Tag 228 – 16.September
Donggang Stadt – Donggang Hafen: 5km; 0:19h im Sattel; 25 Grad, Sonne
Fähre
Heute war es nun also soweit, es hieß Abschied nehmen von China. Den Weg zum Hafen kannte ich ja schon bereits. Auch heute wieder nur Koreaner oder Chinesen in der Wartehalle. Mit dem vollbepackten Rad stach ich sicherlich noch um einiges mehr aus der Menge, als ich es ohnehin schon so getan hätte, aber damit hatte ich ja schon gerechnet. Die Ausreise verlief völlig unspektakulär. Das Gepäck wurde auf dem Fließband gescannt und dann durfte ich es auch schon wieder aufs Rad schnallen. Wie auch schon bei der Einreise so hatte man offenbar auch heute ein bisschen Schwierigkeiten eine Ähnlichkeit zwischen mir und meinem Passfoto herzustellen, doch nach mehreren prüfenden Blicken gabs den Ausreisestempel in den Pass. Jetzt noch das Rad in den Laderaum des wartenden Buses hiefen und dann gehts auch schon die letzten Kilometer bis zur Fähre. Dort angekommen wartete die letzte Hürde auf mich – Rad samt Gepäck mussten auf der Aussentreppe über zwei Stockwerke hochgeschleppt werden, dann war ich endlich drin in der “Oriental Pearl VI”. Über das Schicksal der fünf Vorgängerfähren will ich jetzt nicht wirklich nachdenken.
Ebenso flott und unproblematisch wie ich nach China eingereist war war ich nun auch wieder ausgereist. Bin schon mal gespannt, ob auf Koreanischer Seite es ebenfalls derart einfach werden wird.
Auf der Fähre war ich wie zu erwarten war, der Einzige Nicht-Asiatische Passagier. Man sticht selbstverständlich ziemlich aus der Masse und so wurde ich auch gleich nach wenigen Minuten an Deck von einem Koreaner in bestem Englisch angesprochen. Wie sich herausstellte war er gar kein Koreaner, sondern Amerikaner – aber gebürtig in Korea. Gemeinsam mit seiner Schwester – sie lebt seit 1966 in Deutschland – waren sie gestern auf dem Weg nach Nordkorea. Eine ganz interessante Geschichte… Die beiden hatten sich in Südkorea getroffen und wollten von dort aus über China nach Nordkorea einreisen. Auf dem Landweg, von Südkorea aus ist dies nicht möglich und so wollten sie mit dem Zug von Dandong bis nach Pyongyang reisen. Die Visa für Nordkorea hatten sie bereits besorgt und durch China wollten sie Visafrei reisen. Dabei beriefen sie sich auf die Möglichkeit, binnen 72h ohne Visum China als Transitland benutzen zu dürfen. Offenbar ist dies aber nur von Flughäfen aus möglich. Mit Amerikanischem Reisepass ging es dann nicht mehr weiter, seine Schwester hätte mit ihrem Deutschem Pass interessanterweise weiterreisen dürfen. Trotz gültiger Visa für Nordkorea und dem Zugticket nach Pyongyang verweigerte man ihnen die Weiterreise. Nun wurden sie also offiziell aus China wieder ausgewiesen und mussten mit derselben Fähre mit der sie gekommen waren wieder zurück nach Südkorea. Das ganze ist ein recht komplexes Unterfangen, weil man in Südkorea eigentlich nicht davon wissen sollte, dass sie Nordkorea besucht hatten. Aus diesem Grund bekamen sie die Visa für Nordkorea auch auf einem separatem Papier und nicht direkt in den Reisepass. Jetzt versuchen die beiden auf der Chinesischen Botschaft in Seoul ein Visum zu beantragen um dann endlich nach Nordkorea einreisen zu können. Gerade zwischen Nord- und Südkorea sind die Beziehungen besonders schlecht. Südkoreaner, die sich Pro-Nordkorea zeigen haben immer wieder mit Repressionen zu rechnen. Immerhin sind beide im Besitz ausländischer Reisepässe, haben somit also im schlimmsten Fall nur mit einem Festhalten für 24h zu rechnen. Für die kurz vor der Pensionierung stehende Ärztin ist es nicht die erste Reise nach Nordkorea. Sie bemüht sich zuhause in Deutschland und auch in Korea, die Vorurteile gegenüber Nordkorea abzubauen und reist nun schon zum dritten Mal nach Nordkorea.
Wir unterhalten uns sehr ausgiebig wechselweise auf Deutsch und auf Englisch über die Situation Nord- und Südkoreas, über weltpolitische Verstrickungen und die Aussichten für die Zukunft. Ein überaus interessantes Gespräch, man trifft nicht oft auf Leute, die Nordkorea schon mehrfach bereist hatten und sich gleichzeitig in Südkorea sehr gut auskennen. Offenbar gibt es gar nicht so wenige Exilkoreaner, die im Ausland lebend darauf hoffen, dass sich Norden und Süden wieder annähern, doch leider können sie dies nicht wirklich offen zeigen, da sie persönlich oder ihre Familienangehörigen mit recht großer Wahrscheinlichkeit mit Besuch des Geheimdienstes zu rechnen haben.
Ein bisschen stutzig mach die beiden die Tatsache, dass ein junger Koreaner mit dem sie sich bei der Herfahrt unterhalten hatten nun überraschenderweise ebenfalls wieder auf dem Schiff ist. Welcher normale Tourist fährt nach fünf Stunden in China gleich wieder zurück nach Korea? Ein wenig Unsicherheit macht sich breit, aber nachdem wir uns auf Deutsch unterhalten können fühlen sich die beiden dann doch ganz wohl. Die beiden vermuten, auf ihrer Rückreise unter Beobachtung zu stehen. Die Pässe mussten sie ohnehin schon in China abgeben und eigentlich hätten sie nicht einmal ihre Kabine verlassen dürfen, doch nach intensivem Protest erlaubte man ihnen sich zumindest auf Deck bewegen zu dürfen.
In Korea werden die Geheimdienstmitarbeiter “Fliegen” genannt. Über 50.000 sind im Einsatz und berichten über die Aktivitäten der Landsleute. Erinnerungen an die Stasi werden wach und so wie es den Anschein hat agiert der Koreanische Geheimdienst auch sehr ähnlich.
Familie haben die beiden keine mehr in Korea. Alle Geschwister sind vor langer Zeit aus Korea ausgewandert. Gemeinsam mit drei weiteren Schwestern hat sich der Bruder in Amerika niedergelassen, dort drei Firmen gegründet und ist nun recht erfolgreich als Geschäftsmann an der Ostküste unterwegs. Seit über fünf Jahren bereitet er sich nun aber schon auf eine Solo – Weltumsegelung vor. Die ganze Überfahrt soll 3 1/2 Jahre dauern. Da hat man natürlich gleich ordentlich Gesprächsstoff.
Kurz nach Einbruch der Dunkelheit legt die Oriental Pearl dann auch endlich ab. Ein bizarres Bild bietet sich von Deck aus. Auf Chinesischer Seite eine fast taghell erleuchtete Uferfront, auf Koreanische Seite kein einziges Licht zu sehen. Stockschwarz liegt das Nordkoreanische Ufer vor uns. Als es noch hell war, konnte man in der Ferne eine Siedlung nahe der Küste ausmachen, doch auch von dort dringt kein Lichtschein herüber. Nur eine Scheinsiedlung? Ist die Küstenregion Sperrgebiet für Nordkoreaner?
Nach und nach verschwinden die Lichter Chinas am Horizont, die Fähre taucht ein ins Dunkel der Nacht. Es gibt kaum Wellengang, es sollte also eine ruhige Überfahrt werden.
Für meine Überfahrt habe ich die günstigste Unterbringungsart gewählt, für etwa 130 EUR kann man es sich in einem der großen Schlafsäle mit weiteren 120 Personen auf dünnen Matratzen, in Viererreihen nebeneinander liegend, gemütlich machen. Der Schiffsmotor brummt und die Klimaanlage läuft auf Hochtouren. Bye Bye China – auf nach Südkorea!
Tag 229 – 17.September
Incheon – Seoul / Jeongdongjin: 47km; 2:21h im Sattel; 19 – 24 Grad, bedeckt
Hotel
Zu meinem großen Erstaunen verlief die Nacht im großen Schlafsaal recht ruhig. Die Chinesen habe ich bisher ja grundsätzlich nicht unbedingt als besonders ruhig kennengelernt, doch offenbar wird die Nachtruhe von allen respektiert. Ein schönes Gefühl, am frühen Morgen die ersten kleinen Inseln der Koreanischen Küste zu erblicken. Es vergeht noch einige Zeit, bis wir uns dem Festland nähern. Als die ersten Möwen ihre Kreise über Deck zogen war das Festland als dünner Streifen am Horizont bereits zu erkennen. Nach so vielen Monaten auf dem Festland immer noch ein etwas befremdliches Gefühl, sich per Fähre der nächsten Destination zu nähern, aber Südkorea lässt sich zumindest bis jetzt noch nicht auf dem Landweg erreichen.
Als einer der Letzten gehe ich mit meinem Rad von Board und muss sogar noch das Rad in den Shuttlebus bugsieren, weil ich die 200m bis zur Ankunftshalle nicht alleine radeln darf. Vorschrift ist Vorschrift…
Die Einreise nach Korea verläuft absolut problemlos. Das Gepäck wird durchleuchtet und das Rad mit einem Detektor untersucht, doch dann gehts auch schon los. Willkommen in Korea!
Schon die ersten Kilometer auf der Straße sind traumhaft. Es geht durch die Hafenzone vorbei an unzähligen Lagerhallen vor denen Fisch verarbeitet und verladen wird. Trotz intensivem Verkehrsaufkommen wird praktisch nie gehupt – eine Wohltat nach den nervtötenden Hupkonzerten in China. Auffallend auch gleich zu Beginn die hohe Dichte an Kirchen. Dem Christentum kommt in Korea offenbar eine recht große Bedeutung zu. Gute vierzig Kilometer liegen vor mir bis ich im Herzen von Seoul ankomme. Dank der Karte auf dem Tablet finde ich meinen Weg zu Lees Apartment problemlos. Ohne Karte wäre man im dichten Straßengewirr von Seoul ein wenig aufgeschmissen. Über Warmshowers hatte ich schon vor Wochen Kontakt mit Lee aufgenommen, einem 29 jährigen Koreaner, der selbst regelmäßig längere Fahrradtouren in Korea unternimmt. Hier kann ich auch mein Rad samt Gepäck für die nächsten 10 Tage unterstellen. Leider bleibt nicht mehr viel Zeit, weil ich meine vier Freunde aus Wien bereits am Nachmittag am Bahnhof treffe, um von dort per Zug die Rundfahrt durch Südkorea zu starten. Also schnell aus den Fahrradklamotten geschlüpft, den kleinen Rucksack gepackt und schon gehts in die U-Bahn zum Bahnhof.
Am Morgen an der Westküste Koreas angekommen, gehts am Nachmittag schon an die Ostküste weiter. Rhea, Gregor, Stefan und Reinhard – mein “Besuch” aus Wien – tauchen am vereinbarten Treffpunkt leider eine halbe Stunde zu spät auf. Den geplanten Zug verpassen wir gerade mal um eine Minute, disponieren kurz um und fahren bis nach Ganguenung mit dem Bus. Es wartet eine spektakuläre Unterkunft auf uns. Ein zu einem Hotel ausgebautes Kreuzfahrtschiff thront hoch über der Küstenlinie auf einem Hügel. Nun also zum zweiten Mal im Schiff übernachten… dieses Mal aber ohne das Vibrieren der Schiffsmotoren und das Schaukeln der Wellen.
Der Blick entlang der hell erleuchteten Küstenlinie ist spektakulär. Bin schon gespannt, wie sich uns die Küste bei Tageslicht präsentiert.
Tag 230 – 18.September
Jeongdongjin: bisher geradelt 18.018km; 907:38h im Sattel; 20 – 25 Grad, Sonne
Hotel
Die Nacht in unserer Dreierkabine war um einiges erholsamer, als der Schlafsaal auf der Fähre. Vom Balkon aus genießt man einen herrlichen Blick über den Strand, der etwas verwaist tief unter dem Schiff liegt. Es hat den Anschein, als ob wir uns ziemlich in der Nebensaison befinden. Es sind nur wenige Gäste auf dem Schiff und auch im Ort trifft man kaum auf Urlauber obwohl alles darauf ausgelegt ist, einer großen Anzahl von Urlaubern herrzuwerden.
Das traditionell Koreanische Frühstück ist ganz nach meinem Geschmack. Suppe, Schweinefleisch, Bohnen, Fisch, Gemüse – alles mit einer dezenten Schärfe versehen. Ein perfekter Start in den Tag, immerhin beginnt ja jetzt mein “Urlaub” in Südkorea. Bin schon gespannt, ob mir in ein paar Tagen das Radfahren schon abgehen wird. Die zur Verfügung stehenden Transportmittel sind ab sofort Zug, Bus und Taxi. Schon zu Beginn zeigt sich, dass man ohne Fahrrad viel mehr planen muss. Die Abfahrtszeiten der Züge müssen erfragt werden, die Buslinie nach Ganguenung muss gefunden werden und all das ist mit viel Warten verbunden. Bisher hatte ich immer Dinge auf dem Weg besichtigt, nur selten bin ich gezielt zu Sehenswürdigkeiten geradelt. Wenn man jetzt etwas sehen will, sollte man sich im Vorfeld Gedanken machen, da sonst der Tag einfach verstreicht.
Wir entschließen uns, den nahegelegenen Unification Park aufzusuchen, doch übersehen wir, rechtzeitig den Halteknopf zu drücken und so gehts gleich weiter nach Ganguenung. Gut zwei Stunden bleiben uns, bis wieder ein Bus zurückfährt und so schlendern wir gemütlich über den zentral gelegenen Markt. Ich bin überrascht, wie gepflegt das gesamte Marktareal ist. Hauptsächlich alte Frauen präsentieren eine kleine Auswahl an Gemüse, Obst, Fischen und Algen. Dem feinen Geruchssinn von Gregors Nase folgend landen wir schließlich in einer Seitengasse in der Ochsenköpfe zu Suppe ausgekocht werden. Offenbar eine lokale Spezialität – Ochsenkopfsuppe. Ich kann praktisch nahtlos an die kulinarische Reise, die für mich in China begonnen hatte, anschließen. Die Koreanische Küche unterscheidet sich durchaus von der Chinesischen, liegt im Geschmack aber – zumindest für den ersten Eindruck – gleichauf. Auf dem Markt gibts unzählige Kleinigkeiten zum probieren, die Neugierde ist größer als das Sättigungsgefühl, doch irgendwann ist dann doch der Punkt erreicht, an dem einfach nichts mehr geht. Eigentlich schade, aber Ich denke, in den vor mir liegenden Wochen kann ich mich auch in Korea kulinarisch verwöhnen können.
Bestens gesättigt treten wir Nachmittags den Rückweg an, drücken dieses Mal im rechten Moment den Halteknopf und machen uns im Unification Park ein Bild über die Grenzbeziehungen von Nord- und Südkorea. Mitte der 1990er Jahre war ein Nordkoreanisches U-Boot an dieser Stelle auf Grund gelaufen. Wenn man den Ausführungen glauben schenken will, so wurde damals Seitens Nordkorea eine Invasion vorbereitet und das U-Boot sollte die Situation vor Ort ausforschen. So ganz überzeugend wirkt die Geschichte aber irgendwie nicht. Ein derart schlecht ausgestattetes U-Boot soll der Startpunkt einer Invasion Südkoreas sein? Es wirkt vielmehr so, als ob sich das Boot schlichtweg verirrte und unglücklicherweise auf Grund gelaufen war. Was wirklich hinter der gesamten Geschichte steckt wird man wohl nie so wirklich erfahren können.
Die Südkoreanische Küste ist militärisch bestens gesichert, ob schon immer, oder erst seit Ende der 90er entzieht sich meiner Kenntnis. Auf alle Fälle verläuft nun entlang der Küstenlinie ein Stacheldrahtzaun, der in regelmäßigen Abständen von Grenzsoldaten bewacht wird. Den ganzen Tag auf Meer hinausschauen muss auf Dauer auch ziemlich mühsam sein. Ans Meer kann man daher aber auch nur an ausgesuchten Orten. Momentan ist es zum Baden aber eh schon zu kühl. Der Herbst ist auch hier bereits deutlich spürbar. Sobald die Sonne verschwunden ist, sinkt die Temperatur empfindlich ab.
In unserer Kabine besprechen wir die Pläne für die kommenden Tage und beschließen den morgigen Tag recht zeitig zu starten um nicht durch das viele Warten auf die Züge einen ganzen Tag zu verlieren. Die Vier hatten sich bereits in Wien Gedanken zu einer möglichen Route durch Südkorea gemacht, doch im Detail wurde noch nichts fixiert. Bis zum 27. September werden wir nun mit dem Zug durchs Land fahren und versuchen, uns ein Bild von Südkorea zu machen.
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