Tag 121 – 124 (01. bis 04. Juni)

Dushanbe; Zwischenstand: 9299km; 471:57h im Sattel; 15 Flicken, davon 3 durch Nägel auf der Straße
Warmshowers / Camping

Wieder zurück in Dushanbe… Es stehen ein paar dingend benötigte Erholungstage an. Es ist Sonntag, die meisten lecken noch ihre Wunden von der gestrigen Party und ich erhole mich auch langsam wieder von den Strapazen der letzten Tage. Veroniques Garten stellt das ideale Fahrradasyl dar. Die meisten die jetzt auf die Weiterfahrt warten kennen sich bereits entweder von Erzählungen, oder sind bereits gemeinsam geradelt. Robert aus Englang verbingt seinen mehrwöchigen Urlaub in Zentralasien, Chris radelt um die ganze Welt, will mindestens 100 Länder besuchen und verzichtet gänzlich auf motorisierte Transportmittel. Seit 4 Jahren ist er nicht mehr in einem Auto, oder Bus gesessen. Bis auf Franzi und Jona wollen alle in Richtung Pamir starten. Anfangs hieß es, der Pamir wird ab Montag wieder geöffnet werden, allerdings sollen die Permits dazu erst eine Woche später ausgestellt werden. Am Montag dann aber die freudige Überraschung, dass die Permits bereits diese Woche wieder ausgestellt werden. Somit verringert sich die Wartezeit um eine ganze Woche. Für mich ist es trotzdem zu spät, noch in den Pamir aufzubrechen.
Gayle und John hatten mich auf die Idee gebracht, bereits hier in Dushanbe das Visum für Kasachstan zu beantragen. Bei ihnen hatte es binnen 24h geklappt.
Jona und Franzi werden vermutlich auch auf demselben Weg nach China einreisen wie ich und brauchen daher auch noch ein Visum für Kasachstan. Also gehts für uns am Morgen zum Konsulat. Die Atmosphäre gleicht eher einem Reisebüro als einem Konsulat. Eine bequeme Couch im Vorzimmer, Bildbände von Kasachstan, Poster an der Wand… Das Antragsformular kann direkt vor Ort ausgefüllt werden. Der Mitarbeiter hinter der Glasscheibe spricht sehr gutes Englisch. So wohl hatte ich mich beim Visumsantrag noch nie gefühlt. Anfangs sollten wir die Visa am Freitag abholen. Auf den Rat von John und Gayle hin bitten wir aber darum, die Visa schon etwas früher abholen zu dürfen. Ich lehne mich gleich mal weit aus dem Fenster und bitte darum, das Visum schon am folgenden Tag in Empfang zu nehmen. Wir schildern kurz unsere Situation und zu unser aller Überraschung wird unserem Bitten stattgegeben. So langsam kommt die Sache wieder ins Rollen.
Gemeinsam mit Jona statte ich dem Bazar noch einmal einen Besuch ab. Ich benötige noch zusätzliche Ersatzschrauben für die Packtaschen und dringend einen neuen Satz Schläuche. Jona tauscht bei beiden Rädern die Mäntel aus. Die Auswahl ist leider nicht groß und die Qualität extrem schlecht, aber besser schlechte Qualität als gar nichts. Von den neuen Schläuchen wiegt einer soviel wie vier meiner alten. Ich hoffe, dass sie auch dementsprechend robust sind.
Als wir wieder bei Veronique ankommen sind alle guter Stimmung. Die Permits sind beantragt, es kann also für alle morgen wieder weitergehen. Chris bricht schon heute auf, weil er sein Permit schon in der Tasche hat. Seit längerer Zeit fährt er ohne Hinterradbremse. Sein Vorderrad ist dementsprechend gezeichnet. Zu seinem Glück kann ihm Gayle eine Felge vermachen. Bereits seit dem Iran machte sich Gayle Sorgen um ihr Hinterrad. Der Felgenstoß scheint irgendwann aufzugehen. Daher hatte sie sich von Uzbekistan aus eine neue Felge bestellt. Nur wie kommt die Felge aufs Hinterrad? Zum Glück habe ich ja schon das eine oder andere Laufrad eingespeicht und so wird kurzerhand ein Workshop im Laufradbau eingerichtet. Die Speichenlänge passt und so kann sich Gayle schon nach kurze über ein neues Hinterrad freuen.
Auch Tyson hatte schon längere Zeit Bauchschmerzen wenn er an seine Hinterradnabe dachte, also nahmen wir das gute Stück auseinander. So richtig rund waren die Kugeln zwar nicht mehr, aber mit ausreichend Fett sollte er doch noch ein paar Monate fahren können.
Am Abend gab es noch ein großes gemeinsames Essen. Franzi zauberte Pizza auf den Tisch und Gabor überraschte mit Topfenknödeln. Bei solch herrlichem Essen und derart netter Gesellschaft wünscht man, dass der Abend nie vorübergeht. Es werden Erfahrungen ausgetauscht und offene Fragen geklärt. Mir war es immer etwas komisch vorgekommen, warum man in den entlegensten Dörfern immer wieder auf Kinder stößt, die ich keineswegs als Tajiken einordnen würde. Sommersprossen, rote Haare, oder Blond mit blauen Augen… Anfangs dachte ich daran, dass die Tätigkeit der NGOs etwas weiter als gedacht gegangen ist, aber offenbar stammt dies noch aus der Zeit von Stalin. Dieser hatte nämlich Deutsche in dieser Region angesiedelt. In Kirgistan soll es sogar noch ein paar gänzlich deutsche Dörfer geben.
So langsam komme ich auch wieder zur Ruhe. In den letzten Tagen fühlte ich mich immer wieder etwas gehetzt. Jetzt weiß ich, dass ich genug Zeit habe, um bis zur Grenze zu fahren und freunde mich auch schon mit dem Gedanken an, ein paar Tage die Beine hochzulegen. Jona und Franzi brechen am Dienstag Nachmittag auf. Die Visa hatten wir problemlos in Empfang nehmen können. Tyson, Hanne, Gabor, Gayle, John und Robert sind bereits am Vormittag in Richtung Pamir aufgebrochen. Jetzt bin ich der Letzte, der die Gastfreundschaft von Veronique genießen kann. Ich widme mich nun meinem Rad. In den letzten Tagen hatte es doch einiges mitgemacht. Schlammpassagen, Flussquerungen, Staub ohne Ende, Regentage etc. Es wird Zeit, dass ich mir das Rad mal etwas genauer anschaue. Leider wird es nur eine kurze Inspektion, weil mich am Nachmittag eine gewaltige Magenverstimmung heimsucht. Für den Rest des Tages liege ich flach und habe Mühe aufzustehen, um mir Tee zu kochen. Die Glieder schmerzen, der Magen rumort, ein wenig Fieber ist im Anmarsch… die für den nächsten Tag geplante Abfahrt kann ich auf alle Fälle verschieben. Zum Glück habe ich aber keinen Zeitdruck.
Im Grunde darf ich mich aber gar nicht beschweren. Nach 4 Monaten auf dem Rad hatte ich nun erst zum zweiten Mal Probleme mit dem Magen. Von vielen anderen Reisenden hatte ich gehört, dass sie auch gerade in Tajikistan Schwierigkeiten hatten. Da traf es sogar Langzeitreisende, die bereits seit einigen Jahren unterwegs sind und eigentlich beschwerdefrei reisten. Fürs Erste zwar nur ein schwacher Trost, aber ich bin mir sicher, dass es wieder bergauf geht.
Nach einer etwas unangenehmen Nacht kehren die Lebensgeister langsam wieder zurück. Das Rad kann wieder zusammengebaut werden, ein wenig Recherche für die bevorstehende Route steht an, Blogs von anderen Radreisenden werden studiert… Internet kann auch was sehr entspannendes sein.
Die Sonne schein, im Garten zwitschern die Vögel und abseits dessen ist es herrlich ruhig. So wie es aussieht geht es mit einem Tag Verspätung dann doch wieder weiter. Es stehen auch diesmal wieder spannende Passagen bevor. Gleich zu Beginn geht es in die Berge. Entweder über den Anzob Pass auf über 3000m, oder durch einen 5km langen, unbeleuchteten und unbelüfteten Tunnel durch den zu allem Überfluss auch noch ein Fluss fließt…
Bis zur Grenze nach Kirgistan sind es aber nur noch knapp 400km. Dann wird auch schon bald die 10000 km Marke geknackt. Schon verrückt, was man in so kurzer Zeit erradeln kann. Der Zielort Wladiwostok rückt immer näher. Nur noch Kirgistan, Kasachstan, China und Südkorea liegen dazwischen.
Vielleicht gibt es ja doch noch jemanden, der kurzentschlossen ein paar Wochen in traumhaft schöner Umgebung radeln möchte. Ich werde ein paar Wochen in Kirgistan verbringen, es zahlt sich sicher aus ins Flugzeug zu steigen. Und für Kirgistan bracht man auch kein Visum!