Tag 311 – 07.Dezember
Krems – Wien: 90km; 4:16h im Sattel; 3 – 4 Grad, Regen
Home Sweet Home
Sonderlich vielversprechend war der morgendliche Blick aus dem Fenster nicht unbedingt. Es empfing mich ein Grau in Grau mit dezentem Nieselregen. Für die Abschlussetappe nach Wien hätte ich mir durchaus besseres Wetter vorstellen können, aber im Grunde war das alles nebensächlich. Nur noch knapp 90 Kilometer trennten mich von dem Ort an dem alles seinen Anfang nahm, von wo aus ich vor gut 10 Monaten aufgebrochen war, den Osten des Eurasischen Kontinents zu suchen. Zehn Monate auf dem Rad durch Eis, Schnee, Regen, Sturm und Sonne, da kann mich jetzt ein bisschen Regen in der Niederösterreichischen Provinz auch nicht mehr aus der Reserve locken.
Von Krems bis Wien gibts noch einmal Zuwachs zu unserer netten Radlergruppe. Zu viert sitzen wir im Frühstücksraum des Hotels und warten ungeduldig darauf, dass Rudi, Fred und Robert den Weg von Bahnhof Krems zum Hotel finden und wir voller Vorfreude die letzten Kilometer in Angriff nehmen können. Robert in Gummistiefeln, Fred mit Duschhaube auf dem Helm, Rudi ganz in GoreTex – vielleicht sollte ich doch noch die Regenklamotten auspacken? Es scheint sich einzuregnen… Zum letzten Mal greife ich also noch einmal auf die Regenpanier zurück und wir rollen geschlossen in Richtung Wagram aus der Stadt. Den Donauradweg versuchen wir zu meiden und suchen unser Glück im idyllisch ruhigen Wagram. Zu siebt gehts nun in flottem Tempo vorbei an Weingärten und Kellerhäusern. Der Blick fix aufs Hinterrad des Vordermannes gerichtet, doch immer wieder schweife ich ab und lasse die regennasse Landschaft auf mich wirken. Ich bin froh, dass wir den schon so oft befahrenen Donauradweg heute meiden und die weit abwechslungsreichere Wagramroute gewählt haben. In geschlossener Formation gehts zügig dahin – mit meinen vollbepackten Rad habe ich streckenweise doch ein wenig Mühe die Lücke zu den Leichtgewichten nicht zu groß werden zu lassen, doch die große Gruppe motiviert und ich gebe mein Bestes. Einmal noch kräftig in die Pedale treten und ehe man sich versieht sind wir auch schon in Stockerau. Kurz vor Mittag, gerade die beste Zeit für einen kurzen Zwischenstopp für Kaffe, Tee und Apfelstrudel. Sieben dampfende Radler nehmen das Hinterzimmer des örltlichen Kaffeehauses in Beschlag. Schon nach wenigen Minuten sind sämtliche Fenster beschlagen und der Boden erinnert schon mehr an ein Schwimmbad, denn an ein Cafe. Per SMS verständige ich vorausschauend schon ein paar Freunde in Wien um mich mit ihnen zu einer gemeinsamen finalen Runde um den inneren Ring Wiens zu treffen.
Für uns unerschrockene Sieben gehts nun endlich über die Donau. Bei Greifenstein wechseln wir auf das Südufer und steuern zielstrebig Klosterneuburg an. Rudi versuchte sich zwar mit einem vorgetäuschten technischen Defekt vor den bevorstehenden Kilometern zu drücken, doch nachdem ich auf derartige Zwischenfälle bestens vorbereitet bin, konnte uns ein leckendes Ventil auch nicht aufhalten. Ein kleines Schmankerl hatten sich Horst und ich gestern noch für die uns Begleitenden ausgedacht… Über die Höhenstraße gehts auf den Kahlenberg, um meiner zurückliegenden Tour ein würdiges Ende zu garantieren. Der grandiose Ausblick über die Stadt blieb uns dann aber leider wegen des dichten Nebels verwehrt. Auf dem Plateau des Kahlenberges ergriffen meine Begleiter dann die Gelegenheit, mit meinem Rad eine kurze Runde zu drehen und waren einheitlich überrascht, ob des hohen Gewichts des Rades. Der Kontrast zwischen einem 8kg Rennrad und einem voll bepackten Reiserad könnte aber auch größer nicht sein.
Auf jeden Anstieg folgt auch eine Abfahrt und das war auch heute nicht anders. In engen Serpentinen gings rasant in Richtung Wien. Die Weinberge flogen an mir vorbei und im Dunst konnte man schon die zwei massiven Türme des Allgemeinen Krankenhauses ausmachen. Wenn auch noch ein wenig verschwommen, aber Wien heißt mich schon willkommen. Ich passiere die Stadtgrenze und es geht weiterhin steil bergab. Die Unterarme werden schon wieder hart vom vielen Bremsen – wann hatte ich dieses Gefühl zuletzt? muss schon ewig her sein… Die Gedanken überschlagen sich. Unzählige Szenen der vergangenen Monate tauchen wie in einem Film vor dem inneren Auge auf, gleichzeitig kreisen Gedanken im Kopf, was mich wohl in Wien erwarten wird, was die kommenden Wochen und Monate bringen werden… Freudentränen mischen sich mit Regentropfen – Schön, wieder zurück zu sein!
Am Donaukanal sammelt sich unsere Siebenergruppe wieder und wir pedalierten gemütlich zum Ringturm, wo wir bereits von Simone & Michi, Marius, Philip und Michi erwartet wurden. Das Dutzend haben wir nun vollbekommen und starten die finale Runde um den inneren Ring. Ab der Urania nehmen wir dann stilecht die innere Fahrbahn für uns in Beschlag und rollen in einer privaten Critical Mass vorbei am MAK, an der Oper, am Burgtor, bis zum Parlament. Im Rücken von Pallas Athene versammeln wir uns alle noch einmal zu einem Abschlussfoto. Georg und Katrin samt Nachwuchs stoßen dann auf den letzten Metern auch noch zu uns und wir schließen den Kreis, radeln vorbei am Burgtheater und dem Rathaus, das uns vor 10 Monaten als Kulisse zum Start ins Ungewisse gedient hatte, weiter zur Universität und wieder hinab zum Ringturm. Jetzt noch schnell zum Stefansplatz und dann zurück in den vierten Bezirk. Unsere Gruppe wird laufend kleiner, doch Tyson, Michl, Marius und Michi begleiten mich bis zur Haustüre. Hier ging es am 1.Februar diese Jahres los. Hier war ich aufgebrochen zu einer Reise, von der ich damals nur sehr bedingt eine Vorstellung hatte und dich mich rückblickend betrachtet fast nur positiv überrascht hatte.
Viel bleibt mir nicht zu sagen, ausser DANKE an all jene, die mich während der letzten Monate begleitet hatten, die mit mir geschwitzt, mit mir gefroren, mit mir gebangt und sich mit mir gefreut hatten.
Danke aber auch im speziellen an Tyson, der extra aus Belgien angereist war, an Michl und Horst, die die Reise von Wien nach Passau auf sich genommen hatten, um mit mir übers hügelige Mühlviertel nach Wien zu reiten. Danke auch an Robert, Fred und Rudi, die dem Regen getrotzt hatten und meine Eskorte nach Wien erweitert hatten und auch Danke an Georg, Katrin, Philip, Michi, Simone, Marius und Michi die mir auf den letzten Kilometern trotz ungemütlicher Witterung Gesellschaft leisteten.
Nun geht sie also zu Ende die Reise, die mich an Orte geführt hatte, von denen ich noch nie gehört hatte und dich ich sofort wieder bereisen würde. Die Reise, die mir meine körperlichen und mentalen Grenzen deutlich gemacht hatte, ohne diese jemals zu überschreiten. Die Reise, die meinen Horizont um Welten erweitert hat und mich vermutlich auch ein klein wenig verändert hat. Auf alle fälle bin ich um eine gewaltige Erfahrung reicher, wobei das Wort Erfahrung hier durchaus wörtlich genommen werden kann.
Nun heißt es Abschied nehmen und Ankommen zugleich. Abschied nehmen von meinem Alltagsleben der letzten Monate, das für viele zuhause aufregend und exotisch gewirkt haben muss und gleichzeitig Ankommen in Wien, sich wieder zurechtfinden in einem Leben, das für viele zuhause banal und uninteressant wirken mag. Aber was ist schon banal und uninteressant? Habe ich in den vergangenen Monaten nicht genug banale und eigentlich uninteressante Orte bereist und immer wieder etwas spezielles gefunden? Vielleicht kommt es nur darauf an, wie man das, was man sieht verarbeitet.
Die Frage steht im Raum, worauf man sich am meisten freut, wenn es wieder zurück geht in die Heimat. Zumindest von meiner Seite kann ich diese Frage sehr leicht beantworten. Das, was am meisten fehlt in den vielen Monaten auf Reise, sind die Freunde und da durfte ich mich in Wien ja wirklich auf einen schönen Empfang freuen.
Noch am selben Abend ging es in den FutureGarden um meine Ankunft gebührend zu feiern. Schon wie vor zehn Monaten wurde ausgiebig gefeiert und zu erzählen gab es genug, was mir meine Stimmbänder wohl ein wenig übel nahmen und nach ein paar Stunden einfach den Dienst quittieren wollten. Doch so einfach ist das nicht, wenn es doch so viel zu erzählen gibt… Zumindest bis sich die Letzte aus unserer Runde verabschiedet hatte, mussten die angeschlagenen Stimmbänder noch mitmachen, aber dann war auch Schicht im Schacht.
Ein anstrengender aber unvorstellbar schöner Tag geht zu Ende. Ankommen in Wien hätte – abgesehen vom Wetter – nicht schöner sein können.
Die letzte Seite meines Fahrradtagebuches ist nun aufgeschlagen. Von vielen wurde ich – schon fast etwas vorwurfsvoll – gefragt, was sie nun in Zukunft lesen sollen… Nun ja, diese Frage kann ich natürlich nicht beantworten, doch es freut mich ungemein mitzuerleben, dass meine Reise derart viele Anhänger gefunden hat. Meine Empfehlung: einfach wieder von vorne beginnen… Das Eine oder Andere hat man sicher schon wieder vergessen.
Es lohnt sich aber auch noch in ein paar Tagen wieder einen Blick auf den Blog zu werfen. Die Statistik der gesamten Reise ist noch ausständig…
DANKE an ALLE, die mich auf meiner Reise begleitet haben, ob real, oder virtuell, ohne diese Unterstützung wäre die Reise vermutlich ganz anders verlaufen!
One Response to Tag 310: Zurück – dorthin, wo alles begann.
Das Problem, ein solches Ergebnis zu kommentieren besteht darin, dass man mangels Miterleben kaum die rechten Worte finden kann. Von einem Freund bin ich vor geraumer Zeit schon einmal auf Dein Blog gestoßen worden und beim ersten Mal war ich vor dem Anklicken skeptisch. Berichte von noch weiter, noch höher, noch schneller, noch mehr Entbehrung, noch mehr Schlafmangel, die es anlässlich einschlägiger Veranstaltungen zu lesen gibt, sind nicht so meins. Da wird Tag und Nacht mit möglichst hohen Durchschnittstempi gefahren, ein ganzer Land/Kontinent durchfahren – und eigentlich nichts davon gesehen. Das, was Du hier beschreibst, hebt sich wohltuend davon ab, und das schließt die Bebilderung ein.
Was mich wegen einer ähnlichen beruflichen Situation interessieren würde, kannst Du leider jetzt noch nicht beantworten: Funktioniert der Einstieg in die freiberufliche Arbeit sofort wieder? Das kann ich mir schwierig vorstellen, Aufträge alle beendet, Auftraggeber erst einmal weg… Vielleicht wäre das irgendwann einen Nachtrag wert.
Respekt und herzliche Grüße aus Leipzig!
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