Tag 243 – 01.Oktober

Seoul – Chuncheon: 125km; 6:07h im Sattel; 19 – 23 Grad, wechselhaft
Camping

Auf den Tag genau vor acht Monaten bin ich ohne wirklich zu wissen, was mich erwartet in Wien aufgebrochen und Tag für Tag ein kleines Stück weiter ostwärts geradelt, um irgendwann in ferner Zukunft in Wladiwostok anzukommen. Nun ist das ursprüngliche Ziel schon zum Greifen nahe, nur noch ein paar Tage bis die Fähre nach Russland ablegt. Die Heimreise kann beginnen. Fast auf den Tag genau hat sich nun auch der Sommer verabschiedet. Der kräftige Wind heute Nacht sorgte für eine recht kühle Luft am Morgen. So wirklich war scheint es jetzt nicht mehr zu werden. Das Laub raschelt und die Eicheln knacken unter den Reifen – der Herbst ist da.
Ein gutes Gefühl nach zwei Wochen Stillstand jetzt endlich wieder auf dem Rad zu sitzen. Auf den ersten Kilometern fühle ich mich noch ein wenig eingerostet, doch mit der Zeit kommt der gewohnte Rhythmus wieder zurück – erstaunlich, dass 13 Tage ohne Rad sich gleich derart bemerkbar machen. Lee begleitet mich noch ein Stück des Weges. Nach ein paar Minuten sind wir schon am Hanggang River angekommen, an dessen beiden Ufern ein spitzenmäßig ausgebauter Radweg verläuft. Obwohl es heute mitten unter der Woche ist herrscht stellenweise Stoßverkehr am Fahrradweg. In Südkorea scheint Fahrradfahren Volkssport zu sein. Von der Regierung wird das Radfahren auch stark unterstützt. Es gibt beispielsweise eigene Zertifikate für das erfolgreiche Absolvieren eines der vier Fluss-Radwege. Dazu gibt es einen speziellen Fahrradpass der bei Kontrollstellen abgestempelt wird und nachdem alle Stempel im Pass sind kann man diesen einschicken und erhält eine Medaille samt Urkunde zurück. Offenbar hinterlässt das Zertifikat auch bei Bewerbungsgesprächen einen recht guten Eindruck. Neuerdings gibt es sogar schon einen Schwarzmarkt für die Fahrradpässe, damit man das Zertifikat auch ohne körperlichen Einsatz bekommt…
Der Hanggang River Fahrradweg führt von Seoul bis nach Busan und gehört sicher zu den beliebtesten Strecken. Die ersten vierzig Kilometer folge ich auch noch diesem Radweg, biege dann aber auf den Bukhangang River Radweg ein der mich ein wenig weiter in den Norden führt. Die heutige Strecke verläuft erwartungsgemäß hauptsächlich flach neben dem Fluss doch zu meiner großen Überraschung auch relativ weit entfernt von der Straße. Vom Autoverkehr bekomme ich den ganzen Tag über fast gar nichts mit. Der Radweg verläuft meist entlang eines Flusslaufes, oder auf einer stillgelegten Bahnstrecke, ist vorbildlich ausgeschildert und bestens an die Infrastruktur angeschlossen. Die alten Eisenbahntunnels sind weiß gestrichen, hell beleuchtet und in manchen wird man sogar mit klassischer Musik beschallt. Alle paar Kilometer kommt man an einer Toilette vorbei, es gibt Fahrradlläden entlang der Strecke und mehr als genug Einkehrmöglichkeiten. Bei derart perfekten Bedingungen kein Wunder, dass so viele Radler unterwegs sind.
Nach etwa dreissig Kilometern ist die Stadtgrenze von Seoul erreicht und so langsam taucht man ein in die bis zum Horizont reichenden, dicht bewaldeten Hügelketten. Mit meinem vollbepackten Rad erwecke ich bei einigen Radlern besondere Aufmerksamkeit und werde immer wieder überschwänglich gegrüßt. Fast alle Radler, die mir begegnen sind maximal mit einem Rucksack ausgestattet. Für Tagesausflüge eignet sich die Strecke aber auch sehr gut, nachdem sie praktisch parallel zur Regionalbahn verläuft.
Ein paar Mal komme ich heute an patrolierenden Soldaten vorbei und am Straßenrand sieht man immer wieder auch Gefechtsstellungen, die scheinbar noch regelmäßig gepflegt werden. So ganz traut man dem momentanen Frieden mit Nordkorea offenbar doch nicht.
Oberschenkel und Sitzmuskulatur befinden sich heute offenbar noch in Ferienstimmung, sind etwas überfordert von der heutigen Beanspruchung und melden sich schon am frühen Nachmittag zu Wort. Trotzdem komme ich recht gut voran, genieße die ungewohnte Ruhe und die traumhaft schöne Landschaft. Seit einer gefühlten Ewigkeit gibt es endlich wieder klares Wasser zu sehen. Von den Brücken aus kann man sogar die Fische im Wasser erkennen. Die Natur scheint hier noch relativ in Ordnung zu sein. Seit ich Seoul verlassen habe ist mir auch noch keine einzige Industrieanlage aufgefallen.
Den ganzen Tag über hoffte ich irgendwo Obst, oder Gemüse kaufen zu können, aber bis auf die zahlreichen Mini-Märkte, die leider nichts dergleichen führen, gibt es scheinbar keine Einkaufsmöglichkeit. Das Abendessen fällt dementsprechend minimalistisch aus. Zuerst muss allerdings ein geeigneter Zeltplatz gefunden werden, was heute mal wieder keine sonderlich leicht Aufgabenstellung ist. Rechts der Fluss, entweder mit Steilufer, oder Schilfgürtel, links Felswände oder Siedlungen… In den offenbar erst kürzlich angelegten Parkanlagen ist Zelten ausdrücklich verboten, also heißt es Augen auf für ein Schlupfloch. Nach einiger Zeit sticht mir dann auch ein steil aufragender Trampelpfad ins Auge der augenscheinlich zu einigen Hügelgräbern hinaufführt. Der Friedhof gehört jetzt nicht unbedingt zu meinen Top-Destinationen, aber dafür ist man hier ungestört und kann sich über eine absolut ebene Fläche freuen, also nichts wie los. Ich schleppe mein Rad die steile Böschung empor und werde dafür mit einem Traumplatz, über dem Radweg thronend, mit Blick auf den angestauten See belohnt.
Die Fähre nach Wladiwostok legt in vier Tagen ab, laut Streckenplanung werde ich aber schon in zwei Tagen in Donghae sein, weshalb ich den ganzen Nachmittag schon darüber nachgedacht habe, meine Strecke vielleicht noch ein wenig zu adaptieren. Wenn möglich fahre ich vielleicht noch durch einen zweiten Nationalpark und streiche die Küstenstraße, immerhin habe ich die Strecke dort ja schon aus dem Zugfenster bewundern können. Bis morgen Abend habe ich noch Zeit, dann muss die Entscheidung gefällt werden – Berge, oder Meer…

 

Tag 245 – 02.Oktober

Chuncheon – Wontong: 86km; 4:26h im Sattel; 16 – 19 Grad, bedeckt / Regen
Motel

Heute Morgen wurde ich gleich einmal unsanft von einem kräftigen Windstoß geweckt und Sekunden später folgte ein wolkenbruchartiger Regen. Das Spektakel hielt nicht lange an, aber die Motivation für einen frühen Start in den Tag war erst einmal dahin. Bei wolkenverhangenem Himmel gings dann aber trotzdem weiter. Von den gestrigen Radlermassen war heute ganz und gar nichts mehr zu spüren. Ich war völlig alleine unterwegs und nahm die erste Bergetappe in Angriff. Im Gegensatz zu den Straßen in China geht man hier in Südkorea bei den Steigungen gleich aufs Ganze. Selten fiel die Steigung unter 6% und ich schleppte mich Kurve um Kurve nach oben. Die Strecke wird seit der Eröffnung der parallel verlaufenden Schnellstraße scheinbar für Bergrennen verwendet, zumindest sprechen die Bremsspuren vor und in den Kurven eine ziemlich eindeutige Sprache. Dank der neuen Schnellstraße begegnete mir während des gesamten Anstieges kein einziges Auto. In völliger Ruhe schraubte ich mich langsam in die Höhe. Ein wenig fühlte ich mich erinnert an die letzte Tagesetappe vor Peking, denn auch heute ging es durch eine beeindruckende Hügellandschaft, aber die Sicht war ziemlich eingeschränkt.
Als die Schnellstraße wieder auf die Bundesstraße traf war es vorbei mit der Ruhe. Durch den relativ schmalen Seitenstreifen war man wieder voll im Verkehrsfluss integriert. Gerade in den zahlreichen Tunnels wurde es ab und an dann aber schon fast ein wenig zu eng.
Die Präsenz von Militärfahrzeugen nahm heute im Laufe des Tages konstant zu. Für meinen Geschmack ist schon ein wenig zu viel Militär unterwegs. Gegen Mittag setzte dann erstmals wieder leicht zu regnen. Unter der Markise eines 7Eleven wartete ich den ersten Regenschauer ab und nutzte das vorhandene WLAN Netz gleich einmal um nachzulesen, ob sich eventuell Schwierigkeiten mit Nordkorea anbahnen. Es war aber nichts zu finden und so nahm ich dann beruhigt die zweite Bergetappe in Angriff. Das feuchtkalte Wetter zerrte ein wenig an meiner Motivation und auch konditionell war ich heute nicht gerade in Top-Form. Vom geplanten Etappenziel war ich noch weit entfernt, doch nachdem ich ohnehin einen Tag Luft in der Planung habe störte das nicht groß. Am Gipfel angekommen setzte dann der Regen auch wieder ein und dieses Mal blieb es nicht bei einem kurzen Schauer. Die Entscheidung war schnell getroffen, dass ich heute Abend ein Motel aufsuchen werde. Ein leichtes Kratzen im Hals und völlig durchnässte Klamotten waren nicht gerade die besten Vorraussetzungen für eine Nacht im nassen Zelt.
Wontong ist zwar nur ein kleiner Ort, doch die Zimmerpreise hier sind gesalzen. Ich klapperte einige Motels ab, bis ich schlussendlich ein Zimmer in meiner Preisvorstellung fand. Glücklicherweise gab es genug Motels zur Auswahl. Preisverhandlungen sind im Gegensatz zu China überraschenderweise bei den wenigsten Motels möglich, doch zu guter Letzt konnte ich all meine feuchte Ausrüstung im Zimmer ausbreiten und mich selbst bei einer heißen Dusche wieder aufwärmen. Im Fernsehen reist Tom Cruise mit Cameron Diaz im Zug durch das verschneite Österreich und macht Salzburg unsicher – da kommen ja fast schon heimatliche Gefühle auf… Gar nicht so übel, einen verregneten Fahrradtag nach einer heißen Dusche auf der Heizdecke vor dem Fernseher zu beenden.

Tag 246 – 03.Oktober

Wontong – 8km vor Myeonggaeri: 76km; 4:40h im Sattel; 18 – 22 Grad, Sonnig
Camping

Um die regennassen Klamotten über Nacht in dem recht kühlen Zimmer trocken zu bekommen erinnerte ich mich an die Erzählung eines Radlerfreundes aus Wien. Wenn auch mit etwas Widerwillen schlüpfte ich wieder in die feuchten Klamotten und trocknete sie über Nacht am eigenen Körper. Der Trick funktionierte recht gut und so konnte ich die neue Tagesetappe immerhin mit trockenen Klamotten in Angriff nehmen. Von der Motelbesitzerin bekam ich am Morgen noch eine Dose Limonade in die Hand gedrückt und wurde überschwänglich verabschiedet. Ein bilderbuchartiger Herbsttag empfing mich heute. Die mich umgebenden dicht bewaldeten Hügelketten boten ein faszinierendes Szenario. Der Wald beginnt gerade sich zu verfärben, vor allem der Ahorn sticht mit seiner dunkelroten Färbung aus dem dichten Laubwald hervor. Anfangs gemächlich, dann wieder mit kräfteraubender Steigung ging es in Richtung Passhöhe des Seoraksan Nationalparks. Schon früh sah man die ersten steil aufragenden Felsformationen die aus dem dichten Wald emporragten. Immer wieder begegnete ich kleineren Gruppen, die sich gerade zum Klettern aufmachten und am Straßenrand noch einmal die Ausrüstung überprüften. Auch eine Handvoll Radfahrer begegnete mir heute. Die Bundesstraße die mitten durch den Nationalpark führt ist aber auch wirklich traumhaft zu befahren. Sie folgt konstant einem Flusslauf, der bei Wontong fast 100m und jetzt im Anstieg nur noch wenige Meter breit ist. Nach den Erlebnissen in China eine regelrechte Wohltat kristallklares Wasser zu sehen und weit und breit kein Müll. Eines muss man den Südkoreanern lassen, auch wenn es kaum Abfalleimer in diesem Land gibt sind die Städte, die Dörfer und auch die Straßenränder völlig frei von Abfall.
Ziemlich durchgeschwitzt, aber noch gut in Form komme ich kurz vor Mittag auf der Passhöhe an. Hier herrscht Hochbetrieb. Busweise werden die Wandertouristen angeliefert und sie strömen in Scharen in den Nationalpark. Auf der Infotafel kann man sich ein Bild über das Wegenetz des Seoraksan Nationalparks machen. Zweifelsohne könnte man hier wohl Tage beim Wandern und Klettern verbringen. Ich begnüge mich mit einem kurzen Aufstieg um auch ins Tal hinuntersehen zu können von dem ich gerade gekommen bin und erfreue mich ansonsten am grandiosen Ausblick. Zinnenartig ragen gewaltige Sandsteinformationen in die Höhe und bis zum Horizont sieht man nichts als dichten Wald.
Rasant und ewig lange gehts dann wieder hinab. Von knapp 950m hinunter auf 70m. Das Meer kann man in der Ferne bereits erkennen, ich biege allerdings Richtung Süden ab um dem Odaesan Nationalpark noch einen Besuch abzustatten. Dazu gehts zwar noch einmal auf 1000m hinauf, aber die faszinierende Hügellandschaft hat mich in ihren Bann gezogen.
Nach zwei Tagen auf dem Rad muss ich mein Bild von Korea bereits ein wenig revidieren. Vom Zug aus hatte ich den Eindruck, die ländlichen Regionen würden nur aus Reisfeldern bestehen. Auch die Dörfer schienen vom Zug aus stets recht groß. In der Gegend in der ich die letzten Tage unterwegs war wird nur sehr wenig Reis angebaut, hauptsächlich findet man Peperoni auf den Feldern. Bis auf ein paar wenige größere Siedlungen ist die Gegend allerdings äusserst spärlich besiedelt. Die wenigen Dörfer durch die ich heute komme zählen nur ein paar Häuser und von den ansonsten omnipräsenten Mini-Märkten ist hier in der Gegend nichts zu sehen. Zum Mittagessen stolpere ich in ein Lokal, das seine Glanzzeiten schon lange hinter sich hat und nun offenbar als eine Art Mensa für die Dorfbewohner funktioniert. Die Wirtin freut sich sehr über meinen Besuch und füllt reichlich Seetang nach, spendiert ein paar Apfelspalten und Kaffee, der interessanterweise von einem Münzapparat kommt, aber stets mit derselben Münze bedient wird…
Es herrscht kaum Verkehr auf der B56 demnach verwundert es auch ein wenig, dass hier gerade eine neue Schnellstraße errichtet wird. Für mich gehts aber in himmlischer Ruhe immer tiefer hinein in die dichten Wälder. Als der eigentliche Anstieg vor mir steht, kann man den Straßenverlauf beim besten Willen nicht erkennen. Irgendwo weit oben am Berg kann man ein Stück Straße ausmachen, aber wie man dorthin gelangen soll ist mir anfangs noch schleierhaft. Erst mal noch eine kurze Schokoladenpause und dann kräftig in die Pedale getreten. Wieder einmal geht es steil hinauf und das Ziel ist nicht wirklich auszumachen. Einzig der Höhenmesser lässt mich erahnen, wo in etwa ich bin. Nachdem hinter dem Bergrücken bereits verdächtig dunkle Regenwolken hängen, beschließe ich entgegen meinem ursprünglichen Plan die Gipfelankunft auf morgen zu verschieben. Neben einem Baucontainer der zu einer Art Kontrollstelle ausgebaut wurde finde ich auch einen perfekten Platz für mein Zelt. Einige Male hatte ich den Container umkreist, um vielleicht doch irgendwo den versteckten Schlüssel zu finden, aber leider ohne Erfolg. Die Entscheidung, das Zelt weit früher als sonst aufzuschlagen stellte sich als goldrichtig heraus. Schon nach kurzem zog dichter Nebel auf und die Temperatur fiel beträchtlich ab. Jaja, der Herbst ist da… Jetzt bleibt mir nur zu hoffen, dass es für heute Nacht beim dichten Nebel bleibt und ich vom Regen noch verschont bleibe.

Tag 247 – 04.Oktober

10km vor Myeonggaeri – Jeongdongjin: 133km; 6:27h im Sattel; 9 – 16 Grad, bedeckt / Nieselregen
Camping

Der Wettergott meinte es heute nicht wirklich gut mit mir. Nachdem es Nachts bereits mehrfach geregnet hatte, begann es Punkt 7 Uhr erneut zu regnen. Mit ein bisschen Geduld konnte ich zumindest diesen Schauer noch abwarten. Die Sicht zurück ins Tal war frei, einzig am Gipfel hingen die dunklen Wolken fest. Nachdem es für mich heute fast den ganzen Tag durch die dem Meer vorgelagerte Gebirgskette geht, rechnete ich bereits am Morgen mit einem eher ungemütlichen Tag.
Die Passhöhe war schnell erreicht und die paar Kilometer bis zum Nationalparkhaus ließ ich es gemütlich rollen. Bei den recht kühlen Temperaturen heute wurde es direkt ein wenig kühl an den Ohren. Leider blieb die Schranke zum Odaesan Nationalpark für mich verschlossen. Vor ein paar Jahren hatte die Nationalparkverwaltung beschlossen, den Park nur noch für Fußgänger zugänglich zu machen. Offenbar hatte sich eine Gruppe Russen mit ihren Motorrädern danebenbenommen, sodass nun streng darauf geachtet wird, dass nur noch Wanderer in den Park kommen. Zum Glück hatte ich schon einen Plan B in der Hinterhand und setzte meinen Weg auf der B56 fort. Die Strecke über die Bundesstraße ist zwar mehr als doppelt so lange, doch zeitlich sollte es keinen großen Unterschied machen. Etwas demotiviert ging es jetzt also erst einmal wieder bergab, aber die anfängliche Verärgerung war schnell verflogen und ich genoss die Wälder um mich herum. Die bunten Laubbäume wurden nach und nach immer weniger da der Wald nun von Nadelbäumen dominiert wird. Der bedeckte Himmel ließ aber auch die verbliebenen Laubbäume kaum noch leuchten. Über der gesamten Landschaft lag ein gräulicher Schleier. Ich rechnete eigentlich jeden Moment damit, dass es gleich wieder zu regnen beginnen würde, doch zum Glück blieb es vorerst trocken.
Auf den Feldern herrschte heute Hochbetrieb. Für Kraut, Kohl, Rettich, Zwiebel, Kartoffel, Salat und Peperoni ist jetzt Erntezeit. Meist wird das Gemüse gleich vor Ort fein säuberlich in Kisten gepackt und anschließend auf die am Straßenrand geparkten LKWs geladen. Der Boden scheint hier in der Gegend sehr sandig zu sein, offenbar ideal für vielerlei Gemüse. Reisfelder begegneten mir heute den ganzen Tag über keine.
Kurz vor Mittag musste ich den größten Anstieg für heute bezwingen. Schon die vielen Kehren auf der Karte ließen mich erahnen, dass es ziemlich steil werden würde und ich sollte recht behalten. Pünktlich zum Gipfelsturm ließ sich dann auch noch die Sonne kurz blicken, doch das sollte ihr einziger Auftritt für diesen Tag gewesen sein. Bei der Abfahrt blies mir ein frostiger Wind um die Nase und ich war froh, wieder im Tal angekommen zu sein. Für die kurze Hose sind Temperaturen um 12 Grad doch ein wenig frisch…
In einem immer wiederkehrenden Auf und Ab ging es den ganzen Tag über in Richtung Meer. Der immer sporadisch immer wiederkehrende Nieselregen schlug sich schon ein wenig auf die Stimmung, aber damit muss ich mich wohl auf der Heimreise öfter arrangieren. Als der letzte Anstieg bewältigt war, eröffnete sich mir ein grandioser Blick über Gangneung und das angrenzende Meer. Von hier aus ging es nur noch bergab. Eine herrliche Abfahrt stand bevor und mit jedem Meter den es bergab ging, wurde es auch wieder wärmer. Ab jetzt betrete ich mehr oder weniger bekanntes Terrain. Die Rundreise mit Rhea, Gregor, Stefan und Reinhard hatte auch in Gangneung begonnen und um die Geschichte sich wirklich wiederholen zu lassen steuerte ich gleich noch Jeongdongjin an. Um Punkt 16:30 Uhr gab es dann direkten Sichtkontakt mit dem Meer. Aber schon einige Meter vorher konnte ich das Salzwasser bereits in der Luft schmecken. Durch das schlechte Wetter war das Meer alles andere als ruhig und die Gischt der Brandung erreichte beinahe die Uferstraße.
Zielstrebig steuerte ich den Strand zu Füßen der MS Suncruise, unseres damaligen Hotels an und fand auch gleich einen perfekten Platz für mein völlig durchnässtes Zelt. Es war noch Zeit genug im örtlichen Mini-Markt einzukaufen und das Zelt auftrocknen zu lassen bevor es langsam dunkel wurde. Am Horizont konnte man wieder den hellen Lichtschein der Fischkutter erkennen, die mit ihren Hochleistungsscheinwerfern Fische anlocken.
Einen besseren Abschluss für meine Koreadurchquerung hätte ich wohl nicht finden können. Beim Rauschen der Wellen waren die Gänsehaut, der Nieselregen und die kalten Ohren schnell vergessen, der Daunenschlafsack sorgte fürs Wohnzimmerklima und mit dem Blick aufs Meer kann kein Fernseher der Welt mithalten.

Tag 248 – 05.Oktober

Jeondongjin – Donghae Hafen: 34km; 1:37h im Sattel; 19 – 23 Grad, sonnig
Fähre

Das Meer hatte sich über Nacht ein wenig beruhigt und als ich aus dem Zelt blickte war keine Wolke am Himmel zu erkennen. Das Zelt war aufgetrocknet und ich hatte alle Zeit der Welt um mir noch ein ausgedehntes Frühstück am Strand zu gönnen. Man glaubt es nicht, aber selbst hier am Strand, weit abseits vom eigentlichen Ort, gab es noch ein WLAN Signal. Die Netzabdeckung für freies Internet ist hier in Südkorea wirklich unglaublich.
Gut 30km waren noch zu absolvieren. Meistens ging es direkt am Meer entlang, stets begleitet von Stacheldrahtzaun und Wachtürmen, die ab und an auch nur mit verkleideten Puppen besetzt waren. Ganz so ernst nimmt man die Grenzsicherung offenbar doch nicht mehr. Auf mich wirkt die Mischung aber immer noch ein wenig befremdlich, wenn einerseits eine idyllische Strandatmosphäre beworben wird und andererseits im Hintergrund die Soldaten patrouillieren. Aufgrund der doch schon etwas kühleren Temperaturen war am Strand aber generell wenig los. Bis auf ein paar unerschrockene Surfer, die ihr Glück in den Wellen versuchten sah man niemanden im Wasser.
Auf dem Weg nach Donghae überholte ich noch drei heimische Reiseradler, die schwer bepackt in Richtung Busan unterwegs waren. Deutschland war allen dreien ein Begriff, nachdem sie fast ihre gesamte Radausrüstung von deutschen Herstellern bezogen haben. Die Südkoreanische Reiseradlerkommunity schwört auf Ortlieb und natürlich ist es auch ein bisschen eine Prestige-Frage, dass man sich deutsche Ausrüstung leisten kann. Lee hatte mich diesbezüglich in Seoul schon aufgeklärt, dass die Südkoreaner generell sehr darauf bedacht sind zu zeigen, was sie sich leisten können. Darüber hinaus folgen sie gerne geschlossen den neuesten Trends. Demnach erklärt sich auch das überall im Land anzutreffende Phänomen der Outdoorbekleidung. Der Großteil der Klamotten ist nämlich erstaunlich kostspielig, wird aber offenbar auch gerade deshalb gerne getragen.
Bevor ich kurz vor Mittag in Donghae ankomme geht es noch durch ein paar kleine Fischerdörfer. Gespenstisch anmutenden Tiefseefische werden auf der Straße ausgenommen und verschiedene kleinere Fische, Rochen oder Tintenfische zum Trocknen in der Sonne aufgespannt. Getrockneter Fisch scheint hier eine lokale Spezialität zu sein. Je näher man Donghae kommt, desto mehr Fische sieht man in der Sonne baumeln. Gerade die großen Rochen erinnern im getrockneten Zustand schon sehr an Wesen von Science Fiction Filmen.
Bis ich den richtigen Hafen gefunden habe muss ich mich noch ein wenig durchfragen, doch dann läuft alles reibungslos. Die Eastern Dream liegt schon vor Anker und nachdem ich mein vorreserviertes Ticket gekauft habe geht es auch schon kurz danach an Board. Ein paar Koreaner und Russen sind ebenfalls mit dem Rad in Richtung Wladiwostok unterwegs. Die Fähre Eastern Dream verkehrt von Japan aus über Korea nach Russland. Auf Fahrradreisende ist man schon eingestellt und verrechnet auch gleich eine zusätzliche Gebühr für das Rad. Dafür ist das Bordpersonal im Gegensatz zu China aber auch beim Transport von Rad und Gepäck ins Schiff behilflich. Generell hat man hier mehr den Eindruck auf einem Schiff, als auf einer Fähre zu sein. Es gibt Duschen und sogar ein japanisches Bad an Bord. Letzteres ist aber leider für die Überfahrt nach Russland ausser Betrieb.
Es ist schon erstaunlich, plötzlich ist man wieder von völlig anderen Gesichtern umgeben. Ich habe den Eindruck nun endgültig Abschied von Asien zu nehmen. Hauptsächlich Russen sind auf dem Schiff, aber auch ein paar Franzosen und Engländer die von Japan aus auf dem Landweg in die Heimat reisen wollen. Noch herrscht spürbarer Wellengang und ich bin schon etwas besorgt ob der langen Überfahrt.
Pünktlich um 14 Uhr heißt es Leinen los für die Eastern Dream und wir nehmen Kurs Richtung Wladiwostok. Dort wollte ich ja die ganze Zeit über schon hin… Langsam verschwinden die hoch aufragenden Berge der Südkoreanischen Ostküste im Dunst und nach einiger Zeit sind wir nur noch von Wasser umgeben. Ein bisschen macht mir der Wellengang dann doch zu schaffen und ich beschließe den Rest des Tages und auch die Nacht auf Deck zu verbringen. Immerhin habe ich ja Matratze und Schlafsack ohnehin dabei. Nächster Stop – Wladiwostok. Dem Titel meines Blogs ist ja zu entnehmen, das dies der eigentliche Endpunkt der Reise ist. Aber wo ist schon ein Ende, wenn die Erde doch rund ist? Der ursprüngliche Endpunkt wird nun zur Zwischenstation der Heimreise. Einige Kilometer hiervon werden mit der Eisenbahn zurückgelegt werden, aber von Moskau aus gehts dann wieder mit dem Rad weiter. Noch ist das Abenteuer nicht vorüber. Ich freue mich schon auf Russland, auf die lange Zugfahrt und vor allem auf den Heimweg durch Russland, das Baltikum, Polen und Deutschland – es gibt noch viel zu erleben!