Nachdem ich nun in Jiayuguan einen totalen Datenverlust erleiden musste, versuche ich mit Hilfe meiner handschriftlichen Tagebucheinträge den Blogeintrag wieder herzustellen. Dies ersetzt nicht unbedingt die Gedanken, die ich allabendlich im Zelt eintippe, aber kommt dem Ganzen doch relativ nahe.

Tag 181 – 31.Juli

Hami – ca. 70km vor Provinzgrenze: 133km; 6:31h im Sattel; 28 – 37 Grad, Sonne
Camping

Für Heike hieß es heute Früh wieder aufbrechen in Richtung Dunhuang wo ihr Fahrrad auf sie wartete. Ich konnte dagegen recht gemütlich in den Tag starten. Das Treffen mit Heike hatte mich wirklich sehr überrascht, aber es war extrem angenehm, einmal wieder so richtig ausgiebig über die Erfahrungen und Wahrnehmungen auf der Reise zu reden. Hier zeigte sich einmal wieder, wie unterschiedlich doch die Wahrnehmungen sein können. Man bereist annähernd zur selben Zeit dieselben Länder auf sehr ähnlichen Routen und nimmt doch Land und Leute total unterschiedlich war. Vor allem in den muslimisch geprägten Ländern unterscheidet sich die Wahrnehmung zwischen männlichen und weiblichen Reisenden gravierend. Bereits als ich durch die Türkei, oder auch den Iran gereist bin, hatte ich immer wieder darüber nachgedacht, wie es wohl für Frauen auf dem Rad sein würde. Wenn ich mir die Schilderungen von Heike so anhöre, dann bestimmt das religiöse Diktat stärker als gedacht die Wahrnehmung. Für sie war zum Beispiel die Türkei eines der anstrengendsten Länder, die sie bereist hatte, für mich wiederum war die Türkei ein überaus angenehmes und sehr freundliches Land gewesen. Oft bestimmen ja auch nur Kleinigkeiten, das Wetter, die persönliche Verfassung, die Leute die man trifft, usw. wie man sich ein Bild von einem Land, oder einer Region schafft.
Ich möchte an dieser Stelle noch einmal betonen, dass auch meine Schilderungen nur persönliche und sehr subjektive Eindrücke sind. Eine objektive Berichterstattung über eine Reise ist meiner Meinung aber auch nicht wirklich möglich. Auch wenn Heike und ich die einzelnen Länder sehr unterschiedlich wahrgenommen hatten, so waren wir uns beide doch einig darüber, wie einzigartig die Gelegenheit ist, auf dem Rad solch eine Reise antreten zu können.
Für mich bestand heute Morgen kein Grund zur Eile. Im örtlichen Supermarkt musste ich noch die Lebensmittelvorräte aufstocken und auf ein ordentliches Frühstück freute ich mich auch schon die ganze Zeit. Zu meiner großen Überraschung fand ich dann in Hami den bisher am besten sortierten Supermarkt meiner gesamten Reise. Hier gab es wirklich Alles! Und so gönnte ich mir den Luxus von frischen Teigtaschen und – man höre und staune – einer Biskuitrollade. Hmmmmm, Biskuit…. Ich fühlte mich wie im Paradies. Frischer Orangensaft dazu und der Start in den Tag war perfekt.
Mit vollem Bauch ging es dann wieder in Richtung Autobahn. Bis zum frühen Nachmittag kam ich recht gut voran. Zu meiner Linken sah man noch die weißen Gipfel eines fast 5000m hohen Gebirgszuges, doch nachdem ich diesen hinter mir gelassen hatte, wurde es wieder flach und öde.
Die Dichte an Raststätte nimmt nun rapide ab und so musste ich bereits am frühen Nachmittag sämtliche Reserven auffüllen. Schwer bepackt ging es dann weiter. Leider frischte der Wind auf und blies mir direkt ins Gesicht. Es wurde ein zäher Nachmittag, doch ich versuchte mich so gut es ging, gegen den Wind zu stemmen. Es dauerte dann noch eine Weile, bis ich eine geeignete Autobahnunterführung gefunden hatte, war dann aber überglücklich, endlich den Staub und Schweiß des Tages abzuduschen zu können und bereitete mein Nachtlager im Schutze der Packtaschen aus. Der Wind pfiff unvermindert weiter, doch hinter meinem Schutzwall ließ es sich ganz gemütlich liegen.
Ein Blick auf die Karte zeigt, dass ich morgen die Provinz Xinjiang verlassen werde. Bin schon gespannt, was mich danach erwarten wird. Xinjiang ist ja eine extrem große Provinz, die aber – so wie ich am eigenen Leib erfahren durfte – aus ziemlich viel Wüste besteht. Das Essen ist dafür umso spannender. Ich hoffe mal, dass die Qualität des Essens in den kommenden Provinzen nicht abnimmt.

Tag 182 – 01.August

70km vor der Provinzgrenze Xinjiang / Gansu – 10km vor Linyuan: 156km; 7:34h im Sattel, 22 – 36 Grad, Sonne
Camping

In der Nacht hatte der Wind wieder abgenommen und ich freute mich schon auf einen gemütlichen Start in den Tag, aber gegen fünf Uhr ging es wieder los. Starker Ostwind kam auf, für mich also purer Gegenwind. Ich legte mich noch ein Weilchen aufs Ohr und hoffte auf Besserung, doch die war nicht wirklich in Sicht. Beim Beladen des Rades musste ich mal wieder ziemlich vorsichtig sein, damit mir das Rad nicht davongeblasen wurde. Ich war froh, wenn ich über längere Strecken dem Tacho mal eine zweistellige Zahl entlocken konnte. Zumindest die ersten paar Stunden hieß es ordentlich strampeln. Da kam mir dann ein chinesischer Radreisender auf der Gegenseite ganz recht. Er hatte einen Platten, jedoch keine Luftpumpe dabei. Seine drei Kollegen waren bereits weit vor ihm und so war er auf fremde Hilfe angewiesen. Zwei weitere Radreisende fuhren grußlos an uns vorbei. Ob es am starken Rückenwind liegt, oder ob es eher eine Einstellungssache ist, dass die meisten chinesischen Radler nicht stehenbleiben, das weiß ich nicht. Zumindest weiß ich jetzt, warum aktuell so viele Radler in Richtung Urumqi unterwegs sind. Es haben die zweimonatigen Sommerferien begonnen und bei vielen Studenten ist es recht beliebt, mit dem Rad China zu entdecken. Ich könnte mir aber ehrlich gesagt eine schönere Strecke vorstellen, als durch die Wüste nach Urumqi zu radeln. Aber gut, das muss ja jeder selber wissen. Für mich ist es nun einmal ein notwendiges Übel, um nach Osten zu gelangen.
Der Wind ließ zum Glück nach ein paar Stunden etwas nach, doch dafür ging es nun konstant bergauf. Ich musste hoch bis auf 1850m, dort befand sich die Provinzgrenze und gleichzeitig auch eine lange ersehnte Raststation.
Auf Wiedersehen Xinjiang, Hallo Gansu! Ab jetzt sind die Verkehrszeichen in Chinesisch und Englisch beschildert, was vieles ein wenig einfacher macht.
Neue Provinz, neue Landschaft, so könnte man es fast beschreiben. Anfangs wurde die Erde immer rötlicher und dann tauchten plötzlich zartgrüne Büsche auf. Ich radle nun auf einer Art Hochebene und scheinbar gibt es hier relativ viel Wasser. Neben der Straße sieht man immer wieder kleinere Seen und ausgetrocknete, recht große Flussbette. Den Verkehrszeichen nach zu urteilen gibt es hier im Winter auch viel Schnee und Eis, jetzt im Moment bei über 30 Grad kaum vorzustellen. Auf jeden Fall war es eine Wohltat, mal wieder etwas “lebendiges” neben der Straße zu sehen.
Immer wieder fährt man an verunglückten Melonenlastern vorbei. Das schmerzt richtig in der Seele, wenn man all die zerplatzten und verkohlten Melonen am Straßenrand sieht. Aber die verunglückten Melonen riechen zumindest nicht so unangenehm, was man von den toten Schweinen und Schafen am Straßenrand nicht unbedingt behaupten kann. Was macht ein totes Schwein mitten in der Wüste? Wenn einem ein Tiertransporter überholt, dann kann man sich schon vorstellen, dass das eine oder andere Tier entweder gewollt, oder ungewollt von der obersten Etage entkommen ist. Die Tiere werden auf offenen LKWs in mehreren Etagen transportiert und oft ist die oberste Etage nicht separat abgedeckt. Gibt es Suizid bei Tieren? Ich weiß es nicht, könnte es mir aber durchaus vorstellen. Vielleicht ist dies sogar noch der bessere Weg, dem Schweineleben ein Ende zu setzen, als in einem chinesischen Schlachthaus zu landen. Aber ja, den Sturz aus drei Metern Höhe von einem fahrenden LKW, den übersteht nun mal kein Schwein und kein Schaf…
Zum ersten Mal wurde ich heute aber von einem LKW Fahrer zu einer Wassermelone eingeladen. Gerade wollte ich zu einer Tankstelle fahren, um Wasser aufzufüllen, da winkte er mich zu seinem LKW und bot mir eine herrlich süße und saftige Melone an. TRAUMHAFT, mehr kann man dazu nicht sagen. Da hat es schon Vorteile, wenn man Melonen als Ladung transportiert. Immer dann, wenn einem danach ist, kann man vom LKW eine Melone schnappen und an Ort und Stelle verdrücken. Die meisten Fahrer machen von dieser Gelegenheit auch fleissig Gebrauch.
Bis zum Rand angefüllt mit frischer Melone ging es dann wieder weiter. An den Wind beginnt man sich schon zu gewöhnen, aber trotzdem hoffe ich dass morgen wieder leichte Besserung in Sicht ist.
Kurz bevor ich mir heute mal wieder eine Unterführung zum Schlafen suchen wollte, bohrte sich mal wieder einer dieser fiesen Armierungsdrähte in mein Hinterrad. Bei Gegenwind Reifen flicken ist nicht unbedingt angenehm, aber das Ende des Tages war schon in Sicht und so nahm ich es recht gelassen.

Tag 183 – 02.August

10km vor Linyuan – 25km vor Bulongji: 112km; 7:13h im Sattel; 20 – 34 Grad, bedeckt
Camping

Jubläum! Ein halbes Jahr ist um. Kaum zu glauben, ich bin jetzt schon sechs Monate unterwegs und jetzt schon über 13.000km durch 14 verschiedene Länder geradelt und kann mich immer noch jeden Tag von etwas Neuem überraschen lassen. Auch wenn es manchmal nicht einfach ist, freue ich mich immer noch über jeden Tag der kommt. Mir ist allerdings aufgefallen, dass ich gerade in letzter Zeit relativ viel über den Heimweg nachdenke. Es scheint, als ob sich der Kopf nun so langsam schon wieder aufs Umkehren einstellt. Aber ich muss sagen, ich freue mich wirklich schon auf den Moment, in Wladiwostok dann die Richtung zu ändern. Dass ich eigentlich nur nach Osten radle sieht man ganz gut an meiner Kleidung. Mein Trikot ist am Rücken schon fast weiß, an der Vorderseite aber noch fast fabrikfrisch. Jeden Tag die Sonne im Rücken, das bleicht den besten Stoff irgendwann aus. Das bisher so abstrakte Reiseziel – Wladiwostok – rückt nun langsam in greifbare Nähe. In gut zwei Monaten werde ich russischen Boden betreten und dann gehts wieder zurück in Richtung Heimat.
Wenn ich so darüber nachdenke bin ich immer noch froh, diese Reise angetreten zu haben. Ich sehe es als ganz besondere Gelegenheit Land und Leute auf eine Weise kennenzulernen, die mir bisher völlig unbekannt war. Durch unterschiedlichste Gegenden zu radeln, mit den Leuten am Straßenrand zu plaudern, Gerüche und Stimmungen aufzusaugen, oder das Wetter in sehr intensiver Art und Weise wahrzunehmen. Sonnentage, Regentage, Hitze, Kälte, Wind, Schnee, bei jeder Witterung auf dem Rad und immer Vorwärts. Die Reisegeschwindigkeit gerade recht, um landschaftliche, oder auch kulturelle Veränderungen wahrzunehmen. In Regionen einzutauchen, die schwer zu erreichen sind, für viele Rucksacktouristen oft gar nicht erreichbar sind und sich von gewaltigen Naturimpressionen beeindrucken zu lassen. Auf Gleichgesinnte zu stoßen, dann aber auch wieder über lange Strecken alleine unterwegs zu sein. All diese Faktoren machen das Radreisen zu einem unvergesslichen Erlebnis. Mit der Zeit entwickelt sich auch so etwas wie Alltag, allerdings unterscheidet sich der deutlich von dem Alltagsleben, dass man zuhause gewohnt war. Ich will jetzt kein Urteil abgeben, welche Art jetzt besser sei. Für den Moment genieße ich diese Art des Alltags sehr, freue mich aber gleichzeitig aber schon wieder darauf, in die gewohnte Umgebung zurückzukommen, wieder mit alten Freunden Zeit zu verbringen und hin und wieder auch zu wissen, was mich erwartet. Auch wenn manche Tage vielleicht sehr kräftezehrend waren, so möchte ich keinen einzigen Tag der Reise missen. Ich hoffe, dass sich das nicht großartig ändern wird.
Was sich heute zumindest nicht großartig änderte war die Tatsache, dass mir immer noch der Wind entgegenblies. Eigentlich lag vor mir eine fast 60km lange “Abfahrt”. Zumindest ging es konstant leicht bergab, allerdings musste ich über lange Strecken im kleinen Gang ums Vorankommen kämpfen. Entweder zur Entschädigung, oder zur Belohnung – auf alle Fälle lag plötzlich vor mir eine Kiste mit Melonen. Der Sturm hatte sie offenbar gerade eben von einem Laster gerissen. Eine war am Asphalt zerplatzt, doch die zwei verbliebenen Melonen waren noch in recht gutem Zustand und ich machte mich gleich mal daran, die Beute zu zerteilen. Saftige Honigmelonen aus Hami. Ein Geschenk des Himmels. Der Wind blies weiterhin kräftig vor sich hin, also lies ich mir Zeit und verspeiste genüsslich zwei Melonen hintereinander.
Auf der Gegenseite mal wieder ein Radreisender. Im Moment sieht man wirklich jeden Tag mindestens Einen in Richtung Urumqi radeln. Doch auch dieser fand es nicht der Mühe wert, kurz stehenzubleiben und lies sich statt dessen vom kräftigen Rückenwind ohne zu treten den Hügel hinaufschieben. Mir setzte der ständige Wind mental schon ein wenig zu. In einer Raststation wartete ich einmal ein paar Stunden ab, ob der Wind noch nachlassen würde, doch da war keine Besserung in Sicht. Man weiß ja nie, was der nächste Tag so bringen wird, also beschloss ich einfach wieder weiterzufahren. Der gewaltige Windpark, durch den ich jetzt den ganzen Tag schon radle steht hier vermutlich nicht ohne Grund. Es wird Zeit, dass ich dieses Windloch hinter mir lasse!
Der Tag nahm dann aber doch noch ein recht angenehmes Ende. Nachdem ich die ganze Zeit durch nicht sonderlich ansehnliches Gebiet gestrampelt bin, tauchte plötzlich neben der Straße ein “Grünstreifen” auf. Ein Fluss verläuft nun ein paar hundert Meter von der Straße entfernt und sofort gibt es wieder Bäume und sogar ein paar Wiesen. Nach längerer Suche fand ich dann auch noch ein Schlupfloch runter von der Autobahn und konnte seit langem einmal wieder mein Zelt aufschlagen. Gut geschützt zwischen Büschen konnte ich den Tag ganz entspannt ausklingen lassen. Es gab sogar einen kleinen Bewässerungskanal mit sauberem Wasser in dem ich meine Klamotten von der nun doch schon recht dicken Salzkruste befreien konnte.

Tag 184 – 03.August

25km vor Bulongji – kurz vor Diwopa: 110km; 7:12h im Sattel; 22 – 36 Grad, Sonne
Camping

Der gestrige Tag hatte mich ziemlich geschafft. Recht mühsam kam ich aus dem Zelt und wurde – Überraschung – von auffrischendem Wind empfangen. Es stand mir also dasselbe Trauerspiel wie gestern bevor. Ein kurzer Blick auf die Karte und mir war klar, dass das wohl den ganzen Vormittag so weitergehen würde, weil die Straße die nächsten 60km schnurgerade verläuft und der Wind mir exakt von vorne ins Gesicht blasen wird. Aber irgendwie hofft man immer darauf, dass es doch noch anders kommen könnte.
Die 20km bis zur ersten Raststation waren harte Arbeit. Der Wind verlangt einem sowohl körperlich, als auch mental einiges ab. Immer wieder ist man kurz davor, einfach abzusteigen um sich unter der Straße zu verkriechen, doch dann überwindet man sich doch wieder und strampelt kräftig weiter. Ein kurzer Lichtblick, auf der Gegenseite mal wieder eine chinesische Radlergruppe… Ich halte an und klettere über die Leitplanke, doch die vier ignorieren mich schlichtweg. Für mich völlig unverständlich. Ich hatte schon fast den Eindruck, sie hatten Angst vor mir. Ziemlich geknickt ging es dann wieder weiter im Takt. Immerhin hielt dann kurz danach ein chinesischer Motorradfahrer an und wollte wisse, wie es so geht. Man braucht ja wirklich nicht viele Worte, um sich auf der Straße verständigen zu können. Eine Karte alleine reicht schon und man kann eine ganze Geschichte erzählen. Mein neuer Freund zum Beispiel ist aus der Nähe von Peking aufgebrochen und hat nun fast ganz China umrundet. Den Süden hat er ausgelassen, hat dafür aber ganz Westchina mehr oder weniger an den Aussengrenzen umfahren und ist jetzt wieder auf dem Heimweg. Immer wieder bot er mir einen Platz auf seinem Motorrad an, aber da musste ich dankend ablehnen.
Beim Fahren mit konstantem Gegenwind und recht öder Landschaft hat man viel Zeit um nachzudenken. Zum Beispiel darüber, warum die chinesischen Radler nicht stehenbleiben, oder oft nicht einmal grüßen, oder warum es so schwer ist, sich in China zu verständigen. Ich habe mir ja schon so schön diesen Satz zurechtgelegt: “Wo shi deguo rem”, was soviel heißt, wie “ich komme aus Deutschland”. Aber schon alleine an der Aussprache des Wortes deguo scheitert es. Ich habe es schon auf alle möglichen Arten versucht, aber nur bei einem von zehn Versuchen klappt es. Manchmal denke ich mir aber auch, dass manche mich gar nicht verstehen wollen. Es kommt vor, dass ich beginne, etwas zu sagen und dann winken sie nur lächelnd ab und drehen ab… Für manche ist es aber auch nicht ganz klar, was oder wo Deutschland überhaupt ist. Eine Schwierigkeit stellt ja schon dar, dass auf meiner Weltkarte Europa in der Mitte dargestellt ist, und nicht wie gewohnt China. Das Interesse hält sich oft in Grenzen. Viele Chinesen kommen zwar recht neugierig heran und begutachten schweigend mein Rad, an einem Gespräch sind sie aber nicht wirklich interessiert. Nun gut, daran muss ich mich wohl noch gewöhnen. Abr andererseits gibt es auch recht aufgeschlossene und kontaktfreudige Chinesen. Man darf also nicht Alle über einen Kamm scheren.
Auf alle Fälle ist China das erste Land, in dem mir die Eingewöhnung noch recht schwer fällt. Das hat sicherlich auch damit zu tun, dass man tagelang durch Ödnis fährt und selten auf Leute trifft, aber die Mentalität unterscheidet sich deutlich von der der zentralasiatischen Länder.
Es hatte heute ziemlich lange gedauert, bis ich endlich meinen Rhythmus gefunden hatte und monoton gegen den Wind anstrampelte, doch irgendwann kam ich dann in einen ganz passablen Fluss. Nach der Mittagspause dann die große Überraschung. Die Straße knickt spürbar nach Süden ab und auf einmal gibt es Landwirtschaft. Hohe Bäume, viele Felder und der Wind lässt nach! Ich pedaliere gemütlich vorbei an Sonnenblumenfeldern, Getreide wird gerade geerntet und der Geruch von Fenchel umspielt die Nase. Faszinierend, wie leicht man sich an solch Kleinigkeiten erfreuen kann, aber es geht einem richtig das Herz auf, wenn man die leuchtend gelben Sonnenblumenfelder sieht. Die Reisegeschwindigkeit verdoppelt sich und ich fliege förmlich vorbei an fleissig arbeitenden Bauern. Ich hatte schon das Gefühl, endlich der Wüste entkommen zu sein, doch da wurde ich mal wieder etwas besserem belehrt.
Kurz hinter Yumen war es aus mit dem Grün. Die öde Wüste kam zurück und mit der Ödnis kamen auch wieder die Windparks. Windparks bedeuten nie etwas Gutes, aber für heute nahm ich es mit Fassung, da das Tagesziel schon fast erreicht war und man weiß ja nie, vielleicht ist morgen alles anders…
Etwas abseits von der Straße fand ich dann auch noch einen sehr ruhigen Platz für das Zelt und konnte einen traumhaften Sonnenuntergang hinter den zahlreichen Windrädern bestaunen. Die Temperaturen sinken jetzt Nachts schon wieder soweit ab, dass man wieder froh ist, einen Schlafsack zu haben. Immerhin kann man sich jetzt Nachts wieder erholen und muss sich nicht mehr mit Temperaturen über 30 Grad abquälen.
Für morgen ist die Ankunft in Jiayuguam geplant. Hier möchte ich zwei Ruhetage einlegen und das offizielle Ende der chinesischen Mauer begutachten. Hier war früher also das Ende des chinesischen Reiches. Hinter der Mauer nur Wüste und die bedrohliche Welt Zentralasiens. Die Wüste habe ich ja nun schon durchfahren, da kann ich mir gut vorstellen, dass sich da früher bis auf die Handelskarawanen keiner freiwillig reinbewegt hatte. Für die Händler, die auf der Seidenstraße unterwegs waren, muss es sich dabei auch um einen ziemlich kräftezehrenden Abschnitt gehandelt haben. Die größeren Orte, die ich jetzt entlang der Autobahn gesehen habe hatten wohl auch in vergangener Zeit als Oasen gedient. Mitten in der Wüste auf einmal wieder Wasser, Gras und Nahrung. Heute, wie damals eine Wohltat.

Tag 185 – 04.August

kurz vor Diwopu – Jiayuguan: 117km; 6:16h im Sattel; 19 – 32 Grad, Sonne
Hotel

Auch heute wieder Wind am Morgen. Ich komme mir schon vor, wie bei “täglich grüßt das Murmeltier”… immer dieselbe öde Landschaft und jeden Tag Wind. Aber für heute machte mir das nicht so viel aus. Knapp 100km bis zum Tagesziel, die packe ich auch bei starkem Gegenwind.
Stellenweise kam ich dann aber doch recht flott voran. In die wüstenartigen Abschnitte mischen sich nun immer häufiger Landstriche in denen Landwirtschaft betrieben wird. Das Getreide wird stellenweise noch per Hand zum Trocknen ausgebreitet. Arbeitsmethoden wie vor 100 Jahren. Paradox, wenn man bedenkt, dass China doch ein recht hoch entwickeltes Land ist. Gerade wenn man von einem Luxusschlitten überholt wird und neben einem die Leute den Wind die Spreu vom Getreide trennen lassen, denke ich viel darüber nach, wie groß doch die Schere zwischen Arm und Reich in China sein muss. In den Zentralasiatischen Ländern waren einfach die meisten Leute relativ arm, aber hier in China sieht man schon erstaunlich viele sehr reiche Leute. Geld regiert wieder die Welt!
Kurz vor 17 Uhr erreichte ich dann Jiayuguan. Um der mühsamen Hotelsuche zu entgehen folgte ich dem Tip aus dem Reiseführer, den mir Julien als PDF zukommen hatte lassen. Heike hatte mich schon davor gewarnt, dass viele Hotels in China keine Ausländer aufnehmen und man oft von Hotel zu Hotel zieht und oft erst recht spät Erfolg hat. Dieses Mal sah ich mich also mit einem eigentlich total überteuerten Zimmer konfrontiert, doch auf eine Dusche wollte ich nicht verzichten und so beschloss ich zumindest heute den Preis dafür zu bezahlen. Wäsche waschen, duschen und Körperpflege, darauf hatte ich mich den ganzen Tag schon gefreut und was sind schon 5 Euro mehr, als sonst…
Der Gedanke an einen oder zwei entspannende Tage in Jiayuguan hatte mich den ganzen Tag vorangetrieben, doch dann kam alles ganz anders.
Ich freute mich schon darüber, dass es im Hotelzimmer Internetempfang gab. Ich ließ das Tablet neu hochfahren, doch dann das: Über die Startsequenz kam das gute Stück nicht mehr hinaus. Anfangs dachte ich noch an eine kurzfristige Störung, versuchte alles mögliche, doch nichts rührte sich mehr.
Na gut, erst mal abwarten. Ich beschloss, was essen zu gehen und vielleicht danach das Problem lösen zu können. Aber es tat sich nichts. Völlig verzweifelt versuchte ich an der Rezeption mein Problem zu schildern und hoffte irgendwo im Ort ein Internetcafe aufzutreiben. Eine der Angestellten sprach ein wenig Englisch, doch sie verwies mich nur an das benachbarte Hotel, vielleicht können die ja helfen. Zumindest bekam ich dort den Hinweis, dass auf der gegenüberliegenden Straßenseite eine Internetbar liegt. Ich freute mich schon darauf, möglicherweise eine Lösung für mein Problem zu finden, doch dann wurde ich wieder enttäuscht. Neuerdings dürfen Internetcafes nur noch nach Vorlage eines chinesischen Ausweises benutzt werden. Ausnahmen gibt es da keine, die Strafen sind scheinbar recht hoch. Als ob das was nützen würde, dass nur Chinesen ins Internetcafe dürfen… Na gut, zurück im Hotel gabs auch keine weitere Hilfe. Schulterzucken und verständnislose Blicke waren das Einzige was ich erntete.
Ziemlich geknickt und etwas ratlos schlich in in mein Zimmer und hoffte darauf, dass der morgige Tag gute Neuigkeiten bringen würde.

Tag 186 – 05.August

Jiayuguan – Jiuquan: 26km; 1:15h im Sattel; 18 – 28 Grad, Sonne
Warmshowers

Über Nacht hatte ich versucht das Tablet aufzuladen um vielleicht bei voller Ladung mehr Glück beim Starten zu haben, aber nichts ging. Na gut, ich machte mich also auf den Weg zu einem Apple-Store. Zuvor besorgte ich mir aber noch eine chinesische SIM Karte, was weit komplizierter war, als gedacht. Vier Mitarbeiterinnen mussten ran, um die Daten aus meinem Reisepass ins Formular einzutragen. Dass ich keinen chinesischen Namen habe, das war offenbar das größte Problem. Aber mit etwas Geduld hielt ich schlussendlich die SIM Karte in Händen und konnte nun den Warmshowers-Host in Jiuquan, einem Nachbarort, kontaktieren. Irgendwie wollte ich weg aus diesem Ort.
Aber zurück zum Apple-Store. Auch hier sprach keiner ein Wort Englisch. Die Kommunikation läuft ähnlich schon wie beim Kauf der SIM Karte über ein Übersetzungsprogramm auf dem Handy. Mich zog die Nachricht, dass ein großes Reset nötig ist, förmlich den Boden unter den Füßen weg. Sämtliche Daten auf dem Tablet sind nun verloren. Ich wollte es anfangs nicht wirklich glauben, versuchte im Internet – für das ich großzügigerweise im Shop Zugang erhielt – eine Alternative zu finden, doch auch in den Foren sprach man darüber, dass es keinen anderen Ausweg, als die Wiederherstellung des Fabrikszustandes gibt. Offenbar ist es ein schwerwiegendes Softwareproblem. Wenn man dann ein Apple Produkt in Händen hält, das nur mit zwei Tasten ausgestattet ist, kann man auch nicht wirklich ins “Innere” des Gerätes. Mir wurde ganz schwammig beim Gedanken, alle bisher gesammelten Daten einfach zu löschen, aber es war der einzige Ausweg.
Ich fühlte mich wie in einer Wolke. Alles um mich herum erschien dumpf. Eine Mischung aus Frustration, Enttäuschung und Wut überkam mich. Ich hatte ja versucht, mein Equipment für diese Reise auf so wenig Technik als möglich einzurichten. Jetzt ist aber der Fall eingetreten, dass praktisch jedes technische Gerät schon den Geist aufgegeben hatte. Der MP3 Player geht schon lange nicht mehr, die Kamera hat jetzt auch das zeitliche gesegnet, der Tacho hatte ebenfalls schon seine Ausfälle und nun geht auch noch das Tablet ein. Das trifft natürlich am stärksten, da ich mit dem Gerät navigiere und den Blog betreue. Immer wieder versuche ich mir einzureden, dass man das alles nicht so eng sehen sollte, aber es hilft nicht, für den Moment bin ich am Boden zerstört. Fühle mich gestrandet in einem Land in dem ich mich nicht verständigen kann, in dem ich kein Wort lesen kann und in dem es oft sehr schwierig ist, Hilfe zu erhalten.
Ich checke im Hotel aus und beginne schon mal damit, die ersten Karten wieder aufs Tablet zu laden. Es muss ja wieder weitergehen und so nach und nach bessert sich auch die Stimmung. Um ehrlich zu sein, ist es wohl der erste Moment der Reise an dem ich mich wirklich ziemlich elend fühle. Mag sein, dass die letzten Tage mit Wüste, Wind und vielen Kilometern auch dazu beigetragen haben, aber es fiel mir sichtlich schwer, wieder Zuversicht zu bekommen.
Das änderte sich dann aber gottseidank, als ich in Richtung Jiuquan weiterradelte. Nur kanpp 20km und schon wieder eine Stadt. Offenbar ein recht junges Produkt und es wird noch fleissig weitergebaut. Han, mein Warmshowers Host holt mich mit dem Roller ab und wir verstauen Rad und Gepäck in seinem neuen Apartment. Danach gehts erst mal was Essen und mit jeder Minute bessert sich meine Stimmung. Über etwas Anderes reden, als die Reise, das tut auch schon mal gut. Han spricht relativ gut Englisch und kennt auch ein paar Wörter Deutsch. Die hat er nach eigener Auskunft aus dem Internet. Wenn ich darüber nachdenke, welche Wörter er so kennt, dann kann ich nur mutmaßen, welche Art von Filmen er im Internet wohl so sieht. Das ist mir jetzt auf der Reise aber schon des öfteren passiert, dass ich auf Leute gestoßen bin, die ein paar Brocken Deutsch kannten und das meistens von Pornofilmen aus dem Internet. Nun gut, auch so verbreitet sich die Deutsche Sprache in der Welt…