Tag 195 – 14.August

Lanzhou – 10km hinter Dingxi: 122km; 6:32h im Sattel; 21 – 30 Grad, Sonne
Camping

Bei strahlendem Sonnenschein ging es heute Morgen aus der Stadt. Gleich Anhieb hatte ich die richtige Ausfallstraße gefunden und ließ Lanzhou hinter mir. Bis etwa gegen Mittag hieß es heute wieder einmal Höhe gewinnen. Ich hatte mich gestern bereits dazu entschieden, zukünftig auf der Bundesstraße weiterzufahren. Nun gibt es ja endlich ein bisschen was zu sehen und weit über 2000km Autobahn sind nun auch genug. Nachdem die Landschaft nun recht hügelig wird, schneidet sich die Autobahn immer wieder mittels Tunnels durch die Hügel. Die Bundesstraße weicht entweder in großem Bogen aus, oder verläuft eben über den Hügel. So viele Tage öder, immer gleichbleibender Landschaft liegen nun hinter mir, sodass ich mich richtig auf die abwechslungsreichen Strecken freue.
Zu meinem Erstaunen gibt es nur relativ wenige Siedlungen / Dörfer entlang der heutigen Strecke. Viel bewirtschaftetes Land dazwischen, aber eben ohne Häuser. Hätte ich nicht erwartet, tut aber ganz gut. Man sieht schon, woher der Gebe Fluss seine Farbe hat. Die Erde überall stark lehmhaltig. Nachdem die Hügel stellenweise recht steil abfallen versucht man hier durch Terrassierung der Natur etwas mehr bewirtschaftbare Fläche abzuringen. Auf teilweise recht kleinen Feldern wird unterschiedlichstes Gemüse, Mais oder Getreide angebaut. Industrie, so wie z.B, auf der Strecke vor Lanzhou sieht man hier keine mehr.
Die Luft zum Atmen wird aber trotzdem recht knapp. Nach der Mittagspause geht es durch einen unbeleuchteten Tunnel, dessen Straßenbelag Erinnerungen an den “Todestunnel” in Tajikistan aufkommen lässt. Bisher war der Straßenbelag noch recht passabel, aber auf der gegenüberliegenden Seite erwartet mich eine Straße in katastrophalem Zustand. Die vielen LKWs wirbeln den Staub nur so auf, dass man minutenlang kaum noch die Straße sieht. Immer wieder muss ich zur Wasserflasche greifen, um das Knirschen im Mund wegzuspülen. Schlagloch reiht sich an Schlagloch, tja, das sind eben die Schattenseiten einer untergeordneten Straße. Aber nichtsdestotrotz, es macht dennoch Spaß durch die immer interessanter werdende Landschaft zu radeln.
Heute begegnen mir wieder eine Hand voll chinesischer Radfahrer mit Leichtgepäck. So langsam habe ich mich jetzt schon daran gewöhnt, nur noch kurz zu grüßen und ohne anzuhalten weiterzuradeln. Bin wirklich gespannt, ob mir auch mal wieder ein nicht chinesischer Radreisender begegnet.
China habe ich ja stets mit Fahrrädern verbunden. Mein Bild von China bestand immer aus Städten und Dörfern in denen fast jeder mit einem Rad unterwegs ist. Dieses Bild gehört anscheinend schon lange der Vergangenheit an. In Lanzhou sieht man wirklich nur noch sehr vereinzelt Leute mit dem Fahrrad. Es wurden zwar seit kurzem Leihräder nach internationalem Vorbild eingeführt, aber abseits dessen zieht offenbar die Mehrheit den Elektroroller, oder eben das Auto vor. In den Dörfern ein sehr ähnliches Bild. Vereinzelt sieht man noch Leute vom / zum Feld mit dem Rad fahren aber im Grunde scheint das Fahrrad aus dem Alltagsleben sich langsam zu verabschieden. Die Alternative, die ohrenbetäubend lauten dreirädrigen Gefährte dienen nun als Transport- und Arbeitsgeräte.
Als ich am späten Nachmittag durch Dangxi radelte fuhr ich am Stadtrand entlang einer gerade im Entstehen befindlicher “Autostadt”. Hier reiht sich Autohaus an Autohaus. Sämtliche nur vorstellbare Automarken sind dabei vertreten. Da wird auch dem letzten Zweifler bewusst, dass sich China voll auf das Auto konzentriert. Wohin wird das führen, wenn bald in jedem Haushalt Chinas sich ein Auto befindet?
Als ich Nachmittags über die löchrige Bundesstraße holperte, ging es vorbei an einer Gruppenansammlung Jugendlicher, die alle darauf warteten, ein paar Meter mit dem Fahrschulauto zu fahren. Da sitzen ungelogen über 50 Jugendliche am Straßenrand und warten darauf, dass eines der zehn Fahrschulautos frei wird. Scheinbar war heute mal Training in freier Wildbahn angesagt, denn bisher hatte ich neben der Straße immer wieder recht groß angelegte Übungsplätze für Fahranfänger gesehen. Das vorsorgliche Hupen wird anscheinend schon im Fahrschulunterricht antrainiert. Als ich an den ganzen Fahrschulautos vorbeifuhr konnte ich zumindest einige Male beobachten, wie der Fahrschullehrer dem Fahrer zuredet und direkt darauf gehupt wurde. Das ist vielleicht einer der Punkte, die das Fahren auf der Bundesstraße recht anstrengend machen, das dauernde Hupen. Irgendwann kann man schon nicht mehr unterscheiden, ob es nur ein vorsorgliches Signal ist, oder ob es wirklich eng wird. Zum Glück kann ich die Situation meist über den Rückspiegel ganz gut einschätzen.
Kurz hinter Dangxi taucht die Straße in ein recht schönes Seitental ein. Es ist zwar erst kurz vor 18 Uhr, aber bei dem Panorama muss ich einfach stehenbleiben und mir einen Zeltplatz suchen. Die Straße folgt in einiger Höhe einem ehemaligen Flusstal. Die Hänge sind durchgehend terrassiert, stellenweise bereits abgeerntet, stellenweise steht noch der Mais, oder das Getreide. Eine dieser Terrassen wird für heute mein Schlafplatz. Der Blick, tief hinein ins vor mir liegende Tal ist faszinierend. Ich hätte mir nicht träumen lassen, dass ich in China noch einmal einen Zeltplatz mit derart schönem Ausblick finden werde. Na gut, ein wenig stört die Idylle der Lärm von der gegenüberliegenden Autobahn, aber da hatte ich schon viel lautere Schlafplätze. Zum Glück konnte ich in Dangxi noch mal meine Wasservorräte aufstocken. Die abendliche Dusche war zwingend nötig um die dicke Staubschicht von Armen und Beinen abzuwaschen.

Tag 196 – 15.August

10km hinter Dingxi – kurz hinter Luomen: 130km; 6:16h im Sattel; 17 – 29 Grad, wechselhaft
Camping

Nachts fiel die Temperatur seit langem einmal wieder in den einstelligen Bereich. Dementsprechend tropfnass war das Zelt dann auch am Morgen. Aber es schien ein regenfreier Tag zu werden, demnach sprach nichts dagegen, das Zelt irgendwo Mittags zum trocknen aufzustellen.
Die vor mir liegende Strecke war traumhaft schön. Mehr oder weniger am Kamm entlang kletterte bis auf knapp 2200m hinauf und konnte zu beiden Seiten die unter mir liegenden terrassierten Hänge bewundert. Trotz bedecktem Himmel leuchten mir die Terrassen in unterschiedlichsten Grün-, Gelb- und Brauntönen entgegen. Hier steht noch Handarbeit am Programm. Aufgrund der schweren Zugänglichkeit und der teilweise recht beschränkten Größe macht maschinelle Landwirtschaft hier auch keinen Sinn. Esel oder Kühe werden zumindest beim Pflügen hinzugezogen. Auffallend ist, dass man auf den einzelnen Terrassen meist nur eine einzige Person arbeiten sieht. Liegt es an der Familienstruktur in China, dass nicht mehr Leute bei der Feldarbeit zur Hand gehen können? Langsam, aber stetig wird gearbeitet, wobei durchaus auffallend oft Pause gemacht wird.
Gerade bei den Arbeiten an der Straße ist mir das schon seit Längerem aufgefallen. Egal zu welcher Tageszeit ich an einer Gruppe Straßenarbeiter vorbeifahre, es gibt immer ein paar, die abseits sitzen, Tee trinken, telefonieren oder miteinander quatschen. Ein wenig verwundert mich, dass überproportional viele Frauen bei den Straßenarbeitern oder auf Baustellen arbeiten. Dabei übernehmen sie nicht unbedingt, wie man vielleicht vermuten könnte, die leichten Arbeiten. Man sieht die Frauen oft am Presslufthammer, oder beim Ausheben von Gruben. Nur die schweren Baumaschinen werden eigentlich ausschließlich von Männern gelenkt.
Langsam kommt die Bundesstraße wieder nahe zur Autobahn. Die Terrassierung der Lösshänge geht zurück und es gibt wieder erste Anzeichen von Industrie. Zuvor gehts aber noch durch Longxi, einen eigenartigen Ort der mehrheitlich eigentlich aus gerade im Bau befindlicher Hochhauswohnblöcken besteht. Der bisher bestehende Ortsbereich ist relativ klein. Auch hier stelle ich mir wieder die Frage, wer soll in all diesen neu erbauten Wohnanlagen wohnen? Die Kapazität an neu erbauten Wohnungen übersteigt bei Weitem die bestehende Ortsstruktur. Na gut, aber irgendeinen Zweck wird es wohl schon erfüllen.
Ich gönne mir in Longxi eine köstliche Nudelsuppe und bin mal wieder erstaunt, wie günstig man doch zu Mittag essen kann. Nicht mal einen Euro für eine gewaltig große Schüssel Suppe mit frisch zubereiteten Nudeln.
Gut gestärkt gehts also in Runde zwei des Tages. Ich bin immer noch recht froh, die Autobahn nun endlich hinter mir gelassen zu haben. Die Fahrt durch die Dörfer ist wirklich sehr reizvoll. Im Moment wird gerade das geerntete Getreide verarbeitet. Auf den betonierten Flächen vor dem Haus sieht man fertig ausgedroschenes Getreide zum Trocknen ausgelegt. Mit Steinwalzen, oder mit Dreschschlegeln wird anderenorts erst noch das geerntete Getreide bearbeitet. Manche Familien nehmen sich den Autoverkehr zur Hilfe und breiten einfach das Getreide auf der Bundesstraße aus und lassen die Autos darüberfahren. Wieder woanders wird mit verschiedenen Sieben, oder unter Zuhilfenahme des Windes die finale Feinarbeit angegangen. Ein bisschen eigenartig ist es aber schon, wenn einerseits mit dem Smartphone telefoniert wird und gleichzeitig mit relativ alter Technik Getreide verarbeitet wird. Aber eben diese Gegensätze prägen offenbar das China von heute. Einerseits geht man mit der Technik, andererseits bleibt man Gewohntem treu.
Immer noch reagieren die Leute sehr erstaunt, wenn sie mich kommen sehen. Seit Kurzem habe ich aber den Eindruck, dass man ein wenig interessierter und aufgeschlossener reagiert. Immer öfter wird mein Grüßen erwidert und ich bekomme schon auch mal ein Lächeln zurück. Zum ersten Mal seit ich in China bin wurde ich heute sogar mehrfach von Weitem begrüßt.
Laut online Reiseführer gibt es in der Nähe von Luomen einen sehenswerten Ort. Nachdem ich erst am späten Nachmittag in Luomen ankomme, beschließe ich die Besichtigung der “water curtain caves” auf morgen zu vertagen und suche mir nur wenige Kilometer entfernt einen schön ruhigen Platz zum übernachten. Traumhaft – endlich einmal wieder ein Zeltplatz ganz ohne permanenten Verkehrslärm. Die Grillen zirpen und in den umliegenden Orten wird immer wieder mal ein Feuerwerk abgelassen. Am eigentlich bedeckten Himmel zuckt es immer wieder hell auf und etwas zeitverzögert hört man dann auch das Krachen der Raketen.

Tag 197 – 16.August

Luomen – 25km vor Tianshui: 82km; 4:21h im Sattel; 20 – 32 Grad, wechselhaft
Camping

Nach nur 30min Fahrt war ich auch schon am Eingang zum “Scenic Spot”, so wie es immer auf den Hinweistafeln steht. Die water curtain caves, oder auch Shui Lian Dong genannt. So wirklich einen Plan hatte ich nicht, was mich da erwartet. Im Netz hatte ich nur ein Bild von einem recht großen Wandgemälde / Fresko gesehen, also ließ ich mich mal überraschen. Mal wieder umsteigen in den Shuttle-Bus und gut drei Kilometer entlang eines ausgetrockneten Flussbettes immer tiefer hinein in die immer höher werdenden Sandsteinhügel. Nach ein paar Minuten Fahrt dann Endstation. Von nun an zu Fuß weiter… Viel war noch nicht los, aber es war ja auch erst kurz vor neun Uhr.
Sehr beeindruckend dieses riesengroße Wandgemälde (La Shao Si). Die etwas überhängende Wand wurde mit Lehm verputzt und darauf entweder Gemälde aufgebracht, oder auch reliefartig Buddafiguren aus der Wand herausgearbeitet. Überall verteilt auf der Felswand sieht man kleinere und größere Skulpturen im Fels.
Doch woher kommt jetzt der Name Water Curtain Caves? Das Rätsel löst sich, wenn man dem vorgegebenen Pfad folgt und die gegenüberliegende Felswand erklimmt. Nach ein paar Minuten erreicht man dann eine Tempelanlage die unter einer großen überhängenden Felsformation erbaut wurde. Vor allem im Frühjahr, wenn es zu viel Regen kommt, verschwindet ein Teil der Tempelanlage hinter einem Wasservorhang. Gut. jetzt ist dieser Punkt auch geklärt…
Mit chinesischen Tempelanlagen bin ich ja nicht so sehr vertraut. Ich kann nur die Orte auf mich wirken lassen und da muss ich sagen, dass das ganze Ensemble eine erstaunlich beruhigende Wirkung auch mich hat. Man fühlt sich richtig wohl in Mitten der fast senkrecht aufragenden Sandsteinwände.
Die gut 8km bis Luomen muss ich nun wieder zurückradeln, aber nachdem es den ganzen Weg bergab geht, fällt das schon mal recht leicht. Ich bleibe weiterhin auf der Bundesstraße, lasse die Autobahnauffahrt links liegen und radle nun mitten durch den Gemüsegarten. Auberginen, Tomaten, Paprika, Kohl, Salat… alles was das Herz begehrt wird neben der Straße angebaut. Momentan ist offenbar gerade Erntezeit für Jungzwiebel und den noch nicht blühenden Knoblauch. Ein leicht scharfer Geruch von Zwiebel / Knoblauch liegt in der Luft. Das sauber geputzte Grün wird in große Plastiksäcke verpackt und dann ziemlich oft umgeladen. Vom Handkarren zum Dreiradmoped, von dort dann zum Kleinlaster und dann wieder weiter auf den großen LKW. Jetzt geht die Ernte wirklich auf die Reise… Ziemlich viele Hände waren bis dahin im Spiel, wenn man davon ausgeht, dass jeder dabei ein bisschen was verdient, dann bleibt für den Bauern, der geerntet hat vermutlich nicht viel übrig.
Am frühen Nachmittag erreiche ich Gangu und gönne mir mal wieder eine super leckere Nudelsuppe. Speisekarten mit Bildern gibts eigentlich nur recht selten, daher muss ich heute mal wieder blind auf ein Gericht tippen, wurde aber auch diesmal nicht enttäuscht. Die Vorfreude ist oft die größte Freude. Man sitzt am Tisch und beobachtet die Nachbartische, was da so alles verzehrt wird. Was wird es wohl dieses Mal für mich werden? Immerhin habe ich seit ich in China bin erst zweimal dasselbe Gericht gegessen, so etwas passiert einem in anderen Ländern nicht so leicht. Zum ersten Mal gabs heute zum Essen eine Schale Nudelwasser statt dem bisher bekannten Tee. Um ehrlich zu sein, bevorzuge ich aber den Tee als Beigetränk…
Jetzt kann man es nicht mehr verleugnen… die Leute haben sich verändert, ich werde definitiv anders wahrgenommen. Noch vor ein paar Tagen erstarrten die Meisten in ihrer Tätigkeit und blickten mich ungläubig, fast entsetzt an, jetzt werde ich immer öfter mit einem Lächeln begrüßt. Neugierig ist man zwar immer noch, aber das verstehe ich ja. Zum ersten mal gesellen sich jetzt auch ein paar Burschen zu mir und wollen wissen, woher ich komme und was es mit dem schweren Rad auf sich hat. Nachdem der Erste mich angesprochen hat, tummeln sich gleich ein paar mehr um mich herum. Die erste Hürde ist offenbar genommen.
Aber es kommt noch besser… Von Gangu aus gehts mal wieder über einen der vielen Hügel hinauf. Zwar nur 400 Höhenmeter am Stück, aber bei der Nachmittagssonne durchaus schweißtreibend. Auf ungefähr halber Strecke nähert sich ganz langsam von hinten eines der vielen Dreiradmopeds. Der Fahrer winkt mir freundlich zu und bleibt dann ein paar hundert Meter über mir stehen. Zuerst möchte er mir eine Zigarette anbieten, nachdem ich diese aber ablehnen muss, greift er umgehend unter die dicke Decke auf seiner Ladefläche und zaubert ein Eis aus einer der vielen Kisten. Er ist gerade auf dem Weg zu einem der Dörfer am Hügel um dort den Laden mit neuem Eis zu beliefern.
Na, so gefällt mir das…
Offenbar hat sich jetzt die Bodenbeschaffenheit verändert. Der Gemüseanbau tritt in den Hintergrund, statt dessen stehen nun Obstbäume auf den Terassen. Äpfel und Birnen hängen erntereif am Baum. Viele der Äpfel sind einzeln in Papiertüten verpackt, wozu das dienen soll ist mir noch nicht ganz klar.
Macht Obst glücklich? Die Leute in den Dörfern machen auf mich auf alle Fälle einen sehr ausgeglichenen Eindruck. Es wird viel gelacht, man sitzt in Gruppen zusammen und plaudert und immer wieder winkt man mir freundlich zu.
Dass sich der landschaftliche Wandel auch so stark in der Mentalität der Menschen widerspiegelt hätte ich mir nicht gedacht. Ich bin auf alle Fälle froh, die ganze Strecke von Kasachstan bis hierher auf den eigenen zwei Rädern zurückgelegt zu haben. Viele Radreisende wählen für die zermürbende Strecke im Westen den Bus, oder den Zug, aber ich glaube nicht, dass man auf diese Weise den Wandel von Land und Leuten so eindrucksvoll miterleben kann. Ich habe auf jeden Fall den Eindruck nun in einem China angekommen zu sein, das mir weit aufgeschlossener und freundlicher gegenübersteht. Bald steht die Visaverlängerung an und ich freue mich jetzt schon auf Runde zwei…
Heute ist Samstag und eigentlich könnte ich schon in Tianshui einrollen, doch ich beschließe noch eine Nacht im Zelt zu verbringen und dann am Sonntag Vormittag in Tianshui einzuchecken. Ich hoffe, dass die Visumsverlängerung am Montag ohne größere Schwierigkeiten über die Bühne geht.

Tag 198 – 17.August

25km vor Tianshui – Maijisahn: 85km; 4:38h im Sattel; 22 – 29 Grad, bedeckt
Camping

Allzu früh wollte ich heute ohnehin nicht in Tianshui einrollen, also gönnte ich mir noch eine extra Stunde Schlaf und wechselte dann endlich auch wieder einmal die Kette. Das gute Stück wird wohl zum letzten Mal im Einsatz gewesen sein. 3300km waren es zum Abschluss. Das mittlere Kettenblatt zeigt jetzt auch schon deutliche Abnutzungserscheinungen. Ich hoffe, dass es mich noch bis nach Hause bringt. Zukünftig muss ich wohl mehr mit dem kleinen, oder dem großen Blatt fahren, um das mittlere ein wenig zu schonen. Aber ein bisschen Abnutzungserscheinungen sind nach der Distanz auch legitim.
Apropos Distanz – Heute wurde das dritte Viertel vollgemacht. 15.000 Kilometer habe ich mich nun schon in Richtung Osten bewegt und bin immer noch nicht am Meer angekommen. In mancher Hinsicht ist die Welt größer als man denkt. Ich kann das Meer zwar noch nicht riechen, aber allzuweit ist es jetzt auch nicht mehr. Noch knapp vier Wochen, dann ist die Landpartie zu Ende.
Zu meiner großen Überraschung bekam ich heute sogar noch Gesellschaft beim Radeln. Gestern waren mir ja einige chinesische Radler begegnet und heute kommt einer von ihnen wieder zurück. Ren Kan spricht perfekt Englisch und erklärt mir, dass er irgendwie den Weg verloren hat und jetzt nach Tianshui zurückradelt, um von dort aus dann wieder neu zu starten. So ganz schlau bin ich aus der Geschichte nicht geworden, aber manchmal hat zu intensives Nachfragen auch keinen Sinn. Wir radeln gemütlich die knapp 15km bis nach Tianshui gemeinsam und unterhalten uns ein wenig übers Reisen. Die meisten chinesischen Radreisenden sind ohne Zelt unterwegs. Auch Ren Kan übernachtet eigentlich immer in einem Hotel. Bei den Preisen aber auch kein Wunder. Gestern hatte er z.B. für 20 Yuan, also nicht einmal 3 EUR übernachtet. Das sind eben diese Hotels in die Ausländer nicht reinkommen. Ich muss dann in ein paar Kategorien höher ausweichen… Mit ein Grund, weshalb eigentlich nicht im Zelt übernachtet wird ist aber hauptsächlich die Vorstellung, dass es zu gefährlich ist. Überhaupt ist ziemlich vieles sehr gefährlich in China. Die Straßen, der Verkehr, die Natur… Es wird einem scheinbar anerzogen vorsichtig, wenn nicht sogar ängstlich zu sein.
In Tianshui wollte ich mir eigentlich zuerst ein Hotel suchen und dann mit Ren Kan was essen gehen, doch irgendwie bestand er darauf, erst nach dem PSB (dem Public Security Bureau, das für die Visaverlängerung zuständig ist zu suchen. Die Adresse, die ich mir im Internet rausgesucht hatte war offenbar veraltet, aber nach mehrmaligem Nachfragen bei Passanten fanden wird dann den Weg. Zu meiner Verwunderung war das Büro sogar besetzt, obwohl Sonntag war. Nun hatte es sich ausgezahlt, dass ich noch kein Hotel gesucht hatte, denn im PSB erfuhr ich, dass ich zur Visaverlängerung in Tianshui mindestens 7 Tage registriert sein muss. Man empfahl mir, nach Xi´an weiterzufahren, weil es dort die Verlängerung binnen eines Tages gibt. So wie es aussieht gibt es immer dort die Verlängerung relativ flott, wo auch mehr Touristen verkehren. Tianshui ist nicht unbedingt der Touristenmagnet, daher die besonders lange Wartezeit. Nachdem auch nach mehrmaligem Nachfragen nichts zu machen war, zog ich wieder von dannen. Zum Glück liege ich noch gut in der Zeit. Bis zum 22.August habe ich noch Zeit das Visum zu verlängern und bis Xi´an sind es noch gut 360km. Sollte terminlich also alles zu machen sein.
Jetzt wird also alles auf eine Karte gesetzt, aber so wie die Mitarbeiter im PSB in Tianshui reagiert hatten, scheint es in Xi´an nicht sonderlich schwierig zu sein, die Verlängerung zu bekommen.
Mit Ren Kan ging ich dann trotzdem noch was essen, doch danach trennten sich unsere Wege. Er fuhr dieselbe Strecke wieder zurück, die er gestern schon geradelt war und ich versuchte noch heute die Top Sehenswürdigkeit von Tianshui zu erreichen. Vom Chinesischen Tourismusverband mit AAAAA bewertet – ob es überhaupt mehr als 5xA gibt, wage ich zu bezweifeln. Die Maiji shan Grotten zählen mit zu den bedeutendsten Sehenswürdigkeiten in der gesamten Provinz, dementsprechend viel Betrieb herrschte dann auch. Ich kam zwar erst um kurz nach 16 Uhr an, hatte aber noch genug Zeit, mir das ganze Spektakel in Ruhe anzusehen. Es ging mal wieder mit dem Bus hoch auf den Berg. Diesmal hätte man auch zu Fuß gehen können, doch nachdem ich ohnehin knapp in der Zeit war und bereits 25km bergauf geradelt war, entschied ich mich für den Bus.
Ich reihe mich also ein in die Masse aufgeregter chinesischer Tagestouristen und bestaune den monolithisch aufragenden Berg, der auf einer Seite mit unzähligen Buddhastatuen, Wandgemälden und Höhlen übersäht ist. Die ältesten Höhlen gehen bis ins 5.Jahrhundert zurück. Schon faszinierend, wenn man bedenkt, was die Leute damals so alles auf die Beine gestellt haben. Mir wird jetzt schon ganz schwindelig, wenn ich über die unzähligen Treppen in luftiger Höhe entlang der Felswand wandle. Die meisten Statuen, oder Grotten kann man nur bedingt besichtigen, weil sie hinter feinmaschigem Gitter vor den neugierigen Händen der Besucher geschützt sind. Manche der Grotten quellen geradezu über vor Geldscheinen, die die Touristen durch die Gitter stecken. Geldspenden sind bei Tempeln in China ja immer ein großes Thema. Weshalb manche Grotten nun so besonders begehrt sind, das entzieht sich meiner Kenntnis.
Ich lasse mich einfach nur von der Kunstfertigkeit und der ausserordentlichen Lage beeindrucken. Schon alleine der Blick hinein in die dicht bewaldeten Hügelketten ist traumhaft. Nur mit der Art der Vermarktung derart beeindruckender Plätze habe ich noch meine Schwierigkeiten. In Ermangelung spezieller Souvenirs wird entlang der Straße einfach alles mögliche verkauft. Steinschleudern, Gummischlangen, Cowboyhüte, Armbrüste etc. Klimbim, Kitsch und Unnützes wohin man schaut, aber es wird fleissig gekauft.
Zu sehen gäbe es hier in der Gegend offenbar noch einiges mehr, viele Wegweiser zu verschiedenen “Scenic Spots” sind zu sehen, doch ich habe vorerst mal genug und konzentriere mich jetzt auf den nächsten Meilenstein Xi´an. Ab und an ist es ja ganz nett, speziell zu einem Ort zu fahren, um dort etwas zu sehen, doch jetzt möchte ich mich wieder davon überraschen lassen, was es auf der Strecke so zu sehen gibt.
Den ganzen Tag über hatte es jetzt schon nach Regen ausgesehen. Als ich bei den Maiji shan Grotten war, kam dann aber die Sonne hinter den Wolken hervor. Gerade als ich das Zelt aufstellen wollte, ging es dann aber doch noch los… Bin gespannt, ob ich morgen Glück habe und trockenen Fußes starten kann

Tag 199 – 18.August

Maijishan – ca. 45km vor Baoji: 137km; 6:12h im Sattel; 20 – 34 Grad, Sonne
Camping

Zum Glück hatte der Regen über Nacht aufgehört. Trotzdem musste ich ein tropfnasses Zelt einpacken, aber die Chancen standen gut, es im Laufe des Tages irgendwo zum Trocknen aufzustellen. Meinen frühen Start bremsten dann in Maiji zwei mysteriöse Löcher im Hinterrad ein, aber danach gings dann pannenfrei weiter. Das heutige Streckenprofil mit einem Wort beschrieben: wellig…
Die Autobahn verläuft ab Maiji in einem anderen Tal, bzw. bohrt sie sich recht häufig einfach durch die Berge. Ich hatte mich für die um einiges längere, aber dafür landschaftlich zauberhafte Bundesstraße entschieden. Die Straße verläuft entlang eines recht breiten Flussbettes, das sich in unzähligen Windungen immer tiefer in ein Labyrinth aus steil aufragender, dicht bewaldeter Hügel. Der Höhenunterschied bis zu den Gipfeln beträgt oft einige hundert Meter. Man kann sich gar nicht sattsehen an dieser faszinierenden Landschaft.
Anfangs gibt es noch recht viel Landwirtschaft neben der Straße. Vor allem Äpfel und Birnen sieht man an den Bäumen hängen. Dazwischen immer wieder allerlei Gemüse, einige Nussbäume, hie und da eine Pfirsichgarten. Nach und nach verschwinden die Obstbäume und an ihre Stelle treten immer mehr Pfeffersträucher – zumindest vermute ich, dass es sich um Pfeffer handelt. In den Dörfern sind die Früchte in der Sonne zum Trocknen ausgelegt. Mit weiten Körben in der Hand sieht man die Leute am Straßenrand wie sie die Sträucher abernten. Bei Gelegenheit muss ich mal eruieren, ob es sich wirklich um Pfeffer handelt. Zumindest vom Geruch her hätte ich darauf getippt. In Natura habe ich aber noch nie eine Pfefferstaude gesehen.
Sonderlich dicht besiedelt ist das Gebiet hier nicht, geht ja auch nicht wirklich, da abseits des hie und da etwas breiteren Flussbett die Berge fast senkrecht in die Höhe ragen. Dank des ziemlich geringen Verkehrsaufkommens lässt es sich wirklich sehr entspannt radeln, auch wenn es stets viel rauf und runter geht. Manchmal hat man das Gefühl, man befindet sich mitten im tiefsten Urwald, so laut sind die Geräusche, die aus den Bäumen kommen. Es wird gezirpt, gesägt, gefiept, getrillert, gekrächzt und alles in einer Lautstärke, dass teilweise sogar der Verkehrslärm übertroffen wird.
Immer wieder bleibe ich stehen und lasse meinen Blick über die fast punktförmig endenden Bergspitzen schweifen. Auch wenn die Bundesstraße gut 60km mehr Strecke bedeutet, die Szenerie ist jeden Kilometer wert.
Mittags treffe ich beim Einkehren auf drei chinesische Motorradreisende, die mich gleich zu sich an den Tisch winken und schlussendlich noch zum Essen einladen. Ihnen gefiel die Geschichte so gut, dass ich von Deutschland aus nach China geradelt bin, dass sie mich auf keinen Fall für mein Essen bezahlen lassen wollten. Der Wirtin kam das Ganze wohl etwas eigenartig vor, aber wenn es nach ihr gegangen wäre, hätte ich vermutlich gar nichts zum Essen bekommen. Bei meinen Kurzbesuch in der Küche hatte sie mir nur mit Kopfschütteln versucht zu erklären, dass es nichts mehr zu essen gäbe… Viel war ja nicht los im Ort, aber die drei Motorradfahren hatten mir somit zu einem mehr als ausgiebigen Mittagsschmaus verholfen.
Nach knapp 100km ohne Kontakt zur Autobahn traf diese nun wieder mit der Bundesstraße zusammen. Bisher hatte man sich das Flusstal nur mit zwei Eisenbahnlinien geteilt, die meist überhalb der Bundesstraße durch recht viele Tunnels verliefen. Die Autobahn nun auch wieder aufgeständert und so hieß es “durchtauchen” durch teilweise vier Verkehrswege überhalb der Bundesstraße. Doch immer wieder verschwanden die schnellen Verkehrsadern wieder im Berg und man war wieder alleine, nur die Straße und der Fluss. Von den Seitentälern floss immer wieder mal klares Wasser in den sonst recht bräunlichen Fluss. Klares Wasser, das habe ich jetzt schon seit Längerem nicht mehr gesehen. Ich muss schon sagen, die Landschaft hier hat wirklich einen sehr besonderen Reiz.
Auch die Leute reagieren zum größten Teil recht freundlich und machen auch einen ganz entspannten Eindruck. Von mir aus hätte der Tag ewig so weitergehen können, aber die Schatten wurden schon immer länger und somit war es Zeit, ein geeignetes Plätzchen für die Nacht zu finden.
Frisch geduscht kam dann der große Moment… meine Straßenkarte von China musste gewendet werden. Es mag eigenartig wirken, aber irgendwie fühlte sich das speziell an. Was hinter Tianshui kam, wusste ich bisher nur im Groben. Jetzt sieht man auf der Karte schon den Endpunkt des Chinaabenteuers. Bis heute war am Rand meiner Karte nur ein Ort in der Mitte des Landes zu sehen, jetzt sieht man schon die Küste und die angrenzenden Länder. Und eines wird auch ziemlich deutlich… es wird alles ein wenig dichter werden. Straßen über Straßen… bin gespannt, ob sich da noch ein paar ruhige Täler finden lassen.
Dass es neuerdings schon um acht Uhr dunkel wird, verkürzt die aktive Zeit am Rad schon ein wenig. Wenn ich daran denke, dass an meinen ersten Tagen in China es erst nach zehn Uhr dunkel wurde… Jeden Tag, den ich weiter nach Osten radle werden es ein paar Minuten weniger, die mir der Tag zur Verfügung stellt.

Tag 200 – 19.August

45km vor Baoji – kurz hinter Changxingzhen: 106km; 5:04h im Sattel; 17 – 34 Grad, Sonne
Camping

Für ein paar Kilometer ging es heute landschaftlich in ähnlicher Manier weiter wie gestern, doch auch die schönste Etappe hat einmal ein Ende. Es mussten immer mehr Tunnels durchquert werden und schon bald war klar, dass ich die so wunderschön verschachtelten Hügel hinter mir lassen muss.
Für die Mittagszeit hatte ich mich mit Yulin Miao, einem Warmshowers Kontakt in Baoji verabredet. Yulin hatte drei Jahre in England studiert, war dort auch oft mit dem Rad für größere Touren unterwegs und versucht nun ein wenig von der Gastfreundschaft, die er bei seinen Touren erleben konnte, weiterzugeben. Allzuoft kommt er aber nicht in die Verlegenheit, Radreisende bei ihm einzuquartieren. Nach eigenen Aussagen war zum letzten Mal im Herbst 2013 ein polnisches Pärchen bei ihm. Kurz hatte ich überlegt, ob ich eine Nacht in Baoji verbringen sollte, hatte mich dann aber dagegen entschieden, um rechtzeitig für die Visaverlängerung in Xi´an sein zu können.
Die Versorgung mit qualitativen Ausrüstungsgegenständen für Radreisende war bis vor kurzem noch recht schwierig, jetzt gibt es nach Auskunft vorn Yulin neben der Möglichkeit, übers Internet Material zu beziehen auch schon ein paar Privatinitiativen, die sich auf den Import aus Europa und Amerika spezialisiert haben. Dennoch müssen sich die meisten chinesischen Radreisenden mit teilweise recht mangelhafter Qualität rumärgern.
Nun weiß ich auch endlich, um welche Pflanze es sich handelt, die ich zuerst als Pfeffer eingeordnet hatte. Man kann die Früchte zwar auch zum Würzen verwenden, Pfeffer ist es aber nicht. Es handelt sich um “Go Ji”, das vielerlei Anwendungen findet, aber im Grunde für die innere Balance zuständig ist.
Ein wenig schmunzeln musste ich, als ich mich mit Yulin ein wenig übe die Komplexität der chinesischen Sprache unterhielt. Er meinte, dass man ja nur ca. zwei- bis dreitausend Zeichen beherrschen muss, um einigermaßen gut um die Runden zu kommen. Wie fundiert diese Zahl ist, kann ich jetzt natürlich nicht sagen, ich bin ja schon mit den vier Tonlagen überfordert. Und dann kommen noch die Dialekte hinzu, aber die konzentrieren sich zumindest auf die einzelnen Provinzen. Innerhalb einer Provinz wird zumindest derselbe Dialekt gesprochen. Na, das ist ja schon mal eine große Erleichterung…
Seit heute habe ich übrigens die Provinz Gansu verlassen und befinde mich nun in Shaanxi, deren Hauptstadt Xi´an ich hoffentlich morgen erreichen werde.
Es war richtig angenehm, mal wieder entspannt plaudern zu können, ein wenig über Land und Leute zu erfahren und ein bisschen übers Reisen an sich zu quatschen. Mein Eindruck hatte nicht getäuscht, die Mobilität und auch das überregionale Interesse der Chinesen ist nicht sonderlich groß. Yulin schließt sich dabei selbst mit ein. In seiner Provinz kennt er sich recht gut aus, aber was ausserhalb der Provinzgrenzen zu sehen ist, das kennt er meist nur aus Erzählungen von Freunden. Im Grunde kann man aber auch die Provinzen in China fast mit den einzelnen Ländern in Europa vergleichen, zumindest vom Maßstab her kommt das teilweise hin. Mich fasziniert die Vorstellung noch immer, dass man fast dreitausend Kilometer radeln kann und in der Zeit nur zwei Provinzen eines gewaltig großen Landes durchquert.
Nun gut, ab heute also Provinz Nr. drei… Landschaftlich ist der Bruch relativ hart. Raus aus der nur spärlich besiedelten Hügellandschaft hinein in ein sehr dicht besiedeltes Flachland. Mal wieder hauptsächlich Mais neben der Straße und am Horizont immer wieder Hochhäuser in Orten, die auf meiner Karte nicht einmal verzeichnet sind. Keine Frage, die Besiedelungsdichte nimmt dramatisch zu. Solange es aber noch Felder neben der Straße gibt, findet sich auch immer noch ein Platz zum Zelten.
Morgen noch einen ganzen Tag strampeln, dann gönne ich mir ein paar Tage Auszeit in Xi´an. Eine ordentliche Dusche und vor allem eine Waschmaschine – darauf freue ich mich jetzt schon ganz besonders. Der 200ste Tag meiner Reise geht zu Ende. Ein gewaltiges Stück Weg liegt jetzt schon hinter mir. Nach anfänglichen Schwierigkeiten habe ich mich nun auch langsam mit dem Radeln in China anfreunden können und hoffe nun, dass ich auch von offizieller Seite die Erlaubnis für Runde zwei in China bekomme.

Tag 201 – 20.August

Kurz hinter Changxingzhen – Xi´an: 126km; 5:30h im Sattel; 20 – 35 Grad, Sonne
Hostel

In den frühen Morgenstunden gings heute bei windstillen Verhältnissen durch den schon fast zur Gewohnheit gewordenen Morgendunst. Hier in der Gegend herrscht eine ziemlich hohe Luftfeuchtigkeit. Jeden Morgen ist das Zelt tropfnass und es ist schon einige Tage her, dass ich zum letzten Mal in trockene Klamotten geschlüpft bin. Nach ein paar Stunden Fahrt verzieht sich dann der Dunst wieder und die Sonne heizt ordentlich ein. Ich bin heute auf einer recht kleinen Nebenstraße unterwegs die fast durchgehend von Baumreihen gesäumt ist. Im Schatten lässt es sich recht gut radeln. Am späten Vormittag ist es dann heiß genug, dass das Zelt in nur einer halben Stunde aufgetrocknet ist. So langsam wird es schon zur Routine in der Früh ein triefendes Zelt einzupacken und dann kurz vor Mittag einen ruhigen Sonnenplatz zu finden und alles wieder auftrocknen zu lassen.
Anfangs hatte ich den Eindruck, dass in den Dörfern gerade Hochbetrieb in der Küche herrscht. Ein süßlich scharfer Geruch nach Zwiebel und Knoblauch lag in der Luft. Gekocht wurde nicht wirklich viel… der Geruch kam aus den Hinterhöfen in denen Knoblauch in Säcke gefüllt wurde und anschließend per Lastenmotorrad zur zentralen Wiegestelle gefahren wurde. Ich bin immer wieder überrascht, was gerade zum Trocknen ausgelegt ist, oder frisch geerntet weiterverarbeitet wird. Gestern waren es Walnüsse, heute sind es Maiskörner und eben auch Knoblauch. Neben der Straße Mais wohin man blickt. Es wird langsam wieder etwas eintöniger, aber es sind ja auch nur mehr wenige Kilometer bis Xi´an.
Ich bin froh, den Weg über die teilweise recht holprige Nebenstraße gewählt zu haben. Hier herrscht eigentlich recht wenig Verkehr, man fährt durch viele kleinere Dörfer und trifft immer wieder auf recht freundlich dreinblickende Leute. Etwa 30km vor Xi´an wirds dann wieder etwas turbulenter auf der Straße. Ich weiß nicht, ob ich mich schon mal über den chinesischen Verkehr geäussert habe. Gehupt wird ja pausenlos und bei praktisch jeder Gelegenheit. So nach und nach habe ich aber das Gefühl, dass größtenteils aus Unsicherheit gehupt wird. Man kündigt sich schon von Weitem an, wenn es dann zum Überholen kommt, wird trotz immer noch anhaltendem Hupsignal ein Riesenbogen gemacht. Ich bin in meinen vier Wochen in China eigentlich noch kein einziges Mal mit geringem Abstand überholt worden. Manchmal geht es sogar soweit, dass der Gegenverkehr abbremsen muss, weil ein Bus, oder ein PKW einen derart großen Bogen um mich herum macht, dass die gesamte Gegenspur in Besitz genommen wird. Grundsätzlich ist man ohnehin nicht besonders flott unterwegs. Die Meisten nutzen ja die Elektromotorräder und die sind bei ca. 25km/h gedrosselt. Die Motorräder haben auch kaum Leistung und auch bei den Autos hat man den Eindruck, dass es eine Leistungsbeschränkung gibt. Selbst bei brenzligen Situationen habe ich noch nie gesehen, dass so richtig beschleunigt wird. Einzig die LKWs haben offenbar wirklich was unter der Haube und das leben die Fahrer auch aus. In noch keinem anderen Land habe ich derart viele LKWs auf der Überholspur gesehen wie in China. Sind die Chinesen dazu verdammt, mit Einheitsgeschwindigkeit durchs Land zu rollen? Wenn dieses penetrante und trommelfellerschütternde Hupen nicht wäre, könnte man sich auf Chinas Straßen so richtig wohl fühlen.
Selbst die Stadteinfahrt nach Xi´an war trotz recht dichtem Verkehr eigentlich ziemlich entspannt. Nun bin ich also wieder einmal in einer Millionenstadt. Xi´an, der Ausgangspunkt der Seidenstraße. Es geht durch die noch erhaltene Stadtmauer hinein in den Innenstadtbezirk, der mit gut 3 Mio Einwohnern nicht unbedingt klein geraten ist. Wieviel von der alten Stadtmauer noch original ist, und was es sonst noch so alles zu sehen gibt, dazu nehme ich mir jetzt ein paar Tage Zeit. Nach vielen Tagen im Zelt checke ich mal wieder in einem Hostel ein, bin auf einen Schlag umgeben von Englisch sprechendem Personal und Backpackern aus der ganzen Welt. Fürs erste zählt aber nur eine Dusche und die Waschmaschine, die Stadt läuft ja nicht davon und morgen ist auch noch ein Tag.
Ich hätte mir nie träumen lassen, dass ich nach knapp vier Wochen schon in Xi´an stehen würde. Der südlichste Punkt meiner Chinareise ist erreicht. Von nun an geht es in nordöstlicher Richtung weiter. Ob sich der “Umweg” in den Süden ausgezahlt hat, ich lasse mich überraschen.