Tag 125 – 05.Juni

Dushanbe – Iskanderkül: 128km; 8:30h im Sattel; 21 – 32 Grad, Sonne
Campingplatz

Zu meiner eigenen Überraschung war ich heute Morgen erstaunlich fit. Die Magenverstimmung war zur Gänze verschwunden und ich fühlte mich endlich wieder gut. Kurz bevor ich aufbrechen wollte, kam ein neuer Gast bei Veronique an. Zenda aus Hongkong radelt von England aus nach Hause. Er hat schon eine abenteuerliche Reise hinter sich. Vom Iran aus ist er nach Afghanistan gereist und wollte von dort aus nach Tajikistan weiterreisen. Zuerst wurde er in Afghanistan aufgrund von Spionageverdacht verhaftet und ein paar Tage eingesperrt. Danach behandelte ihn die Regierung aber mit Samthandschuhen. Bis nach Tajikistan konnte er aber trotzdem nicht radeln. Die Regierung hatte es ihm untersagt und statt dessen für ihn einen Flug organisiert. Die Reisekosten wurden von der Afghanischen Regierung übernommen. Alles mit dem Hintergrund, das Risiko so gering als möglich zu halten. Ein wenig enttäuscht war Zenda schon, weil er sehr gerne bis nach Tajikistan geradelt wäre. Seiner Ansicht nach ist das Risiko für Fahrradreisende in Afghanistan weit geringer, als man vermuten würde.
Da ich heute noch mit Jona und Franzi zusammentreffen wollte, musste ich aber langsam starten. Es stand ein ziemlicher Anstieg vor mir. Von 850 ging es hinauf auf 2600 Höhenmeter. Obwohl ich viele Schauergeschichten über den Anzob Tunnel gehört hatte, beschloss ich, durch den Tunnel zu fahren. Der Pass würde noch einmal 700 Höhenmeter mehr bedeuten und das war mir für heute einfach zu viel.
Anfangs verlief die Strecke recht gemütlich am Fluss entlang. Der Fluss war gesäumt von Restaurants, die teilweise schon Ressort-charakter hatten. Man sah große Schwimmbecken, Sportplätze, Kinderspielplätze usw. Einzig die Gäste fehlten noch… aber offenbar bereitet man sich hier gerade darauf vor. Die Angestellten putzen die Anlagen, Aus den Lautsprechern dröhnt laute Musik. Für mich war es das erste Mal, dass ich eine richtige Ferienanlage in Tajikistan gesehen habe. Aber offenbar ist das hier der “place to be”.
Für mich gings stetig bergauf. Nach einer kurzen Mittagspause – diesmal wurde ich mal wieder zum Essen eingeladen – verschärfte sich die Steigung. Der eigentliche Anstieg begann. Am Straßenrand immer wieder Busse, LKWs oder PKWs die ihren Motor kühlen mussten. Die Straße führte durch unzählige kleinere Tunnels, die offenbar zum Schutz vor Schneeabgängen errichtet wurden. Kurz bevor ich den Anzob Tunnel erreichte legte ich noch eine ausgedehnte Verschnaufpause ein. Bei der Tunneldurchfahrt wollte ich ausgeruht sein. Die Stirnlampe wurde am Helm befestigt, die Reflektorweste ausgepackt und ein Tuch für Mund und Nase wurde vorbereitet. Es konnte losgehen… Kurz vor dem Anzob Tunnel befindet sich noch ein kleinerer Tunnel, bei dessen Ausgang sich ein gewaltiger Verkehrsstau gebildet hatte. Von beiden Seiten ging nichts mehr. Die Fahrzeuge waren alle mehr oder weniger ineinander verkeilt. Ich nahm das gleich mal als Gelegenheit, ohne Verkehr von hinten in den Tunnel einzufahren. Binnen Sekunden ist man von nichts als Dunkelheit umgeben. Anfangs ist die Straße noch in recht gutem Zustand, aber das ändert sich rasch. Man sucht sich den Weg zwischen großen, mit Wasser gefüllten Schlaglöchern. Besondere Vorsicht ist bei den offenliegenden Bewehrungseisen geboten. Immer wieder sieht man daumendicken Bewehrungsstahl senkrecht nach oben stehen. Mit der Zeit wird man ein wenig paranoid. Ständig denkt man, man hat einen Platten, oder irgend etwas anderes ist am Fahrrad. Nichts wäre unpassender, als eine Panne im Tunnel. Die Sicht wird irgendwann aufgrund der Abgase recht eingeschränkt. Trotzdem war die “Luftqualität” besser, als erwartet. Im Tunnel trifft man immer wieder auf Arbeiter, die irgendetwas an der Straße reparieren. Dieser Ort zählt sicherlich mit zu den gesundheitsschädlichsten Arbeitsplätzen, die es so gibt.
Wasser tropft von der Decke, Gesteinsbrocken liegen auf der Straße und die größte Angst hat man vor den unergründlich tiefen Pfützen. Die 5km scheinen endlos, aber irgendwann taucht ein heller Punkt in der Ferne auf. Der Tunnelausgang rückt näher. Geschafft!!!! Erst einmal die frische Luft genießen. Aus beiden Röhren des Tunnels dringt Rauch, als ob es im Inneren brennen würde. Es ist schwer vorstellbar, dass der Tunnel wirklich für den Verkehr freigegeben wurde. Den Beinahmen “Todestunnel” hat der Anzob Tunnel wohl nicht ohne Grund.
Für mich gehts jetzt wieder steil bergab. Das neue Tal überrascht mit faszinierenden Gesteinsformationen. Die Berge sind bunt und die Dörfer bestehen nicht mehr aus Lehmhäusern, sondern werden aus Bruchsteinen erbaut. Teilweise fügen sich die Häuser derart gut in die Umgebung ein, dass man erst auf den zweiten Blick ein Haus erkennen kann.
Die Bremsen laufen heiß, es geht einige Kilometer sehr steil bergab. Zeitlich bin ich schon etwas spät dran, als ich zur Abzweigung nach Iskanderkül komme. Gabor hatte uns den Tip gegeben, den 25km Abzweiger zum See bei Iskanderkül zu machen. Er meinte, es würde sich lohnen. Was er aber verschwiegen hatte war, dass es von 1700 wieder auf 2400m hinaufging. Und das, nachdem ich schon den ersten Pass bezwungen hatte… Ein Abstecher zum See – das hatte ich mir anders vorgestellt. Im letzten Drittel der Strecke wurde die Straße dann auch noch richtig steil. Es ging mit 8 – 12 Prozent bergauf. Körperlich war ich diesmal wirklich an meine Grenzen gestoßen. So langsam wurde es dunkel, aber ich wolle unbedingt noch den See erreichen. Mit Franzi und Jona hatte ich mich am Campingplatz verabredet…
Um kurz nach 21 Uhr rollte ich dann den Hügel in Richtung See hinab. Ein langer und kräftezehrender Fahrradtag geht zu Ende. Die Schlussetappe zum See hatte mir den Rest gegeben. Es verging etwas Zeit, bis ich dem Personal am Campingplatz erklären konnte, dass ich zwei Deutsche mit dem Fahrrad suche. Der Eintritt zum See beträgt eigentlich 15 SOM. Bezüglich der Übernachtungsmöglichkeiten besteht offenbar große Konkurrenz. Am Eingangstor betreibt der Kontrolleur eine kleine “Hotelanlage”. Ich wollte aber zum Campingplatz. Trotzdem ließ ich erst mal 40 SOM liegen, nicht wissend, was eigentlich zu bezahlen wäre. Nachdem ich endlich klar gemacht hatte, dass ich kein Zimmer, sondern den Campingplatz suche, wieß er mir missmutig den Weg. Jetzt stand ich aber erst mal vor einem großen verschlossenen Tor. So ganz sicher war ich mir nicht, aber ich vermutete, dass es sich hierbei um den Campingplatz handelte. Anfangs hieß es, es seien keine Fahrradfahrer hier, aber nachdem ich meine Geschichte immer und immer wieder schilderte, wurde ein weiterer Kollege hinzugeholt, der die Beiden gesehen hatte. Schlussendlich hatte ich es doch noch geschafft, die Verabredung einzuhalten. Franzi und Jona hatten sich heute am See entspannt. Die Szenerie ist wirklich traumhaft schön. Umgeben von Bergen liegt vor uns der See. Der Mond spiegelt sich im Wasser und alles strahlt eine gewaltige Ruhe aus. Genau das Richtige nach dem heutigen Tag auf dem Rad.

Tag 126 – 06.Juni

Iskanderkül – kurz hinter Ajni: 60km; 2:49h im Sattel; 12 – 18 Grad, Regen / bewölkt
Camping

Ein bisschen lädiert war ich heute Morgen noch und somit beschloss ich, erst mal noch ein paar Stunden hier am See zu verbringen. Jona und Franzi hatten gestern sehr geschwärmt, also wollte ich mir davon auch ein Bild machen. Über Nacht hatte es mal wieder ordentlich abgekühlt, was auf den ziemlich lange anhaltenden Regen zurückzuführen ist. Gerade nachdem die Beiden aufgebrochen waren, fing es wieder an zu regnen. Meine Hoffnung, dass es sich nur um einen vorübergehenden Schauer handelte, konnte ich bald begraben. Es regnete unaufhaltsam. Von der netten Stimmung am See konnte ich also nicht sonderlich viel mitnehmen. Schließlich schlüpfte ich doch noch in die Regenklamotten und marschierte zum nahe gelegenen Wasserfall. Direkt bei der Einfahrt zum See befindet sich dessen Auslauf. Folgt man dem Flusslauf etwa einen Kilometer kommt man zu einem beeindruckenden Wasserfall. Eine etwas unsicher wirkende Metallplattform erlaubt einem, das gewaltige Schauspiel von oben zu betrachten. So 100% sicher fühlt man sich aber nicht auf dieser Konstruktion. Die Rückverankerung wird nur Mittels ein paar großer Felsbrocken gewährleistet und nicht jeder Gitterstab auf der Plattform ist auch wirklich festgeschweißt.
Auf dem Weg zurück zum Campingplatz beginne ich mich mit dem Gedanken zu arrangieren, mal wieder im Regen zu radeln. Nachdem die Zeit ohnehin schon recht fortgeschritten war, lag das Etappenziel aber in greifbarer Nähe. Bis Ajni waren es etwas mehr als 50km und es ging eigentlich nur bergab. Ich packte das nasse Zelt zusammen und gerade als ich das Rad aufsattelte, hörte es auf zu regnen. Von einer Minute auf die andere war es plötzlich vorbei mit dem Wolkenbruch.
Ich versuchte noch beim Schrankenwärter einen Teil meines Geldes zurückzubekommen, aber der jammerte mir penetrant etwas vor, fand ständig neue Ausflüchte und tat überhaupt sehr bedürftig. Irgendwann drückte er mir dann 8 SOM in die Hand und ich verließ grußlos sein Büro.
Bei der nächtlichen Kletteraktion gestern hatte ich gar nicht bemerkt, wie beeindruckend das Tal eigentlich ist, das ich mich hochgequält hatte. Leider hat heute mein Fotoapparat den Geist aufgegeben, sodass es keine Bilder gibt. Der starke Regen hatte die Schotterstraße stellenweise mal wieder in eine ordentliche Schlammpiste verwandelt. Ich rollte durch roten, grünen, grauen, schwarzen und braunen Schlamm. Aber das Beste war… es ging konstant bergab. Zurück auf der Hauptstraße ging die Talfahrt weiter. Die Straße verläuft parallel zum Fluss, der sich tief in die Felsen hineingefressen hatte. Oft musste man regelrecht den Kopf heben, um noch etwas vom Himmel zu sehen. So unangenehm der Tag auch begonnen hatte, so gemütlich war die Fahrt bis nach Ajni.
Hier gabs erst mal frische Tomaten und etwas Getränkevorrat und dann machte ich mich auf den Weg, einen Zeltplatz zu finden. Bei einem Polizeiposten erkundigte ich mich kurz, ob zwei Radfahrer vorbeigekommen seien. Offenbar sind Franzi und Jona vor Kurzem vorbeigeradelt. Mal schauen, vielleicht treffe ich sie ja morgen wieder auf dem Pass.
Ein Blick auf die Karte zeigt, dass ich jetzt nur 150km Luftlinie von Samarkand entfernt bin. Besonders weit nach Osten bin ich bisher also noch nicht vorgedrungen. Zum Glück ist die Intention der Reise nicht, so schnell als möglich ostwärts zu fahren. Auch wenn es teilweise etwas demoralisierend war, so hatten die Abstecher in Tajikistan doch ihren Reiz. Ich hätte sonst wohl niemals die Vielfältigkeit des Landes kennenlernen können. Jetzt gehts aber erst mal noch zwei Tage nach Norden und dann ab Khujand wieder ostwärts.

Tag 127 – 07.Juni

kurz hinter Ajni – Khujand: 165km; 7:28h im Sattel;14 – 30 Grad, bewölkt
Hotel

Der Himmel versprach heute nichts besonders Gutes. Bis auf ein paar vereinzelte Sonnenstrahlen am Morgen war der Himmel wolkenverhangen. Im Grunde aber keine so schlechte Ausgangssituation für die bevorstehende Bergetappe. Für heute hatte ich mir die Passüberquerung vorgenommen. Den Tunnel wollte ich dieses Mal umgehen.
Gleich von Beginn an ging es relativ steil bergauf. Bei der Anfahrt zum eigentlichen Bergrücken hatte man das Gefühl, man nähert sich einer senkrechten Wand. Ameisenhaft konnte man in der Ferne die LKWs erkennen, wie sie sich langsam emporschraubten. Der Gipfel war nicht wirklich zu erkennen. Selten sank die Steigung unter 6%, aber dafür war der Asphalt in bestem Zustand. Meter um Meter ging es den Berg hinauf. Nach gut drei Stunden Kletterarbeit war der Tunnel erreicht. Von der Straße, die über den Pass führen sollte war aber nichts mehr zu erkennen. Nach Fertigstellung des Tunnels wurde die Straße offenbar zurückgebaut. In der Ferne konnte man noch ein paar Serpentinenstücke erkennen, aber der Zugang existierte nicht mehr. Folglich musste ich den Weg durch den Tunnel wählen. Die Rahmenbedingungen sind fast ident mit dem Anzob Tunnel. Länge ca. 5km, Tunneleingang auf 2700m, Tunnelausgang auf 2600m… der Rest unterscheidet sich aber gravierend. Durchgehende Beleuchtung, gute Belüftung und bester Betonbelag machten die Fahrt durch den Tunnel zum Kinderspiel. Für den Bau des Tunnels waren offenbar die Chinesen zuständig. Vielleicht hätte man ihnen auch den Anzob-Tunnel anvertrauen sollen.
Das gegenüberliegende Tal überraschte mit bewaldeten Berghängen. Die Straße fiel mit konstanten 2-3% Gefälle ab. Nach den drei Stunden Aufstieg eine Wohltat! Im Grunde war ich dann gar nicht mehr so böse, dass ich den Pass nicht zur Gänze überwunden hatte. Meine Beine spürten auch so, dass einiges geleistet wurde.
Von Franzi und Jona war auf dem Pass keine Spur. Ich gehe mal davon aus, dass ich sie gestern doch unbewusst überholt hatte und sich unsere Wege nun trennen werden. Der starke Regen gestern hatte ihre aktiven Stunden auf dem Rad vermutlich doch ziemlich eingeschränkt.
Ich rollte noch ein paar Höhenmeter in Richtung Tal und gönnte mir dann eine ausgedehnte Mittagspause. Ein kurzer Blick auf die Karte verriet, dass es bis Khujand konstant bergab gehen wird. Ich habe den Tunnel bei 2600m verlassen und Khujand liegt auf ca. 300m.
Leichter Rückenwind und konstantes Gefälle setzten mir plötzlich den Floh ins Ohr, noch heute bis nach Khujand zu fahren. Wieder mal ein ziemlicher Satz, aber irgendwie war mir heute nach einer Hotelunterkunft. Ausserdem hoffte ich meine Kamera zur Reparatur geben zu können.
Je näher ich an Khujand kam, desto mehr fühlte ich mich an die Tage in Uzbekistan zurückversetzt. Auf den Feldern arbeiteten unzählige Frauen in Handarbeit. Am Straßenrand wurde Gemüse und etwas Obst verkauft. Die Felder wurden ähnlich wie in Uzbekistan mittels Wasserkanälen bewässert.
Auch die Temperatur war wieder deutlich angestiegen. Bei guten 30 Grad radelte ich in Richtung Khujand. Der Geruch von frisch geerntetem Getreide lag in der Luft. Ein klares Zeichen für mich, dass jetzt langsam Sommer ist. Bereits viele Kilometer vor Khujand nahm die Besiedelung wieder deutlich zu. Es gab kaum noch einen Platz entlang der Straße, der nicht bewirtschaftet, oder bewohnt war. Von Khujand wusste ich eigentlich gar nichts. Auf der Karte war nur vermerkt, dass es eine alte Seidenstraßen Stadt sei. Schlussendlich handelt es sich um die zweitgrößte Stadt in Tajikistan. Es war allerdings schon 19 Uhr, als ich im Zentrum einrollte. Da ich keine Lust hatte, im Hotel den doppelten Preis im Vergleich zu Einheimischen zu zahlen, wurde ich zur Gasteniza Leninabad weitergeschickt. Ein Komplex aus den guten alten Sowjetzeiten. Hier bekam ich, wenn auch missmutig, ein Zimmer mit Balkon für leistbare 90 SOM. Den Rezeptionisten hatte ich offenbar gerade bei einer seiner Fernsehserien gestört. Mit seiner Verärgerung hielt er nicht sonderlich hinter dem Berg. Entgegen der bisher stets großen Hilfsbereitschaft in Tajikistan stand er nur teilnahmslos neben mir, als ich abekämpft wie ich war, meine Packtaschen zusammenraffte und mich schwer bepackt in die dritte Etage schleppte.
Trotz alledem… die Mühe hatte sich gelohnt. Ein herrlich gemütliches Zimmer mit Balkon erwartete mich.
Beim abendlichen Stadtspaziergang wunderte ich mich schon, weshalb derart viele Leute unterwegs sind, doch dann fiel mir ein, dass ja Samstag Abend war… Eisessen scheint hier in Khujand gerade besonders in Mode zu sein. Praktisch an jeder Straßenecke finden sich kleine Straßenlokale, die Eis verkaufen. Während ich mein Grillhuhn verspeiste, leistete mir der Sohn der Lokalbesitzerin Gesellschaft. Er lernt seit kurzem Englisch und möchte bald nach Lettland zum Studieren. Immer wenn Touristen in der Stadt sind versucht er sein Englisch ein wenig zu verbessern.
Viele englischsprechende Touristen gibt es aber nicht in Khujand, trotz alledem schlägt er sich an sich ganz gut. Ich konnte so zumindest ein paar Basisinformationen über die Stadt erhalten. Nachdem morgen Sonntag ist, werde ich wohl wenig Glück haben, meine Kamera reparieren zu lassen. Demnach denke ich, dass ich dann auch relativ zügig in Richtung Osh weiterfahren werde. Vielleicht habe ich dort mehr Glück.

Tag 128 – 08.Juni

Khujand – kurz vor Konibodam: 75km; 3:57h im Sattel; 25 – 34 Grad, Sonne
Camping

Bei einem Zimmer mit Balkon und Ausblick auf den Fluss lohnt es sich direkt den Tag etwas gemütlicher zu starten. Nachdem ich mich vergeblich in der Stadt nach einer Möglichkeit zur Reparatur meiner Kamera umgesehen hatte, genoss ich noch die kühle Briese auf dem Balkon und sattelte kurz vor Mittag wieder das Rad. Die angenehme Briese vom Vormittag verwandelte sich dann in durchaus penetranten Gegenwind, der mich bis zum späten Nachmittag verfolgte. Für heute hatte ich mir aber nicht viel vorgenommen, daher kam ich mit dem Gegenwind auch ganz gut zurecht.
Vom angekündigten historischen Charakter der Stadt war nicht viel zu verspüren. Historisch vielleicht im Bezug auf die Sowjetzeit, aber auf keinen Fall in Bezug auf die Seidenstraßen-Ära.
Auf der Karte hatte ich einen recht großen See in der Nähe von Khujand gesehen. Die Strecke in Richtung Grenze führt dort auch vorbei, also freute ich mich auf eine Nachmittagsrast am Seeufer… Als ich von der Ferne das Wasser schon leuchten sah, wunderte ich mich, dass es keinerlei Anzeichen für Badetourismus oder ähnliches gibt. Mit der Zeit wurde mir klar, dass der See offenbar zu 100 Prozent für die Landwirtschaft genutzt wird. Die Straße verläuft mit großem Abstand zum Ufer und führt durch gewaltig große Obstplantagen. Es hat den Anschein, als ob man hier durch die Obstkammer von Tajikistan fährt. Aprikosen, Pflaumen, Kirschen, Kiwis und Granatäpfel werden hier angebaut. Im Moment sind die ersten Aprikosen erntereif. Als ich gerade überlege, an welchem Baum ich anhalten sollte, um ein paar Aprikosen zu kosten, fährt ein Auto an mich heran und aus dem Beifahrerfenster reicht mir der Lenker mit einem über beide Ohren reichenden Lächeln ein paar Aprikosen. Selten habe ich so derart auf den Punkt perfekt gereifte Früchte gegessen. Der süße Geschmack hält sich noch viele Kilometer. Hier lässt es sich leben…
Den Leuten in der Gegend scheint es auch relativ gut zu gehen. Die Autos werden immer größer und neuer. Ladas sieht man nur noch sehr selten und auch die ansonsten so große Dominanz des Opel Astra geht zurück. Mercedes, VW und BMW brausen immer häufiger an mir vorbei.
Einigen Dörfern am See wurde offenbar vor einiger Zeit durch ein Hilfsprojekt aus Deutschland mit einer sicheren Trinkwasserversorgung zu mehr Lebensqualität verholfen. Hier ist die Hilfe auch wirklich angekommen. Als Deutscher Tourist steht man hier in Tajikistan ohnehin relativ gut da. Fast alle importierten Autos werden aus Deutschland bezogen und die deutschen Produkte haben hier auch einen sehr hohen Stellenwert. Da freut es aber umso mehr, wenn man dann von den Einheimischen für Hilfsprojekte unter deutscher Federführung gelobt wird. Obwohl Tajikistan aufgrund der Berge sehr wasserreich ist, stellt die sichere Trinkwasserversorgung offenbar doch noch ein großes Problem dar. Als ich damals auf dem Weg zur Grenze nach Kirgistan war, ist mir die rudimentäre Wasserversorgung schon aufgefallen. Nach Auskunft von Veronique sträuben sich gerade die Bewohner der Grenzregion zu Kirgistan noch vor Hilfsprojekten, sowohl nationaler, als auch internationaler Art.
Den heutigen Tag wollte ich diesmal etwas früher beenden. Bis zur Grenze sind es noch gut 35km. Am Ortsende kaufe ich noch die dringend benötigten Zuckergetränke ein. Ein altes Ehepaar führt den kleinen Laden. Wir kommen ein wenig ins Gespräch und ich werde umgehend in den rückwertigen Garten eingeladen. Hier stehen unzählige Aprikosen- Pfirsich- und Granatäpfelbäume. Die Granatäpfel sind noch recht klein. Im September steht deren Ernte an. Bei den Aprikosenbäumen wurden offenbar recht viele verschiedene Sorten gepflanzt, um über mehrere Monate Früchte ernten zu können. Die Taschen voller frisch geernteter Aprikosen gehts aus dem Dorf hinaus. Kurz danach schlage ich dann auch schon das Zelt auf. Die Sonne verschwindet in einem Farbenmeer hinter den Bergen. Noch lange leuchtet der See, während die Umgebung bereits dunkel wird. Der Mond steht hoch und leuchtet die steppenartig anmutende Landschaft mit einem kräftigen Licht aus. Die Stirnlampe kann heute im Zelt bleiben. Der letzte Abend in Tajikistan ist angebrochen. Morgen gehts über die Grenze und dann lasse ich mich mal überraschen, was Kirgistan – oder Kirgisistan, wie es die Tajiken nennen – zu bieten hat.