Tag 100 – 11.Mai

Samarkand – Sahrisabz: 98km; 5:09h im Sattel; 26 – 33 Grad, Sonne
Camping

Unglaublich, Tag 100 bricht an und ich breche schon wieder aus Samarkand auf. In den letzten Tagen hatte ich mit einigen Radreisenden gesprochen und wieder einmal gemerkt, dass jeder mit einer anderen Motivation und einem anderen Ziel unterwegs ist. Manchmal hatte ich mich schon gefragt, ob ich vielleicht zu schnell das Land bereise, doch wenn ich unterwegs bin, fühlt es sich ganz richtig an. Mag sein, dass mir manche Dinge entgehen, nachdem ich oft auf den Hauptverkehrsstraßen unterwegs bin, aber dafür ergeben sich oft andere Gelegenheiten. Ich habe festgestellt, dass sich praktisch bei jedem, den ich treffe die Art des Reisens unterscheidet. Nachdem ich ohne Reiseführer unterwegs bin, wird mir oft erst im Nachhinein bewusst, dass ich eine besondere Sehenswürdigkeit vielleicht gerade um ein paar Kilometer versäumt habe. Aber hat man deshalb wirklich was verpasst? Im Hostel hatte ich einen sehr guten Spruch gelesen, der meiner Meinung nach den Umstand ganz gut beschreibt: “the traveler sees, what he sees, the tourist sees, what he has come to see.”
Also, ich lasse mich weiterhin überraschen…
Kurz hinter Samarkand ändert sich bereits die Landschaft. Die Straße verläuft schnurgerade auf eine gewaltige Felswand zu. Auf den Gipfeln sind noch die Schneereste zu erkennen. Anfangs sehr gemächlich, dann doch noch recht steil, führt die Straße auf den Pass. Es sind heute besonders viele Leute unterwegs. Offenbar ist hier in Uzbekistan Sonntag, ähnlich wie in Europa, ein richtiger Erholungstag. Überall sieht man Familien, wie sie in den pittoresk anmutenden Gesteinsformationen am Straßenrand Erinnerungsbilder machen.
Am Gipfel angekommen eröffnet sich ein gigantischer Fernblick in das darunterliegende Tal. Ich überlege ich kurz, ob ich bereits hier Mittagspause machen soll, oder noch ein paar Meter in Richtung Tal rollen sollte. Wenn man sich nicht entscheiden kann, dann lässt man einfach dem Zufall seinen Lauf. Aufgrund der doch relativ starken Steigung rollt das Rad nun erst einmal in Richtung Tal. Immer wieder werde ich aber aufgehalten, weil die Leute ein Bild mit mir machen wollen. Eigenartigerweise fragen sie nicht einmal, woher ich bin, sondern geben sich schon mit dem Bild alleine zufrieden. Bei einer dieser Gelegenheiten komme ich mit Utkur, einem Deutschlehrer ins Gespräch. Er überredet mich, ihm und seinen Freunden beim Essen Gesellschaft zu leisten. Nachdem ein nettes Lokal am Straßenrand gefunden wurde, wird groß aufgetischt. Ich sitze in mitten von 10 Uzbeken, die sehr interessiert meinen Schilderungen der bisherigen Reise folgen. Utkur übersetzt immer wieder…
Der Aufbruch fällt nicht leicht. Die Gruppe hat mich in ihr Herz geschlossen und will mich nicht wirklich weiterfahren lassen. Nachdem ich aber dann doch hartnäckig bleibe, wird mir noch ordentlich Essen und Trinken für die Nacht eingepackt. Womöglich waren es wieder einmal ein paar Vodka zuviel, aber bis Sahrisabz wollte ich zumindest noch kommen.
Als ich mich heute Vormittag von Gabor verabschiedet hatte, gab er mir noch “viel Rückenwind” mit auf den Weg. Sein Wunsch ist sofort in Erfüllung gegangen. Ein kräftiger Wind treibt mich bergab. mit 75km/h Spitze gehts in Richtung Tal. Fast unten angekommen muss ich dann noch einmal eine Zwangspause wegen einem kleinen Nagel einlegen. Leicht angetrunken und bei stürmischem Wind wird das Hinterrad geflickt. Nach ein paar Minuten gehts weiter…
In Sahrisabz hätte eigentlich Timur beigesetzt werden sollen. Das Mausoleum war schon fertiggebaut, aber da starb er überraschen im Winter. Der Pass von Samarkand nach Sahrisabz war eingeschneit und so wurde Timur kurzerhand im Mausoleum, das eigentlich für seinen Sohn vorgesehen war, beigesetzt. In Sahrisabz fand dann sein Sohn die letzte Ruhe. Anders als in Samarkand ist das Mausoleum hier nicht bis ins letzte Detail restauriert. Die Größe der Anlage lässt sich aber noch gut erahnen.
Als ich nach kurzer Rücksprache mit einem Schäfer mein Zelt in Flussnähe aufstelle, dauert es mal wieder nicht lange und ich bin umgeben von neugierigen Kindern, die alle mein Rad testen wollen und interessiert das Zelt begutachten. Am liebsten würde ich mich eigentlich im Zelt verkriechen und ein paar Minuten die Augen schließen, aber erst mal muss die Neugierde der Kids befriedigt werden.

Tag 101 – 12.Mai

Sahrisabz – Qarshi: 127km; 5:30h im Sattel; 23 – 34 Grad, Sonne
Hotel

Da sagt man immer, beim Zelten bestimmt man den Rhythmus selbst,,, Pustekuchen. Um kurz vor fünf Uhr kam der erste Weckruf von einem der Burschen aus dem Ort. Er ließ auch nicht locker, bis ich meinen Kopf aus dem Zelt steckte. Unbedingt wollt er die 4 Sätze Englisch, die er beherrschte loswerden. Freundlich versuchte ich ihm klarzumachen, dass ich noch eine halbe Stunde Schlaf bräuchte. Mission erfolgreich abgeschlossen… doch nach einer halben Stunde war er wieder da. Ich kam mir vor, wie bei “ewig grüßt das Murmeltier”. Die selbe Konversation wie vor einer halben Stunde… Nun gut, es war also Zeit, den Tag zu beginnen. Es lagen gut 100km bis Qarshi vor mir. Die Temperaturen waren heute überraschend angenehm. Man spürt bereits deutlich den Einfluss der nahe gelegenen Berge. Darauf kann ich mich also jetzt schon freuen, dass es weiter östlich deutlich kühler wird. Diese ewige Hitze geht schon ein wenig an die Substanz.
Als ich in Samarkand aufgebrochen bin, hatte ich zum ersten Mal in die kurzen Radelklamotten gewechselt. Die Angst vor dem Sonnenbrand fährt also ständig mit, aber es ist in den langen Klamotten praktisch nicht mehr auszuhalten. Und ausserdem wird es eh langsam Zeit, ein bisschen Farbe auf den Armen zu bekommen.
Leichter Rückenwind, die Temperaturen noch unter 30 Grad und eine konstant abfallende Straße. Was will man mehr? Gemütlich gehts weiter in Richtung Qarshi. Die Verkehrspolizei ist heute mal wieder besonders neugierig und will bei jedem Checkpoint meinen Ausweis sehen. Am meisten interessieren sie sich aber stets für die unterschiedlichen Visa.
Je weiter ich Richtung Westen fahre, desto wärmer wird es. Auch das Grün nimmt wieder ab. Irgendwie schade, aber in ein paar Tagen bin ich ja zurück.
Die Verkehrszeichen in Uzbekistan sind noch überwiegend handgezeichnet. Hie und da findet man ein neues Verkehrsschild, doch die Meisten sind individuell gestaltet. Gerade bei den Hinweistafeln muss man oft ein wenig schmunzeln, weil die Darstellungen teilweise etwas unbeholfen sind. Aber auf der anderen Seite kommt so ein bisschen Leben in den Schilderwald.
Stellenweise ist die Fahrbahn in extrem guten Zustand, doch dann kommt unittelbar darauf wieder eine Passage, die wegen der Anzahl an Schlaglöchern nur in Schrittgeschwindikeit befahren werden kann. Viel Gelegenheit zum “in die Landschaft schauen” bleibt da nicht. Volle Konzentration auf die Straße…
Kurz nach 15 Uhr rolle ich in Qarshi ein. Mit Tyson hatte ich mich in der Nähe des Flusses verabredet. Zuvor gings aber noch in den benachbarten Supermarkt. Nach kurzem Beschnuppern wurde ich von der ganzen Belegschaft belagert und mit Fragen bombardiert. Jeder wollte ein Foto mit mir machen. Geduldig ließ ich die Prozedur über mich ergehen und zog mich schließlich mit einem Eis in der Hand in den Schatten zurück. An gemütliches Warten war aber nicht zu denken. Pausenlos hockten Leute vor mir, die entweder gar nichts sagten, und einfach nur mich und mein Rad anstarrten, oder auch solche, die mir ihre ganze Lebensgeschichte erzählten. Irgendwann war aber der Moment erreicht, an dem ich eigentlich nur noch meine Ruhe wollte. Ich machte mir auch schon etwas Sorgen, weil Tyson und Hanne immer noch nicht da waren. Bei dem Rückenwind hätten sie schon längst in Qarshi sein müssen. Ich beschloss, ein wenig in Richtung Bukhara zu radeln, vielleicht warten sie ja an einem anderen Fluss… Nach gut 20min auf dem Rad höre ich dann Tyson hinter mir keuchend meinen Namen rufen. Wir hatten offenbar nur gut 500m von einander getrennt gewartet. Die beiden hatten es sich sei 13 Uhr in einem Lokal gemütlich gemacht. Gottseidank hatten sie mich noch gesehen, als ich vorbeigeradelt bin. Es war also keine Punktlandung, aber immerhin haben wir es geschafft…
Nachdem in Uzbekistan alle drei Tage eine Registrierung erforderlich ist, beschließen wir, bereits heute ein Hotel zu suchen, weil die Chancen in Qarshi dazu relativ gut stehen. Es dauert aber ziemlich lange, bis wir schließlich ein Hotel finden, in dem wir zu unseren Preisvorstellungen übernachten können. Während wir nach den Preisen fragen kommt es schon mal vor, dass das Hotel plötzlich völlig ausgebucht ist, oder das versprochene günstige Zimmer doch nicht vorhanden ist. Und so wandeln wir von einem Hotel zum anderen. Wir hatten uns schon damit arrangiert, bei Dunkelheit unser Zelt kurz hinter der Stadt aufzuschlagen, doch dann haben wir schlussendlich doch noch Glück. Bis Dushanbe ist nur noch eine Registrierung erforderlich. Den Rest können wir gemütlich im Zelt verbringen.

Tag 102 – 13.Mai

Qarshi – kurz vor Gumbuloq: 84km; 4:38h im Sattel; 25 – 35 Grad, sonnig
Camping

Als wir heute Früh unsere Registrierungsscheine in Empfang nahmen, dachte ich schon, dass alle weiteren Registrierungsprobleme gelöst sind, weil das Abreisedatum offen gelassen wurde. Doch gerade, als wir aufsatteln wollten, kam der Rezeptionist noch einmal zu uns und die fehlende Spalte war ausgefüllt. Nun gut… kann man nichts machen. Es wäre eine gute Gelegenheit gewesen, der lästigen Registrierungspflicht zu entgehen.
Es geht wieder Richtung Osten, vorbei an Ölraffinarien, durch weites, trockenes Land, immer den Bergen entgegen, die langsam aus dem Dunst auftauchen. Für Tyson und Hanne ist es das erste Mal seit vielen Tagen, dass sie größere Bodenerhebungen sehen. Die Luftfeuchtigkeit nimmt wieder zu, es wird wieder Grün. Der Wind streift durch die Getreidefelder und erzeugt ein angenehmes Rauschen.
Als wir in Guzor zum Mittagessen einbiegen werden wir ganz ungläubig begutachtet. Vor dem Mini-Market dann ebenfalls wieder großes Hallo… jeder will wissen, wohin, woher, wie alt, etc. Wenn man zu dritt unterwegs ist, kann man dann durchaus die Karte ausspielen, dass nur Einer die Leute vor Ort unterhält. Das verschafft den anderen Zwei ein wenig Luft.
Zum ersten Mal für 2014 gönne ich mir eine Tüte voll Kirschen. Ein paar Kilometer hinter Guzor findet sich dann auch ein gemütlicher Platz im Schatten, wo wir noch einmal eine Pause einlegen können. Diesmal ohne permanente Beobachtung der Ortsbewohner.
Kurz hinter Guzor ändert sich nun die Landschaft schlagartig. Wir kommen langsam in eine sanfte Hügelkette. Offenbar findet sich hier viel Lehm, weil seitlich der Straße immer wieder größere Gruppen auszumachen sind, die vor Ort Lehmziegel herstellen. Die Ziegel werden vor Ort geformt und zum Trocknen aufgereiht. Für die Arbeiter eine willkommene Gelegenheit, mit uns ein paar Fotos zu schießen. Auf Fotos fahren die Leute hier total ab. Dabei geht es nicht einmal darum, dass sie selbst ein Foto schießen, es reicht oft schon, wenn man von ihnen ein Bild macht…
Die gefühlte Temperatur wird immer geringer, je tiefer wir in die Hügellandschaft eintauchen. Nur hin und wieder kommt man an Siedlungen vorbei, ansonsten gehts seit langem wieder mal durch eine sehr naturbelassene Gegend. Tyson und Hanne haben ihr Einreisedatum nach Tajikistan für den 17. Mai festgelegt. Ich könnte eigentlich schon heute einreisen… Nachdem wir nicht allzu viele Kilometer vor uns haben, können wir die Etappen ganz gemütlich anlegen. Und so klappt es diesmal auch, dass das Zelt aufgebaut, das Essen gekocht und das Geschirr gewaschen ist, noch bevor die Sonne untergegangen ist. Morgen ist Vollmond, doch auch heute schon leuchtet der Mond die Nachtlandschaft ziemlich intensiv aus. Wir liegen vor den Zelten und bestaunen die scharfen Schatten. Leider sind aufgrund der Helligkeit nur wenige Sterne zu erkennen.

Tag 103 – 14.Mai

Kurz vor Gumbuloq – kurz hinter Derbent: 81km; 5:28h im Sattel; 23 – 35 Grad, Sonne
Camping

Als wir heute früh unsere Sachen zusammenpackten, wurden wir fast von einer Herde Schafe überrollt. Wie aus dem Nichts tauchten auf einmal gefühlte hundert blökende Schafe auf. Nach einer sehr ruhigen Nacht standen wir also nun in Mitten einer riesigen Schafherde. Aber so schnell wie die Tiere aufgetaucht waren, so schnell verschwanden sie auch wieder.
Nach ein paar Kilometern Fahrt durchquerten wir einen sehr geschäftigen Ort. Es war offenbar gerade Markttag. Kühe, Schafe, Wolle etc. wurden auf der Straße gehandelt. Man glaubt gar nicht, wie viele Schafe in einen Lada passen. Schafwolle wird in große Säcke gestopft und anschließend in die wartenden Autos geschlichtet. Ein kleiner Junge versucht mir ständig, ein Schaffell anzudrehen und versteht gar nicht, weshalb ich dafür keine Verwendung habe. Die Schäfer laufen alle mit langen, schweren Mänteln rum. Seit kurzem sieht man nun auch häufiger ältere Männer mit langen Bärten. Bärte habe ich bisher in Uzbekistan nur sehr selten gesehen. Offenbar ist hier der Einfluss von Afghanistan schon zu spüren… Nachdem wir von einem älteren Herrn quer über die Straße sein Segensgebet erhalten haben, ging es wieder weiter.
Die Straße existiert teilweise nur noch als Schotterpiste, allerdings wird eifrig daran gearbeitet, dass wieder eine asphaltierte Fläche entsteht. Für die Arbeiter sind wir immer eine willkommene Gelegenheit, ein paar Minuten zu plaudern. Auch hier muss von jeder Gruppe ein Bild gemacht werden, sonst dürfen wir nicht weiter…
Ganz überraschend taucht plötzlich ein Ort mit zwei Hotels auf. Damit hätte ich wirklich nicht gerechnet. In Mitten von einfachen Häusern plötzlich Hotels… Offenbar primär für die Transit-LKW Fahrer. Zur Grenze ist es nicht mehr allzu weit. Uns kommen immer wieder türkische und iranische LKWs entgegen. Meist nur mit einem Fahrer. Man kann sich vorstellen, wie anstrengend die Tour ist, von Tajikistan bis in die Türkei…
Schritt für Schritt gewinnen wir an Höhe. Immer wieder tauchen vor uns die schneebedeckten Berge auf, verschwinden dann aber stets wieder hinter den Hügelketten, durch die wir gerade radeln.
Als wir Nachmittags die Passhöhe mit 1500m erreichen, sind wir von sanften Hügeln in unterschiedlichsten Grünschattierungen umgeben. Vereinzelt sieht man auch Bäume auf den Wiesen stehen. Dort wo kein Gras wächst, liegt der rote Lehmboden offen. Aufgrund der roten Färbung des Lehms sind die Häuser am Straßenrand nun primär auch rot gefärbt. In dieser Gegend werden viele Häuser noch mit Bruchsteinmauerwerk erbaut. völlig ohne Mörtel. Leider sieht man das Mauerwerk nur sehr selten, weil es in der Regel mit Lehm verputzt wird. Der Lehm wird dazu direkt auf der Baustelle mit Wasser und Stroh vermischt.
Offenbar machen wir einen recht abgekämpften Eindruck. Auf der Passhöhe wird uns zweimal frisches Brot aus dem Autofenster zugesteckt. Derartige Geschenke nimmt man gerne an, gerade nachdem die Einkaufsmöglichkeiten nun doch schon sehr beschränkt sind.
Als wir die Bezirksgrenze überschreiten gibt es zu ersten Mal eine richtige Polizeikontrolle. Die Pässe werden untersucht und peinlichst genau in ein großes Buch eingetragen. Auch der Autoverkehr wird sehr genau kontrolliert. Es kommt schon fast Grenzstimmung auf. Säckeweise werden Gurken durch die Röntgenmaschine geschoben, lange Schlangen bei der LKW Abfertigung und Polizeibeamte, die von ganzen Menschentrauben umgeben sind… Die Spalte für das Nummernschild muss bei uns aber offen gelassen werden. Kommt hier scheinbar auch nicht so häufig vor, weil öfters nachgefragt werden muss, wie nun hier zu verfahren sei.
Kurz hinter der “Grenze” suchen wir uns dann auch schon einen Zeltplatz. Noch begleitet uns auf der rechten Seite ein Fluss, doch laut Karte biegt der gleich nach Süden ab. Also nutzen wir die Gelegenheit und stellen das Zelt am Ufer des Flusses auf. Diesmal gibt es sogar den Luxus einer Dusche. Rechtzeitig wurde der Wassersack aufgefüllt und so kommt auch der Duschvorsatz nun endlich zum Einsatz. Ein herrliches Gefühl, frisch geduscht ins Zelt zu kriechen…

Tag 104 – 15.Mai

kurz hinter Derbent – Bibizaynab: 84km; 5:13h im Sattel; 26 – 36 Grad, Sonne
Camping

Gestern hatten wir die Hisor Gebirgskette hinter uns gelassen und waren für einige Zeit dem Fluss talwärts gefolgt. Nun beginnt wieder ein lang gezogener Anstieg. Noch lange begleiten uns die steil abfallenden Felswände mit den Schneefeldern in Gipfelnähe. Kurz vor Boysun ändert sich das Landschaftsbild dann aber drastisch. Leider verstehe ich nicht besonders viel von Geologie, aber man spürt förmlich, die Naturgewalt, mit der vor tausenden Jahren die Erdoberfläche hier aufgebrochen ist. Gewaltige Platten hatten sich aufgeschoben und nun führt die Straße mehr oder weniger entlang der Bruchkanten. Die einzelnen Erdschichten sind deutlich zu erkennen. Auf der anderen Seite breitet sich eine weite Ebene aus, in der intensiv Getreide angebaut wird. Die Gegend ist nur sehr dünn besiedelt, doch von den wenigen Leute, die uns hier begegnen, werden wir stets mit einem sehr freundlichen Lachen empfangen.
Die schlechten Straßen fordern langsam auch beim Material Tribut. Die erste Befestigungsniete meiner vorderen Packtasche reißt aus und es muss rasch Ersatz gefunden werden, nicht dass noch mehrere Nieten aufgrund der veränderten Belastung ausreißen. Zum Glück habe ich ein paar Schrauben eingepackt, die gerade durch die vorgebohrten Löcher passen. Die Beilagscheibe wird kurzerhand in der benachbarten Autowerkstatt passend gemacht und so kann es nach wenigen Minuten schon wieder weitergehen.
Hinter jedem Hügel den wir erklimmen bietet sich ein völlig neues Landschaftsbild. Teilweise kommt man aus dem Staunen gar nicht mehr heraus. Immer wieder bleibt einer von uns stehen, um Fotos zu machen.
Waren Anfangs die Erdschichten noch klar auszumachen, nimmt nun die Erosion deutlich zu. Nur noch stellenweise sieht man die Schichtungen aus großen Erosionshügeln herausragen. Schritt für Schritt werden die Erosionshügel immer größer, bis wir schließlich wieder einmal in einer über weite Kilometer reichende Hügellandschaft angekommen sind.
In der Nachmittagssonne wirkt die Landschaft besonders reizvoll. Die vielen Hügel werfen lange Schatten, wodurch die Struktur viel deutlicher zum Vorschein kommt.
Wieder einmal werden wir von einem gerade vorbeigefahrenen Auto aufgehalten, weil die Insassen mehr über unser Vorhaben erfahren wollen. Im Gegenzug gibt es ein paar köstlicher Erdbeeren, frisches Brot und Wasser von irgendeiner ganz speziellen Quelle…
Seit Tagen kommen mir vollbepackte LKWs mit Zwiebelsäcken entgegen. Bisher bin ich noch nicht dahinter gekommen, wo das geheime und scheinbar unerschöpfliche Zwiebellager liegt. Ich hatte schon damit spekuliert, dass die Zwiebel aus Tajikistan importiert werden. Doch dann tauchen auf einmal die Zwiebelfelder auf. Unzählige Hände füllen die frisch geernteten Zwiebel in Säcke, welche dann in Kleinlaster geladen werden. Natürlich wieder großes Hallo, als wir an einem der Felder langsam vorbeirollen. Mit einer Handvoll erntefrischer Zwiebel im Gepäck geht es nun in Richtung Zeltplatz, der allerdings erst noch gefunden werden muss. Nachdem wir seit kurzem in einem landwirtschaftlich hoch kultivierten Landstrich unterwegs sind, ist kein ruhiger Zeltplatz auszumachen. Kurzerhand frage ich einen Tankstellenbesitzer, ob wir hinter seiner Tankstelle das Zelt aufschlagen können. Wir werden sehr freundlich willkommen geheißen und nach wenigen Minuten wird uns sogar einer der zwei Schlafräume der Tankstelle angeboten. Das Zelt bleibt für heute also eingepackt und so bleibt mehr Zeit, die Abendsonne zu genießen und frische Zwiebelsuppe aufzusetzen.

Tag 105 – 16.Mai

Bibizaynab – 5km vor der Grenze zu Tajikistan: 61km; 4:04h im Sattel; 24 – 36 Grad, Sonne
Camping

Bereits gestern hatte sich abgezeichnet, dass wir nun in einer sehr intensiv bewirtschafteten Gegend unterwegs sind. Bereits früh am Morgen sind die Felder voll von Leuten die in mühevoller Handarbeit die Felder pflegen. Nur selten sieht man Maschinen im Einsatz und wenn, dann primär zum Transport schwerer Güter. Die Strecke führt uns vorbei an Obstplantagen, großen Feldern mit Weinreben, Getreide- und Gemüsefeldern und am Straßenrand verschiedenste Obstbäume. Stellenweise sieht man sogar Blumen. Erstaunlich, wie stark sich das Erscheinungsbild einer Landschaft ändern kann, sobald die Wasserversorgung gewährleistet ist. Hier wird die Wasserversorgung primär über ein geschlossenes Leitungssystem garantiert. Offene Wasserkanäle sieht man nur noch selten. Ein wenig bedauern wir, dass wir nicht gerade zur Obstsaison unterwegs sind. So verlockend wäre es, einfach frisches Obst von den Bäumen zu pflücken. Aber immerhin finden wir einen großen Baum mit roten Maulbeeren. Der Reifegrad der Beeren ist gerade perfekt. Immerhin die erste Fruchternte auf dieser Reise…
Kurz bevor wir Denov erreichen werden wir noch großzügig von Kromat in sein Haus eingeladen. Wir hatten zugestimmt, auf einen Tee vorbeizuschauen. Die gesamte Familie ist versammelt und natürlich bleibt es nicht beim Tee. Anfangs Kekse, dann frisches Brot, schließlich frisch zubereiteter Joghurt und Salat. Vor allem die Frauen des Hauses sind sehr kontaktfreudig und offenbar auch sehr beeindruckt von der Tatsache, dass Hanne ebenfalls mit dem Rad unterwegs ist. Man benötigt stets ein bisschen diplomatisches Geschick, um die überaus freundliche Einladung auch wieder zu beenden. Immerhin wollen wir heute ja noch zur Grenze kommen. Nach dem obligatorischen Gruppenfoto gehts es dann wieder weiter.
Nach ein paar Kilometern erreichen wir dann aber schon Denov. Völlig Überraschend befinden wir uns nun in einer pulsierenden Kleinstadt. Dichter Verkehr, Marktstände am Straßenrand und ein regelrechtes Menschengewirr im Stadtzentrum. Auf der gegenüberliegenden Straßenseite lacht uns ein großer Supermarkt an. Für den letzten Abend in Uzbekistan wollen wir noch etwas zum Kochen einkaufen. Das Gefühl beim Betreten des Supermarktes ist ähnlich, wie damals in Samarkand. Im ersten Moment ist man schlichtweg überwältigt von der Auswahl an Produkten, die hier geboten ist. Lustigerweise kommt man dann aber fast mit den selben Produkten raus, die man sonst auch im Mini Market gekauft hätte. Man ertappt sich selbst dabei, wie man einfach nur durch die Gänge schlendert und sich über eine Auswahl von 20 verschiedenen Zahncremen freut, obwohl man selbst gar keine Zahncreme benötigt. Ein bisschen Obst, Gemüse, Säfte, Nudeln, Cola… das ist alles was im Moment wirklich erforderlich ist und genau das gibt es eigentlich auch in jedem noch so kleinen Laden. Wobei man sagen muss, dass die Versorgung mit Gemüse in den letzten Tagen sehr schlecht war, doch jetzt gibt es endlich wieder Tomaten und Gurken zu kaufen…
Je näher wir der Grenze kommen, desto mehr nimmt unsere Reisegeschwindigkeit ab. Immer wieder bleiben wir stehen, um mit den Leuten ein wenig zu plaudern. Die Freude, mit der sie uns entgegenkommen ist ansteckend. Die Unterhaltungen klappen nun auch schon sehr gut, nachdem das Fragenmuster meist dasselbe ist. Demnach kann man stets im rechten Moment die Antworten einwerfen, auch wenn man nicht versteht, was eigentlich gefragt wird. Ein paar Codewörter bzw. die richtige Deutung der Körpersprache reichen schon aus um ein mehrere Minuten andauerndes Gespräch aufrecht zu erhalten. Irgendwann kommt dann aber immer der Moment, an dem das Gegenüber feststellen muss, dass meine Russisch-Kenntnisse doch nicht so groß sind, wie anfangs angenommen. Trotzdem wird viel gelacht.
Im letzten Ort vor der Grenze füllen wir noch einmal unsere Wasservorräte auf. Es dauert wieder einmal nur ein paar Minuten, bis sich das halbe Dorf um uns versammelt hat. Viele Burschen sind mit ihren Fahrrädern unterwegs. Ich habe mir angewöhnt, es den Einheimischen gleichzutun und beim Begutachten der Räder zu allererst den Reifendruck zu überprüfen. Das imponiert die Leute am meisten, wenn man einen prall gefüllten Reifen hat… Nachdem mein Gegenüber praktisch ohne Luft unterwegs ist, biete ich ihm gleich mal meine Pumpe an, damit er zumindest wieder für ein paar Tage Luft in den Reifen hat.
Kurz darauf gibt es noch einmal die Gelegenheit vor Ort helfend einzugreifen. Eine Gruppe Jugendlicher winkt uns aufgeregt zu sich. Offenbar hatte einer der vier gerade einen Unfall mit dem Rad. Das Vorderrad ist völlig verbogen. Anfangs versuche ich mein Glück noch mit dem Speichenschlüssel, doch das Laufrad ist generell in ziemlich schlechtem Zustand, sodass ich mich dazu entscheide, etwas gröbere Methoden anzuwenden. Kurzerhand wird das Laufrad mit Einsatz von Händen und Füßen wieder in Position gebogen. Immerhin dreht es sich jetzt wieder und die Jungs radeln freudestrahlend zurück ins Dorf.
Auf der Suche nach einem Zeltplatz werde ich in ein Gespräch verwickelt und wie zu erwarten war, wird uns von dem ins Auge gefassten Zeltplatz abgeraten. Statt dessen werden wir in eine ehemalige Landwirtschaftsanlage geführt, wo sich nun eine kleine Gastwirtschaft und eine Bäckerei befinden. Es bedarf etwas Überzeugungskraft, dass wir wirklich im Zelt schlafen wollen und nicht eines der Betten mit Fernseher am Zimmer belegen wollen.
Das geplante Abendessen müssen wir dann aber verschieben, weil wir dazu eingeladen werden, im Hof Tee zu trinken und frisch gebackene Kekse zu essen. Damit es uns auch wirklich an nichts fehlt, wird noch Brot, Mineralwasser und Gemüse besorgt. Überwältigend, mit welcher Hingabe sich die Leute hier um das Wohl der Gäste kümmern. Auf die zwei Damen vor Ort wirkt es etwas eigenartig, dass ich alleine reise. Wieder einmal werden Pläne geschmiedet, welche der beiden wohl den Platz an meiner Seite einnehmen könnte…
Ich muss ehrlich zugeben – die Art und Weise der Leute in dieser Gegend werde ich sehr vermissen. Zum allerersten Mal bin ich fast etwas traurig, das Land schon wieder zu verlassen. Das Lächeln, das herzhafte Lachen, die direkte Art und dann aber auch der notwendige Respekt, all das macht es einem schwer, Uzbekistan zu verlassen. Ich bin gespannt, ob es an der Grenze noch Schwierigkeiten gibt, nachdem wir die letzte Registrierung dann doch nicht mehr durchgeführt haben. Auf alle Fälle wird mir lange in Erinnerung bleiben, wie herzlich ich hier aufgenommen wurde.

Tag 106 – 17.Mai

5km vor der Grenze – Dushanbe: 79km; 5:27h im Sattel; 27 – 34 Grad, bedeckt
Camping / Warmshowers

Die Grenze nach Tajikistan war schon nach kurzer Zeit in Sicht. Die Vorkontrolle gab uns schon einen ersten Einblick wie der Grenzübertritt aussehen wird. Etwas versteckt im Schatten saß ein Grenzpolizist mit ein paar Einheimischen zusammen und kaute auf frischem Rhabarber. Wir scherzten ein wenig herum und dann wurde uns der Weg in Richtung eigentlicher Grenze gezeigt. Viel war nicht los. Für die LKW war die Grenze offenbar noch zu und Autos kommen hier scheinbar gar nicht über die Grenze. Nachdem die Zolldeklaration ausgefüllt war, stellte ich mich auf einige Wartezeit ein, doch überraschenderweise erschien ein Beamter, der unsere Pässe und die Zollerklärung entgegennahm und schon nach wenigen Minuten waren wir bei der Gepäckkontrolle. Ein kurzer Pro-Forma Blick in eine der Taschen und schon war der ganze Spuk vorbei. Überraschenderweise wurde ich nicht nach meinen Hotelregistrierungen gefragt. Auch die Zollerklärung wurde nicht wirklich kontrolliert. Scheinbar waren die Beamten heute gut gelaunt. Freundlich wünschte man mir noch eine gute Reise und weiter ging es in Richtung Tajikistan. Im Bereich der Gepäckkontrolle auf Tajikischer Seite herrschte gute Stimmung. Die Beamten waren mehr am Verlauf meiner Reise, als an meinem Gepäck interessiert. Den Einreisestempel hätte ich dann fast verpasst. Der Grenzbeamte saß in einem abseits gelegenen Raum und folgte gebannt seinem Fernseher. Kurz noch das Einreiseformular ausgefüllt und alles war erledigt. Das Visum für Tajikistan interessierte den Beamten relativ wenig… Eine derart entspannte Einreise hatte ich schon lange nicht mehr erlebt.
Aber die positiven Überraschungen rissen nicht ab. Nach 5min Fahrt wurden wir von einem aufgeregt winkenden Mann zum anhalten bewegt. Grund der ganzen Aufregung war, dass er uns zum Plov-Essen einladen wollte. Etwa 50m neben der Straße war eine große Tafel aufgebaut an der ein paar Grenzpolizisten und einige Taxifahrer saßen und gemeinsam speisten. Gerne nahmen wir die Einladung an. Nachdem die Männer den Tisch verlassen hatten, kamen die Frauen vom Feld und nahmen deren Plätze ein. Es war nicht leicht, wieder aufzubrechen. In derart lockerer Atmosphäre hätte man gut noch ein paar Stunden verbringen können. Aber es lagen noch 65km vor uns.
Anfangs ging es auf einer frisch asphaltierten Straße flott voran, doch nach ein paar Kilometern endete der Asphalt abrupt und für die nächsten Stunden radelten wir auf einer Schotterpiste weiter. Stellenweise konnte man die entgegenkommenden Autos nur schemenhaft erkennen. Der feine Staub legte sich überall ab. Sobald man die Zähne bewegte, knirschte es. Heute gab auch die Befestigungsniete meiner hinteren Packtasche auf. Das dauernde Gerüttelt war offenbar zu viel. In Dushanbe muss ich unbedingt Schrauben auf Vorrat mitnehmen, da die Straßenverhältnisse im Pamirgebirge nicht viel besser sein werden.
Am Straßenrand werden frisch Kirschen, Aprikosen und Erdbeeren verkauft. Die Leute sind ebenso wie in Uzbekistan unwahrscheinlich freundlich und gehen bei jeder Gelegenheit sofort auf uns zu. Sprachlich hat sich bisher auch noch nicht viel geändert. Zumindest die paar Sätze, die ich mir bisher angeeignet hatte, kann ich auch hier gut einsetzen.
Wir nähern uns immer mehr den Bergen. Die Hügel am Fuß der Gebirgskette schimmern in sanftem Grün, die schneebedeckten Berggipfel leuchten uns Weiß entgegen. Von der Ferne ist bereits Dushanbe zu erkennen. Die Stadt scheint nicht sonderlich groß zu sein. Die Straßen sind breit und bei den Gebäuden spürt man deutlich den früheren sowjetischen Einfluss. Ein klares Zentrum ist auf den ersten Blick nicht auszumachen. Dushanbe orientiert sich offenbar linear entlang eines Flusses. Bei der Stadteinfahrt sind wir aber bereits an einigen der wichtigsten Gebäude vorbeigeradelt, demnach lässt sich das “Zentrum” in etwa eingrenzen.
Hanne hatte vor einiger Zeit bereits Veronique kontaktiert und eine Unterkunft organisiert. Veronique arbeitet für die EU in Tajikistan und ist für sämtliche Belange der Gesundheitsversorgung zuständig. Seit einem Jahr lebt sie in Dushanbe und residiert in einem beachtlichen Haus mit Garten. Hier kann ich auch mein Zelt aufschlagen, da die Zimmer im Haus bereits vergeben sind. In ein paar Tagen werden auch Gayle und John hier auftauchen. Die Welt ist klein und man trifft sich immer wieder…
In zwei Tagen (am Montag) versuche ich dann das Permit für die Pamir-Region abzuholen und dann kann es auch schon losgehen. Vorher muss ich aber unbedingt noch Flicken für die Schläuche finden und ein paar Ersatzschrauben auftreiben.