Tag 69 – 73 – (10.April – 14.April)

Tehran / Kish Island
Homestay / Apartment

So, die ersten Tage in Tehran liegen hinter mir. Es gab viel zu organisieren doch nun kann ich mich voll und ganz auf die Stadt einlassen. Eine Woche Warten, bis die Visa für Uzbekistan und Tajikistan fertig sind und dann noch einmal kurz Bangen, ob das Transitvisum für Turkmenistan auch auf 5 Tage ausgestellt wird. Doch dann ist für die nächsten Wochen alles geregelt.
Die Zeit mit Mina neigt sich auch schon wieder dem Ende zu. Sie fährt weiter nach Yazd um dort mit einem Freund Fotos für ein Buch über den Iran zu machen. Durch einen glücklichen Zufall habe ich schon einen neuen Gastgeber gefunden. Kazem, den ich an der deutschen Botschaft kennengelernt hatte, hat mich freundlicherweise bei sich zuhause aufgenommen. Am Wochenende wollen wir dann gemeinsam in den Süden des Iran fliegen und dort ein paar Tage am Meer verbringen. Ich habe einmal zugesagt, ohne zu wissen, was mich dort erwartet. Aber der Gedanke an ein paar Tage am Meer klingt durchaus verlockend.
Mit Mina verbringe ich den Nachmittag noch im Norden der Stadt. Im Café des Filmmuseums gibt es einerseits was gutes zu Essen und andererseits auch sehr stabiles Internet. Im Iran ist es bisher nicht so leicht gewesen, gutes Internet zu finden, also wird die Gelegenheit gleich genutzt.
Minas und auch Kazems Wohnung befinden sich im Süden von Tehran. In der Stadt gibt es ein deutliches Sozialgefälle von Nord nach Süd. Wenn man im Norden der Stadt durch die Gassen läuft, ist man von sehr gut gekleideten, wohlhabenden Tehranern umgeben. Stolz werden, sowohl bei Männern, als auch bei Frauen, die Pflaster der zurückliegenden Nasenoperationen getragen. Mir sind noch nie so viele Leute mit erst kürzlich operierten Nasen begegnet, wie hier. Die Frauen sind auffallend stark geschminkt und recht modern gekleidet. Ich muss ehrlich zugeben, ich hatte wirklich nicht damit gerechnet, dass gerade bei der Kleidung so viele Freiheiten möglich sind.
Shiva, eine Freundin von Mina, hat mir aber erzählt, dass offenbar gerade im Frühling die Zügel etwas lockerer gelassen werden. Die Sittenwächter lassen vieles durchgehen, was im Sommer, oder Herbst oft mit Abmahnungen geahndet wird. So kann offenbar verhindert werden, dass sich eine zu große Unzufriedenheit in der Bevölkerung entwickelt. Ein ständiges Auf und Ab…
Es gibt beispielsweise grundsätzlich Satellitenempfang fürs Fernsehen, doch hin und wieder wird dieser durch Störsignale beeinträchtigt. Man kann also nicht sagen, dass es keinen freien Zugang zu Informationen gäbe, aber dauerhaft frei ist er auf keinen Fall. Bezüglich der Störsignale für die Satelliten hat mir Kazem erzählt, dass es in der Belegschaft der Botschaft schon einige Fälle von Leukämie bei Kleinkindern gibt, wobei das Gerücht kursiert, dass diese von den Störsignalen hervorgerufen wird. Nachweisen lässt sich das sicherlich nicht, aber in der Bevölkerung kursieren bereits dementsprechende Gerüchte.
Auf den Straßen sieht man junge Paare Hand in Hand umherlaufen, doch in den U-Bahnen und Bussen gibt es abgetrennte Bereiche für Männer und Frauen. Für mich eine völlig neue Erfahrung, die zumindest für den Beginn noch etwas befremdlich ist. Zwischen öffentlichem Leben und privatem Leben sind die Unterschiede unbeschreiblich groß. Sobald die Wohnungstüre geschlossen ist, kann der Schleier abgelegt werden und plötzlich fühlt man sich wie in einer anderen Welt. Im Fernsehen laufen sehr freizügige Musikvideos, es wird viel über Partys, Drogen und Alkohol geredet. Alles was in der Öffentlichkeit nicht gezeigt werden darf, wird im Privaten fast extensiv ausgelebt.
Ich bin Kazem kurz behilflich, seine 25 Liter “selbstgebrautes Bier” wieder in Flaschen zu füllen. Er kauft das überall erhältliche alkoholfreie Bier ein und versetzt es dann mit Hefe und Zucker. Nach ein paar Wochen hat man dann Bier mit einem relativ hohen Alkoholgehalt. Der Geschmack ist zwar nicht überragend, aber das ist in dieser Situation eher nebensächlich. Man kann auf diese Weise relativ gut Geld verdienen. Für 6 Liter alkoholfreies Bier bezahlt man ca. 2 Euro. Für einen Liter Bier mit zugesetztem Alkohol bekommt man ebenfalls etwa 2 Euro. Also eigentlich ein ganz guter Verdienst dafür, dass man nur Zucker und etwas Hefe dazusetzt.
Zuletzt war ich in der Türkei mit dem islamischen Alltagsleben in Kontakt gekommen. Ich hatte eigentlich mit weit mehr Parallelen zwischen der Türkei und dem Iran gerechnet, doch das Alltagsleben unterscheidet sich gravierend voneinander. Ich habe den Eindruck, dass Religion im Iran zumindest im Alltagsleben keine so große Rolle spielt, dafür ist der Einfluss der Regierung definitiv nicht zu verleugnen. Nur sehr selten sieht man Moscheen. Soweit ich es richtig verstanden habe, wird hier auch nur drei Mal am Tag gebetet und nicht fünf Mal. Auch die Lautsprecher an den Minaretten, die den Ruf des Muezzin über die ganze Stadt verteilen, findet man im Iran eigentlich nicht.
Als Mann kann man sich auch wirklich sehr frei im öffentlichen Raum bewegen, doch als Frau ist man schon sehr reglementiert. Ich war daher auch sehr gespannt, wie sich die Alltagssituation am Strand darstellen wird. Zählt doch der Strand auch in Europa zu den Orten, wo man sich etwas entspannter und frei von Zwängen gibt.
Kazem und ich bestiegen am frühen Nachmittag die Maschine nach Kish. Die drei Liter Bier im Handgepäck fielen den Sicherheitsbeamten am Flughafen dann doch auf. Die Verschlüsse wurden ganz genau geprüft und die Geruchsprobe machte alle drei etwas stutzig, doch Kazem schaffte es irgendwie, sich aus der Situation rauszureden. Mir war aber schon klar, dass hier ziemlich viele Augen zugedrückt wurden. Aber das zeigt auch wieder, dass es durchaus einen gewissen Spielraum gibt innerhalb dessen sich die Iraner bewegen.
Nach gut 1 1/2 Stunden Flug stand ich dann auf der Insel Kish. Die Temperaturen waren gottseidank nicht um so viel höher, als in Tehran. Es blies ein ordentlicher Wind, der die knapp dreissig Grad noch erträglich machte.
Auf dem Weg zum Strand beschlossen wir beide, uns die Haare mal wieder schneiden zu lassen. Nun, da jetzt doch die Zeit kommt, dass man auf dem Rad auch immer mehr schwitzen wird, konnte ich dem Gedanken an eine Kurzhaarfrisur durchaus etwas abgewinnen.
Kish ist offenbar ein sehr beliebtes Ausflugsziel für Iraner. Auch im Winter ist es hier sehr warm, im Sommer hingegen muss es unerträglich heiß sein. Die Insel besteht eigentlich fast nur aus Hotels und Apartmenthäusern. Mit Touristen lässt sich hier sehr gut Geld verdienen. Hier auf Kish sieht man zum ersten Mal auch wieder amerikanische Autos. Auf dem Festland sind amerikanische Autos nicht gestattet, aber für Kish gilt eine Sonderregel. Hier muss man auch keinen Einfuhrzoll für Autos bezahlen. Das Einkommen der Bewohner von Kish scheint im Durchschnitt relativ hoch zu sein. Dementsprechend viele Luxusschlitten fahren durch die Gegend. Ein ziemlicher Kontrast zur bisher eher einfach geprägten Gegend zwischen Armenien und Tehran.
Viel tut sich nicht auf Kish… Unter Tags spielt sich das Leben auf der Insel hauptsächlich in den unzähligen Einkaufszentren ab. Bei Temperaturen um 40Grad im Sommer ist das aber auch verständlich. Erst Abends treibt es die meisten Leute an den Strand.
Die Kleidervorschriften müssen aber auch hier eingehalten werden. Frauen gehen gänzlich bekleidet ins Wasser und auch Männer sollten eigentlich ein T-shirt tragen. Zum allerersten Mal höre ich hier von einer Vorschrift, die zum “Schutz” der Frauen gemacht ist. Ansonsten sind ja die meisten Vorschriften zum Schutze des Mannes aufgestellt… Die Schultern des Mannes müssen bedeckt sein, damit die Frau nicht erregt wird. Auch ich werde einmal von einem Ordnungshüter angepfiffen, mein T-shirt wieder anzuziehen, nachdem ich aus dem Wasser gekommen bin. Um ehrlich zu sein, die pure Strandentspannung kommt irgendwie nicht auf. Wenn ich mir die Leute so ansehe, wie sie in voller Kleidermontur im Wasser sitzen, kann ich mir nicht vorstellen, dass das ein wirklich angenehmes Gefühl ist. Nur die Kinder können sich ganz ungezwungen bewegen. Für alle Anderen gelten stets Regeln.
Obwohl die Insel relativ klein ist, kommt man ohne fahrbaren Untersatz nicht wirklich herum. Wir müssen daher immer wieder ein Taxi nehmen, um von einem Ort zum nächsten zu kommen. Die Insel besteht zu 90% aus Hotels und Apartments. In der Mitte der Insel liegt der Flughafen, der von viel Brachland umgeben ist. Der wahre Reiz der Insel hat sich mir noch nicht wirklich erschlossen. Kann gut sein, dass dieser Ort für viele Iraner etwas ganz besonderes ist, da sie auch nicht so viele Wahlmöglichkeiten haben. Kann aber auch gut sein, dass die Anforderungen an einen Urlaubsort hier im Iran etwas anders sind, als ich es aus Europa gewöhnt bin. Als wir am zweiten Tag auf der Insel die nachmittägliche Delphinshow besuchen fühle ich mich teilweise etwas deplatziert. Das ganze Vorhaben gipfelt in einer gewaltigen Gruppenaktivität. Mit dem Ticket zur Delphinshow ist auch der Eintritt in den Vogelpark, ein Zirkus, ein Theater und ein Aquarium inkludiert. Allerdings kann man dabei nicht frei wählen, welchen der Programmpunkte man besichtigen möchte, statt dessen wird man mit hunderten Anderen Schritt für Schritt durch den Park geleitet. Teilweise sind dei Tiere in sehr kleinen Gehegen, oder Käfigen untergebracht. Im Aquarium tummeln sich viel zu viele Fische auf viel zu kleinem Raum. Dazu wird melancholische klassische Musik gespielt. Es wirkt wie ein Trauerlied für die Tiere. Den Leuten hier scheint das ganze aber relativ viel Spaß zu machen. Für mich eine interessante Erfahrung einmal in mitten von iranischen Touristen zu sein, aber um ehrlich zu sein spüre ich so langsam schon wieder das Verlangen aufs Rad zu steigen und weiterzufahren.
Den letzten Tag auf Kish verbrachten wir – wo auch sonst – am Strand. Diesmal gabs aber zu meiner Überraschung noch relativ viele Fische zu sehen. Ein bisschen Brot ins Wasser gestreut und schon tummeln sich unzählige Fische im Wasser. Es gab sogar Rochen und eine Gruppe Tintenfische zu sehen. Dadurch, dass Kish nicht so sehr überlaufen ist, gibt es noch eine relativ intakte Fischwelt zu bewundern. Die ersten Entwicklungspläne für Kish stammen noch aus der Zeit vor der Revolution. Damals war der Plan, die Insel als großen internationalen Touristenmagneten auszubauen. Die internationalen Touristen bleiben nun nach der Revolution aus, doch auch mit nationalen Touristen lässt sich die Insel leicht füllen. Der Rückflug ist bis auf den letzten Platz ausgebucht, obwohl es drei Flüge täglich nach Tehran gibt.
Wieder zurück in Tehran freue ich mich über die angenehmen Temperaturen. Nur 24 Grad, eine Wohltat nach der Hitze am Strand. In zwei Tagen kann ich mein Visum für Uzbekistan und Tajikistan abholen. Die Spannung steigt, ob auch alles glatt läuft.