Tag 215 – 217 / 03. – 05.September

Peking – 3 Ruhetage; bisher geradelt: 16.882km; 855:12h im Sattel
Warmshowers

Peking – die Hauptstadt Chinas, mit fast 20 Millionen Einwohnern … Vor fünf Wochen habe ich dieses Land im Westen betreten und trotzt fleissigem Strampeln bin ich immer noch nicht an der Ostküste angelangt. Gut, es ist nicht mehr weit bis an Meer, aber dennoch – ein Land, in dem man weit mehr als ein Monat benötigt, um es mit dem Rad zu durchqueren, da setzt man schon andere Maßstäbe an, als wenn man in Europa unterwegs ist. Gerade in den vergangenen Tagen habe ich die Ankunft in Peking sehr herbeigesehnt. Ich hatte viel darüber spekuliert, was mich wohl erwarten würde. In Anbetracht der verwahrlosten Kleinstädte hatte ich schon das Schlimmste befürchtet. Auf der anderen Seite war Peking 2008 Austragungsort der Olympischen Spiele und hatte sich meines Wissens nach für diese Anlass speziell herausgeputzt. Wieviel wird davon noch zu spüren sein?
Jetzt bin ich endlich angekommen und brauche erst einmal fast zwei Tage, bis ich wirklich realisiere, dass ich gerade mit dem Fahrrad in der Metropole Peking eingerollt bin. Zu sehr ähnelt die Umgebung noch den bisher schon recht vertrauten mittelgroßen Städten Chinas. Mein Warmshowers Gastgeber – Victor – teilt sich eine kleine Zweizimmerwohnung mit zwei Mitbewohnerinnen. Für mich eine ideale Gelegenheit, einmal Einblick in die beengten Wohnverhältnisse der Großstadtchinesen zu bekommen. Wohnraum in Peking ist nicht leicht zu finden und eigentlich überall viel zu teuer.

Die Strapazen der zurückliegenden Regenfahrt sind schnell vergessen, blauer Himmel und traumhafte Temperaturen garantieren mir einen perfekten Start für die Erholungsphase in Peking. Obwohl Victors Wohnung nur wenige Meter von Pekings “Normal University” situiert ist (man glaubt ja gar nicht, wieviele unterschiedliche Universitäten es in Peking gibt), wohne In der Nachbarschaft fast nur Pensionisten. In aller Ruhe kann ich auf dem Gymnastikplatz vor dem Haus mein Zelt zum Trocknen aufstellen und in der Zwischenzeit einen “Schlachtplan” für die kommenden Tage aufstellen. Für das klassische Touristenprogramm bin ich irgendwie noch nicht in der Stimmung, also beschließe ich fürs erste einmal mit moderner Architektur zu starten.
Die Olympischen Spiele liegen zwar schon ein paar Jahre zurück, doch das Nationalstadium im Volksmund auch Birds Nest genannt, steht immer noch. Das National Aquatics Centre der Australischen Architekten PTW, auf das ich mich besonders gefreut hatte, ist leider wegen Renovierungsarbeiten geschlossen, dafür kann man recht ungestört das große Stadium bewundern. Meiner Meinung nach ein bisschen “over the top”, aber das ist in China ja nichts ungewöhnliches. Von Außen wirkt der Komplex weit stimmiger, als im Inneren, doch damit hat fast jeder Planer eines Stadiums zu kämpfen. Es müssen unzählige Funktionsräume untergebracht werden und die lassen sich nicht immer schlüssig in die konzeptionelle Form integrieren. Ob allerdings die Planer auch für die Lautsprecher / Leuchten Kombination verantwortlich sind, ist mir noch schleierhaft. Selten trifft man auf derart unpassende Hängeobjekte wie hier.
Die Sommerferien sind vorbei und der große Touristenstrom nimmt langsam ab. Ich hatte mir Peking stets als völlig überfüllte und überaus hektische Großstadt vorgestellt. Zu meinem großen Erstaunen präsentiert sich die Stadt unvorstellbar sauber und wohlorganisiert. Perfekt auf Gäste ohne Chinesischkenntnisse abgestimmt. U-Bahn fahren ist ein Kinderspiel, fast alles ist selbsterklärend. Die Taktung der Züge schnell genug, sodass es praktisch nie zu größeren Warteschlangen kommt. Eng wird es eigentlich nur sehr selten.
Vom ersten Moment an fühle ich mich recht wohl in der Stadt. Westliche Touristen sind hier nichts besonderes mehr und man kann völlig unbehelligt durch die Stadt ziehen. Nach so vielen Tagen in exponierter Lage tut es auch einmal ganz gut, sich von der anonymen Masse verschlucken zu lassen.

Gleich am ersten Tag in Peking gibt es ein überraschendes Wiedersehen. In Samarkand (Usbekistan) hatte ich damals Min Hsieh aus Taiwan getroffen. Sie war mit dem Ras in München aufgebrochen und wollte nach Peking radeln, um von dort aus mit ihrem Freund nach Taiwan zurückzukehren. Vor gut einer Woche ist sie hier angekommen und zieht jetzt gerade mit Kemil, der schon seit zwei Jahren in Peking arbeitet, nach Downtown, um hier noch einige Monate zu bleiben. Ein Wiedersehen nach fast vier Monaten. Die Stadtbesichtigung kann ja noch warten, es gibt vieles zu bereden. Auch Min hatte in China mit einigen Schwierigkeiten zu kämpfen und das obwohl sie Chinesisch spricht. Taiwan hat in China keine sonderlich gute Stellung, die Chinesen betrachten Taiwan immer noch als einen Teil Chinas, die Taiwanesen bestehen auf einer Unabhängigkeit… Min ist sehr schlagfertigt und scheut vor keiner auch noch so heftigen Konfrontation zurück und so kam es immer wieder mal zu ausufernden Streitigkeiten. Auch mit der oft rücksichtslos wirkenden Art vieler Chinesen hatte sie so ihre Schwierigkeiten. Wenn ich mir ihre Geschichten so anhöre bin ich direkt am überlegen, ob es vielleicht nicht sogar besser ist, wenn man kein Chinesisch spricht / versteht.
Man hat den Eindruck, in Peking vereint sich ganz China. Zumindest beim Essen stimmt das definitiv. Hier kann man in nur wenigen Augenblicken eine kulinarische Reise durch das ganze Land machen. Vieles kommt mir bekannt vor, lokale Speisen, die ich unterwegs in den Dörfern, irgendwo auf der Straße oder in winzigen Lokalen genossen hatte findet man jetzt wieder in Restaurants, die auf Xinjang-Küche, oder auf Gansu-Küche, oder auf Xi´an-Küche, oder oder oder…. spezialisiert sind. Es scheint, als ob ich beim Essen einen wirklich ziemlich guten Querschnitt der Küche West- und Zentralchinas bekommen habe. Einziger Nachteil des “blind bestellen” unterwegs ist die Tatsache, dass man keine Namen für die Speisen hat. Wenn mich dann z.B. Victor fragt, ob ich dies, oder das schon gegessen habe, kann ich die Frage nicht beantworten, solange ich dazu kein Bild vor mir habe. Trotzdem klappt es immer noch, dass ich täglich was neues sehe und umgehend ausprobiere.
Am Morgen tauchen die eigentlich illegal agierenden Straßenküchen auf den Gehsteigen auf und verkaufen für ein paar Stunden – so lange, bis die ersten Polizisten auftauchen – Snacks zum Frühstück. Wenn ein Offizieller gesichtet wird, schiebt man einfach kurz das Dreirad mit der rückwärtigen Kochstelle zwischen zwei parkende Autos und weiter geht das Geschäft. Straßenlokale, in denen man Mittags traumhaft gut essen kann findet man Abends nicht mehr, weil sie eben nur Mittags arbeiten, dafür tauchen nach Einbruch der Dunkelheit wieder unzählige Köche auf Dreirädern auf, die alles mögliche zum Essen anbieten. Schwierigkeiten, etwas zu Essen zu finden hat man hier definitiv keine.

Es fühlt sich so an, als ob ich regelrecht ausgehungert bin nach zeitgenössischer Architektur. Nach Monaten in einfachen, sehr ländlich geprägten Gegenden habe ich nun ich Peking erstmalig wieder die Gelegenheit ein bisschen einen Einblick in das aktuelle Architekturgeschehen zu bekommen. Nun kommt auch endlich das Gefühl auf, wirklich in Peking zu sein. Im Internet werden ein paar Informationen über spannende Bauten in der Stadt gesammelt und dann gehts auch schon los, wieder hinein ins dicht verzweigte U-Bahnnetz. Interessanterweise sind die wenigsten Gebäude, die auf meiner Liste stehen von Chinesen geplant. Große Namen der Architekturszene haben hier in Peking ihre Spuren hinterlassen.
Ich begebe mich auf die Suche nach der “Christian Church Beijing” im Bezirk Haidan, die vom Deutschen Büro Marg Gerkan und Partner geplant wurde. Der Haupteingang ist verschlossen, im Erdgeschoss hat sich schon ein Cafe angesiedelt, es wirkt auf den ersten Blick, als ob die Kirche nicht mehr in Betrieb ist, doch am Hintereingang tummeln sich ein paar Chinesen – es findet gerade so etwas ähnliches wie Bibelstunde im Untergeschoß statt. Es dauert ein wenig, bis ich der Hausmeisterin verständlich machen kann, dass ich gerne den im Obergeschoß gelegenen Kirchenraum sehen würde, doch dann holt sie doch noch den Generalschlüssel aus dem Schrank und zeigt mir ganz stolz den eigentlichen Gebetsraum.
Weiter gehts ins wirtschaftliche Zentrum der Stadt. Das international rennomierte Büro von Rem Koolhaas (OMA) hat hie für das Chinesische Fernsehen ein neues Bürogebäude entworfen. Viele Chinesen stehen dem Entwurf etwas skeptisch gegenüber, interessanterweise findet man aber auf recht vielen Darstellungen von Peking den Blick in Richtung CCTV Tower. In direkter Nachbarschaft das World Trade Center, das von einem amerikanischen Büro (SOM) entworfen wurde. Man spürt deutlich den Verweis auf das zerstörte World Trade Center in New York. Knapp über 300m hoch sicher eines der höchsten Gebäude der Stadt… Vom Restaurant im 80. Stock hat man einen atemberaubenden Ausblick über die Stadt. Die Sicht ist relativ gut, in der Ferne erkennt man sogar die Berge im Westen von wo ich gekommen bin. Viele Grünflächen durchziehen die Stadt, vor allem im Zentrum finden sich noch viele ein-, oder zweistöckige Gebäude, anhand des gerasterten Straßensystems kann man sich auch von hier oben recht gut orientieren und selbst nach nur einem Tag in Peking erkenne ich schon ein paar Punkte wieder.
Nächste Station – SOHO Peking. Hier trifft Arm auf Reich. Ich wandere entlang einer eingezäunten Wohnsiedlung die nur aus recht einfachen Hütten besteht und stehe schlussendlich vor dem weiß schimmernden Galaxy Gebäude der nicht gerade unbekannten Architektin Zaha Hadid. Größer könnte der Kontrast nicht sein. Nur hundert Meter entfernt sitzen die Leute auf zerschlissenen Sofas unter Planen und auf der anderen Seite flitzen Geschäftsleute mit dem Starbucks-Kaffee in der Hand von einem Bürokomplex zum anderen. Man sieht, China entwickelt sich sehr schnell, für einen Großteil der Chinesen sicherlich zu schnell…
Das Phoenix International Media Center ist das erste Gebäude, das von einem Chinesischen Büro geplant wurde, doch leider bleibt mir nur ein Blick von aussen. Auch das National Centre for performing arts, das der Französische Architekt Paul Andreu entworfen hatte, kann ich leider nur von aussen begutachten.
Man könnte sicher noch einige Tage damit verbringen, zeitgenössische Architektur in der Stadt zu besichtigen. Hier in Peking zeigt sich China von der modernen, weltoffenen Seite. Es entsteht ein völlig neues Bild als jenes, das ich in den letzten Wochen von diesem riesengroßen Land bekommen hatte. Ob es jetzt an den zurückliegenden Olympischen Spielen liegt, ich weiß es nicht, aber auf jeden Fall spürt man deutlich, dass Peking bemüht ist, weiterhin eine bedeutende Rolle im internationalen Zirkus zu spielen. Auch wenn es für mich fast zwei Tage gedauert hat, aber schlussendlich ist das Hauptstadtgefühl dann doch da…
Ich bin immer noch völlig hin und hergerissen. Soll ich noch einen Tagesausflug zur Chinesischen Mauer in Angriff nehmen? Im Norden Pekings sollen sich die imposantesten Abschnitte der Mauer befinden. Andererseits möchte ich nach der Überdosis moderner Architektur jetzt auch noch ein bisschen was vom historischen Peking sehen… Ich hoffe darauf, auf dem Weg in Richtung Meer ab und an einen Blick auf die Überreste der Chinesischen Mauer werfen zu können und beschließe für dieses Mal keinen Tagesausflug in die Berge zu unternehmen.

Man könnte vermutlich einige Tage nur damit verbringen, zeitgenössische Architektur zu bestaunen, aber für meinen Kurzaufenthalt in Peking beschloss ich dann doch noch einen Blick auf die historischen Attraktionen der Stadt zu werfen. Victor konnte mich an meinem letzten Tag in Peking begleiten und wir starteten gleich einmal in Richtung Nordwesten, um die frische Luft im Garten des kaiserlichen Sommerpalastes zu genießen. Im Anbetracht der beachtlichen Touristenmassen beschlossen wir dann aber doch, den Sommerpalast nur aus der Ferne zu begutachten und wandelten statt dessen unter schattenspendenden Weiden um den gewaltig großen See zu Füßen des Palastes. Der Hügel, auf dem man den Palast erbaute wurde aus dem Aushubmaterial des Sees errichtet. Alles ohne Maschinen, nur mit Handarbeit – da waren ordentlich viele Hände mit im Spiel. China war offenbar schon immer ein recht bevölkerungsreiches Land.
Wenn man sich in Peking von einem Ort zum nächsten bewegen will, ist man schnell mal eine Ewigkeit unterwegs und das obwohl die U-Bahn im 5-Minuten Takt verkehrt. Wir erreichen den Eingang zur Verbotenen Stadt gut eine Viertelstunde nachdem die Kassen bereits geschlossen haben. Für mich bleibt dieser Teil der Stadt dieses Mal verschlossen, dafür genießen wir vom Jingshan Park aus einen traumhaften Blick auf die zu unseren Füßen liegende Verbotene Stadt. Wieder einmal ein künstlich aufgeschütteter Hügel, der einen grandiosen Rundblick über die Stadt erlaubt. Deutlich zu erkennen, wie viele Grünzonen sich in der Stadt befinden. Man erkennt auch recht gut die noch verbliebenen historischen Stadtteile, die Hutongs mit ihren einstöckigen Gebäuden und den verwinkelten Gassen. Ein Großteil ist aber ähnlich wie in vielen Städten Chinas nur mehr eine Rekonstruktion, da die wirklich alten Stadtteile meistens der Abbruchbirne zum Opfer gefallen sind. Gerade in den letzten Jahren wird wieder verstärkt darauf gesetzt, die Hutongs primär aus touristischen Gründen wiederherzustellen.
Im Osten der Stadt etabliert sich die moderne Seite Pekings. Bürohochhäuser schießen aus dem Boden und so langsam scheint sich eine Skyline zu bilden. Wirklich hohe Gebäude findet man – bis auf den World Trade Centre Tower – keine.
Zwei Tage lang hatte ich nun das Glück, einen blauen Himmel über der Millionenstadt zu genießen, doch am letzten Tag wird die Stadt schon wieder in eine dünne Smogschicht getaucht. Die untergehende Sonne färbt sich blutrot, bevor sie hinter dem Dunstband verschwindet und langsam verdunkelt sich die Stadt. Spektakuläre Beleuchtungen wie man sie von Hongkong, oder Shanghai im Kopf hat, gibt es in Peking nicht. Die meisten Bürogebäude bleiben in der Dunkelheit unbeleuchtet und auch in den Fenstern brennt nur selten Licht. Es scheint, als ob man hier nur bei Tageslicht arbeitet. Schwarz wie die Nacht liegt die Verbotene Stadt unter uns.
Nachdem die nach Victors Ansicht oblibatorische Peking-Ente verdrückt war, gehts noch in eine kürzlich renovierte Hutonggebend in der sich ein brüllend lautes Kneipenviertel entwickelt hat. Abgesehen von der Lautstärke der meist recht übel klingenden Musikanlagen wird hier aber nicht sonderlich ausgiebig gefeiert. An sich ist heute der Beginn eines verlängerten Wochenendes. Am Montag findet das sog. Moon-Festival statt, ein besonders für Familien bedeutsames Fest. Man könnte jetzt glauben, dass die bevorstehenden freien Tage trinkreudig eingeleutet werden, aber davon ist nichts zu spüren. Bereits um kurz nach 22 Uhr beginnen sich die Lokale wieder zu leeren, kann sein, dass es daran liegt, dass die U-Bahnen nur bis kurz vor Mitternacht verkehren und man alternativ nur noch auf Taxis zurückgreifen kann. Vielleicht gibt es aber auch in China einfach kein sonderlich stark ausgeprägtes Nachtleben.
Ich bin im Kopf aber eh schon wieder unterwegs. Es geht in die finale Runde – was das Radeln in Chana betrifft. Ich steuere erst einmal die Küste bei Shanhaiguan an und werde von dort aus dann der Küstenstraße folgend in Richtung Nordkoreanischer Grenze radeln.
Bis zu acht Stunden Radeln täglich stecke ih in letzter Zeit eigentlich ohne größere Schwierigkeiten weg, bei drei Tagen Stadterkundung zu Fuß beginnt sich aber schon ein leichter Muskelkater breitzumachen. Zur Entspannung wird aber ab morgen ohnehin wieder gemütlich in die Pedale getreten. Vor mir liegen noch knapp 900km und dann gehts ab auf die Fähre.