aber ohnehin noch eine Kassette im Gepäck habe, fahre ich jetzt mal so lange, bis wirklich nichts mehr geht. Ein wenig Sorge bereitete mir ja meine Lichtanlage, die nun völlig den Geist aufgegeben hat. Immerhin bekam ich vom Hersteller eine positive Rückmeldung. Nach einem Telefonat mit Busch und Müller darf ich mich auf ein Austauschgerät freuen. In Korea bekomme ich ja Besuch aus Österreich und bei dieser Gelegenheit wird dann auch das Licht durch ein neues ersetzt. Zumindest für die Herbst- und Wintertage gibts dann wieder ordentliches Licht.
Gegen 14 Uhr konnte ich dann endlich starten. Vorsorglich tauschte ich in Almaty noch ein wenig Geld in Chinesische Yen, sodass ich beim Grenzübertritt nicht wieder ewig nach einem Automaten suchen muss. Ich möchte nämlich eigentlich den weniger frequentierten Grenzübertritt etwas weiter im Süden ansteuern. So wie es aussieht, ist da im Umkreis von einigen Kilometern mit keinem Dorf zu rechnen.
Nun gut, der Geldbeutel ist wieder gefüllt, es kann losgehen. Ich wähle diesmal nicht die Hauptstraße, sondern bleibe auf der Nebenstraße, die relativ nahe an den, dem Bergmassiv vorgelagerten Hügeln verläuft. Zu meiner großen Überraschung erwartete mich allerbester Asphalt und ziemlich wenig Verkehr. Nach gut einer Stunde Fahrt bekam ich dann Gesellschaft von einem 19 jährigen Kasachen, der mich die ganze Zeit mit Fragen löcherte. Streckenweise kam ich dabei ziemlich ausser Puste, nachdem es immer wieder bergauf ging. Auf die Straße konzentrieren, das Rad den Berg hochhiefen und dabei sich noch darauf konzentrieren, was der Bursche neben mir meinen könnte, war diesmal schon direkt eine Herausforderung. Wir radelten gut 5km gemeinsam, dann drehte er wieder ab, allerdings nicht ohne zuvor noch gut 20 Fotos mit seinem IPhone geschossen zu haben.
Die Strecke auf der ich mich jetzt befand war um Grade schöner, als jene bei der Hinfahrt. Der Blick auf die Berge war frei, hin und wieder ging es durch ein Dorf und nur selten kam ein Auto vorbei. Meine Essensvorräte stockte ich diesmal erst in Issyk auf. Nachdem von Almaty aus regelmäßig Busse dorthin fahren hatte ich mit einer einigermaßen großen Infrastruktur gerechnet. Ich wurde auch nicht enttäuscht. Die Packtaschen wurden wieder mal für ca. drei Tage mit Essen und Trinken gefüllt und weiter ging die lustige Fahrt. Die Temperaturen lagen heute in einem sehr angenehmen Bereich, vom Dauerschwitzen wie bei der Hinfahrt keine Spur mehr.
Tasman hatte mir den Weg zum Issyk Plateau recht gut beschrieben, und so war es ein Leichtes, die richtige Abzweigung zu finden. Es ging immer noch auf Asphalt weiter, einem Bach folgend direkt hinein in die dünn bewaldeten Hügel. Nach gut 5km mussten 400 Tenge “Eintrittsgeld” bezahlt werden. Scheinbar ist das Tal hier auch so etwas wie ein Nationalpark. Auf mich wirkte es aber eher so wie ein Freizeit- und Erholungsressort. In regelmäßigen Abständen Picknickplätze neben der Straße, recht viele Jurten, die Kimiz und andere Pferdeprodukte verkauften, hie und da ein Restaurant. Landschaftlich hatte das Tal aber auch einiges zu bieten. Es war eine Freude, am Fluss entlangzuradeln, der sich stetig windenden Straße zu folgen und immer tiefer in die immer höher werdenden Hügel einzutauchen.
Ein netter Zeltplatz war schnell gefunden und ich hatte für morgen schon mal eine gute Ausgangsposition, um auf das Plateau zu kommen. Zelten in direkter Nähe zu einem Bach hat immer ziemlich viele Vorteile. Man kann Trinkwasser sparen, muss sich keine Gedanken über das Geschirrspülen machen und hat gleichzeitig auch noch eine feine Waschgelegenheit.

17.Juli – Tag 167

5km hinter der Nationalparkschranke zum Issyk Tal – 3km hinter Gipfel Issyk Plateau / Turgen: 32km; 3:24h im Sattel; 14 – 22 Grad, wolkig
privater Gastgeber

Almaty liegt auf ca. 900m Seehöhe. Nachts war es die letzten Tage immer noch ziemlich heiß. Jetzt befinde ich mich auf knapp 1200m und man braucht schon den Schlafsack, um Nachts nicht zu frieren. Schon erstaunlich was ein paar Kilometer Ortsveränderung so ausmachen können. Die Sonne ließ sich heute Morgen nur für ein paar Minuten blicken, doch für den bevorstehenden Aufstieg zum Plateau war ich ohnehin über etwas mehr Schatten ganz froh. Ich durfte noch gut 15km eine frisch asphaltierte Straße genießen, die sich parallel zum immer steiler abfallenden Fluss emporschlängelte. Es ging durch dichten Mischwald, bisher eine Seltenheit. Bis auf ein paar Bauarbeiter, die die vorhandenen Brücken für eine Verbreiterung vorbereiteten begegnete mir keine Menschenseele. Ich hatte die Ruhe gefunden, nach der ich gesucht hatte. Die Straße wurde immer schmäler bis ich schließlich eine Gabelung erreichte und nach links auf die Schotterstraße abbog. Von nun an ging es einige Kilometer enorm steil bergauf. Tasman hatte mich bereits vorgewarnt und obwohl ich ihm nicht ganz Glauben geschenkt hatte, musste ich mehr als einmal vom Rad, um die Steigung zu bewältigen. Vor allem der lose Untergrund machte mir zu schaffen und ein paar Mal fiel ich wieder vom Rad. Zum Glück aber ohne nennenswerte Blessuren.
Im Nachbartal konnte man eine dichte Regenfront erkennen. Ich hoffte nur, dass die Regenwolken auch dort blieben. Nach einiger Zeit wurde die Steigung wieder etwas moderater und ich konnte die Fahrt hoch zum Gipfel richtig genießen. Tasman hatte nicht zuviel versprochen. Landschaftlich war die Strecke wirklich ein Traum. Kurz bevor ich den Gipfel erreichte rissen die Regenwolken im Nachbartal auf und gaben den Blick frei auf die herrlich frisch eingeschneiten Berggipfel. Ein faszinierendes Bild. Frischer Schnee bedeutet aber auch recht tiefe Temperaturen und das konnte ich auch hier spüren. Bei 14 Grad, bedecktem Himmel und leichtem Wind fröstelt man schon mal, wenn man auf 2580m steht. Der Blick war frei auf das vor mir liegende Plateau. Mich erwartete ab jetzt nur noch Downhill. Zum Mittagessen war es mir auf dem Gipfelplateau doch zu kalt und somit startete ich gleich mal die Abfahrt.
Nach gut 3km war dann aber Schluss. Ein furchtbares Krachen am Hinterrad brachte mich zum Stillstand. Vermutlich hatte sich ein Ast verfangen, auf alle Fälle wurde das Schaltwerk in die Speichen gezogen. Teile waren abgebrochen, Teile ziemlich verbogen, doch was am meisten Sorge bereitete war, dass das Schaltwerk selbst ebenfalls ordentlich verbogen war. Was tun, her im Nirgendwo? Gut eine Stunde werkte ich am Schaltwerk und schaffte es schließlich zumindest wieder 7 Gänge von 9 zum Leben zu erwecken. Ideal war diese Behelfskonstruktion nicht wirklich, also beschloss ich wohl oder übel, den Rückweg nach Almaty anzutreten, um dort Ersatz für das Schaltwerk zu bekommen. Mir war ziemlich schnell klar, dass dies wirklich ein ernsthaftes Problem darstellt und ich war mir sicher, dass ich mit diesem Schaltwerk nicht bis zur chinesischen Grenze kommen werde. Und ich sollte Recht behalten. Nach nur 500m riss das Schaltwerk dann ganz ab. Nun war es also soweit, das Rad war nicht mehr fahrbereit. Das,wovor ich immer Angst hatte, war nun eingetreten. Kein Schaltwerk abseits von jeglicher Zivilisation… Hätte ich nur mal ein Ersatzteil eingepackt.
Ich überlegte kurz, ob ich auf Eingang-Betrieb umstellen und dazu die Kette entsprechend kürzen soll, doch nachdem es gut 100km bis Almaty waren, setzte ich eher auf eine Mitfahrgelegenheit. Ich war heilfroh, dass ich kein Gelübde abgelegt hatte, motorisierten Verkehr zu vermeiden. Chris, den ich in Dushanbe kennengelernt hatte, hat sich ja auf die Fahnen geschrieben niemals in ein Auto, oder einen Bus einzusteigen. Ich bin bisher ja auch ohne fremde Hilfe ausgekommen, aber jetzt war es soweit. Um die Chance auf eine Mitfahrgelegenheit zu erhöhen, marschierte ich wieder zurück zum Gipfel, da sich hier drei “Straßen” trafen. Ich stellte mich auf eine längere Wartezeit ein, da mir heute insgesamt vielleicht nur fünf Autos begegnet waren. Der Hunger machte sich schon langsam bemerkbar, doch den Kocher wollte ich nicht anwerfen, da dies nur hinderlich sein würde, wenn jemand anhält. Wie durch ein Wunder tauchte nach nur fünf Minuten ein Kleinbus auf. Nikolai war mit seinen drei Freunden für drei Tage beim Angeln gewesen und ist nun auf dem Rückweg nach Turgen. Im Bus war ausreichend Platz für meine Taschen und das Rad. Bevor es losging aber erst noch einen Schluck Wein. Hm, das auf nüchternen Magen… Na gut.
Im Bus wurde nur Russisch gesprochen und ich versuchte so gut es geht meine Geschichte zu erzählen. Es war schon später Nachmittag, also standen die Chancen nicht sonderlich gut, dass ich noch heute mein Ersatzteil in Almaty bekomme. Ich ging daher dankend auf Nikolais Angebot ein, heute bei ihm zu übernachten, da er morgen ohnehin nach Almaty zur Arbeit muss. Der Tag nahm eine äußerst positive Wendung.
Nikolai arbeitet als Sicherheitsbeamter in einer Bank, lebt aber mit seiner Großmutter im knapp 70km entfernten Turgen. Ein kleines Häuschen mit großem rückseitigen Garten, eine Kuh und zahlreiche Obstbäume versorgen sie mit dem Notwendigsten. Arbeit ist für ihn nur notwendiges Übel, am liebsten ist er so oft es geht in den Bergen. Als passionierter Jäger in vierter Generation zeigt er mir ganz stolz einige seiner Trophäen. Offenbar haben aber viel zu viele Freizeitjäger die Bestände in den nahegelegenen Bergen derart reduziert, dass praktisch kein Tier mehr zu sichten ist.
Nach ein paar weiteren Gläschen Wein – am Ortsrand von Turgen hat ein Franzose einen Weingarten – kam dann ein Teil der Beute der letzten drei Tage in die Pfanne. Frisch gebackener Fisch, was will man mehr? Vielleicht noch russische Sauna als Draufgabe? Ja, so ist es… Nikolai hatte direkt nach unserer Ankunft den Saunaofen angefeuert und jetzt hieß es schwitzen. Russische Sauna war mir bisher nur vom Höhrensagen ein Begriff. Nikolai taucht einen Buschen getrocknetes Eichenlaub den Wasserbottich und bearbeitet mich damit auf Vorder- und Rückseite. Nach zwei Durchgängen ist für mich Schluss. Ich habe das Gefühl, am ganzen Körper Verbrennungen zu haben und gleichzeitig fühle ich mich total entspannt. Die Sorgen über das gerissene Schaltwerk sind erst einmal weit weg. Der morgige Tag wird schon eine Lösung bringen…
Die Herzlichkeit mit der mich Nikolai und seine Großmutter empfangen ist überwältigend und ich wundere mich selbst darüber, wie man praktisch ohne Russischkenntnisse trotzdem einen ganzen Abend über Gott und die Welt diskutieren kann.

18.Juli – Tag 168

Almaty / Issyk – Gipfel Issyk Plateau: 50km; 4:31h im Sattel; 14 – 32 Grad, Sonne
Camping

Der frühe Vogel fängt den Wurm… ganz so früh hätte es meinetwegen aber nicht sein müssen. Bereits um 4 Uhr waren Nikolai und seine Großmutter auf den Beinen und bereiteten sich für den Start in den Tag vor. Kurz vor 5 Uhr verließ ich dann gemeinsam mit Nikolai, noch etwas schlaftrunken das Haus. Der frühe Start ist für Nikolai notwendig, da er die 70km bis nach Almaty stets per Mitfahrgelegenheit zurücklegt und daher ein exaktes Zeitmanagement nicht so leicht möglich ist. Heute scheint mein Glückstag zu sein. Gleich das erste Auto bleibt stehen und hat auch noch genug Platz, um Rad samt Gepäck mit aufzunehmen. Die aufgehende Sonne im Rücken brausen wir nun in Richtung Almaty. Einen größeren Zufall kann man sich wohl nicht vorstellen. Nikolais Arbeitsstelle ist nur gut 500m Luftlinie von Tasmans Appartement entfernt und ein Fahrradladen ist in Sichtdistanz von der Bank.
Erst einmal heißt es aber WARTEN. Um kurz nach 6 Uhr waren wir in der Bank, Schichtbeginn für Nikolai um halb 8, der Radladen öffnet aber erst um 10 Uhr… Nun gut, ich kann ja sonst eh nirgendwo hin, also warte ich vor dem Fahrradladen. Kurz vor 10 kommt der erste Mitarbeiter angeradelt. Gibts das passende Schaltwerk? Kasachstan ist ja angeblich das erste Land seit dem Iran, in dem man wieder qualitative Ersatzteile bekommt. Das Gerücht scheint sich zu bewahrheiten. Die Auswahl im Laden ist erstaunlich groß. Meine Glückssträhne scheint anzuhalten. Es gibt zwar kein LX Schaltwerk, dafür aber eines aus der XT Serie. Upgraden hat ja noch nie geschadet…
Man kann ja nicht dauernd Glück haben… auf dem Weg zum Bankautomaten stürze ich unglücklich von der Treppe und lande unsanft auf Knien und Handballen im Schotter. Eieiei, das wird mich wohl noch längere Zeit beschäftigen. Jetzt bin ich fast ein halbes Jahr sturzfrei durch die Welt geradelt und dann falle ich steif wie ein Stock von der Treppe… Keine Zeit, sich lange zu ärgern, das Schaltwerk muss eingebaut werden und dann solls auch schon wieder weitergehen. Für ein wenig Verwirrung sorgt, dass die Gänge nun in umgekehrter Richtung geschalten werden. Daran muss ich mich wohl noch ein wenig gewöhnen, aber sonst schein alles zu passen.
Nachdem ich praktisch ums Eck von Tasman bin, denke ich , dass ein kurzer Anruf nicht schaden kann. Vielleicht hat er ja Lust, mich aufs Plateau zu begleiten. Und wie es der Zufall so will, ist er gerade heimgekommen und hat nun zwei Tage frei. In nur 20min ist alles notwendige gepackt und wir radeln gemeinsam zum Busbahnhof. Die Strecke bis Issyk will ich jetzt wirklich nicht mehr mit dem Rad fahren.
In einem ehemaligen französischen Reisebus geht es zurück nach Issyk. Eine willkommene Gelegenheit, ein wenig Schlaf nachzuholen. Der Rest des Tages wird anstrengend genug werden. Obwohl wir erst um kurz vor 15 Uhr in Issyk auf die Räder steigen, wollen wir noch versuchen, es bis zum Gipfel zu schaffen. Kein leichtes Unterfangen, aber es gilt, ein wenig Zeit gutzumachen. Tasman ist nur mit einem leichten Rucksack ausgestattet und fährt meist ausser Sichtweite vor mir her, ich hechle hinterher. Die Strecke kenne ich jetzt ja schon, bin sie ja erst einen Tag zuvor gefahren. Einziger Unterschied, heute scheint die Sonne und taucht das Tal noch einmal in ein schöneres Licht. Der Ärger über das defekte Schaltwerk ist bereits verflogen und ich freue mich auf die vor mir liegende Strecke. Es kommt mir wie eine Ewigkeit vor, dass ich die Strecke gefahren bin. Vermutlich, weil doch einiges passiert ist in den Stunden, die dazwischen liegen.
Issyk Plateau zum Zweiten… es kann losgehen. Die wirklich steilen Stücke kenne ich jetzt ja schon und kann rechtzeitig vom Rad absteigen. Heute wird nicht mehr vorm Rad gefallen!
Es ist deutlich mehr Verkehr, was wohl am bevorstehende Wochenende liegt. Auf der unbefestigten Straße wird es jetzt stellenweise recht eng. Wir lassen uns davon aber nicht aus der Ruhe bringen und klettern weiterhin bergauf. Dem Luxus des Sonnenuntergangs entgehen wir leider um knapp 20 Minuten, aber auch so ist das Panorama auf dem Gipfel traumhaft. Die untergehende Sonne taucht die umliegenden Berge in ein feuriges Rot. Heute gibt es mal wieder einen Schlafplatz mit Traumpaorama… Schnell das Zelt aufstellen, weil es schon wieder recht frisch wird. Es dauert nicht lange und schon haben wir nur noch 4 Grad. Es ist schon dunkel und immer noch kommen Autos aufs Plateau gefahren. Wenn das so weitergeht, gibt es morgen noch Verkehrsstau auf dem Plateau.
Ich freue mich jetzt schon auf die vor mir liegende Strecke. Ich hoffe, dass ich mich nicht grundlos ein zweites Mal auf knapp 2600m geschleppt habe.

19.Juli – Tag 169

Gipfel Issyk Plateau – kurz vor Kokpek: 68km; 5:56h im Sattel; 19 – 27 Grad, Sonne
Camping

Heute Nacht waren wir nicht die Einzigen, die direkt am Gipfel übernachtet hatten. Frühmorgens standen noch ein paar Autos in unserer Nähe, nach Sonnenaufgang waren diese aber schon wieder verschwunden. Zeltplätze mit einem derart guten Blick wie den heutigen findet man wirklich nicht oft. Nur ein Flüsschen in der Nähe hätte die Situation noch besser machen können. Die morgendlichen Wolken verzogen sich auch bald und schon wurde es wieder angenehm warm. Das Plateau lag vor uns und wir starteten erst einmal in eine leichte Abfahrt. Meist auf Erdpisten ging es parallel zum Flusslauf gemütlich dahin. Nach und nach kamen dann immer wieder kurze Gegenanstiege, die sich gewaschen hatten. Aber im Hinterkopf blieb stets, dass wir in Summe wieder auf knapp 1000m hinabradeln.
Nur wenige verstreute Jurten finden sich auf dem Plateau. Manche finden weit oben in den zu beiden Seiten aufragenden Bergketten. Viele Kühe, Schafe und Pferde weiden am Plateau. Immer wieder vernimmt man das Pfeifgeräusch der Murmeltiere, die so vor Gefahr warnen. Einige der Artgenossen sind aber nicht mehr so schreckhaft und bleiben recht lange vor ihrem Erdloch sitzen. Näher als bis auf zehn Meter kommt man aber nicht heran. Blitzschnell sind dann auch die furchtlosesten in ihrem Bau verschwunden.
Ein bisschen fährt die Angst über einen möglichen technischen Defekt noch mit, aber das Vertrauen zum Rad steigt wieder. Tasman ist relativ oft hier in der Gegend, da er – solange es seine Arbeit zulässt – seine Gäste häufig aufs Plateau begleitet. Bei seinem letzten Ausflug hatte er bei einer Nomadenfamilie in deren Jurte übernachtet und wollte nun einige Fotos, die er damals gemacht hatte, vorbeibringen. Eigentlich hätte ich seine Bilder abliefern sollen, aber wenn er jetzt schon mit dabei ist, kann er es ja selbst übernehmen. Die Freude über die Bilder war groß. Zum Glück hatte Tasman ziemlich viele Bilder entwickeln lassen, da nun jeder aus der recht großen Familie ein Bild in Händen halten konnte. Nur wenige Kilometer weiter gab es noch einmal die Gelegenheit, Bilder abzuliefern. Diesmal war es eine Familie, bei der er vor drei Jahren war. Es dauerte ein wenig, bis sie sich an ihn erinnerten, aber dann wurden wir sehr herzlich zu Tee, Brot, Marmelade und Schlussendlich noch frisch gefangenen Fisch eingeladen. Über das Mittagessen brauchte man sich heute also keine Sorgen machen.
Landschaftlich gehört das Issyk Plateau mit zu den schönsten Gegenden der letzten Wochen. Man muss allerdings sagen, dass die Landschaftsformationen sehr ähnlich denen in Kirgistan sind. Wir verlassen langsam das Plateau und tauchen in ein neues Tal ein. Die Landschaft verändert sich, wird rauer und wirkt anfangs sogar ein wenig alpin. Der Fluss, der uns die ganze Zeit am Plateau begleitet hat, fließt nun tief unter uns in einer eng eingeschnittenen Schlucht. In der Ferne erkennt man schon das zweite Plateau, auf das wir heute noch radeln müssen. Erst einmal geht es aber noch steil bergab. Die Bremsen leisten Schwerstarbeit, stellenweise geht es mit bis zu 20% bergab. Im Tal angekommen, können wir die Wasservorräte noch einmal auffüllen, dann steht der letzte Anstieg bevor. Die Felsformationen erinnern nun stellenweise an den Sharyn Canyon. Vom Wind stark erodiertes, rotes Gestein ragt steil empor.
400 Höhenmeter müssen noch überwunden werden, dann geht es nur noch bergab. Die letzten 200 hatten es dann wirklich in sich. An radeln war nicht mehr zu denken, die Steigung war jenseits des Fahrbaren. Auch Tasman mit seinem leicht bepackten Rad musste kapitulieren und wohl oder übel das Rad schieben. Ein Spaziergang ist die Fahrt über das Issyk Plateau nicht, dafür wird man aber mit faszinierenden Landschaftseindrücken belohnt. Die Szenerie verändert sich stündlich.
Auch der steilste Anstieg ist irgendwann erklommen und so werden auch wir nach viel Schweiß und Flucherei mit einem Spitzenblick in Richtung Kasachischer Steppe belohnt. Hinter uns braut sich zur Abwechslung mal wieder ein Gewitter zusammen, doch wir hoffen darauf, dass sich die Wolken am Plateau festsetzen. Starker Rückenwind treibt uns in Richtung See. Ein faszinierender Blick von hier oben. Man kann in etwa sehen, wo der Saryn Canyon liegt, einen Großteil der Strecke, die ich auf dem Weg nach Almaty zurückgelegt habe, erkennt man von hier oben. Nun heißt es langsam, sich von den Bergen zu verabschieden. Die schier endlos weite Steppe liegt unter uns und dorthin geht es jetzt.
Das, worüber sich manch Mountainbiker sicher freuen würde, bereitet mir ordentliche Probleme. Die Abfahrt ist grenzwertig Steil und meine Hände werden vom intensiven Bremsen schon fast taub. Immer wieder heißt es Pause einlegen, um wieder Gefühl in den Händen zu bekommen. Bis auf ein paar Regentropfen entkommen wir glücklicherweise dem Gewitter. Am See angekommen bietet sich ein erstaunliches Schauspiel. Es wirkt, als ob der See dampfen würde. Dunstschleier liegen über der Wasseroberfläche und der Wind treibt den Dunst weit empor. Von einem See zu sprechen ist vielleicht ein wenig übertrieben. So wie es den Anschein hat, handelt es sich eher um ein Wasserreservoir, das aber nur noch sehr wenig Wasser hält.
Obwohl uns der starke Rückenwind problemlos in Richtung Kokleg treiben würde, beschließe ich in Sichtweite zum See mein Zelt aufzuschlagen. Der heutige Tag war hart genug und ich sehne mich nur noch nach einem ruhigen Zeltplatz abseits der Hauptstraße. Tasman muss heute noch zurück nach Almaty, es ist also Zeit sich zu verabschieden. Ich habe es keine Sekunde bereut, den Weg zum Issyk Plateau zweimal angetreten zu haben. Ohne diesen Abstecher wäre mir Kasachstan wohl nur als ein Land mit viel Steppe in Erinnerung geblieben.
Zum ersten Mal muss ich heute mein Zelt bei sturmartigen Verhältnissen aufbauen. Keine leichte Angelegenheit, wenn man alleine versucht, die Zeltstangen einzufädeln und gleichzeitig das Zelt vor dem Davonfliegen bewahren will. Nach längerem Kampf mit dem Wind steht das Zelt aber und ich kann mich im Inneren vor dem immer stärker werdenden Wind verkriechen.

20.Juli – Tag 170

Kurz vor Kokpek – kurz vor Taskarasu: 113km; 5:34h im Sattel; 27 – 40 Grad, Sonne
Camping

Heute Morgen brütete ich lange über der Straßenkarte von China. Ich muss mich entscheiden, welchen Grenzübergang ich nehmen werde. An sich wollte ich ja den weniger stark frequentierten Übergang wählen, aber nachdem doch einiges an Strecke vor mir liegt, entschließe ich mich, bei Khorgos über die Grenze zu gehen und dann auf schnellstem Weg nach Urumqui zu radeln. Mein Ziel wäre, im ersten Monat so weit als möglich zu kommen, damit ich nach der Visaverlängerung noch etwas Spielraum nach hinten habe. Die wohl etwas zeitintensivere Strecke über die Berge nach Urumqui lasse ich nun doch bleiben. Ich werde mich also mal wieder auf die Seidenstraße begeben und mich überraschen lassen, was mich in China erwartet. Woher diese große Unsicherheit bezüglich eines Landes rührt ist mir auch nicht ganz klar. Von allen bisher bereisten Ländern hatte ich zumindest eine grobe Vorstellung. China ist eine einzig große Unbekannte. Mag sein, dass es auch an der Schrift liegt, allerdings war dies im Iran wohl vergleichbar. Nun ja, ich werde sehen. In zwei Tagen bin ich schlauer.
Die Berge liegen nun hinter mir, das heißt, es wird wieder wärmer. Schon in der Früh spürte man, dass es ein heißer Tag werden würde. Womit ich allerdings nicht gerechnet hatte, war die Tatsache, dass ich bis zum späten Nachmittag mit ordentlichem Gegenwind zu kämpfen haben werde. Der Wind machte das Fortkommen nicht unbedingt einfacher. Zu sehen gab es nicht viel, ausser plattem Land. Kein Baum, kein Schatten… Einziges Mittel gegen den Wind: gegenhalten. Nun gut, ich stellte mich schon einmal auf einen langen und anstrengenden Tag ein. Nach gut 40km Fahrt kam mir dann ein etwas älterer Mercedes LKW mit Regensburger Nummer entgegen. Nach all den Erfahrungen mit den Campern war ich ziemlich überrascht, als der LKW anhielt. Berit, Andreas und Matthias sind im März in Regensburg aufgebrochen und fahren eine sehr ähnliche Strecke wie ich, nur in entgegengesetzter Richtung, sie sind allerdings von Russland aus nach Kasachstan eingereist (www.la710.de/wordpress). Ein wirklich sehr sympatisches Dreiergespann – obwohl es ja eigentlich vier sind, nachdem sie auch noch einen Hund dabei haben, der sitzt aber in feuchte Tücher gehüllt im Fahrerhaus und versucht so, der Hitze zu entkommen.
Auf einer Strecke, auf der es über zig Kilometer keine Wasserquelle gibt, freut man sich umso mehr über Wassernachschub aus dem LKW. Einen Apfel und Pfefferminzschokolade (Ritter Sport, was sonst…) als Draufgabe machen das Treffen perfekt. So lob ich mir das. Der Wassernachschub kam gerade im rechten Moment. Aufgrund der Hitze und dem starken Gegenwind ist mein Wasservorrat schnell aufgebraucht. Zum Glück erreiche ich aber nach weiteren 20km den Sharyn Fluss, der auch hier tief eingegraben in Mitten der trostlosen Steppe verläuft. Um den Fluss herum zahlreiche Bäume, ein grünes Band zieht sich durch die sonst vegetationslose Gegend. Endlich Schatten und endlich wieder Wasser. Die Temperatur liegt schon wieder bei knapp über 40 Grad, Weiterfahren macht nicht viel Sinn, also gibts erst mal eine verspätete Mittagspause. Im Fluss werden die Klamotten gewaschen, bei den vorherrschenden Temperaturen ist die Wäsche schon wieder trocken, bevor ich mit dem Essen fertig bin.
Ich bin schon gespannt, ob ich in China auch eine vergleichbare Landschaft erwarten kann. Ein wenig sehnsüchtig denke ich an die so abwechslungsreiche Gegend am Issyk Plateau zurück. Jetzt gibt es nur noch Steppe. Zum Glück lässt der Wind am Nachmittag ein wenig nach und ich kann den Tagesschnitt noch ein wenig nach oben korrigieren.
Erstaunlich, dass man in einer so trostlosen Gegend dann doch noch einen wirklich netten Zeltplatz finden kann. Nur wenige Meter abseits der Straße schlage ich unter einem Baum, direkt neben einem Wasserkanal mein Zelt auf. Großer Luxus, es gibt mal wieder eine Dusche am Abend!

21.Juli – Tag 171

Kurz vor Taskarasu – Khorgos, Kasachische Grenze: 107km; 4:53h im Sattel; 28 – 42 Grad, Sonne
Camping

Es scheint, als ob ich momentan jeden Tag in einer anderen Klimazone unterwegs bin. Noch vor zwei Tagen benötigte ich Daunenjacke und Schlafsack, um gemütlich kochen zu können, heute Nacht wusste ich nicht, wie ich Abkühlung bekommen könnte. Draussen schlafen war aufgrund der vielen Ameisen nicht meine favorisierte Variante. Noch dazu nachdem ich gestern Abend beobachtet hatte, wie die Ameisen eine daumengroße Raupe gefangen und anschließend rückstandslos verschwinden hatten lassen.
Um der großen Hitze zu entkommen, gab es heute mal wieder einen frühen Start in den Tag. Die Landschaft änderte sich über weite Strecken nicht besonders stark. Steppe, ein paar vereinzelte Bäume, dann langsam große Schilffelder und schließlich auch ein wenig Maisanbau. Es scheint, als ob nach und nach das Grün wieder zurückkommt.
Man sieht nicht mehr so viele protzige Autos. Audi 80 und 100 treten wieder in den Vordergrund. In den Dörfern ist meist nur noch die Hauptstraße asphaltiert, der Rest
ist Schotterpiste. Die Leute auf der Straße und in den wenigen Dörfern, durch die die Strecke führt, grüßen eifrig. Es wird viel gewunken und oft hört man ein “gute Reise” beim Vorbeifahren. Esel werden wieder zum Haupttransportmittel. Neu ist nun aber, dass oft zwei, oder sogar drei Esel vor die Karren gespannt werden. Frisches Heu wird von den Feldern heimgefahren, meistens lenken Kinder oder Jugendliche die Eselkarren und winken mir, auf dem Heu sitzend zu.
Die Steppe scheint langsam ein Ende zu nehmen. Vor mir liegt nicht sonderlich weit entfernt eine große Gebirgskette. Auf den Gipfeln liegt mal wieder Schnee. Ein eigenartiges Gefühl, wenn man bei knapp 40 Grad durch die Gegend radelt. Scheinbar haben die Berge aber einen positiven Effekt auf das Klima. Seit Koktal ist es wieder richtig grün. Die Strecke führt durch dichte Baumalleen, stellenweise ist nicht einmal mehr der Himmel zu erkennen. Immer wieder kommt man an kleineren
Bachläufen vorbei. Endlich wieder Schatten und Wasser!
Die Gelegenheit muss man gleich beim Schopf packen und ich gönne mir eine ausgedehnte Mittagspause. Bei den vorherrschenden Temperaturen ist an ein Radeln kurz nach Mittag nicht mehr zu denken. Ohne mein Trikot in regelmäßigen Abständen in jede auch nur existente Wasserquelle zu tauchen, würde ich die Nachmittagsetappe wohl auch erst weit später wieder in Angriff nehmen.
China ist schon zum Greifen nahe. Immer wieder überlege ich hin und her, ob ich nun schon heute, oder erst morgen ins Reich der Mitte einreisen soll. Schlussendlich wird mir die Entscheidung abgenommen. Etwa 15km vor der Grenze begegnet mir Alessandro, ein italienischer Reiseradler, der von Shanghai kommend in Richtung Italien unterwegs ist (www.alegallo.com) Wir plaudern ausgiebig über dies und das und tauschen Informationen über die Strecken und Regionen, die vor einem liegen aus. Für mich ist China immer noch eine Riesengroße Unbekannte. Den Schilderungen von Alessandro folgend, kann ich mich aber durchaus auf eine gute Zeit freuen.
Direkt im Grenzbereich gebe ich noch meine letzten Tenge für Fanta, Eistee und Eier aus. Die Grenze ist nun bereits geschlossen und ich suche mir in einem der Maisfelder neben der Straße einen gemütlichen Platz für das Zelt. Weit früher als gewohnt geht das Rad für heute schlafen. Für mich gerade die richtige Zeit, um ein paar Näharbeiten an der hinteren Packtasche durchzuführen. Der tägliche Einsatz fordert ein wenig Tribut, doch ich hoffe, mit ein paar gezielten Stichen sollte das Schlimmste vorerst abgewendet werden können. Erstaunlich, wofür Zahnseide so alles gut sein kann…
Weshalb die Grenze am späten Nachmittag schon geschlossen hatte, war mir allerdings ein Rätsel, entband mich aber der Entscheidung, wann nach China einzureisen. China ist nicht gerade ein kleines Land und dann gilt nur eine Zeitzone? Egal wo man ist, es gilt Peking Zeit. Die Provinz Xinjian will hier angeblich eine Ausnahme machen. Bin schon gespannt wie sich das so äußert. Viele administrative Bereiche – und darunter fällt einmal auch die Grenze – haben aber alle dieselben Arbeitszeiten, eben jene der Lokalzeit in Peking. Xinjian nimmt in China offenbar auch sonst eine Sonderstellung ein. Gerade kulturell soll sich diese Region noch sehr an den zentralasiatischen Ländern interessieren. Ich lasse mich mal überraschen.
Zumindest auf kasachischer Seite ist vor der Grenze absolut gar nichts geboten. Einzig ein kleiner Laden und zwei, drei kleine Lokale säumen die Straße. Zum Glück bin ich noch gut ausgestattet. Die Schlange an LKWs ist erwartungsgemäß lange. Was mich ein wenig verwundert hat, ist die Tatsache, dass ich in den letzten Tagen keinen einzigen Chinesischen LKW gesehen habe. Ein paar PKWs und eine Handvoll Reisebusse sind mir schon begegnet, aber Warentransport findet offenbar woanders statt.
Bin schon sehr gespannt, was mich auf der anderen Seite erwartet! Bis Peking sind es knapp 4500km. Ich hoffe mal, dass sich das in sieben Wochen erradeln lässt.