Tag 309 – 05.Dezember

Taubing – Weitersfelden: 125km; 7:26h im Sattel; 1 – 3 Grad, Nebel
Homestay

Nach fünf Tagen in Bayern starten nun auf die letzten drei Tagesetappen nach Wien. Irgendwie unglaublich, dass meine Rundreise nun wirklich ein Ende findet. So schön es zuhause auch ist, ein bisschen zieht es mich doch noch weiter – dorthin, wo alles seinen Anfang nahm – dorthin, wo ich am 1.Februar aufgebrochen bin, um den Eurasischen Kontinent in Richtung Osten zu erkunden. Über 22.000km hat mich mein treues Rad nun schon durch die Welt getragen, jetzt heißt es noch die finalen Kilometer heil zu überstehen. Im Mühlviertel hatte in den vergangenen Tagen gefrierender Nebel zu katastrophalen Zuständen geführt, ich hoffe, dass wir die geplante Strecke auch befahren können, im Moment sind die meisten Straßen noch gesperrt.
Nachdem wir den gestrigen Abend gemeinsam mit Michl, Horst und Tyson überaus gemütlich bei Weißwurst, Breze und Weißbier ausklingen hatten lassen überraschten uns meine Eltern heute Morgen mit einem traumhaften Frühstück, welches einem das Wegfahren nicht unbedingt erleichtert. Liebend gerne wäre ich noch ewig am reich gedeckten Frühstückstisch gesessen, doch für heute hatten wir eine selektive Strecke vor uns, weshalb wir schon kurz nach Sonnenaufgang starten wollten. Frühe Starts einzuhalten ist nie leicht, aber immerhin schafften wir es, um 8 Uhr auf den Rädern zu sitzen. Leicht fiel mir der Abschied nicht, aber irgendwie fühlte es sich auch wieder ganz gut an, auf dem Rad zu sitzen. Tyson durfte mit dem Rad meiner Mutter in Richtung Wien starten. Die kommenden Tage werden für ihn sicherlich keine leichte Übung werden, nachdem mir mit Horst und Michl zwei recht starke Radfahrer zur Seite stehen, doch ich hoffe, dass für jeden in den kommenden Tagen etwas dabei ist…
Die ersten Stunden sind für mich noch sehr bekanntes Terrain. Die Strecke kenne ich schon seit Kindertagen und so stört es mich auch nicht weiter, dass teil dichter Nebel die Sicht ein wenig einschränkt.
Es dauert nicht lange, dann passieren wir auch schon zum ersten Mal die österreichische Grenze. Schon von Beginn an zeigt uns der Streckenverlauf, dass es heute recht hügelig werden wird. Steile Anstiege wechseln sich mit kurzen, aber steilen Abfahrten ab. Doch noch hält sich alles in Grenzen. Das ändert sich, als wir Aigen im Mühlkreis erreichen und eine schier endlos scheinende Straße emporklettern müssen. Der Falllinie folgend geht es mit 10 – 14% in die Höhe. Keine Kehren, schlichtweg die kürzeste Verbindung von Tal zu Gipfel. Oben angekommen empfängt uns dichtester Nebel. Die Verschnaufpause wird nur kurz dazu genutzt, die Energiedepots mit belgischer Schokolade (Danke Tyson!) zu füllen und dann gehts auch schon weiter. Der Moldaustausee ist nicht mehr weit. Wir rollen durch dichten Fichtenwald, vorbei an den ehemaligen Grenzanlagen und den Kasernen, bis wir nach einer recht frischen Abfahrt schließlich am Stausee ankommen. Tschechien ist erreicht – schon nach wenigen Stunden das dritte Land der heutigen Reise… Die Straße endet förmlich im Nichts. Der dichte Nebel verschluckt alles im Umkreis von 20 Metern. Eine überaus sonderbare Stimmung, die aber durchaus recht reizvoll wirkt. Wir passieren die ersten umgeknickten Bäume, die unter der Last des Eises der vergangenen Tage kollabiert waren. Obwohl wir nur auf einer kleinen Nebenstraße unterwegs sind, ist diese schon von sämtlichen umgeknickten Bäumen befreit. Wenn man bedenkt, dass das Eischaos erst ein paar Tage zurück liegt, eigentlich eine beachtliche Leistung.
Uns allen steckt der Anstieg bei Aigen noch ziemlich in den Knochen und so kommt uns kurz hinter Lipno das erste Gasthaus recht gelegen. Traditionell Tschechische Küche ist für ausgefrorene Radler genau die richtige Zwischenmahlzeit…
Das nebelige Wetter bessert sich am Nachmittag auch nicht unbedingt. Zwischenzeitlich hat man das Gefühl, dass die Nebelwand wieder aufreisst, aber so wirklich Glück scheinen wir nicht zu haben. Trotz alledem genießen wir alle die idyllische Landschaft um uns herum. Wir radeln durch traumhaft ruhige Gegenden, auf angenehm kleinen Nebenstraßen mit praktisch keinem Verkehr. Es geht quer durch große Viehweiden, immer wieder kräftig in die Höhe und dann wieder hinunter… Ein ewiges Auf und Ab – dafür sind der Böhmerwald und das Mühlviertel ja bekannt.
Bei Horni Dvorsiste steht dann der letzte Grenzübergang für heute auf dem Programm. Nun heißt es endgültig “Willkommen in Österreich”. Der Braunkolegeruch, der uns noch vor wenigen Kilometern in der Nase lag verschwindet langsam, doch die kleinen Straßen, auf denen wir seit Mittag unterwegs waren, bleiben uns noch eine Weile erhalten.
Die Zeit schreitet voran und immer mehr Höhenmeter müssen überwunden werden. Tyson hält sich seit Längerem nur noch mit Schokoriegeln in Form. Seit erster Tag auf dem Rad seit vielen Wochen entpuppt sich als ein sehr harter, doch es gibt keinen Anlass zur Klage – die Streckenführung gegeistert uns alle und wir nehmen die zahllosen Anstiege gerne in Kauf. So langsam beginnt es zu dämmern und unser erstes Zwischenziel liegt noch ein gutes Stück von uns entfernt. In Sandl werden wir von Seppi und seiner Familie mit Kaffe und Kuchen erwartet, doch davon trennen uns noch einige Hügel. Wir kratzen gerade an der 1000m Marke, als wir endlich Sandl erreichen. Dichter Nebel umhüllt das Dorf und wir sind von Dunkelheit und Stille umgeben. Vom vielen Eis, das es in den vergangenen Tagen hier offenbar gegeben hat, ist nichts mehr zu sehen, doch schon jetzt kündigen sich Minusgrade an. Die kurze Kaffeepause in Sandl erweckt unsere müden Beine wieder zum Leben und wir können die finalen Kilometer bis Weitersfelden in Angriff nehmen. Von Sandl aus gehts zum Glück hauptsächlich bergab, doch bei Temperaturen um Null Grad freut man sich gar nicht mal so sehr über eine Abfahrt, da der Körper viel zu schnell wieder auskühlt. Dank der guten Lichtanlage macht die Nachtfahrt richtig Spaß und wir erreichen wohlbehalten Weitersfelden. Eine unglaublich abwechslungsreiche, traumhaft schöne Etappe geht zu Ende. Obwohl sich das Wetter nicht unbedingt von seiner besten Seite gezeigt hatte, genossen wir alle die Dreiländer Fahrt in vollen Zügen. Für Horst und Michl war der Streckenverlauf Neuland, doch wir überlegen bereits, einen Teil der Strecke einmal wieder zu fahren. Tyson war letztes Mal bei seiner Reise in Richtung Osten auf dem Donauradweg unterwegs, für ihn könnte der Kontrast wohl nicht größer sein.
Monatelang war ich nun alleine unterwegs gewesen, jetzt kann ich zum Ersten Mal wieder in Begleitung radeln – und dann gleich mit derart netten Leuten… Traumhaft!
Traumhaft war es auch, von Simon und seiner Familie derart herzlich aufgenommen zu werden. Bei Kartoffelgulasch und Apfelstrudel plaudern wir den ganzen Abend und werden mehr als zuvorkommend bewirtet. Uns Vieren stecken die gut 2000 Höhenmeter der heutigen Tour in den Beinen, doch keiner will den Tisch vorzeitig verlassen. Für morgen ist ohnehin eine etwas kürzere Etappe geplant. Bis nach Krems sind es es wohl nur knapp 100km…

Tag 310 – 06.Dezember

Weitersfelden – Krems: 99km; 5:11h im Sattel; 1 – 3 Grad, Nebel / Nieselregen
Hotel

Von Franziska, Fritz und Simon wurden wir heute Morgen mit einem kräftigen Frühstück verwöhnt. Der Start in den Morgen fiel aufgrund des langen Abends gestern jedem von uns ein wenig schwer. Von unserer Gruppe war ich heute der Einzige, der wusste, was uns auf den ersten 10 Kilometern bevorstehen wird. Nachdem ich letztes Jahr mit Simon gemeinsam von Wien aus kommend nach Weitersfelden geladelt bin, konnte ich mir vom Koblberg-Pass bereits ein Bild machen.
Nach einer kurzen Abfahrt begann bereits der erste Anstieg. Die folgenden Kilometer hieß es nun fleissig Klettern. Es galt den höchten Pass Oberösterreichs zu bezwingen. Je höher wir kamen, desto häufiger sahen wir umgestürzte Bäume und abgebrochene Baumspitzen am Straßenrand. Auf den ersten Blick hatte man den Eindruck, es hätte in den vergangenen Tagen geschneit, doch bei der weißen Pracht handelte es sich nicht um Schnee, sondern um Eis, das von den Bäumen gefallen war. Die chaotischen Zustände der letzten Tage hatten sich nun zum Glück aufgelöst, die Bäume waren wieder eisfrei und die Straßen waren frei. Von allen Seiten drang aber das Geräusch von Motorsägen an mein Ohr – im Wald wurde eifrig daran gearbeitet, die Schäden aufgrund des Eisbruchs zu beseitigen. Erstaunlich, welche Kraft gefrierender Nebel entwickeln kann. Kräftige Bäume lagen gespalten neben der Straße und teilweise kniehoch lag das Eis unter den Bäumen. Zum Glück sind wir erst jetzt hier unterwegs, noch vor ein paar Tagen wäre die Strecke unpassierbar gewesen.
Abgekämpft erreichen wir alle nach der Reihe die Passhöhe. Dampfend stehen wir kurz zusammen, bevor wir uns in die erste Abfahrt nach Liebenau stürzen. Die Temperatur war auf frostige 1 Grad zurückgegangen, doch die Luftfeuchtigkeit betrug gefühlte 100 Prozent. Man hatte den Eindruck, sich in einer kalten Dampfsauna aufzuhalten. Meine Brille lag heute die meiste Zeit in der Lenkertasche, weil aufgrund der hohen Luftfeuchtigkeit die Gläser sofort beschlugen. Aufgrund des dichten Nebels war die Sicht ohnehin eingeschränkt, da störte es auch nicht weiters, dass ich ohne Brille unterwegs war.
Gestern waren wir hauptsächlich auf kleinsten Nebenstraßen unterwegs, für heute hatte ich mein bestes gegeben, die Hauptstraßen zu meiden, doch fiel dies heute weit schwieriger als gestern. Dennoch stießen wir immer wieder auf traumhaft ruhige Nebenstraßen, die uns durch eine vorwinterliche Feld- und Wiesenlandschaft führten. Entgegen meiner Befürchtung waren sogar fast alle Nebenstraßen bereits frei passierbar. Die freiwilligen Feuerwehren der umliegenden Dörfer hatten gute Arbeit geleistet und bereits sämtliche umgestürzten Bäume entfernt.
Die letzten Kilometer vor Zwettl mussten wir wieder auf die Hauptstraße zurück, die uns trotz kurzer Reifenpanne von Michl recht zügig nach Zwettl führte. Die hohe Luftfeuchtigkeit gepaart mit den niedrigen Temperaturen setzte uns allen schon ein wenig zu. Eine ausgedehnte Mittagspause am Hauptplatz von Zwettl brachte uns alle aber wieder in Schwung. Kurz gings dann noch einmal auf der Bundesstraße dahin, bis wir schließlich abbiegen konnten und nun in Richtung Kremstal radelten. Auf der Karte war ich auf eine vielversprechende Nebenstraße gestoßen, die offenbar der Krems bis nach Krems folgt. Leider holte uns schon früh die Dämmerung ein, sodass wir die Umgebung nur noch bedingt wahrnehmen konnten. In engen Serpentinen führte die Straße hinab zum Flusstal der Krems. Man kam sich kurzzeitig vor, als ob man auf einer hochalpinen Passstraße unterwegs wäre. Verkehr war praktisch keiner mehr vorhanden und so konnten wir ungestört nebeneinander ins Tal brausen. Seit Zwettl begleitete uns nun schon penetranter Nieselregen, doch wir versuchten diese Tatsache einfach zu ignorieren. Krems rückte immer näher und Michl bekam zum Schluss hin noch einen unerwarteten Energieschub, sodass er uns drei wie eine Zugmaschine mit sich schleppte. In enger Formation gings neben der Krems entlang, die Ruine Senftenberg und das Schloss Rehberg tauchten mystisch aus dem dichten Nebel auf und die Straße fiel noch weiter ab. Weit früher als geplant erreichten wir schließlich Krems, ließen aber den Altstadtkern rechts liegen und radelten gleich in Richtung Rohrendorf weiter, um dort unser Hotel zu beziehen. Nach einer kurzen Dusche gings erst mal zum nächstgelegenen Lokal, bevor wir abschließend Tysen in die Geheimnisse der Heurigenkultur einweihen konnten. Unsere Vierergruppe hatte sich trotz der unterschiedlichen Fahrerniveaus als recht harmonisch herausgestellt und wir alle hatten die zurückliegenden Kilometer in vollen Zügen genossen. Auf den finalen Kilometern bis nach Wien werden jetzt wohl keine derart abwechslungsreichen Strecken mehr zu finden sein, aber dafür erwartet mich in Wien ja etwas ganz anderes.
Im Moment ist es für mich noch schwer vorstellbar, wie es sich anfühlen wird, nach zehn Monaten wieder vor der eigenen Haustüre zu stehen. Im Moment genieße ich es sehr, von einer persönlichen Eskorte begleitet zu werden. Morgen wird sich unsere Gruppe noch ein wenig vergrößern, bevor wir am frühen Nachmittag in Wien einrollen werden. Nach 310 Tagen unterwegs stehe ich nun also unmittelbar vor dem “Zieleinlauf”. Die Vorfreude aufs Zurückkommen ist riesengroß, auch wenn ich keine Vorstellung davon habe, was mich im Anschluss daran erwarten wird.