Tag 36 – 08.März

Giresun – Trabzon: 142km; 6:09h im Sattel; 11-21 Grad, bewölkt
Hotel

So, ab heute 34 Jahre… Was ändert sich? Meiner Meinung nach nicht wirklich viel. Der Wunsch, heute etwas besonderes zu unternehmen war eher gering ausgeprägt. So viele besondere Tage habe ich erlebt, seit ich unterwegs war, wie soll das bewusst übertroffen werden? Als kleines Geschenk durfte ich heute die 3000km Marke einfahren. Das gibts ja auch nicht alle Tage.
Mit unserem Warmshowers Gastgeber setzten wir heute unsere gestrige Debatte über den Islam fort. Emirhan ist seit kurzem streng gläubig geworden. Den wahren Grund dafür haben wir nicht erfahren. Seit einigen Wochen lebt er aber jetzt streng nach den Regeln des Islam. Kein Alkohol, keine Drogen, 5x täglich Gebet, keine Berührungen mit Frauen etc.
Bereits in Istanbul hatten wir in der Moschee eine Einführung in die Grundsätze des Islam erhalten. Für mich war es besonders spannend zu hören, wie im Privaten diese Regeln umgesetzt werden. Manche Prinzipien klingen sehr logisch und auch sinnvoll, doch bei längerer Diskussion stößt man immer wieder auf Punkte, die die eigens gewählte Freiheit sehr beschneiden. Trotzdem bin ich dankbar, so tiefe Einblicke in die Lebenswelt der Leute vor Ort erhalten zu können.
Ich finde es faszinierend, wie divers gerade der Umgang mit der Religion in der Türkei ausgelebt wird. Ich treffe auf Leute, die mit Religion gar nichts am Hut haben und sehr weltlich orientiert sind, genauso treffe ich Leute, die zwar sehr religiös sind, allerdings einen durchaus weltlichen und kritischen Lebensstil führen und genauso gibt es immer wieder Leute, die sehr streng gläubig ihr tägliches Leben bestreiten.
Nun ist mir zumindest auch klar, weshalb viele meiner Grüße von Frauen oft nicht beantwortet wurden. Bei streng gläubigen Personen ist es nämlich untersagt, dass die Frau mit einer anderen männlichen Person kommuniziert, ausser dem Ehemann, oder Familienmitgliedern.
Martin und ich beschlossen heute eine etwas längere Etappe in Angriff zu nehmen. Wir wollten bis zum Abend in Trabzon sein und dort dann einen Ruhetag einlegen. 140km lagen vor uns. Es ging immer schön am Meer entlang. Leider ist die Uferstraße sehr stark ausgebaut und der Verkehr holt uns wieder ein. Zu Mittags konnten wir dann aber in einem Dorf Halt machen, das durch den Bau eines Tunnels vom Durchzugsverkehr abgeschnitten war. Also paradiesische Ruhe. Der ideale Ort, um ein gemütliches Picknick am Strand zu veranstalten. Ein paar Grad wärmer wenn es gewesen wäre, dann wäre die Sache perfekt gewesen.
Nur noch 90km liegen vor uns und nach einiger Zeit kommt Rückenwind auf. Wir nutzen die Gelegenheit und lassen uns vom Wind schieben. Mit gemütlichen 35km/h gehts für einige Zeit dahin, dann plötzlich ein Gefühl, als ob man in einem Backofen wäre… Auf einer Strecke von ca. 5km steigt das Thermometer von 11 Grad auf 19 Grad an. Da ist es verständlich, dass Wind aufkommt. Leider drehte sich der Wind nach kurzer Zeit und wir waren mit derart starkem Gegenwind konfrontiert, dass die Räder kaum mehr von der Stelle bewegen ließen. Die letzten 20km kämpften wir gegen den nach und nach schwächer werdenden Gegenwind an, sodass wir schließlich weit nach Einbruch der Dunkelheit in Trabzon ankamen. Unser Hotel suchte ich in direkter Nähe zur Iranischen Botschaft, sodass ich am Montag keinen allzu weiten Weg mehr habe.
Und wieder einmal werde ich überrascht, wie viele Zufälle es doch gibt. Friedemann und Natascha, das deutsche Pärchen, haben zufälligerweise nur einen Steinwurf von uns entfernt ebenfalls ein Hotel gefunden. Und so konnten wir am Abend dann noch in gemütlicher Runde den Geburtstagskuchen, den Martin organisiert hatte, verspeisen.
Morgen liegt der lange ersehnte Pausentag vor mir. Die heutige Tagesetappe hat durchaus mal wieder an den Reserven gekratzt, es war die Mühe aber definitiv wert.
Vielen Dank an Alle, die mir heute via Mail / Facebook / die Homepage zum Geburtstag gratuliert haben. Es hat mich sehr gefreut, dass ihr an mich gedacht habt!

Tag 37 – 09.März

Trabzon – Ruhetag: Zwischenstand 3059km; 15 Grad, bewölkt
Hotel

Von der Frühstücksterrasse aus konnten wir heute gleich mal Friedemann und Natascha zuwinken, so nahe beieinander lagen unsere Hotels. Gemeinsam starteten wir eine kurze Erkundungstour durch die Stadt. Es war Sonntag und vom immensen Trubel des gestrigen Abends war Gottseidank nicht mehr viel zu spüren.
Es war eine Wohltat, zur Abwechslung einmal einen ganzen Tag ohne Rad zu verbringen. Einfach durch die Gassen schlendern, mit den Kids über Fußballclubs zu diskutieren und einfach mal durchatmen.
Beeindruckend war der Besuch der Hagia Sophia in Trabzon. Ursprünglich eine Kirche, wird das Gebäude seit 2013 wieder als Moschee genutzt. Der Glockenturm fungiert als Minarett, der zentrale Kuppelraum wird als Gebetsraum verwendet. Die beeindruckenden Wandgemälde sind leider nur schwer zu sehen, da sie durch Vorhänge verdeckt werden. Dadurch wird garantiert, dass der Gebetsraum bilderlos ist. Schade, weil gerade die Kuppel sehr eindrucksvoll bemalt ist.
Über 3000km liegen jetzt schon hinter mir. Ein Blick auf die Karte zeigt, dass schon ein ordentliches Stück Weg hinter mir liegt, doch ich glaube, dass die wirkliche Reise jetzt erst noch beginnt. Ich hoffe, dass in den kommenden Ländern mir eine ähnliche Freundlichkeit entgegengebracht wird, wie bisher. Noch bin ich zu 110% davon überzeugt, dass es die beste Entscheidung war, aufs Rad zu steigen und Richtung Osten zu radeln.
Mit Sorge verfolgen wir über Internet und das Fernsehen die Entwicklungen in der Ukraine. Friedemann und Natascha wollten eigentlich über die Ukraine zurückreisen, müssen ihre Pläne jetzt aber ändern. Ich hoffe doch, dass in den kommenden Tagen die Situation nicht eskaliert. Leider ist das türkische Fernsehen viel zu sehr mit den anstehenden Regionalwahlen und diversen Fußballspielen beschäftigt, als dass ausgiebig über die Situation in der Ukraine berichtet wird. Das Interesse der lokalen Medien scheint nicht sonderlich groß zu sein.
Die beiden Belgier, die wir vorgestern getroffen hatten tauchten am Abend auch noch in unserem Hotel auf. Sie hatten bemerkt, dass ich mich über die Beschaffung des Visums bereits gut informiert hatte und wollten ein paar Informationen erhalten. Sie reisen sehr entspannt und ohne großen Plan, doch bei der Beantragung des Visums ist es durchaus von Vorteil, ein paar Dinge im Vorfeld zu kennen.
Die beiden hatten ihren heutigen Schlafplatz mehr oder weniger direkt vor dem Iranischen Konsulat aufgeschlagen. Ein öffentlicher Park diente heute als Zeltplatz.
Als passenden Abschluss für den Ruhetag gab es dann noch einen Besuch im örtlichen Hamam. Völlig entspannt, glücklich und hundemüde fiel ich am Abend ins Bett und hoffte, bei der morgigen Visa Beantragung keine Schwierigkeiten zu bekommen.

Tag 38 – 10.März

Trabzon – Sürmene: 41km; 1:57h im Sattel; 15 Grad, bewölkt / Regen
Warmshowers

Heute war es also so weit. Das erste Visum musste beantragt werden. Ich hatte vor ein paar Tagen eine sehr hilfreiche Seite im Internet ausfindig gemacht, die das Visa Prozedere in Trabzon bis ins Detail beschreibt (http://dontstopliving.net/how-to-get-an-iran-visa-in-trabzon-turkey/). All jenen, die ebenfalls in den Iran einreisen wollen, ist diese Seite sehr zu empfehlen!
Obwohl ich mich ausgiebig auf meine Reise vorbereitet hatte, begleitete mich eine Sorge aber schon seit ich in die Türkei eingereist bin. Ich bin mit zwei Reisepässen gestartet, da sich in einem der Pässe ein israelischer Stempel befindet. Beim Einreisen in die Türkei hatte ich eben diesen Pass verwendet. Diesen Pass konnte ich also nicht für die Beantragung des Visums verwenden. Im Pass für das Visum war also kein Einreisestempel in die Türkei.
Pünktlich um 9 Uhr stand ich vor der Tür zum Konsulat. Wie erwartet akzeptierte das Konsulat den Reisepass ohne türkischen Einreisestempel nicht. Auch verschiedene Telefonate brachten keine Klärung. Folglich nur zwei Optionen. Entweder rasch mit dem Bus nach Georgien fahren und wieder zurück, oder von der Polizei eine Bestätigung einholen, dass ich offiziell eingereist bin. Zufälligerweise lag in direkter Nähe zum Konsulat eine Polizeidienststelle. Es gab nichts zu verlieren, also auf zur Polizei und hoffen, dass sich die Situation klärt. Ich wurde zu zwei Beamten geführt die sehr gutes Englisch sprachen. Erst mal erklärte ich die Lage, worauf erst mal Tee bestellt wurde. In der Zwischenzeit telefonierte Ali mit unterschiedlichen Kollegen und landete schließlich bei der Einwanderungsbehörde. Ich weiß nicht, wie er es angestellt hat, aber irgendwie bekam ich die Zusage, dass ich mir bei der Einwanderungsbehörde einen Nachweis über die Einreise abholen kann. Berkan, sein Kollege, ist ebenfalls begeisterter Radfahrer und würde auch sehr gerne nach Georgien, Armenien, oder die Ukraine fahren. Vielleicht lag es daran, dass sie mir so tatkräftig unter die Arme griffen. Mehrfach betonten sie, wie sehr sie das Unternehmen meiner Reise bewundern. Obwohl ihnen nicht ganz klar war, warum ich unbedingt in den Iran will.
Schlussendlich saß ich dann im Polizeiauto und wurde zur Einwanderungsbehörde gefahren. Berkan begleitete mich die ganze Zeit. Anfangs gab es noch große Verwirrung, weshalb ich mit zwei Pässen unterwegs bin. Nach mehrmaliger Beteuerung, dass dies in Europa legal ist (immer mit dem Verweis auf die Stempelsituation mit Israel) wurde begonnen, mein Anliegen vorrangig zu behandeln. Dann kurz noch einmal Stress, weil der Abteilungsleiter offenbar nicht im Haus ist, und er das Dokument unterzeichnen musste, doch wie bestellt rauschte er gerade an der Tür vorbei und somit bekam ich den ersehnten Stempel auf das für mich unleserliche Dokument. Und das alles innerhalb von nur einer Stunde und ohne auch nur einen Cent dafür ausgegeben zu haben.
Überglücklich gings dann wieder zurück zum Konsulat. Berkan und seine Kollegen ließen mich direkt davor aussteigen und luden mich für Nachmittag noch zum Tee in die Wachstube ein.
Nun also Versuch Nr. 2 für das Visum. Die beiden Belgier warteten ebenfalls noch auf ihre Formulare. Kurzes Debattieren wegen des Passes ohne Stempel und dem Zettel von der Einwanderungsbehörde, doch dann bekam ich den Antragsbogen zum Ausfüllen gereicht.
Puh… scheint also doch alles gut zu gehen.
Leider bekomme ich nur 30 Tage für mein Visum. Ich hatte 60 Tage angegeben, aber schon mit 30 gerechnet. Die Belgier hatten allerdings nur 21 Tage bekommen. Für sie wird das knapp, weil sie eigentlich Richtung Indien wollen.
Jetzt nur noch 75 EUR bei der Bank einzahlen und am Nachmittag wiederkommen.
Das Iran Visum innerhalb eines Tages und ohne Referenznummer eines Reisebüros! Jetzt verstehe ich, warum in Reiseforen oft empfohlen wird, extra nach Trabzon zu reisen, um hier das Visum zu beantragen. Aber offensichtlich werden nicht alle Nationen gleich behandelt. Ein Franzose musste zum Beispiel eine Referenznummer abgeben, einem anderen Reisenden wurden Fingerabdrücke genommen, ich bekam 30 Tage, die Belgier nur 21 Tage… ganz durchschaubar ist die Sache nicht, aber ich bin vorerst mal froh, den Überweisungszettel in der Hand zu haben.
Jetzt nur noch schnell im Hotel auschecken, und dann auf die Bank und das Visum bezahlen. Checkout um 11:45, bei der Bank um 12:15… immer 15 Minuten vor Schluss. Heute scheint mal wieder ein Glückstag zu sein.
Nachdem die Bank hinter mir die Tore schloss und in Mittagspause ging, fiel mir ein Stein vom Herzen. Jetzt heißt es nur noch Warten bis um 16:30 und hoffentlich das Visum entgegennehmen.
Berkan war am Nachmittag dann leider nicht mehr in der Wachstube, weil er auf Einsatz war. Als kleines Dankeschön ließ ich ihm und Ali aber noch eine Tafel Milka Schokolade ins Zimmer legen. Die beiden hatten meinen Tag gerettet.
Kurz vor 16:30 trafen sich dann alle Anwerter für das Iran Visum wieder vor dem Konsulat. Zwei Franzosen, zwei Belgier und ich. Jeder von uns hielt nach 10 Minuten das ersehnte Visum in Händen. Bis auf die zwei Belgier hatten wir alle ein 30 Tage Visum bekommen. Für mich sollte das reichen.
Jetzt gehts weiter!
Endlich wieder aufs Rad und noch ein paar Kilometer machen. Ich habe einen Warmshowers Kontakt ca. 40km ausserhalb von Trabzon gefunden. Leider setzte Regen ein, was die abendliche Ausfahrt etwas erschwerte. Simon und Nominoe habe ich dieses Mal wieder bei unserem Gastgeber angekündigt. Der abendliche Regen hat den beiden auch die Lust auf Campen genommen. Friedemann und Natascha waren interessanterweise auch gestern beim selben Warmshowers Gastgeber untergekommen.
Heute ist so viel gut gegangen, dass ja noch ein kurzer Rückschlag folgen musste. Nach etwa 20km auf dem Rad veränderte sich das Fahrgefühl plötzlich drastisch. Mein erster Platten… Juhu! Ich hatte zwar damit gerechnet, dass der Marathon Mondial etwas länger durchhält, aber den Nagel, den ich dann aus dem Mantel zog, den hätte kein Pannenschutz der Welt abgehalten. Nach ein paar Minuten war das Loch geflickt und alles wieder fit zur Weiterfahrt. Simon und Noemie schauten ungläubig zu und waren fasziniert, wie schnell ein Reifendefekt behoben werden kann.