Tag 82 – 23.April

Minudasht – 5km vor Bash Kalateh: 118km; 6:20h im Sattel; 15 – 32 Grad, Sonne / Wolken / Regen
Camping

Bereits am Vormittag war die Temperatur über 25 Grad geklettert. Es schien ein heißer Tag zu werden. Nachdem im Golestan Nationalpark relativ wenige Siedlungen anzutreffen sind, habe ich bereits gestern meine Essens- und Wasservorräte aufgestockt. Bei strahlendem Sonnenschein ging es wieder los. Zuerst verlief die Strecke noch einige Kilometer in der Ebene entlang der Bergrücken, doch dann ging es endlich in Richtung Nationalpark. Es stand ein Anstieg von knapp 200 auf ca. 1500m bevor. Die Steigung war aber dieses Mal sehr moderat.
Endlich tauchte die Straße ein in dichten Wald. Die gefühlte Temperatur sank sofort um einige Grad ab. Ich war umgeben von dichtem Ahornwald. Der Verkehr hatte glücklicherweise etwas nachgelassen und so konnte man ganz gemütlich unter dem Blätterdach entlang pedalieren. Hin und wieder erblickte man Wildschweine am Straßenrand. Nachdem die Iraner einen Großteil ihres Mülls nach dem Picknick stets zurücklassen, gehe ich davon aus, dass das für die Wildschweine eine ganz gute Nahrungsgrundlage darstellt.
Genau nach einer Umgebung wie dieser hatte ich mich seit gut 1000km gesehnt. Die Straße schlängelte sich gemächlich in die Höhe, links und rechts davon erhoben sich steil dicht bewaldete Felswände. Nach und nach ging die Vegetation allerdings zurück und schlussendlich wurde ich in ein steppenartiges Hochplateau entlassen. Just zu diesem Zeitpunkt braute sich dann auch ein Gewitter zusammen. Hier in der Gegend ist es ja nicht ungewöhnlich, dass es immer wieder mal zu kurzen Schauern kommt. Ich hoffte, dem Ganzen noch entkommen zu können, doch irgendwann holte mich der Regen dann ein. Ein Wartehäuschen einer Bushaltestelle und eine Tankstelle boten mir zweimal Unterschlupf vor dem stärksten Regen. Für umgerechnet 25 Cent füllte ich meine fast leere Benzinflasche wieder auf und nachdem der Regen aufgehört hatte setzte ich die Fahrt entlang der schnurgeraden Straße fort. Besonders umweltfreundlich wird auf den Tankstellen nicht gearbeitet. In den Pfützen schwimmt überall Benzin. Ich hatte dem Tankwart mehrmals darauf hingewiesen, dass er die Flasche nur 3/4 voll machen soll. Weshalb er dann aber in eine 3/4 Liter Flasche unbedingt einen Liter einfüllen wollte, war mir nicht ganz klar. Der überschüssige Benzin wurde einfach ausgeleert… Nun gut, ich habe jetzt zumindest wieder Brennstoff für die nächsten Wochen.
Das Fahren auf dem Hochplateau war etwas zermürbend. Am Horizont sieht man die Straße verschwinden, fast 10km freie Sicht und man scheint sich nur im Schneckentempo zu bewegen. Immer wieder halte ich Ausschau nach einem einigermaßen geeigneten Zeltplatz. Im Golestan Nationalpark hätte es traumhafte Plätze gegeben, doch der liegt nun schon fast 60km hinter mir. Es bedarf heute zwei Anläufe, bis ich den passenden Platz gefunden habe. Erschwerend kam heute dazu, dass der Regen den Boden völlig aufgeweicht hatte und sich der Schlamm unmittelbar an den Reifen festsetzte. Immer wieder musste ich das Vorderrad vom Schlamm befreien, weil sich das Rad keinen Zentimeter mehr drehen wollte. Das vollbepackte Rad durch aufgeweichten Boden zu ziehen ist durchaus eine körperliche Herausforderung. Ich hoffe, dass mir zukünftig derartige Erfahrungen nicht mehr allzu oft bevorstehen.
Durch den Regen war die Temperatur empfindlich abgefallen. War es Mittags noch deutlich über 30 Grad, so fröstelte ich jetzt schon fast bei nur 15 Grad. Mit Abendsonne war auch nicht mehr zu rechnen, daher verkroch ich mich gleich nach dem Essen ins Zelt. Für morgen: Neuer Tag, neues Glück…

Tag 83 – 24.April

5km vor Bash Kalateh – kurz vor Rezaabad: 136km; 5:41h im Sattel; 15 – 20 Grad, wechselhaft
Camping

Neuer Tag, neues Glück… ein bisschen musste ich aber noch warten. Morgens gab es erneut einen kurzen Regenschauer. Ich dachte schon, das hört nie auf, nachdem es auch mehr als die halbe Nacht geregnet hatte. Doch dann spitzte die Sonne durch die schwarzen Wolken durch und es begann wärmer zu werden. Ich hatte gestern bereits fast den höchsten Punkt des Plateaus erreicht, demnach ging es heute mal wieder viel bergab.
Ein leichtes Schmunzeln entlocken mir immer wieder die abenteuerlich bepackten LKWs, oder Kleinlaster. Transportiert wird alles, was man sich nur vorstellen kann. Auf der offenen Ladefläche von Kleinlastern, nur geringfügig größer als herkömmliche Pick-ups, werden zweistöckig ganze Schafherden transportiert. Auch Kühe halten immer wieder mal ihre Schnauze in den Wind. Die Transporte müssen aber nicht unbedingt “sortenrein” sein. So überholt mich zum Beispiel heute ein LKW, der zur Hälfte mit Altmetall beladen ist und der Rest der Ladefläche mit Schafen vollgepfercht war.
Die Temperaturen waren heute wie gemacht fürs Fahrradfahren. Eine innere Eingebung hatte mich gestern Nachmittag davon abgehalten das Rad zu waschen. Dafür gönnte ich heute dem lehmverkrusteten Gefährt nach der ersten Abfahrt eine Rundumpflege in einem kleinen Bach. Natürlich erregten meine Putztätigkeiten am Straßenrand die Aufmerksamkeit der örtlichen Dorfjugend. Auf 3 Motorrädern kamen 8 Jungs vorbei und stellten mir die üblichen Fragen. Heute ist mir das schon zum zweiten Mal passiert, dass ich gleich von Anfang an als Deutscher identifiziert worden bin. Ob man mir das ansieht? Was solls… Nach ein paar Minuten waren die Jungs auch schon wieder weitergebraust und ich konnte in Ruhe die Radpflege beenden.
Mit leichtem Rückenwind gings konstant bergab. In Ashkhaneh kehrte ich kurz ein und machten mich dann aber gleich wieder auf den Weg. Am Ortsausgang wurde ich von drei Männern in einem Jeep abgefangen. Alle drei sprachen relativ gut Englisch. Sie wollten unbedingt, dass ich zu ihnen nach Hause komme und dort die Nacht verbringe. Es war aber erst 14:30 Uhr und ich rechnete damit, um 16 Uhr in Bojnurd zu sein. Den Tag schon um 16 Uhr zu beenden, das war mir zu früh. Trotzdem ließ ich alle drei ihre Nummern in mein Notizbuch schreiben. Es wurde auch noch der örtliche Hotelmanager kontaktiert, bei dem sollte ich mich um 19 Uhr melden… Für heute war mir aber mehr nach gemütlicher Zeltatmosphäre. Ausserdem wollte ich den noch immer anhaltenden Rückenwind nutzen um dem drohenden Regen davonzuradeln. Es galt noch, einen ziemlich zähen Anstieg hinter mich zu bringen. Als ich abgekämpft am Gipfel angekommen war, kam der Regen schon bedrohlich nahe. Nach einer kurzen Verschnaufpause brauste ich in Richtung Bojnurd davon. Im Ort angekommen, hatte ich dann wieder ein paar Meter zu den Regenwolken gutgemacht. Zeit genug, um noch frisches Obst und Gemüse einzukaufen.
Die schwarzen Wolken stets im Rücken gings dann in weiterer Folge flott voran. Die Landschaft wurde langsam wieder Grün. Die Bergrücken waren wieder dicht mit Gras bewachsen, doch geeignete Zeltplätze waren Mangelwahre. Nach einer sehr langen Suche hatte ich dann aber doch noch Glück. Etwas abseits der Straße fand ich in einer Senke ein richtiges Vogelparadies. Ein wildes Stimmengewirr empfing mich und verstummte auch nicht, während ich mein Zelt in Mitten von rosarot blühenden Büschen aufstellte.
Ein wenig Geduld braucht man manchmal mit dem Glück, aber heute hat sich das Warten auf alle Fälle ausgezahlt.

Tag 84 – 25.April

Kurz vor Rezaabad – ca. 35km vor Chenaran: 133km; 5:16h im Sattel; 18 – 22 Grad, Sonne
Camping

Es fiel mir fast ein bisschen schwer, meine heutigen Zeltplatz wieder zu verlassen. In den Sträuchern nisteten verschiedenste Vögel und das morgendliche Pfeifkonzert war auch eine willkommene Abwechslung. So ließ ich den heutigen Tag recht gemächlich starten. Die Regenwolken waren verschwunden, doch der Rückenwind blieb. Dagegen hatte ich dann auch gar nichts einzuwenden. Nachdem heute Freitag ist, war der Verkehr auf der Bundesstraße deutlich geringer.
Der Streckenverlauf hatte heute kaum Höhenmeter zu bieten. Links und rechts der Straße erstreckte sich weiterhin eine kilometerlange Ebene. Die ansteigenden Hügelketten wechselten ihr Bild langsam von Grün wieder zu Braun. Stellenweise war das offenliegende Gestein faszinierend schön marmoriert. Bei dem Gedanken an frisch gebackenen Marmorkuchen lief mir das Wasser im Mund zusammen.
Die Kilometer purzelten heute gerade so vor sich hin. Das große Ziel, Mashhad am Samstag zu erreichen ist nun mehr als realistisch. in Feruj gönnte ich mir mal wieder gegrilltes Hühnerfleisch mit Reis. Hier im Ort spürte man den Freitag erstaunlich stark. Bis auf die unzähligen kleinen Supermärkte hatte praktisch nichts geöffnet. Überraschend war, dass sich schlagartig das Erscheinungsbild der Supermärkte geändert hat. Im Mittelpunkt stehen nun Gewürze und Nüsse aller Art. Auf den ersten Blick wirken die Läden wie Gewürzhandlungen, doch dann entdeckt man im hinteren Teil des Ladens auch die Produkte des täglichen Bedarfs.
Lustig anzuschauen waren die vielen Erdmännchen, die neben der Straße lebten. Manche flüchteten hektisch in ihren Bau zurück, andere beobachteten ganz ruhig die Umgebung. Sonderlich viele Feinde scheinen sie aber nicht zu haben, wenn man die Größe der Population so betrachtet. Immerhin gab es jetzt mal lebendige Tiere am Straßenrand. Ich hatte die Hoffnung ja schon fast aufgegeben…
Ich beschloss im darauffolgenden Ort, in Quchan, eine weitere Pause einzulegen und mir etwas Süßes zu gönnen. Eis war zwar keins aufzutreiben, dafür aber eine große Auswahl an Keksen. Gerade hatte ich mich mit meiner Nachspeise auf der Wiese im Schatten eines Baumes niedergelassen, da sah ich zwei Reiseradler vor mir vorbeirollen. Natürlich hatten sie meine Rufe nicht gehört, also packte ich rasch zusammen und spurtete hinterher. Kurz vor dem Ortsausgang sah ich dann eines ihrer Räder in einer Parallelstraße stehen. Gerade noch rechtzeitig, sonst wäre ich unbemerkt an ihnen vorbeigeradelt.
Simon und Bazil sind Ende Januar in Frankreich gestartet und haben eine sehr ähnliche Route wie ich vor sich. Sie wollen auch den Pamir Highway befahren, doch dann nicht nach Kirgisien, sondern direkt nach China einreisen. Durch besonders gute Beziehungen zur Chinesischen Botschaft in Paris haben sie ein 3 Monats-Visum für China erhalten…
Bis Mashhad werden wir auf alle Fälle einmal gemeinsam radeln. Die beiden werden aber vermutlich ein paar Tage länger in Mashhad bleiben, da ihr Einreisedatum für Turkmenistan später angesetzt ist, als meines.
Seit Martin in Tiflis wieder nach Österreich zurückgekehrt ist, bin ich ja alleine unterwegs gewesen. Nun auf einen Schlag plötzlich zu dritt… und das lustige an der Situation ist, dass wir alle drei dieselben Fahrradrahmen haben. Drei schwarze Long Haul Trucker rollen nun mit kräftigem Rückenwind in Richtung Osten. Fast ohne Treten geht es mit 35 Sachen dahin und man spürt nicht einmal einen Fahrtwind. Wenn es in Turkmenistan nur auch so wäre, aber vermutlich wird es hier genau umgekehrt sein. Praktisch jeder, der die Transitstrecke absolviert hat, berichtet von permanentem Gegenwind.
Es tat gut, mal wieder in Fahrradgemeinschaft zu radeln. Es gab vieles auszutauschen. In vielen Dingen teilten Simon und Bazil meine Eindrücke über den Iran. Ihnen ist beispielsweise auch aufgefallen, dass die Leute hier im Iran im Verhältnis zu ihrem Alter meist sehr alt aussehen. Immer wieder treffe ich Leute, die ich auf um die 40 schätze, in der Regel sind sie aber erst Anfang 30. Ich werde meistens auch auf 22 bis max. 25 geschätzt. Offenbar sind die Lebensbedingungen doch etwas härter, sodass die Leute besonders früh altern. Kazem hatte mir zum Beispiel erzählt, dass es in Tehran gar nicht ungewöhnlich ist, dass die Leute mit 35 an Herzinfarkt sterben. Just zu der Zeit, als ich bei ihm zu Besuch war, ist ein guter Freund von ihm mit 37 Jahren an Herzinfarkt gestorben.
Die zwei Franzosen werden seit einiger Zeit interessanterweise ebenfalls stets als Deutsche willkommen geheißen. An zweiter Stelle stehen ihrer Aussage nach Engländer und dann Spanier… Franzosen kommen den Iranern meist gar nicht in den Sinn. Es sieht so aus, als ob wirklich viele Deutsche hier unterwegs wären. Die bevorstehende Strecke ist den meisten Leuten nun auch schon bekannt. Offenbar bewegt man sich jetzt auf ausgetretenen Pfaden. Kurz vor Mashhad führen dann alle Routen zusammen…
Eigentlich hatte ich erst in Mashhad damit gerechnet, auf Gleichgesinnte zu stoßen. Aber wie der Zufall eben so spielt… Hätte ich keine zweite Pause eingelegt, wäre ich vermutlich bis Mashhad immer ein paar Kilometer vor ihnen gefahren. Ob wir uns dann in Mashhad überhaupt getroffen hätten, wer weiß. (Da pflegt Silke immer zu sagen: “Hätte, hätte, Fahrradkette…”)
Jetzt freue ich mich aber darauf, zumindest die letzte Tagesetappe in Gesellschaft zu verbringen. Ein Zeltplatz war diesmal überraschend schnell gefunden. Auf der Rückseite einer sich in Bau befindlichen Hühnerfarm konnten wir ungestört unsere Zelte aufstellen und den Tag langsam ausklingen lassen. Auf den ersten Anlauf gleich so ein idealer Platz, das hat es schon lange nicht mehr gegeben.

Tag 85 – 26.April

35km vor Chenaran – Mashhad: 97km; 3:53h im Sattel; 19 – 25 Grad, Sonne
Valis Homestay

Für heute stand nur noch ein kurzer Ritt bis Mashhad bevor. Der Rückenwind von gestern hatte sich in leichten Gegenwind verwandelt. Doch nachdem wir nun als 3er Gespann unterwegs waren, konnten wir uns perfekt mit Windschattenfahren abwechseln. Auf der Strecke gab es nicht viel zu sehen, weshalb wir versuchten, Mashhad noch vor der Mittagspause zu erreichen. Je näher wir der Stadt kamen, desto schlechter wurde auch die Luft. Es ist immer wieder erstaunlich, wie sehr man die Luftverschmutzung in den Ballungszentren spürt. Wir erreichten Mashhad kurz nach 12 Uhr. Bereits im Vorfeld hatte ich mir die Adresse von Valis Homestay besorgt. Valis Homestay ist eine feste Größe bei Fahrradreisenden. Er bietet eine Art Hostel mit sehr privatem Charme an. Schon als wir in der Nähe seines Hauses waren, deuteten uns die Leute am Straßenrand den Weg. Scheinbar ist Vali wirklich die Anlaufstelle Nr. 1 in Mashhad für Fahrradfahrer.
Im Schlafsaal erholte sich bereits ein anderer Radler. Chris aus Liverpool ist seit gut 11 Monaten unterwegs und ist gerade eine Stunde vor uns angekommen. Nach der lange ersehnten Dusche verwöhnte uns Valis Frau mit einem köstlichen Mittagessen. Der heutige Tag ist ganz der Erholung gewidmet. Man fühlt sich wie in einer anderen Welt. Im Hintergrund hört man dezent das Rauschen des Verkehrs, im Schatten auf der Terrasse blickt man auf die grüne Krone des Nachbarbaums, es weht ein leichter Wind…
Für heute ist auf alle Fälle nicht mehr viel zu tun. Das Konsulat von Turkmenistan hatte ohnehin nur bis Mittags geöffnet, die Visabeschaffung muss also bis morgen warten.
Wir verbrachten den Nachmittag auf der Terrasse vor Valis Wohnzimmer und plauderten ausgiebig über unsere Erfahrungen und Eindrücke der letzten Monate. Nach 9 Tagen im Sattel ist es nun wieder Zeit für ein bisschen Erholung. Ich bin froh, den Weg über die Berge, ans Kaspische Meer gewählt zu haben. Der Golestan Nationalpark war wirklich einen Ausflug wert. Ich bin nun guter Dinge, die Transitstrecke über Turkmenistan bewältigen zu können. Vielleicht gibt es noch ein Update bevor ich nach Turkmenistan einreise, ansonsten hört ihr wieder von mir, wenn ich in Uzbekistan angekommen bin.