Tag 39 – 11.März

Sürmene – Arhavi: 123km; 5:01h im Sattel; 9 Grad, Nieselregen
Hotel

Unser letzter Warmshowers Gastgeber zeigte uns noch einmal eine bisher nicht so sehr präsente Seite der Türkei. Kurtay und seine Freundin wohnen seit etwa 1 1/2 Jahren in einer sehr geräumigen Wohnung etwas außerhalb vom Ortszentrum. Kurtay nimmt regelmäßig Reisende auf. Wenn im Ort Leute auftauchen, die suchen umherlaufen und offenbar nicht türkisch sprechen wird oft gleich mal Kurtay angerufen, da sie in der Regel ihn suchen…
Schon Kurtays Eltern waren politisch sehr aktiv und hatten dafür auch einige Zeit im Gefängnis verbracht. Kurtay zeigt uns noch einen Zugang zur Türkei der sehr zum Nachdenken anregt. Immer wieder werden ohne großes Aufregen neue Gesetze erlassen, die verhindern sollen, dass Protest entstehen kann. Aktuell ist es zum Beispiel strafbar, in der Nähe von Demonstrationen mit Milch, oder Zitronen vorbeizulaufen. Man kann also verhaftet werden, wenn man einen Sack Zitronen mitführt, weil Zitronen und Milch gegen Tränengas helfen… Seit einigen Wochen lebt Kurtay auch mehr oder weniger illegal in seiner Wohnung, da es ein neues Gesetz gibt, welches das Zusammenleben von Studenten regelt. ganz bin ich dabei aber nicht dahintergestiegen. Zumindest sind in seiner Wohnung dauerhaft die Vorhänge geschlossen und es stehen keine Schuhe vor der Tür, was sonst in jeder türkischen Wohnung üblich ist. Ende des Monats werden in der Türkei Regionalwahlen abgehalten. Dies wird ein erster Hinweis dafür sein, wohin sich die Türkei entwickelt. Kurtay sieht der Zukunft seines Landes sehr skeptisch entgegen. Ich hoffe, dass sich die Türkei auch ohne große Tumulte neu orientieren kann.
Die Nacht bei Kurtay hatten wir ja gemeinsam mit unseren belgischen Freunden verbracht. Nominoe spielte gestern noch kurz mit seiner Geige auf und präsentierte stolz ein bayrisches Volkslied, das er bei seinem Aufenthalt in Passau einstudiert hatte. Beeindruckend sein musikalisches Talent. Mit ihrer lockeren und aufmunternden Art bringen die beiden immer wieder enorm viel Energie in die Runde.
Morgens gab es dann Nominoes selbst gebackenes Brot, das er gestern noch spontan in den Ofen geschoben hatte. Ein perfekter Start in den Tag. Leider begleitete uns auf der gesamten Strecke ein immer wiederkehrender Nieselregen. Bei Temperaturen um 9 Grad nicht unbedingt das angenehmste, doch die Szenerie passte perfekt dazu. Zu unserer Linken das Meer, zu unserer Rechten steil aufragend dicht bewachsene Felswände. Unzählige Farne, blühender Oleander, zwischendurch immer wieder Bananenstauden und dann tauchten auch endlich die Teeplantagen auf. Die Hänge waren nun von einem dichten Teppich von dunkelgrünen Teebüschen überzogen. Aus der Gegend um Rize kommt ein Großteil des türkischen Cays. Das meist feuchte Klima in dieser Region scheint dem Tee gut zu tun.
Für uns hätte ich mir durchaus ein paar Sonnenstrahlen gewünscht.
Kurz nach 16 Uhr war dann aber auch Schluss. Wir rollten in Arhavi ein. Ein relativ kleiner Ort, doch ich hatte die Hoffnung, doch eine beheizte Unterkunft zu finden. Der Gedanke an eine warme Dusche war doch zu verlockend. Wir wurden zum vermutlich einzigen Hotel des Ortes geleitet und dann mal wieder einer dieser Zufälle… gerade eben verlässt eine größere Gruppe Männer das Hotel. Groß ist das Interesse an unseren Rädern und der Geschichte dazu. Wieder mal sind wir auf einen kleinen Fahrradklub gestoßen. Der Leiter des Hotels ist dann auch noch der Vorstand des Clubs. Beim Durchforsten der Fotos der letzten Ausflüge sticht mir ein bekanntes Gesicht ins Auge. Tyson Beilan, den ich im November auf der Fahrt von Passau nach Wien getroffen habe ist vor einigen Tagen auch hier im Hotel abgestiegen. Wenn alles gut geht, werde ich Tyson in Tiflis treffen. Tja, wieder mal zeigt sich, wie klein die Welt doch ist.
Ein wenig durchgefroren geht es nach der obligatorischen Fotorunde unter die wohlverdiente Dusche.
Nur noch wenige Kilometer trennen uns von der georgischen Grenze. So viele schöne Tage in der Türkei liegen hinter mir. Ich hätte mir im Traum nicht vorgestellt, wie warmherzig Radreisende hier aufgenommen werden. Besonders beeindruckt hat mich das Hinterland. Die Freude und Herzlichkeit, mit welcher die Leute mir entgegenkamen zählt für m ich neben den landschaftlichen Höhepunkten zu den prägendsten Erfahrungen der letzten Wochen.
Meine Türkischkenntnisse haben sich zumindest soweit entwickelt, dass ich eine grobe Vorstellung davon habe, was die Leute von mir wollen, bzw. was gerade besprochen wird. Sobald man zu verstehen gibt, dass man zumindest ein paar Brocken Türkisch versteht, ist man schon Teil der großen Runde…
Doch nun ist es Zeit das Land zu verlassen. Ich bin sehr gespannt, was auf mich wartet. Es wird sich vieles ändern. Neue Sprache, neue Schrift, andere Zeitzone, neue Kultur, Gebirgslandschaft… ich lasse mich überraschen!

Tag 40 – 12.März

Arhavi – Batumi: 50km; 2:19h im Sattel; 8 Grad, Regen
Hotel

Die letzten Kilometer in der Türkei gingen wir heute sehr gemütlich an. Ohne Eile packten wir unsere Sachen zusammen, warteten noch auf die Wäsche, die gestern zum Waschen ausser Haus gegeben wurde und plauderten noch mit ein paar Leuten im Hotel, die allesamt einmal längere Zeit, oder auch nur kurz in Deutschland waren. Die Stadt, welche rückblickend mit Abstand am häufigsten genannt wurde, wenn irgendjemand aus der Türkei mal in Deutschland gearbeitet hat, war Stuttgart. Und auch heute wieder… Ein 79 jähriger Herr leistete uns beim Frühstück Gesellschaft und erzählte ein wenig aus seiner Jugend, die er in Stuttgart und teilweise auch in Wien verbracht hat. Leider war ich selber erst ein Mal in Stuttgart, sodass ich auch diesmal nicht wirklich mitreden konnte.
Das Wetter meinte es heute leider nicht gut mit uns. Das Thermometer erreichte kaum 9 Grad und es regnete die ganze Zeit. Es gibt sicher schöneres, aber wozu gibt es Regenklamotten.
Nach etwa 1 1/4 Stunden war die Grenze erreicht. Wir wurden durch ein scheinbar neues Fußgängerterminal geschleust. Man kam sich vor, wie auf dem Flughafen. Die Ausreise aus der Türkei verlief reibungslos, bei der Einreise gab es aber wieder mal ein paar Schwierigkeiten. Nachdem ich meine beiden Pässe vorgelegt hatte gab es große Verwirrung, da in einem der beiden Pässe mein zweiter Name nicht aufgeführt ist. Nach mehrmaligem Beteuern, dass beide Pässe auf mich ausgestellt wurden drang das lang ersehnte “Klack” aus der Kabine an mein Ohr und der Georgische Stempel war in meinem neuen Pass. So, jetzt sollte dieses Kapitel auch beendet sein. Der alte Pass wandert in die Packtaschen und wird nur noch im Notfall hervorgeholt.
Interessant der Grenzübertritt zwischen der Türkei und Georgien. Auf der einen Seite ragt eine Moschee in den Himmel, auf der anderen Seite thront eine Kirche, beide Seiten teilen sich den selben Uferstreifen…
Nachdem wir ein wenig der Branung gelauscht hatten, ging es im strömenden Regen weiter in Richtung Batumi. Durchgefroren checkten wir in einem Hotel ein und wärmten uns erst einmal auf. Beim Grenzübertritt wurde die Uhr um zwei Stunden vorgestellt. Das Mittagessen fiel daher aus… Bei einem kurzem Spaziergang durch die Stadt staunte ich über die neue Baukultur. Es schießen Hotelkomplexe in die Höhe, die ich nicht unbedingt in dieser Stadt erwartet hätte. Die letzten drei Wochen in der Türkei war ich stets mit einer nicht existenten Baukultur konfrontiert. Es wurde zwar viel gebaut, aber eigentlich immer ohne Gesicht. Zweckbau wie er im Buche steht. Jetzt plötzlich “Gestaltung”. Über die Ästhetik dieser Form von Architektur lässt sich gut streiten, aber interessant ist, dass es plötzlich wieder so etwas wie eine architektonische Wertschätzung gibt. Be so viel Investition in die Hotelarchitektur vor Ort liegt der Schluss nahe, dass Batumi im Sommer ein großer Touristenmagnet ist. Jetzt im Frühling und bei Regen ist davon aber nichts zu erkennen.
Gravierend ist der Unterschied von der Türkei nach Georgien. Es wirkt, als ob die Autos etwas aggressiver unterwegs sind, die Qualität der Straßen hat schlagartig abgenommen, die Vegetation am Straßenrand hat sich plötzlich verändert. Auch die Stadtstruktur ist komplett verschieden. Es dauerte eine Weile, bis wir ein Hotel gefunden hatten und auch bis wir Abends ein Lokal ausfindig gemacht hatten, verging ziemlich viel Zeit.
Am stärksten sticht aber die Produktauswahl ins Auge, wenn man in einen einfachen Supermarkt geht. Zwischen Wasser, Säften und Limonade Wodka in Hülle und Fülle.
Anderes Land, andere Sitten… jetzt heißt es wieder umgewöhnen. Ein paar georgische Redewendungen stehen schon auf meinem Lernzettel. Nur bei der Schrift muss ich passen. Schade, weil die Schrift wirklich sehr ästhetisch ist.
Für morgen wäre eigentlich der Einstieg ins Gebirge geplant gewesen. Unseren beiden deutschen Tandemfreunde haben uns aber heute darüber informiert, dass der Pass aufgrund von Schnee aktuell nicht passierbar ist. Wir müssen uns also eine Alternativroute aussuchen. Schade… ich hatte mich schon auf dei Berge gefreut.