Tag 160 – 10.Juli

Karakol – kurz vor Karkara: 94km; 5:10h im Sattel; 21 – 28 Grad, Sonne
Camping

Spürbar nimmt der Einfluss der Russisch-Orthodoxen Kirche nun zu. Erstes Anzeichen war die sehr imposante Holzkirche in Karakol und dann sieht man auf den Friedhöfen immer mehr Kreuze auftauchen. Stellenweise gibt es sogar zwei separate Friedhöfe. Im Gegensatz dazu sieht man nun immer weniger “Jurten” auf den Friedhöfen. Es scheint, als ob sich kulturell mal wieder ein leichter Wandel vollzieht. Ich radle auf einer Nebenstraße in Richtung Grenze und bin erstaunt, wieviel Holzhäuser man nun in den Dörfern findet. Architektonisch hätte ich diese Bauart spontan in den Nordwesten Russlands eingeordnet, war also ein wenig überrascht, hier in Kirgistan darauf zu treffen. Es ist recht wenig los auf der Straße, aber das hatte ich mir mit der Wahl der Strecke auch erhofft. Der See liegt schon weit hinter mir, ich pedaliere gemütlich durch recht flaches Terrain. Neben der Straße wird intensiv auf den Feldern gearbeitet, es werden Kartoffeln, Kohl und Getreide angebaut. Die Landwirtschaft ist hier ein großer Wirtschaftsfaktor.
Ein wenig überrascht war ich, als kurz hinter Boz-Uchuk die Asphaltstraße abrupt endete und ich mich nun wieder über viele Kilometer mit übelster Schotterpiste auseinandersetzen musste. Es galt noch eine Hügelkette zu überwinden und dann stieß die Nebenstraße wieder mit der Hauptstraße in Richtung Grenze zusammen. In Ak-Chiy stockte ich noch einmal die Gemüsevorräte auf, da laut Karte bis zur Grenze kein richtiges Dorf mehr passiert wird. Die Dorfstraße breit wie ein Fußballfeld, aber praktisch niemand zu sehen. Der Ort macht einen etwas gespenstigen Eindruck. So überraschend wie sonst die Hunde aus den Hauseinfahrten sprinten, so überraschend kommen jetzt aber von allen Seiten Kinder auf die Straße gelaufen. “Tourista, Tourista, hello, hello” so geht es pausenlos. Bleibt man stehen, verstummen die Rufe sofort und die Kinder schauen mich nur noch ratlos an. Sobald ich mich wieder aufs Rad setzte, geht der Gesang wieder los.
Die Straße hinauf aufs Hochplateau hat den Namen Straße eigentlich nicht wirklich verdient. Mehr eine Anhäufung größerer Steine macht den Anschein, eine Straße zu sein. Mit weit über 10% Steigung gehts mühsam bergauf, dafür wird man mit einer traumhaften Landschaft belohnt. Man kommt sich vor, als ob man durch eine Almengegend in den österreichischen Alpen radelt. Immer wieder passiert man ein paar Jurten, Kühe und Pferde grasen neben der Schotterpiste und im Hintergrund ragen die Berge schroff in die Höhe. Bei der Abfahrt muss ich diesmal einige Pausen einlegen, weil die Bremsen so heiß werden, dass ihre Wirkung spürbar nachlässt. Wieder auf der “Hauptstraße” angelangt freute ich mich schon auf etwas Asphalt, aber der Wunsch wurde nicht erfüllt. Es ging holprig weiter.
Eigentlich wollte ich heute ja noch nicht über die Grenze, nachdem es aber nicht mehr allzu weit bis zur Grenze sein konnte, beschloss ich den Übertritt doch noch heute zu machen. Kilometerlang radle ich durch unbesiedeltes Gebiet. Ich wundere mich schon, wo hier eine Grenzstation sein soll, mitten im Nirgendwo… Laut Karte hatte ich die Grenze zu Kasachstan schon hinter mir, doch dann tauchte in der Ferne auch schon der Grenzposten auf. Viel loß war hier nicht. In den letzten Stunden sind mir vielleicht drei oder vier Autos begegnet. Mehr als eine handvoll Grenzübertritte per Tag wird es hier wohl nicht geben. Die Beamten auf beiden Seiten der Grenze sind äußerst zuvorkommend, für mich einer der gemütlichsten Grenzübertritte seit Langem. Es wird nach nichts gefragt, das Gepäck interessiert auch niemanden, keine Formulare müssen ausgefüllt werden, alles geht erstaunlich schnell. Ein bisschen Mühe hatte ich nur mit der Tatsache, dass mein Rad kein Nummernschild hat und der Beamte nun in die für das Nummernschild vorgesehene Spalte nichts eintragen konnte. Kurzerhand bat ich den Beamten, sich von Zustand des Rades selbst zu überzeugen und so war das “Problem” auch gleich aus der Welt geschafft. Für große Aufregung sorgt es momentan, wenn ich sage, dass ich aus Deutschland komme. So wie es aussieht, hat das Fußballinteresse nun doch zugenommen. Ich habe mir sagen lassen, dass Deutschland nun im Finale steht und fast jeder, den ich treffe sieht die Mannschaft auch schon als Sieger. Mal wieder wäre es nicht von Nachteil, sich im Fußballgeschehen ein wenig besser auszukennen…
Es sind noch ca. 30km bis nach Kegen, dem ersten größeren Ort nach der Grenze. Geldwechsel an der Grenze? Fehlanzeige. Ich bin froh, zumindest für heute und morgen noch mit Essen ausgestattet zu sein. Gut 10km nach der Grenze beschloss ich dann, den Tag für heute zu beenden. Ein Fluss verläuft parallel zur “Straße” und so nahm ich gleich die erstbeste Gelegenheit wahr und suchte mir wieder einen dieser traumhaften Zeltplätze, die ich in Kirgistan fast jeden Tag gefunden habe.

Tag 161 – 11.Juli

Kurz vor Karkara – Saryn Canyon: 98km; 4:42h im Sattel; 25 – 42 Grad, Sonne
Camping

Heute Nacht war es noch empfindlich kalt geworden. Entsprechend lange dauerte es dann auch, bis das Zelt vollständig aufgetrocknet war. Für die ersten paar Kilometer war wieder Schotterpiste angesagt, doch dann bog ich in die lange Gerade nach Kegen ein und hier erwartete mich feinster Asphalt, leichtes Gefälle und dezenter Rückenwind. Gemütlich brauste ich durch das platte Land, in Sichtdistanz die Ausläufer der Bergkette, die den Ysyk Köl See im Norden begrenzen. In Kegen wollte ich eigentlich meine verbliebenen SOM eintauschen, bzw, Geld vom Automaten beheben. Ersteres ist offenbar nur in Almaty möglich und für Zweiteres musste ich ganz schön lange anstehen. Wie es scheint hatte der ganze Ort eben erst Visa Karten bekommen und nun wollte jeder testen, wie das Geldbeheben funktioniert. Mit der Geheimhaltung des Pins wurde das aber nicht so eng gesehen. Die Einen hatten den Pin auf den Arm geschrieben, die Anderen hatten ihn auf einem Zettel stehen, im Kopf hatte ihn sicherlich keiner. Viele hatten noch Respekt vor dem Automaten und so kristallisierte sich heraus, dass meist eine Person das Geld für zehn weitere behob. Einfach Pin und gewünschten Betrag nach vorne rufen und schon kam man zu seinem Geld. Als ich dann endlich an der Reihe war, wurden meine beiden Karten aus “technischen Gründen” nicht angenommen. Um dann doch noch zu Geld zu kommen, musste die Dollar-Reserve angegriffen werden. Bis nach Almaty gibts offenbar keine Gelegenheit zum Geldbeheben mehr. Nun ja, zumindest konnte ich jetzt meine Essensvorräte wieder aufstocken, bei Wasser vertraute ich eigentlich auf die mir aus Kirgistan bekannten Brunnen in den Dörfern, aber da wurde ich zumindest heute enttäuscht. Die Wasserversorgung in den Dörfern scheint noch ein Problem zu sein.
Meter um Meter ging es den Hügel empor, oben angekommen blies mir ein warmes Lüftchen entgegen. Man konnte bereits die Weite Kasachstans erblicken. Nicht nur landschaftlich, sondern auch klimatechnisch tauchte ich nun in eine völlig neue Gegend ein. Mit jedem Meter den ich bergab rollte wurde es heißer und trockener. Ich ließ die Hügel hinter mir und fand mich schließlich in Mitten einer gigantischen Steppe. In der Ferne konnte man oasenartig ein Dorf mit Bäumen erkennen. Die Straße verlief ohne jedliche Kurve kilometerlang schnurgerade dahin. Dort wo Bäume wachsen sollte es ja auch Wasser geben. Die einzige Wasserquelle im Dorf war dann aber ein Kanalrohr, das unterhalb der Straße hervorragte. Scheinbar handelte es sich aber wirklich um akzeptables Trinkwasser, weil der Andrang zum Wasserholen doch recht groß war.
Mittags lag die Temperatur im Schatten bei 37 Grad. Auf der Straße lag sie deutlich höher und so war ich ganz froh, als sich am frühen Nachmittag Regenwolken vor die Sonne schoben. Wie zu erwarten war, regnete es nur in der Nähe der Bergkette nördlich des Ysyk Köl. Dort sieht man auch noch grüne Wiesen und Bäume, doch nur wenige Kilometer weiter ist alles trocken.
Lydia und André, die zwei Schweizer mit ihrem Campingbus hatten mir ans Herz gelegt, den Saryn Canyon zu besichtigen. Nachdem die Zufahrt dorthin aus meiner Fahrtrichtung nicht angeschrieben ist, hatten sie mir relativ genau geschildert, wie ich dorthin komme. Der Saryn Canyon wird als der kleine Bruder des Grand Canyon gehandelt. Schon von der Hauptstraße aus sieht man, wie sich der Fluss tief in die Landschaft eingegraben hat. Doch bevor man zum eigentlichen Canyon kommt, muss man erst noch einmal ordentlich klettern, erst dann kann man auf die 10km Sandpiste einbiegen. Der Saryn Canyon gehört zu den vielen Nationalparks in Kasachstan, daher ist auch Eintritt zu bezahlen. Knapp 700 Tenge, also etwas weniger als 3 EUR sind auf den Tisch zu legen, dann öffnet sich der Schranken und der Weg ist frei. Was einem dann erwartet ist wirklich atemberaubend. Die eigentliche Attraktion ist nich der Canyon des Flusses, sondern ein ausgetrockneter Nebenarm, der zum Fluss Saryn hinabführt. Jetzt verstehe ich auch, weshalb die Assoziation mit dem Grand Canyon aufkommt. Das Beste an Allem ist natürlich, dass man mit dem Rad im ehemaligen Flussbett fahren kann und sich so Schritt für Schritt dem eigentlichen Fluss nähert. Bizarre Felsformationen säumen den Weg. Wind und Wasser haben die Felswände in beachtlicher Weise bearbeitet. Alle paar Meter muss man stehenbleiben, um die Umgebung zu bewundern.
Der Weg führt direkt hinab zum jetzigen Flusslauf. Dort hatte ich dann auch vor, die Nacht zu verbringen. Die Nationalparkverwaltung rüstet sich auch hier bereits für anstehende Touristenströme. Es werden Hütten zum Übernachten gezimmert und Jurten bieten Essensgelegenheiten. Für mein Zelt finde ich aber dennoch einen feinen Platz direkt am Fluss. Einer der Arbeiter zeigt mir dann sogar noch den Weg zu einer Frischwasserquelle, sodass die Versorgung mit gutem Wasser ebenfalls geklärt ist. Kurz im Fluss gebadet, die Klamotten gewaschen und zum Trocknen aufgehängt, der Feierabend kann kommen… Bei weit über 30 Grad Abendtemperatur dauert es dann auch nicht lange, bis alles wieder trocken ist.
Immer wieder kommen kleinere Besuchergruppen zum Fluss und genießen die idyllische Atmosphäre. Roman, ein Fußballkommentator aus Moskau, ist von meinem Vorhaben so begeistert, dass er unbedingt davon auf Twitter berichten will. Über Deutschen Fußball weiß er so ziemlich alles. Mal wieder wären Fußballkenntnisse nicht von Nachteil. Wir unterhalten uns aber auch so prächtig. Eine Melone wird geköpft, wobei ich den Rest behalten darf. Wenn ich dann im Herbst in Moskau bin, habe ich zumindest schon mal eine Telefonnummer…
Die letzten Besucher verlassen langsam das Flusstal, es scheint, bis auf ein paar Arbeiter bin ich der Einzige, der hier übernachtet. So richtig dunkel wird es heute aber nicht. Der Vollmond wirft lange Schatten und die Temperatur liegt immer noch bei knapp 30 Grad. Eine besonders heiße Nacht steht bevor.

Tag 162 – 12.Juli

Saryn Canyon – kurz hinter Janaturmis: 130km; 5:54h im Sattel; 28 – 45 Grad, Sonne
Camping

Über Nacht gab es kaum Abkühlung. Die Morgentemperaturen lagen auch schon wieder nahe bei 30 Grad. Na, das kann ja heiter werden unter Tags…
Am Fuß des Canyons war es Frühmorgens noch ruhig, der Wasserspiegel des Flusses war über Nacht ein wenig gestiegen, offenbar merkt man die Verdunstung unter Tags doch stärker als gedacht. Nachdem die Reste der Melone zum Frühstück verdrückt waren, ging es wieder raus aus dem Canyon. Die knapp drei Kilometer hatten es durchaus in sich. Mir ist der Weg gestern gar nicht derart steil vorgekommen. Auf den letzten Metern musste ich dann kapitulieren. Selbst beim Schieben / Ziehen des Rades stieß ich an meine Grenzen. Steigungen von 20% da geht einfach nichts mehr… Völlig ausser Atem konnte ich noch einmal den Blick über den tief eingeschnittenen Canyon genießen, ehe ich mich wieder auf die Rüttelpiste in Richtung Hauptstraße machte.
Ein gutes Gefühl, wieder Asphalt unter den Reifen zu haben. Dennoch hat sich der Abstecher in den Canyon ausgezahlt. Ohne den freundlichen Hinweis der beiden Schweizer wäre mir dieses Naturschauspiel verborgen geblieben.
Bereits in der Früh hatte sich ein recht heißer Tag angekündigt. Ich nahm jede Gelegenheit wahr und füllte meine Wasservorräte auf. Zum Glück scheint die Dichte an Wasserquellen nun wieder zuzunehmen.Vorerst gehts noch durch trockenste Steppe, doch nach einem kleinen Anstieg ist der Blick frei auf einen grünen Teppich aus Bäumen, Wiesen und Feldern. Endlich kommt etwas Farbe ins Spiel. Ich hoffe darauf, dass in der vegetationsreichen Ebene die Temperaturen wieder etwas zurückgehen. Bei der Mittagspause hatte es bereits 37 Grad im Schatten. Die Temperatur klettert aber stetig nach oben. Über längere Zeit zeigt der Bordcomputer 49 Grad an. Sonneneinstrahlung hin oder her, es ist kurz gesagt Schweineheiß! Irgendwann ist dann der Punkt erreicht, an dem ich kapitulieren muss. Schatten muss her. Schon alleine beim Augenaufschlag hat man den Eindruck, die Augen trocknen aus… Unter einem großen Baum versuche ich die Zeit verstreichen zu lassen. Sonderlich erholsam ist es bei knapp 40 Grad im Schatten aber auch nicht. Für mich ist das heute definitiv der heißeste Tag der ganzen Tour. Da war Turkmenistan ja ein Klacks dagegen… Am späten Nachmittag wird das Klima wieder etwas angenehmer. Das Trikot noch kurz unters Wasser gehalten und schon gehts wieder weiter. Wie angenehm doch 35 Grad sein können.
Als wäre die Hitze nicht schon wild genug, muss ich mich immer wieder über übelsten Asphalt ärgern. In regelmäßigen Abständen wird die Straße auf mir bisher unbekannte Weise “saniert”. Auf den bestehenden Asphaltbelag wird eine Schicht aus in Bitumen getränktem Splitt aufgetragen, der sich dann offenbar von alleine festfahren soll. Gerade bei den herrschenden Temperaturen eine ziemlich mühsame Angelegenheit. Erstens muss man sich ständig von umherfliegenden Steinen in Acht nehmen, Zweitens ist der Straßenbelag ungeheuer laut und Drittens hat man durch das fast schmelzende Bitumen den Eindruck, regelrecht am Boden festzukleben.
Die Abstände zwischen den Dörfern werden jetzt immer kürzer und der Verkehr nimmt deutlich an Intensität zu. Man spürt schon die Nähe zu Almaty. Wenn nichts dazwischenkommt werde ich morgen am frühen Nachmittag in Almaty einrollen. Vorerst gehts aber noch entlang der ziemlich breiten, mit mehrreihigen Baumalleen gesäumten Hauptstraße nach Westen. Ein eigenartiges Gefühl, am Nachmittag die Sonne im Blickfeld zu haben. Mein Trikot ist am Rücken bereits völlig ausgebleicht, wobei die Farbe an der Vorderseite fast noch wie am ersten Tag ist. Ein klares Indiz, dass es eigentlich Richtung Osten geht. Nun ja, erst mal noch nach Almaty und dann ist es vorerst vorbei mit dem Zick-Zack-Kurs in Zentralasien.
In einer seit längerer Zeit nicht mehr bestellten Obstplantage direkt neben der Straße finde ich dann noch ein ruhiges Plätzchen für mein Zelt. Fließendes Wasser hat der heutige Zeltplatz keines zu bieten, aber dafür habe ich mir kurz zuvor noch meinen Wassersack gefüllt, sodass es zumindest noch eine kalte Dusche gibt. In Mitten von Schilf, kniehohem Gras und alten Obstbäumen genieße ich die letzten Stunden des Tages. Lange hält man es ohne Oberteil nicht mehr aus, nach der heißen Nacht gestern habe ich dagegen aber nichts einzuwenden.

Tag 163 – 13.Juli

Kurz hinter Janaturmis – Almaty: 80km; 3:38h im Sattel; 26 – 41 Grad, Sonne
Warmshowers

Die gestrige Hitzeerfahrung hatte mir ein wenig zu Denken gegeben. Demnach versuchte ich heute mal einen recht frühen Start. Meistens bin ich gegen halb neun, neun auf der Straße, aber heute konnte ich schon um kurz vor sieben die letzten Kilometer in Richtung Almaty in Angriff nehmen. Eine weise Entscheidung, da die Temperaturen zumindest bis um 10 Uhr Vormittags noch recht angenehm waren.
Der Verkehr wurde immer stärker und obwohl ich recht gut vorankam, war es keine Freude. Der raue Asphalt ließ den Verkehr noch schneller, weil lauter, erscheinen. Jeder Abschnitt mit glattem Asphalt glich einem Erholungsurlaub. Für heute zählte nur noch so früh als möglich in Almaty ankommen.
Von der mich umgebenden Landschaft sah man ohnehin nicht sonderlich viel, da die Straße beidseitig von dichten Baumreihen gesäumt war, es hieß also Blick gerade aus richten und fleissig strampeln.
Seit ich mich in Kasachstan befinde, ist mir aufgefallen, dass sich das Auftreten von Mann und Frau gravierend geändert hat. Seit ein paar Tagen sieht man wieder Pärchen Hand in Hand gehen. Es werden wieder Zuneigungen ausgetauscht. Klingt vielleicht ein wenig verschroben, aber so etwas fällt direkt ins Auge, nachdem Mann und Frau in den letzten Wochen sich sehr neutral gegenübergestanden haben.
Bereits von Bishkek aus hatte ich Tasman über Warmshowers kontaktiert. Er arbeitet als Pilot in Almaty und ist neben Sergej, den ich in der Nähe des Ysyk Köl Sees getroffen habe, der Einzige, der in Kasachstan über Warmshowers Radfahrern Unterkunft bietet. Im Vorfeld war ich schon gewarnt worden, dass Tasman ein ziemliches Energiebündel ist und die arbeitsfreien Tage meist auf dem Rad oder in den Bergen verbringt.
Ich hatte Glück und Tasman war gerade in Almaty, als ich mich der Stadt näherte. Für Unterkunft ist also mal gesorgt.
Kurz bevor ich die Stadt erreichte war es noch einmal Zeit für einen Energiebackup. Schokoriegel und Softdrinks mussten her. Im Schatten noch kurz ein Nickerchen gemacht und etwas unsanft von einem jungen Typen geweckt, der mir seine Import – Export Pläne erklärte. Offensichtlich lässt sich in Kasachstan viel Geld mit Autoimport machen, deshalb will er nach Deutschland fahren und dort eine Luxuslimousine kaufen. Wie ich ihm dabei helfen kann, weiß ich noch nicht, aber ich hab ihm mal meine Nummer gegeben… Luxus ist ein gutes Stichwort, den sieht man nämlich jetzt immer häufiger. Die Autos werden immer größer, neuer und teurer. Was sonst noch auffällt wenn man sich der Stadt nähert, sind Reklametafeln. In den letzten Wochen sind mir derartige Kaufempfehlungen kein einziges Mal untergekommen. Ich nähere mich offenbar einer, im Vergleich zu den bisher besuchten Städten der “Stan-Länder”, sehr weit entwickelten Stadt.
Drei Stunden vor meiner vereinbarten Ankunft stand ich dann vor Tasmans Apartmentblock.
Viel Zeit zum Erholen blieb wirklich nicht. Gleich zu Beginn wurde geklärt, dass es morgen in die Berge geht. Übermorgen muss er dann wieder arbeiten, für mich also die Gelegenheit, ein wenig auszuspannen. Aber fürs Erste freue ich mich eigentlich schon auf ein wenig Bergsteigen in den nahe gelegenen Bergen.
Nachdem er einer der wenigen Warmshower Gastgeber ist, kommen bei ihm jährlich ziemlich viele Radler unter und er gibt für jeden seiner Gäste alles… Entweder er schleppt sie in die Berge, oder er geht mit ihnen Radfahren, oder er begleitet sie ein paar Tage aus der Stadt. Das indisch-französische Pärchen, dass wir auf dem Weg zum Song Köl See getroffen hatten, war ebenfalls ein paar Tage bei ihm. Franzi und Jona konnten leider nicht bei ihm unterkommen, weil er vor ein paar Tagen noch in Europa war. Heike, deren Blog ich immer noch parallel verfolge wollte eigentlich auch bei ihm unterkommen, hat sich aber noch nicht bei ihm gemeldet.
Dass die Welt wirklich klein ist, zeigt sich beim Gespräch über Tajikistan. Veronique hatte mir ja erzählt, dass sie sich wegen eines Typen in Almaty nach Dushanbe hatte versetzen lassen. Nun stellt sich heraus, dass eben dieser Typ einer des besten Freunde von Tasman ist, nachdem Veronique die Beziehung mit ihm aber unschön beendet hat, ist Tasman nicht sonderlich gut auf sie zu sprechen. So, genug getratscht…
Meine Route zurück zur Chinesischen Grenze haben wir dann auch gleich fixiert. Ich hatte eigentlich vor, der nördlich verlaufenden Hauptstraße zu folgen, da auf meiner Karte keine alternative Strecke zu finden war, aber da hatte ich nicht mit Tasman gerechnet. Der zauberte gleich eine auf Google Maps markierte Strecke aus dem Hut, die über ein landschaftlich sehr reizvolles Plateau führen soll. Wird sicher nicht der einfachste Weg, aber gegenüber 400km “Autobahn” ziehe ich die landschaftlich reizvollere Strecke gerne vor.
Meine Weiterreise nach China werde ich wohl um einen Tag nach hinten verschieben. Almaty möchte ich ja auch noch sehen. Jetzt gehts aber erst mal in die Berge, danach ist Sightseeing angesagt und dann wird sich zeigen, ob noch ein Ruhetag mehr notwendig ist, bevor es endlich wieder gen Osten geht. Es bleibt spannend…