Tag 226 – 14.September
Dandong – Donggang: 54km; 2:35h im Sattel; 18 – 24 Grad, bedeckt
Hotel
Die Fähre sollte heue um 16 Uhr ablegen, also kein Grund zur Eile, da nur noch gute 40km zurückzulegen waren. Alles war für die 16-stündige Überfahrt nach Korea vorbereitet. Auf dem Weg aus der Stadt kam ich noch an einem Fahrradladen vorbei und blieb kurzentschlossen stehen, um einen Blick auf die Auswahl an Fahrradhandschuhen zu werfen. Ich hatte irgendwie das Kunststück fertiggebracht, einen Handschuh bei meiner Besichtigungstour am ersten Tag in Dandong zu verlieren… Im Shop wurde ich gleich überaus freundlich empfangen und intensivst befragt, wie es mich hierherverschlagen hat. Ab und an kommen Fahrradreisende aus Europa oder Amerika hier im Laden vorbei. Der Besitzer hat bereits eine Art Gästebuch aufliegen in das ich mich natürlich auch eintragen musste. Das neue Paar Radhandschuhe gab es wie selbstverständlich geschenkt. An den Wänden viele Fotos von Chinesischen Radreisenden bei ihren Chinaumrundungen, oder beim Radeln in Südkorea. Ähnlich wie in Datong fungiert der Radshop auch hier fast wie ein Sportverein für Radbegeisterte. Es werden gemeinsame Touren unternommen und man kommt auch öfters mal nur auf einen Schwatz vorbei.
Einer der Mitarbeiter spricht hervorragendes English und übersetzt alle Fragen seines neugierigen Chefs. Besonders stolz war Chenbo – der Ladenbesitzer – auf die eigens importierten Focus Rennräder aus Deutschland. Immer wieder betone er, wie hervorragend doch die Qualität in Deutschland sei… Eine besonders große Auswahl an Fahrradmarken hat man in China ja nicht. Merida, Giant und UCC sind die drei am weitesten verbreiteten Marken. Ein paar Läden schaffen es aber dann doch einen Import von anderen Marken auf die Beine zu stellen.
Nachdem die Sprache auf die etwas schwierige Situation mit den Fährtickets kommt wird sofort das Handy gezückt und eine Verwandte im Reisebüro angerufen, ob sie nicht noch irgendwas deichseln könnte. Nachdem hier auch nichts mehr zu machen war, wird noch das Ticketbüro am Hafen informiert, dass ich heute vorbeikomme und versuche vor Ort ein nicht eingelöstes Ticket zu erstehen. Alfred schreibt mir noch ein paar hilfreiche Sätze in Chinesisch auf und dann gehts auch schon los in Richtung Hafen.
Eigentlich hatte ich mich auf eine gemütliche Schlussetappe eingestellt, doch nun hechle ich zwei Rennradfahrern hinterher, die mir als Eskorte zur Seite gestellt wurden. Es ist oft nicht so leicht den Leuten klarzumachen, dass ich nun schon fast 18000km auf dem Rad unterwegs bin und wohl in der Lage bin, den Weg zum Hafen zu finden, noch dazu wo es ohnehin nur zwei Straßen gibt, die aber auch beide zum Hafen führen… Nachdem sich Alfred wieder verabschiedet hat, bin ich noch eine gute Stunde mit einem seiner Kunden unterwegs. Ich habe strikte Anweisung, ihm zu folgen. Derartige Situationen habe ich auf der Reise ja schon öfters erlebt und gelernt, dass es meist weit weniger kompliziert ist, einfach die Hilfestellung anzunehmen, als zu erklären, dass man es auch auf eigene Faust schafft.
Und so versuche ich beim aufkommenden Gegenwind nicht aus dem Windschatten zu fallen und brause in Richtung Fährstation. Es geht entlang der Grenze zu Nordkorea. Zweireihiger Stacheldraht verläuft parallel zur Straße. Ein wenig zum Schmunzeln bringen mich die Hinweistafeln am Zaun die es untersagen Gegenstände über die Grenze zu werfen, den Zaun zu überklettern oder aufzuschneiden. Ebenso ist es verboten, Nordkoreanische Soldaten zu fotografieren oder zu filmen. Auch wenn es sich hier nur um eine Art Vorgrenze handelt, hätte ich mir den Grenzstreifen zu Nordkorea trotzdem etwas schärfer vorgestellt. Offenbar sind die Beziehungen zwischen Nordkorea und China nicht so schlecht.
Grenzsoldaten bekomme ich heute ohnehin keine zu Gesicht, einzig die Wachtürme ragen aus dem breiten Schilfgürtel.
Weit früher als gedacht bin ich nun am Hafen. Mit Hilfe der Notizen von Alfred frage ich mich zum Ticketbüro durch, im Grunde ist es der Check In Schalter… Besonders attraktiv gelegen ist die Fährstation nicht unbedingt. In Mitten einer Industrieanlage befindet sich das unscheinbare Empfangsgebäude für die Fähre nach Südkorea.
Das Telefonat hatte Wirkung gezeigt, man wusste schon Bescheid, als ich mich am Schalter blicken ließ. Erst einmal warten bis mindestens 15 Uhr… Die Zeit verstreicht nur quälend langsam. Busseweise kommen Chinesische und Koreanische Reisende an. Von Alfred habe ich mir sagen lassen, dass der September ein ganz schlechtes Monat für die Überfahrt ist, weil sehr viele Koreaner, die in China leben zum Sommerende noch einmal nach Korea wollen. Dort gibt es spezielle Events und Feierlichkeiten, das ist vermutlich auch der Grund, weshalb die Fähre über so lange Zeit ausgebucht ist.
Schon in Dandong gabs den ersten Einblick in die Koreanische Kultur. Mein Hotel befand sich direkt neben dem koreanischen Viertel. Am Abend überall koreanische Grillstände auf der Straße, die Geschäfte allesamt auf koreanisch angeschrieben, Chinesische Supermärkte schon fast schwer zu finden in mitten der vielen Koreanischen. Auch heute bei der Fähre wird mehr Koreanisch als Chinesisch gesprochen.
Immerhin spricht die Dame hinter Schalter 6 ein paar Brocken Englisch. Um Punkt 15 Uhr stehe ich wieder vor ihrem Fenster und ernte vorerst nur ein “leider noch nicht…”. Die Zeit verstreicht und ich werde immer unruhiger, zwinge mich aber Fassung zu bewahren und so ruhig als möglich zu wirken. Stress hilft in solch einer Situation auch nicht weiter. Die Fähre hat 931 Sitzplätze und die Vorschriften der Fährgesellschaft verbieten es, mehr Passagiere als Sitzplätze aufzunehmen. In gewissen Punkten sind die Chinesen ja sehr regeltreu. Nicht unbedingt im Straßenverkehr, aber in vielen Alltagssituationen. Mir ist ziemlich schnell klar, dass mir das wohl zum Verhängnis werden könnte. Die Dringlichkeit meiner Situation ist der Dame hinter Schalter 6 nun schon klargeworden, sie hat auch verstanden, dass ich wirklich bis zum letzten Moment hier warten werde. Sie bemüht sich auch redlich, von irgendwo noch ein Ticket zu bekommen, doch meine letzte Hoffnung bleibt die Immigrationsstelle, die vielleicht einen Reisenden nicht aufs Schiff lässt… Schlussendlich kommt aber niemand zurück und ich muss in den sauren Apfel beissen und die Fähre ziehen lassen.
Alles Schlechte hat auch was Gutes – immerhin gibts gute Neuigkeiten für Fähre am Dienstag, da kann ich das allerletzte Ticket gleich hier kaufen. Immerhin brauche ich mir jetzt nicht vorwerfen, ich hätte nicht alles versucht. Im Grunde fiel die Entscheidung mit der Aussage des Managers der Fährgesellschaft, der einer Überbelegung durch eine Person nicht zustimmte.
Zumindest habe ich nun für Dienstag das Ticket in der Tasche.
Ziemlich geknickt und merklich erschöpft nach all dem nervenaufreibendem Warten und Bangen strample ich zurück nach Donggang, einer klassischen Retortenstadt, vermutlich nicht älter als 15 Jahre. Ich bin ja schon durch viele dieser Städte geradelt, doch habe ich mich in keiner wirklich lange aufgehalten. Nun gibt es noch einmal eine Gelegenheit dazu…
Nach und nach bessert sich meine Stimmung und nachdem ich gleich im ersten Hotel von vier völlig aufgeregten jungen Damen herzlichst willkommen geheissen wurde, freundete ich mich zwangsläufig mit der neuen Situation an und verzog mich erst einmal im Hotelzimmer. Bis auf die Tatsache, dass es ein fensterloser Raum ist, kann man sagen, dass es wohl das luxuriöseste und größte Zimmer meiner gesamten Reise ist.
Im Ort bin ich selbstverständlich wieder ein bunter Hund. Westliche Touristen verschlägt es sicherlich nicht viele hierher. Zu sehen gibt es eigentlich auch nicht wirklich viel. Alltagsleben einer modernen Stadt vielleicht… Die Leute aber allesamt erstaunlich freundlich. Es wird viel gegrüßt, wenn auch stets mit einem nervösen Kichern, aber im Grunde fühle ich mich willkommen. Man hat fast das Gefühl, dass in diesen Planstädten auch ein anderer Menschenschlag wohnt.
Nun endet meine Chinareise annähernd so, wie sie begonnen hat – mit einem zusätzlichen Hotelaufenthalt. Vielleicht muss ich mich einfach noch in Ruhe von diesem großen, vielseitigen und auch zwiegespaltenn Land verabschieden. Zum Glück läuft das Visum noch eine weiter Woche, demnach besteht kein Grund zur Panik.
Tag 227 – 15.September
Donggang, 1 Pausentag; 18 – 26 Grad, Sonne
Hotel
Man sollte die Bedeutung von Fenstern nicht unterschätzen. So ganz ohne Bezug zur Aussenwelt verliert man recht schnell den Bezug zu Zeit und Ort. Nachdem es gestern Abend zu regnen begonnen hatte, war ich hocherfreut, heute wieder von blauem Himmel und recht angenehmen Temperaturen empfangen zu werden. Ich hatte mir für heute einmal einen Tag Nichtstun verordnet. Das Rad blieb im Hof des Hotels angekettet und ich schlenderte gemütlich durch die Stadt. Der Eindruck von gestern bestätigte sich auch heute wieder. Zu sehen gibt es nicht viel. Donggang ist wie so viele andere Chinesische Städte eben auch nur eine charakterlose Planstadt, aber zu meiner Überraschung funktioniert die Stadt recht gut. Praktisch alle Straßen sind belebt und für Chinesische Verhältnisse überaus sauber. Überall ist ein bisschen was los und so kann man zumindest den Leuten ein bisschen zuschauen.
Das wohl älteste was man in der Stadt finden kann, ist ein verlassener Vergnügungspark am Rande einer erst kürzlich angelegten Grünzone. Einige Fahrgeschäfte werden bereits vom Grün überwuchert, doch überraschenderweise halten immer noch ein paar Betreiber die Stellung. Vereinzelt dringt noch Musik aus den verrosteten Kassenhäusern, Kunden sind weit und breit keine zu sehen, aber man weiß ja nie…
Ich genieße die Ruhe in der Grünzone, mache mich über die eben erst erstandenen Trauben her und beobachte die wenigen Leute, die hier entlangschlendern. Junge Pärchen fotografieren sich gegenseitig vor dem mit Lotusblättern bedeckten künstlichen See, oder vor der künstlichen Steinwand. Im Hintergrund wird gerade an drei weiteren Hochhäusern gebaut. Auch hier hat das Wachstum noch kein Ende gefunden. Immer mehr Häuser werden hochgezogen, immer mehr Malls braucht das Land. Diese unermüdliche Bautätigkeit wird mir bis zum letzten Tag ein Rätsel bleiben.
Mit Alfred hatte ich mich gestern im Laden auch kurz über die Entwicklung in China unterhalten. Den meisten Chinesen ist es ihmzufolge auch klar, dass die Entwicklung ein wenig zu schnell voranschreitet. Das Land hatte lange Zeit nicht viele Veränderungen erlebt doch jetzt geht es steil bergauf. Immer mehr Chinesen können dieser Entwicklung nicht mehr folgen und werden vom Modernisierungsgeist regelrecht überrannt. Um ehrlich zu sein, ich hätte mir auch noch ein bisschen mehr vom “alten China” erwartet, aber Alfred erzählt, dass in den letzten Jahrzehnten fast alles der Modernisierung zum Opfer gefallen ist. Ein genereller Sinn für Altes, Tradition, oder Ästhetik ist bei den wenigsten Chinesen ausgeprägt. Ich habe den Eindruck, dass die Meisten sich einfach mit der momentanen Situation abfinden und keine Bemühungen anstellen irgendetwas aus eigener Kraft ändern zu wollen. Alte Stadtteile z.B. werden einfach “abgewohnt”, niemand hat Interesse an einer Generalüberholung, statt dessen wird einfach der gesamte Stadtteil dem Erdboden gleichgemacht und etwas Neues in die Höhe gezogen. Wenn es sich um einen touristisch interessanten Ort handelt, dann baut man das Alte wieder neu auf, wenn nichts touristisches in der Nähe ist, dann bleibt es beim gesichtslosen Neubau.
Bin nun schon total neugierig, wie Südkorea mit der Modernisierung umgegangen ist, ob dort noch etwas mehr vom traditionellen Korea zu sehen ist und ob sich die Kultur auch schon derart stark nach Westen hin orientiert… In zwei Tagen kann ich mir selbst ein Bild davon machen.
Im Hotelzimmer erfreue ich mich einer relativ guten Internetverbindung, schreibe viele Mails, telefoniere mit Freunden und höre seit Ewigkeiten einmal wieder Radio. Heimatliche Klänge… So macht das Ausspannen im fensterlosen Zimmer richtig Spaß.
Für heute nutze ich noch einmal die mir zur Verfügung stehende Zeit und gönne meinem Rad eine ausgedehnte Pflege. In den letzten Wochen hatte ich die Radpflege ein wenig vernachlässigt. Nachdem mein Hotelzimmer über ein ausgesprochen großzügiges Bad verfügt, darf das Rad auch hier unter die Dusche. Blitzblank kann ich jetzt morgen auf die Fähre. Die Zähne des mittleren Zahnkranz werden auch immer dünner. Lang ist es wohl nicht mehr hin, dann werden die ersten Zähne abbrechen. Aber gut, ich fahre den Zahnkranz jetzt aus bis zum bitteren Ende. Fürs Erste gibts jetzt eh mal eine länger Ruhephase für meinen treuen Reisebegleiter.
Die ersten beiden Wochen in Korea werde ich wohl nicht aufs Rad steigen, dann vermutlich nur von Seoul aus zur Ostküste strampeln und dann wird das Rad auch schon in Wladiwostok verpackt, um mit mir auf die Zugreise zu gehen. Erst in Moskau gehts dann wieder richtig los.
Jetzt gibts aber erst einmal Urlaub in Südkorea… Nach 57 Tagen in China gehts Morgen nun endlich auf die Fähre! Eine 16 stündige Überfahrt steht bevor, aber ich freu mich schon.
Um es mit den Worten von Kaiser Franz Josef I. zu sagen: ” Es war sehr schön, es hat mich sehr gefreut…”
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