Tag 45 – 17.März

Alkhatsikhe – Akhalkalaki: 109km; 5:39h im Sattel; 0-20 Grad, wechselhaft
Hotel

Die zurückliegenden Tage am Goderzi-Pass sind nicht ganz spurlos an mir vorübergegangen. Weit schwieriger als sonst fiel mir heute der Start in den neuen Tag. Nach einem deftigen Frühstück im Cafe gegenüber konnte es dann aber wieder losgehen. Für heute hatten wir einen kleinen Abstecher vorgesehen, um die Felsenstadt in Vardzia zu besichtigen.
Zuerst aber führte uns die Strecke an einem größeren Bach entlang in immer abgelegenere Gebiete. Nur noch selten begegneten uns andere Fahrzeuge. Zwischen den wenigen Orten, die wir durchfuhren gab es so gut wie keine Besiedlung mehr. Also Ruhe pur. Ein sehr angenehmer Kontrast zu den stark befahrenen Straßen in der Türkei. Auf den Feldern waren die Vorbereitungen für die Ansaat in vollem Gang. Sämtliche Arbeiten wurden per Hand ausgeführt. Maschinen waren eigentlich nie zu sehen.
Die Beine waren noch ziemlich schwer von den zurückliegenden Strapazen, da kam natürlich nicht gerade Freude auf, als sich der Weg in das Tal zur Felsenstadt als mehr als hügelig entpuppte. Immer wieder 10% Steigung rauf, dann wieder runter, wieder rauf und wieder runter. Vardzia wurde Anfang des 12.Jhdts erbaut, oder vielleicht besser gesagt, gegraben. Es handelt sich nämlich um eine Stadt, die zur Gänze in einem Felshang eingegraben ist. Leider ist nur noch einTeil zu sehen, da durch ein Erdbeben ein Großteil der Höhlen verschwunden ist. Faszinierend aber, dass ein so großer Aufwand betrieben wurde, um eine Stadt zu gründen. Auf 6 Etagen finden sich Höhlen in den Felswänden. Höhepunkt der ganzen Anlage ist eine Kirche, die auch noch immer von dort sesshaften Mönchen verwendet wird.
Mein persönlicher Höhepunkt lag dann aber etwa einen Kilometer von der Felsenstadt entfernt. Am Parkplatz hatte ich kurz mit einem Guide gesprochen, der auf seine Gruppe wartete und der hatte mir den Tip gegeben, nach der Felsenstadt noch ins Thermalwasser zu springen. In einer völlig unscheinbaren Hütte befindet sich ein kleiner Pool mit heißem Thermalwasser. Genau das Richtige für die müden Knochen. Einziger Haken an der ganzen Sache… das Rausgehen. Bei Außentemperaturen von etwa 8 Grad zögerte ich relativ lange, bis ich wieder aus dem Wasser draussen war. Trotzdem, schon alleine wegen dem Pool hatte sich der Abstecher nach Vardzia gelohnt.
Nachdem wir aus dem Tal wieder draussen waren, hieß es wieder Höhenmeter machen. Unser Tagesziel lag auf 1750m. Die Temperatur sank kontinuierlich und schließlich fing es auch noch kurz an zu schneien, aber da waren wir schon fast da. Auf meiner Karte hatte ich mir den Ort bereits in Vorfeld kurz angesehen. Übersetzt heißt Alkalkalki “New York”. Mag sein, dass der Name vom Stadtgrundriss her stammt. Der Stadtplan deutete auf eine sehr groß angelegte Rasterstadt hin. Dementsprechend irritiert war ich dann, als die Stadt wie ausgestorben schien. Martin fand etwas später heraus, dass hier früher 30000 russische Soldaten stationiert waren. Der Anteil an Georgiern liegt hier unter 10%. Fast 80% der Bevölkerung ist armenisch. Was mir besonders auffiel war die angespannte Stimmung in den Straßen. Bisher war ich immer sehr offenherzig in den einzelnen Orten empfangen worden. Heute aber schien es den Leuten nicht so sehr zu gefallen, dass zwei Touristen durch ihre Straßen radeln. Es mag gut sein,dass es nur ein subjektiver Eindruck ist, aber auf mich machte die Stadt einen eher abschreckenden Eindruck. Es waren kaum herkömmliche Geschäfte, oder Lokale zu finden, dafür umso mehr Wett- und Spiellokale. Für mich zum ersten Mal kein Ort zum länger verweilen. Konditionell war ich aber nicht mehr gewillt noch weiter zu fahren, also suchten wir in den teilweise verlassenen Straßenzügen nach einem passablen Hotel. Dicke Schneeflocken bedeckten innerhalb kürzester Zeit die Straßen. Die Temperatur war bis auf Null Grad abgesunken.

Tag 46 – 18.März

Akhalkalaki (GE) – Vanadzor (ARM): 158km; 7:02h im Sattel; 5-18 Grad Sonnig / viel Wind
Hotel

Der Weg aus der Stadt war heute kein Spaziergang. Ich musste gegen heftigen Gegenwind ankämpfen. Das fantastische Panorama konnte man nur genießen, wenn man sich eine windgeschützte Stelle suchte, um in Ruhe anzuhalten. Der Wind blies aus Südosten und sollte in weiterer Folge zu Rückenwind werden, wenn wir in Ninotsminda nach Norden abbiegen. Nun ja, das war zumindest die Motivation, sich mit dem Wind anzulegen. Bis Ninotsminda kletterten wir auf gut 2100m hinauf und machten im Ort erst mal Halt, um uns in einem kleinen Laden mit frisch Gebackenem zu stärken. Die Besitzer freuten sich sichtlich über zwei ausgehungerte Radler. Erholt bogen wir dann in Richtung Tasia ab, wurden aber schon nach wenigen Metern von der Polizei gestopt. Die Straße war wieder mal gesperrt. Schwer zu glauben, aber doch… Immerhin befanden wir uns auf knapp 2100m und der “Pass” den wir zu überfahren hatten lag auf 2168m. Hier im Ort kein Schnee, aber offenbar die Straße trotzdem zu. Schade, ich hätte sehr gerne die großen Seen gesehen. Aber nach der Erfahrung vom Gederdzi Pass wollte ich mich auf keine Tragepassagen mehr einlassen.
So, was gibts für Alternativen? Alternative 1: den ganzen Weg nach Akhaltsikhe zurück und über Gori nach Tiflis, oder Alternaive 2: nach Armenien weiterfahren und das Gebirge von “hinten” zu umrunden.
Zurückfahren kam für mich irgendwie nicht in Frage, also ab nach Armenien. Die Grenze war nur 20km entfernt und wir beschlossen, den Umweg in Kauf zu nehmen. Auf knapp 2100m Seehöhe reisten wir bei Bavra nach Armenien ein. Ein Glück, dass dies ohne Visum funktioniert.
Der starke Wind hatte langsam nachgelassen und so ließ sich das Hochplateau mit dem faszinierenden Ausblick auf das Bergpanorama genießen. Die schneebedeckten Berge verschmolzen mit den Wolken am Himmel. Über eine Distanz von etwa 60km pedalierten wir gemütlich auf über 2000m. Doch irgendwann musste das Hochplateau auch zu Ende sein. Kurz vor Gyumri ging es dann steil hinab ins Tal. Leider mal wieder starker Gegenwind, sodass man trotz 10% Gefälle kaum über 25km/h kam.
Gyumri wurde bei dem letzten schweren Erdbeben 1988 schwer getroffen. In der Region Lori kamen damals 25000 Menschen ums Leben. Da wir noch einige Kilometer vor uns hatten, ließen wir das Ortszentrum aber aus und radelten weiter in Richtung Vanadzor. Jetzt mussten die 500 Höhenmeter, die es zuvor runter ging wieder raufgeklettert werden. Körperlich und psychisch war ich jetzt schon an meinen Grenzen angekommen. Das erste Hinweisschild zeigte nur noch 150km nach Yerevan (Hauptstadt von Armenien). Lange grübelte ich darüber nach, warum ich mir den Umweg nach Tiflis noch antue, wenn ich doch ohnehin über Yerevan weiterreisen werde.
Tiflis war für mich aber so etwas wie ein Meilenstein. Dort wollte ich mich mit Tyson treffen und auch unsere beiden deutschen Tandemfahrer warteten dort auf uns… Trotzdem war es ein ziemlicher Kampf, die notwendige Motivation zu finden, die restlichen 50km in Angriff zu nehmen.
Bisher hatte ich jeden Anstieg aus eigener Kraft bewältigt, heute aber machte ich mal eine Ausnahme. Im Schneckentempo näherte sich von hinten ein schwer beladener LKW. Laut schnaufend fuhr er langsam an mir vorbei und ich haderte nicht lange, trat kräftig in die Pedale und fand schließlich Halt um mich gut 150 Höhenmeter hinaufziehen zu lassen. Kurz vor dem Gipfel wartete ich dann auf Martin und wir kletterten die letzten Meter gemeinsam. Dann kam ein Auto von hinten und der Fahrer reichte uns zwei Schokoriegel zur Stärkung. Die richtige Belohnung kam dann aber auf dem Gipfel. Von jetzt an ging es knapp 50km stetig bergab. Der Wind blies kräftig von hinten und wir brausten in Richtung Tal.
Noch vor Einbruch der Dunkelheit waren wir in Vanadzor angekommen. Nach Yerevan und Gyumri die drittgrößte Stadt Armeniens.
Im imposanten Hotel Metropol bezogen wir dann unser Nachtquartier.
Unerwartet in Armenien… keinerlei Sprachkentnisse, gerade mal etwas Geld vom Automaten bezogen. Die 20 EUR für das Zimmer gönnten wir uns als Belohnung für den kilometerreichen Tag. Die erste richtig heiße Dusche seit langem war ein Traum.
Etwas schräg war die Situation die uns erwartete, nachdem wir das Zimmer bezogen hatten. Ich hatte kurz mit der Hotelverwalterin über den nächstgelegenen Supermarkt geredet und schon standen zwei Sicherheitspolizisten vor dem Hotel die uns unbedingt zum Supermarkt begleiten wollten. Wir liefen also David und seinem Kollegen hinterher. Nach erfolgreichem Einkauf wollten wir eigentlich kurz was Essen gehen, aber David meinte, wir sollten zuerst die Sachen ins Hotel zurückbringen… also wieder den beiden hinterher, die Einkäufe ins Zimmer und dann im Gänsemarsch zum nahegelegenen Restaurant. David bestellte für uns und wir wurden in ein Separee geleitet, wo uns schließlich köstlicher armenischer Schaschlik serviert wurde. Ich hatte schon fast das Gefühl, dass wir unsere Begleiter den ganzen Abend über nicht mehr los werden würden, doch nach einem kurzem Schwatz mit dem Personal zogen die beiden wieder ab. Endlich wieder für mich selbst verantwortlich… Hilfe ist ja schön und gut, aber völlige Entmündigung? Aber offenbar hatte man uns nicht zugetraut, eigenständig einkaufen zu gehen… Aber manchmal ist es viel entspannter, keine Widerrede zu leisten und einfach den Dingen ihren Lauf zu lassen.

Tag 47 – 19.März

Vanadzor (ARM) – Tiflis (GE): 165km; 7:29h im Sattel; 14-19 Grad, Sonne / Wind
Hostel

So, für heute ist noch einmal eine lange Etappe geplant. Eigentlich sollte man die Strecke auf zwei Tage aufteilen, aber ich möchte gerne heute Abend in Tiflis sein. Bis zur Grenze nach Georgien sollte die Etappe gut machbar sein, weil es konstant von 1300 auf knapp 400m bergab geht.
Wir tauchen in ein idyllisches Flusstal ein. Immer wieder schraubt sich die Straße ein paar Meter in die Höhe, der Fluss liegt stellenweise tief unter uns. Ich bin froh, die Etappe in dieser Richtung zu befahren. In umgekehrter Richtung ginge es andauernd bergauf. Je weiter wir uns flussab bewegen, desto tiefer tauchen wir in eine Art Canyon ein. Immer wieder passieren wir aufgelassene Industriegebäude. Es scheint, als ob vor Jahren hier noch viel zu tun war.
Auffallend der dominant lila gefärbte Stein, mit dem praktisch jedes Gebäude hier verkleidet ist. Einfache Industriegebäude ebenso, wie Buswartehäuser, Wohnhäuser, oder ganze Wohnblöcke. In regelmäßigen Abständen fahren wir an kleinen Werkstätten vorbei, die die großen lila Steine in handliches Format schneiden.
Am Straßenrand auch immer wieder Friedhöfe. Die Gestaltung der Grabsteine durchaus fantasievoll. Auch hier überall der lila Stein.
In die polierten Grabsteine sind teilweise lebensgroß Gravuren der Verstorbenen angebracht. Auf der Vorderseite ein seriöses Portrait, auf der Rückseite dieselbe Person in entspannter Pose vor einem Baum, oder auch vor dem geliebten Auto… ähnliche Bilder sind mir zuletzt in Serbien untergekommen. Eigenartig die Vorstellung, als Totenbild ein Portrait auf dem Grabstein zu haben, welches einem mit dem Wagen zeigt, mit dem man tödlich verunglückt ist. Aber ja, andererseits wird so ein sehr persönliches Bild des Verstorbenen gezeichnet.
Mittags erreichen wir Alaverdi. Nach 50km Fahrt plötzlich wieder ein lebhafter Ort. Auch hier noch die Spuren großer Industrieanlagen. Auf der Höhe des Canyons wurde eine gewaltige Wohnsiedlung errichtet, die mit einer Seilbahn erreichbar ist. Auf dem gegenüberliegenden Hügeln thront rauchend ein Schornstein auf dem Gipfel. Nachträglich erfahre ich, dass hier bis 1989 intensiv Kupfererz abgebaut wurde. Aus Umweltschutz- und Gesundheitsgründen wurden die Industrieanlagen aber geschlossen. Seitdem sinkt die Bevölkerungszahl jährlich. Es scheint, als ob sich die gesamte Region nach und nach entvölkert.
Was mir besonders auffällt ist die überaus große Freundlichkeit der Armenier. Im Gegensatz zu Georgien scheinen die Leute hier auch weit neugieriger zu sein. Überall wo ich stehenbleibe kommt binnen kürzester Zeit jemand vorbei und erkundigt sich nach meinem Vorhaben. Praktisch jedes Auto das uns passiert hupt und freundlich zu. Ich freue mich schon auf die Tage, die ich nach Tiflis in Armenien verbringen werde…
Noch ein kurzer Blick zurück in den Canyon, die schneebedeckten Berge verschwinden aus meinem Blickfeld und das enge Flusstal weitet sich in eine große Ebene. Tagelang waren wir in winterlichen Gegenden unterwegs. Jetzt kommt der Frühling zurück. Zuerst passieren wir blühende Zaubernüsse, dann kommen die Kirschbäume, die einen zarten Duft verströmen. Der Frühling kommt zurück. Jetzt auch wieder mehr Leute auf den Feldern. Am Straßenrand finden sich immer häufiger Leute, die Obst verkaufen. Es sind nur noch wenige Kilometer bis zur Grenze nach Georgien.
Nachdem mein gesamtes Gepäck akribisch durchleuchtet wurde gehts endlich weiter in Richtung Tiflis. Nur noch 60km und Meilenstein Nr.2 ist erreicht. Leider kommt jetzt wieder starker Gegenwind auf. Mit nur 15km/h kämpfe ich in der Ebene gegen den Wind an. Tiflis ist schon in greifbarer Nähe, doch zuvor muss noch ein fieser Hügel überwunden werden. Noch einmal 10% Steigung, die Beine sind alles andere als erfreut darüber… Jetzt gehts aber endlich bergab! Die Stadt liegt hinter einer langgezogenen Linkskurve. Eine gefühlte Ewigkeit sieht man nichts von der Stadt. Ab der Stadtgrenze sind es noch gut 12km bis endlich das Hostel erreicht ist. Ähnlich wie in Istanbul geht es die letzten Meter bis zum Hostel über eine steile Gasse (natürlich Kopfsteinpflaster). Ich bin kurz davor, abzusteigen und das Rad zu schieben, doch dann taucht schon das Hostel auf… Etappenziel erreicht. Jetzt sind ein paar Tage Erholung nötig. Soweit ich weiß gibt es heiße Quellen in Tiflis. Die werde ich mit Sicherheit in den kommenden Tagen mal aufsuchen.