Tag 192 – 11.August

Wuwei – kurz vor Yongdong: 171km; 7:40h im Sattel; 10 – 23 Grad, bedeckt / Regen
Camping

Meine Hoffnung auf einen sonnigen Start in den Tag wurde leider nicht erfüllt. Es blieb ähnlich wie gestern grau in grau bei recht kühler Temperatur. Aber immerhin regnete es nicht mehr, worüber ich mehr als erfreut war. Beim check out wollte man mir Anfangs noch irgendeine Gebühr verrechnen. Zu Beginn waren es 2x 15 YUAN, nach einiger Zeit reduzierte sich das auf 1x 15 YUAN und nachdem ich immer wieder nachfragte, wofür diese Gebühr zu entrichten sei, blieb es schlussendlich beim gestern vereinbarten Zimmerpreis. Manchmal braucht man einfach nur die nötige Geduld und vieles löst sich von ganz alleine.
Wie schon beim Letzten Mal so gab es auch heute einen kleinen Aufstand als ich durch die Mautstation radelte, aber ich strampelte einfach weiter und ignorierte die Rufe aus dem Kassenhäuschen. Nach gut 10km blieb dann ein Polizeiauto neben mir stehen und bat mich, auf die Bundesstraße zu wechseln, weil es hier auf der Autobahn zu gefährlich sei. Dass realistisch betrachtet die Autobahn sogar der sicherste Ort für Radler ist, das war nicht wirklich zu vermitteln. Auf der Bundesstraße herrscht mehr Verkehr und die Überholmanöver sind teilweise abenteuerlich. Nachdem ich für heute aber ohnehin im Laufe des Tages die Autobahn verlassen wollte, beschloss ich einfach noch gut 50km auf der Autobahn zu bleiben und dann bis Lanzhou mein Glück auf der Bundesstraße zu versuchen, Es überholten mich noch ein paar Polizeiautos, aber kein weiteres blieb stehen. Ich konnte also ungehindert bis zum Beginn der heutigen Bergetappe auf der Autobahn bleiben.
Darauf hatte ich mich schon richtig gefreut. Es geht wieder in die Höhe. Nach Wochen im Flachen freut man sich über ein paar Höhenmeter. Landschaftlich tut sich jetzt wirklich wieder viel. Es macht richtig Spaß, durch die Hügellandschaft zu radeln. Das Gute an den chinesischen Straßen ist ja, dass die Steigungen meist sehr moderat sind und so ging es auch heute wieder recht gemütlich bis auf knapp unter 3000m hinauf. Die Autobahn wollte ich heute vermeiden, um einerseits ein bisschen was von den Bergen zu sehen und andererseits die Tunnel zu vermeiden. Ich denke, es war eine gute Entscheidung. Es herrschte nicht sonderlich viel Verkehr und dezenter Rückenwind erleichterte den Aufstieg sogar noch. Einzig der einsetzende Regen hätte mir gestohlen bleiben können. Bei nur 10 Grad am Berg, leichtem Wind und stärker werdendem Regen hat man dann gar nicht so viel Lust, das Gipfelglück zu genießen.
Mal wieder in die Regenklamotten geschlüpft und weiter ging’s, den Rest des Tages bergab… Nach und nach ließ ich die Regenwolken hinter mir. Die Strecke führte durch einige recht staubige Straßendörfer wie sie mir schon aus dem Iran bekannt waren. Autowerkstatt reiht sich an Autowerkstatt. Dazwischen aber interessanterweise immer wieder mal ein Gemüseverkäufer. Hier in der Gegend wird ziemlich intensiv Landwirtschaft betrieben. Kohl, Tomaten, Bohnen, Mais und Getreide sieht man am Straßenrand. In manchen Dörfern scharen sich Gruppen von Menschen um Lagerhallen und bündeln zum Beispiel Frühlingszwiebel, oder stapeln Chinakohl auf Lastwagen.
Nicht nur hier, auch bei anderen Gelegenheiten hat man den Eindruck, dass viel zu viele Leute für dieselbe Arbeit beschäftigt sind. Wird zum Beispiel ein Loch in der Asphaltdecke händisch gestopft, dann sieht man nicht wie vielleicht zu erwarten wäre zwei, oder drei Arbeiter. Meist sind es so um die zehn Personen die sich um Zwei scharen, die wirklich was tun. Wie die Arbeitslosenstatistik in China aussieht weiß ich nicht, aber wenn ich mir so anschaue, wie viele Leute teilweise für ein und dieselbe Arbeit abgestellt werden, dann müsste im Land eigentlich Vollbeschäftigung herrschen.
Dort wo keine Landwirtschaft betrieben wird, buddelt man ganz eifrig in der Erde / im Berg. Man sieht viele Stolleneingänge entlang der Straße und hin und wieder auch kleinere Industrieanlagen. Was hier alles abgebaut wird, kann ich nicht wirklich erkennen, einzig ein paar Laster mit Gips sieht man recht häufig auf der Straße.
Dank leichtem Rückenwind und konstantem Gefälle komme ich recht gut voran. Nachdem es jetzt schon immer früher dunkel wird, wollte ich eigentlich schon um 18 Uhr Schluss machen, doch wie so oft war eben zu dieser Zeit partout kein geeigneter Platz zum Zelten auszumachen. Erst eine gute Stunde später fand ich schließlich ein geeignetes Plätzchen. Die Hoffnung auf einen trockenen Platz für das
Zelt hatte ich eh schon lange aufgegeben und so störte die regennasse Wiese auch nicht mehr so sehr.
Wenn alles glatt läuft, dann bin ich morgen schon in Lanzhou, der Provinzhauptstadt von Gansu. Mit weit über 2 Mio Einwohnern endlich mal wieder eine etwas größere Stadt. Angeblich gehört sie aber zu den an stärksten verschmutzten Städten Chinas. Ich lass mich mal überraschen. Immerhin sehe ich jetzt zum ersten Mal den Gelben Fluss…

 

Tag 193 – 12.August

kurz vor Yongdeng – Lanzhou: 133km; 6:22h im Sattel; 16 – 27 Grad, wechselhaft
Hotel

So richtig viel Glück mit dem Wetter habe ich im Moment ja nicht. Nachts regnete es wieder einmal ganz ordentlich und in der Früh war von Sonne weit und breit nichts zu sehen. Bei doch recht kühlen Temperaturen wurde kurz gefrühstückt und dann seit langem wieder einmal in der langen Radelmontour gestartet. Nachdem ich Yongdeng hinter mir gelassen hatte, ging es eigentlich ohne Unterbrechung durch kleinere Dörfer. Die Strecke verläuft in einem Flusstal an dessen Seiten die Hügel recht steil aufsteigen. Sämtliche Siedlungen konzentrieren sich also linear entlang der Straße. Zum ersten Mal sieht man auch größere Obstplantagen, Aprikosen soweit ich von der Ferne erkennen kann. Auf der gegenüberliegenden Flussseite präsentieren sich die Hügel in farbenfrohen Schattierungen, die sehr stark an den Zhangye Danxia Geopark erinnern. Hier allerdings mit dem Unterschied, dass irgendeine Schwerindustrie sich vor das Panorama schiebt.
So schön die Landschaft auch ist, der Gesamteindruck ist stets getrübt von dem ganzen Müll der in der Gegend rumliegt. In den meisten Dörfern sind nur die Hauptstraßen befestigt, der Rest ist Schotterstraße, demnach ist alles mit einer recht dicken Staubschicht überzogen. Dazu kommt, dass man hier nicht sonderlich viel Wert auf Sauberkeit legt. Alles, was nicht mehr gebraucht wird, wird einfach am Straßenrand abgelegt. Wenn die Müllberge dann zu groß werden, zündet man das Ganze einfach an. Gerade einmal der direkte Eingangsbereich vor den Häusern wird noch gekehrt, danach endet das Interesse. Niemanden stört es, wenn nur ein paar Schritte entfernt von der Eingangstüre die kleinen Kinder in aller Seelenruhe ihr großes Geschäft erledigen. Essensabfälle und sonstiger Müll landen einfach im Straßengraben.
Wirklich schade, weil die Umgebung eigentlich recht schön ist. Das Einzige, was ein wenig mehr Aufmerksamkeit bekommt ist das eigene Auto. Immer wieder sieht man private Autowaschplätze, die auch meist recht gut besucht sind. Es wird ein Schlauch und ein befestigter Platz angeboten und schon läuft das Geschäft. Für mich irgendwie schwer zu verstehen, dass man mehr Wert auf das Auto, als auf den eigenen Vorbereich des Hauses legt.
Mittags kommt dann zum ersten Mal die Sonne wieder raus, die Temperaturen steigen drastisch und ich kann endlich mein Zelt zum Trocknen aufstellen. Immer wieder kommen ein paar Leute vorbei und beäugen mich neugierig von der Ferne, auf mein Grüßen reagiert aber niemand. Es ist grundsätzlich ein eigenartiges Gefühl, wenn man so durch die Gegend radelt, einem die Leute wie einen Ausserirdischen anstarren und dann auf Grüßen, oder Winken keinerlei Reaktion zeigen. Ist China ein Land, in dem es unüblich ist zu grüßen? Ich weiß es noch nicht, aber ich denke mal, dass ich es bis zu meiner Ausreise schon noch erfahren werde.
Bereits 30km bevor ich das Stadtzentrum von Lanzhou erreiche, geht es über den Gelben Fluss, der eigentlich eher rot ist. Die Einfahrtsstraße in die Stadt ist in unvorstellbar schlechtem Zustand. Durch den Staub, den die LKWs aufwirbeln sieht man stellenweise nur noch ein paar Meter weit, doch irgendwann hat man das dann auch hinter sich. Im Vorfeld hatte ich mir schon ein paar Adressen für mögliche Unterkünfte herausgesucht, doch scheinbar hatte ich damit nicht wirklich Glück. Bei Adresse 1 war seit kurzem eine Wäscherei, Adresse 2 gab es gar nicht mehr, weil ein ganzer Häuserblock abgerissen wurde, bei Adresse 3 gab es nur eine Zweigstelle des Finanzamtes und Adresse 4 steht dasselbe Schicksal wie Adresse 2 bevor. Nun gut, Hotels gibt es ja genug in Lanzhou. Bereits um kurz nach 15 Uhr war ich schon in der Stadt, doch es dauerte noch bis kurz nach 18 Uhr, bis ich endlich ein Hotel gefunden hatte, das mich auch aufnehmen wollte. Eine Unterkunft zu finden war wirklich noch nie so schwierig wie hier in China. Stellenweise hat man das Gefühl, einfach nicht gewollt zu sein. Ich muss mir schon fast Mühe geben, weiterhin freundlich zu bleiben, denn so mit der Zeit wächst die Frustration. Manchmal steht man an der Rezeption und wird einfach wie Luft behandelt. Obwohl vier Angestellte arbeiten will keiner auch nur Hallo sagen. Bis zu diesem Zeitpunkt ist aber noch nicht einmal klar, dass ich kein Chinesisch spreche. Ich weiß nicht, aber gerade in einem Hotel würde ich mir mehr Gastfreundschaft erwarten, immerhin ist es ja deren Beruf…
Ich muss leider feststellen, China ist kein einfaches Land für Individualtouristen abseits der Touristenpfade ohne Sprachkenntnisse. Immer wieder versuche ich ein paar meiner chinesischen Vokabeln anzubringen, aber dabei werde ich stets nur mit großen Augen angeblickt und das war es dann. Von dem Versuch einer Reaktion ist man noch weit entfernt.

Tag 194 – 13.August

Lanzhou: 1 Ruhetag; Zwischenstand: 14.646km; 750:13h im Sattel; 20 – 26 Grad, Sonne
Hotel

Hat man sein Nest erst einmal bezogen, sind die Sorgen und der Ärger gleich verflogen. Bei strahlendem Sonnenschein ging es heute Morgen gleich mal mit dem Rad in Richtung Stadtzentrum. Nach langer Recherche im Internet hatte ich nun endlich den Ort gefunden, wo ich einen neue Kamera finden könnte. Ähnlich wie in Zentralasien, oder auch in der Türkei oder dem Iran muss man nur mal die richtige Straße für das gewünschte Produkt finden und dort findet man dann alles was man braucht. Für mich hieß das also den Bezirk für Elektro / Computer / Kamera zu finden. In mehreren Gebäuden drängen sich kleinere Einzelhändler, die eigentlich allesamt ein ähnliches Sortiment haben. Scheinbar bezieht man gemeinsam von einem Großhändler. Ich hatte nun also endlich gefunden, wonach ich so lange gesucht hatte. Digitalkameras wohin man schaut. Etwas erstaunt war ich darüber, dass die Preise eigentlich zu 100% denen in Europa glichen. Vielleicht muss ich mein Bild von den chinesischen Touristen mit den schweren Spiegelreflexkameras etwas adaptieren. So wie es aussieht handelt es sich dabei wohl mehr um recht leicht lesbare Statussymbole, als weniger um günstig erstandene Kameras. Für manche Modelle samt Objektiv legt man auch hier zwei bis dreitausend Euro auf den Tisch.
Ich bin nun wieder Besitzer einer funktionierenden Kamera und freue mich schon riesig darauf, endlich wieder ordentliche Fotos machen zu können. Irgendwie hat diese Basar-ähnliche Struktur der Geschäfte durchaus einen Sinn. Man muss nur wissen, was wo zu finden ist, dann hat man auch gleich sämtliche Vergleichsmöglichkeiten vor Ort und muss nicht durch die ganze Stadt sausen, um zwei Angebote einholen zu können.
Lanzhou hat laut Statistik etwas mehr als drei Millionen Einwohner. Nachdem sich die Stadt nur linear ausdehnen kann und noch dazu in der Mitte vom Gelben Fluss durchtrennt wird, findet die Verdichtung primär in der Vertikalen statt. Die wenigen zwei- bis dreigeschossigen Gebäude werden allesamt abgerissen und durch gesichtslose Hochhäuser ersetzt. Wenn man jetzt denkt, in der Stadt wäre Nachts viel los, der irrt sich. Schon wenige Stunden nach Einbruch der Dunkelheit werden auch hier die Gehsteige hochgeklappt und das sonst so dominante Hupen verstummt, bis irgendwann gar kein Geräusch mehr zu vernehmen ist. Eine Millionenstadt, die ziemlich stark dem natürlichen Rhythmus des Tages unterliegt – hätte ich in China jetzt nicht unbedingt erwartet.
Mit dem Fahrrad eine Großstadt zu erkunden ist wirklich eine sehr gemütliche Angelegenheit. Man kann sich in aller Ruhe durch die Straßen treiben lassen und kommt mühelos von A nach B. Kein Warten auf den Bus, kein suchen nach der erforderlichen Verbindung, einfach drauflosradeln und einer groben Richtung folgen. Heute genoss ich den dichten Stadtverkehr und ließ mich in der Nähe des Gelben Flusses ausspucken, wo ich ein wenig den Einheimischen beim Drachensteigen zusah. Hier am Ufer des Flusses hat die Stadt durchaus einen entspannenden Charakter. Vergessen ist das nervtötenden Hupen von Bussen, PKWs und Motorrädern. Jetzt kann man einer ewig langen Drachenschnur folgen und weit oben am Himmel einen der vielen Drachen beobachten. Den Blick von Oben wollte ich mir auch nicht entgehen lassen und entschied mich zu einer kurzen Fahrt mit der Seilbahn auf den am nördlichen Flussufer gelegenen Hügel. Von dort aus hat man einen wirklich traumhaften Blick über die Stadt und kann sich für eine gewisse Zeit vom Trubel ausklinken. Gut zu erkennen, wie dicht die Stadt bebaut ist. Der Fluss und die im Süden gelegenen Hügel bilden eine natürliche Barriere. Das “Ende der Stadt” ist zumindest im Süden zum Greifen nahe. Dafür kann man den Beginn weder im Osten, noch im Westen klar erkennen. Immerhin bin ich gestern fast 30km durch die Stadt geradelt, bis ich schließlich im Stadtzentrum angekommen war.
Wieder zurück auf dem Boden der Tatsachen bin ich wieder konfrontiert mit ungläubigen Blicken und Getuschel / Gekicher wenn ich durch die Stadt marschiere. So langsam beginne ich mich aber daran zu gewöhnen. Ich merke nur, dass man mit der Zeit ein wenig abstumpft. Ich hoffe nicht, dass sich das auf die generelle Stimmung niederschlägt.
Interessantes Detail am Rande… In China sind offenbar leistungsstarke Motorräder nicht wirklich im Handel. Han hatte mir schon davon erzählt, dass die Maschinen mit viel Kubik in der Regel über den Umweg Hongkong ins Land gebracht werden. Ein Motorrad ist also meistens – was die Geschwindigkeit anbelangt – den Autos unterlegen. Die Mehrzahl der Motorradfahrer ist selbstverständlich ohne Helm unterwegs. Das überrascht jetzt nicht so sehr, vielmehr überrascht es, dass die Mehrzahl Knie- und Ellenbogenschützer trägt. Ob das im Notfall wirklich hilft – ich weiß es nicht.
In etwas mehr als drei Wochen bin ich jetzt schon 2500km durch China geradelt. Die geplante Verlängerung des Visums habe ich nun auf Tianshui verschoben. Dort werde ich vermutlich in vier Tagen ankommen. So wie es aussieht gibt es auf dem Weg dorthin noch das eine oder andere zu sehen. Zumindest wird die Landschaft deutlich hügeliger und ich gehe davon aus, dass es auch etwas abwechslungsreicher wird. Man darf also gespannt sein auf das, was noch kommt.