Tag 5
Kesckemét -Szeged; 88km; 4:30h im Sattel; -2 bis +2Grad, Sonne
Studentenwohnheim
Vom prognostizierten Wind war heute praktisch nichts zu spüren. Mit Sonnenschein, aber doch kühlen Temperaturen ging’s wieder mal los. Die heutige Tagesetappe war nicht sonderlich lang angesetzt. Ich hatte immer wieder mal überlegt, bis über die Grenze zu fahren, aber dann doch aus verschiedenen Gründen abgelehnt. Einerseits wollte ich meinen Nebenhöhlen ein bisschen Ruhe gönnen, andererseits hatte ich noch ziemlich viel Forint bei mir.
Und so pedallierte ich ganz gemütlich auf der Bundesstraße 5 in Richtung Szeged. Der Verkehr hatte nachgelassen. Je weiter weg man sich von Budapest entfernte, desto ruhiger wurde es. Dafür waren wieder mehr alte Menschen mit Fahrrädern unterwegs. Die ungläubigen Blicke ließen erahnen, dass es nicht für jeden verständlich ist, bei diesem Wetter mit allem Hab und Gut unterwegs zu sein. Ein kurzes Kopfnicken im Vorbeifahren und weiter gehts für mich.
Im Gegensatz zu Bayern, oder Österreich ist das Hinterland von Ungarn praktisch kaum zersiedelt. Im Abstand von ca. 30km finden sich konzentriert Orte, wo alles zu haben ist, dazwischen aber praktisch nichts als Felder und vielleicht ein paar verlassene Gasthäuser oder das eine oder andere Häuschen.
Kann sein, dass es an der Witterung liegt, aber ich habe das Gefühl, dass hier im Sommer auch nicht viel mehr los sein wird…
Die Stadtgrenze von Szeged hatte ich bereits um 14 Uhr erreicht. Aber, um nicht zu früh in der Stadt anzukommen, musste die erste Panne am Rad behoben werden. Das Kettenschloss hatte sich beim Losfahren an der Ampel gelöst. Da ein Glied durch das kräftige Antreten verbogen war, musste zum ersten Mal die Kombizange des Leathermans her.
Es geht ja nichts über Improvisationstalent… Ersatzglieder hätte es zwar gegeben, doch da war ich zu faul, die aus den Tiefen der Packtaschen hervorzuholen. Ausserdem weiß man ja nie, wann man die noch braucht. Auf den zweiten Anlauf klappte es dann auch. Bin gespannt, wie lange die Kette jetzt hält.
Die Tourist-Info vermittelte mich dann an ein Studentenwohnheim, wo ich für kaum ein Geld die Nacht in einem 4-Bett / 4-Couch Zimmer verbringen durfte.
Bett, Heizung, Dusche… Vielleicht ein bisschen mit Ost-charme überzogen. Für mich heute perfekt.
Der Vorteil, wenn man vor 4 Uhr ankommt ist, dass man sich noch ein bisschen im Ort umschauen kann. Das meiste blieb aber unbeabsichtigt, da ich ein örtliches Café sehr genau unter die Lupe nahm. Laut Trip-Advisor hab ich bis dahin aber ohnehin die größten Sehenswürdigkeiten gesehen.
Abends zum ersten Mal wirklich gut gegessen. Bisher handelte es sich primär um Nahrung… heute mal was für den Gaumen.
Morgen steht mal wieder eine 100+ Distanz an. Ich möchte bis zum Abend Novi Sad erreichen. Laut Wetterprognose soll es morgen regnen… ich hoffe mal nicht zu sehr. Eine Anlaufstelle in Novi Sad gibt es Dank Warmshowers bereits.
Tag 6
Szeged – Novi Sad; 139km; 6:40h im Sattel, 2-5 Grad, Regen / bewölkt
Warmshowers
Der starke Regen ist gottseidank ausgeblieben. Bis Mittag musste ich mich trotzdem durch eine kleine Regenfront pflügen. Nachdem ich bis zur Grenze an zwei Baustellen vorbeikam, war ich nach wenigen Kilometern bereits von oben bis unten voll mit Schlamm. Was solls, die Regenklamotten halten das ja aus…
Ich hatte mir einen putzig kleinen Grenzübergang nach Serbien ausgesucht. Nachdem die von mir gewählte Route auf meiner physischen Karte nicht einmal markiert war, musste ich mich diesmal ganz auf die offline Karte des Tablets verlassen. Diesmal hat auch alles wie nach Lehrbuch geklappt.
Jetzt also Serbien… Die Straßenschilder haben von grün auf gelb gewechselt, die Bezeichnungen sind gottseidank noch zweisprachig aufgezeichnet. Somit kann ich mich langsam an das neue Alphabet gewöhnen.
Auf nahezu allen Ungarischen Landstraßen, die ich befahren habe, gab es Verbotsschilder für Traktoren, Pferdefuhrwerke und Fahrräder. Ich habe auch weder Traktoren, noch Pferdefuhrwerke gesehen. Gefragt habe ich mich aber schon immer wieder, wo die Traktoren dann denn langfahren…
Direkt nach der Grenze biegt dann gleich – um das Klischee vom serbischen HInterland zu erfüllen – ein langsam dahintrottendes Pferdefuhrwerk von rechts ein. Das sollte nicht das letzte für heute gewesen sein.
Mag sein, dass das Wetter auch einen Teil dazu beigetragen hat, aber trotzdem war die heutige Etappe von Schmutz und Verwahrlosung gezeichnet. Interessant, dass in manchen Dörfern nur die Hauptstraße asphaltiert war und die Querstraßen nur vage unter einem schwarzen Teppich zu erahnen waren.
Geschäftiges Treiben in den Orten war wenig festzustellen. Ein Restaurant war in mehreren aufeinanderfolgenden Orten nicht aufzufinden. Einzig kleine Supermärkte und Vulkanisierer / Reifenhändler waren in jedem Ort vertreten. Für mich bisher noch ein Rätsel, wie das Geschäft mit Reifen aller Art so gut gehen kann, dass es im Ort sogar die Konkurrenz von bis zu vier Betrieben zulässt. Offensichtlich ist der Absatz aber gut.
Die Strecke bis Novi Sad war teilweise eine mentale Herausforderung. Kilometerlange Geraden mit keinerlei Anhaltspunkten im Landschaftsbild… Mir scheint, manchmal ist eben nicht der Weg das Ziel, sonder das Erreichen des Endpunktes. Der heutige Tag zählt sicher zu denen, die erst mit dem Erreichen der Stadt ihren Sinn erhalten haben.
Je näher man Novi Sad kam, desto stärker wurde auch wieder der Verkehr. Angenehm ist aber, dass im Vergleich zu Ungarn die Autos deutlich kleiner ausfallen. Dafür gibts auch wieder viel mehr alte Fahrzeuge. Feinstaubbelastung ist hier offensichtlich noch kein Thema gewesen. Ich war schockiert, als teilweise ganze Landstriche in deprimierendes Schwarz gehüllt wurden. Kilometerlang nur schwarzer Schnee… Wie es da wohl im Herbst mit dem Gemüse aussieht?
In Novi Sad heute meine erste Warmshowers – Erfahrung. Sasha, ein Elektrotechnikstudent nimmt mich dankenswerterweise für eine Nacht auf seiner Couch auf. Er ist selbst auch fahrradbegeistert und war in den letzten Jahren immer wieder zwecks Universitärer Partnerschaftspflege als Fahrraddelegation unterwegs. Letztes Jahr startete ja von Wien aus eine Gruppe nach Ankara. Im Sommer hatte ich davon in den Nachrichten gehört. Von Belgrad schwärmt er nicht gerade, ich denke aber trotzdem, dass ich in Belgrad einen Ruhetag einlege. Das Rad muss mal wieder überholt werden und die Knie brauchen auch mal wieder Pause.
Tag 7
Novi Sad – Belgrad; 94km; 4:45h im Sattel; 5-16 Grad; Nebel / Sonne;
Warmshowers
Bei dichtem Nebel und noch kühlen Temperaturen ging es in der Früh los zur letzten Etappe, bis zum Wochenziel. Es sollte eine toll Etappe werden. Nachdem der erste Hügel hinter der Stadt erklommen war, lichtete sich der Nebel und die Sonne kam zum Vorschein. Nach Tagen im flachen Hinterland standen heute zumindest zwei Anstiege an. Mühsam kletterte ich den schier endlos wirkenden Anstieg hinauf. Als Belohnung wartete auf mich dann aber eine ähnlich lange und traumhafte Abfahrt durch kleine Dörfer, abseits von der Bundesstraße. Für die heutige Etappe hatte ich mich wieder mit dem Euro Velo 6 versöhnt. Es war wirklich eine Wohltat, nachdem die letzten Tage die LKW nur mit Minimalabstand vorbeigebraust sind, hatte ich heute das Gefühl, die Straße ganz für mich alleine zu haben.
Guter Asphalt, kaum Gegenwind und dauerhaft Sonnenschein bei bis zu 16 Grad… So kanns jetzt immer weitergehen.
In den letzten Tagen hatte ich schon eine interne “Hitliste” an toten Tieren am Straßenrand angelegt. Diese führte bisher ein ausgewachsener Schäferhund an, dicht gefolgt von einem Waldkauz. Heute gab es aber noch eine Steigerung. Diesmal lag ein Schaf im Straßengraben und kurz danach gab der tauende Schnee einen jungen Fuchs wieder frei. Mir sind noch nie so viele tote Tiere begegnet, wie in den letzten 4 Tagen. Zu zählen habe ich bereits in Ungarn aufgehört.
Apropos Tiere… heute gab´s den ersten Kontakt mit einem streunenden Hund. Mehr oder weniger aus dem Nichts war er aufgetaucht und verfolgte mich wild kläffend einige Meter. Die meisten Radler sagen ja, man sollte stehenbleiben, dann hört das Kläffen auf, aber dazu fehlt mir noch die Routine. Bis jetzt heißt es für mich noch in die Pedale steigen… mal schauen, vielleicht werde ich da noch etwas entspannter.
Bereits um 15 Uhr war ich am Ziel angekommen. Aleksandar, mein Warmshowers – Gastgeber holte mich von der Donau ab und wir radelten ein wenig durch Novi-Beograd. Bei der Gelegenheit musste ich mir natürlich den Bauplatz von CFPOS anschauen. Ich hatte ja monatelang am Modell für das Projekt gearbeitet (Entwurf von Wolfgang Tschapeller Architektur). Bis auf eine Baugrube und eine etwas verlorene Bautafel war aber nichts zu sehen. Baubeginn für Phase 1 angeblich 2012. Aleksandar meinte, dass damals sehr motiviert begonnen wurde, nun aber schon sehr lange nichts mehr passiert ist.
Wir plauderten viel über Serbien, die aktuellen Entwicklungen und die Zeiten vor dem Krieg. Bei Aleksandar ist eine generelle Frustration nicht zu übersehen. Den Glauben an die Politik hat er schon seit langem verloren. Aktuell plant er, nach Malta zu ziehen. Immer wieder kommt das Gespräch auf die Zeit, als Jugoslawien noch existierte. Praktisch in jeder Situation wünscht er sich die Zeit wieder zurück. Wirtschaftlich, kulturell und politisch gab es seiner Ansicht nach seither nur noch Rückschritte. Mir wird klar, wie gut es uns eigentlich geht. Durch die Erfahrungen beim Zusammenbruch von Jugoslawien erwartet Aleksandar nahezu täglich den Kollaps von Europa. Seiner Meinung nach ist Krieg unausweichlich. Da zeigt sich meiner Meinung nach deutlich, wie unterschiedlich die Ansichten zur aktuellen Situation sein können. In Österreich, oder Deutschland ist auch an niemanden vorbeigegangen, dass es im Moment nicht so ideal läuft, aber an Krieg denkt hier eigentlich kaum jemand. Ein gewisses Restvertrauen in die politischen Entscheidungsträger besteht immer noch.
Hier in Serbien wurde die Bevölkerung aber schon so oft enttäuscht, dass von diesem Vertrauen praktisch nichts mehr übrig ist. Es ist schwer, Aleksandar davon zu überzeugen, dass es auch einen gewaltfreien Ausweg geben kann… Zu tief sitzt die Erfahrung des letzten Krieges.
Tag 8
Ruhetag! Belgrad; 9 Grad; Regen
Warmshowers
Aleksandar und Milica ( seine Freundin) nehmen regelmäßig Radler bei sich auf. Sie haben bereits aufgehört zu zählen, wie viele bei ihnen bereits untergekommen sind. Dadurch, dass seine Freundin aktuell pro Jahr nur etwa eine Woche Urlaub hat, können sie keine längeren Touren machen. Da sind die Erzählungen von Radlern aus aller Welt eine willkommene Alternative. Ich bin froh, so herzlich aufgenommen zu werden.
Nachdem für morgen Regen angesagt ist, beschließe ich die Generalreinigung des Rades noch zu verschieben. Die Kette muss ohnehin alle paar Tage geölt werden, da sie sonst zu quietschen anfängt.
Trotz leichtem Regen starte ich eine Erkundungstour nach Belgrad. Die ersten Meter ohne Gepäck sind völlig ungewohnt. Die Balance am Rad ist aber schnell wiedergefunden. Ich bin erstaunt, dass nach einer Woche im Sattel der Hintern noch keine Anstalten macht. Einzig die Knie machen sich leicht bemerkbar. Ich denke, das sollte sich aber nach dem Ruhetag auch wieder legen.
Ich überquere die Save über eine erst kürzlich gebaute Brücke, die nach Aussage von Aleksandar völlig überteuert ist. Er meint, wozu braucht man eine Brücke mit einem 200m hohen Pylon, die soviel kostet wie drei herkömmliche Brücken. Derartige Gespräche sind offensichtlich an der Tagesordnung. Der Einsatz von Finanzmitteln stößt sehr selten auf Zustimmung. Immerhin hat die Brücke einen eigenen Fußgänger und Radfahrerbereich. Vorbei am Belgrader Expo Gelände geht es in Richtung Stadt.
Radfahrer sind in Belgrad nicht stark vertreten. Nach Auskunft von Aleksandar hat sich das die letzten Jahre aber auch nicht sehr verändert. Es fahren entweder diejenigen mit dem Rad, die sich kein Auto leisten können, oder jene, die sich sportlich betätigen wollen. Novi-Beograd ist da eine Ausnahme, da der Stadtteil einerseits absolut eben ist, und andererseits von Beginn an Fuß- und Radwege geplant wurden. Belgrad dagegen ist sehr hügelig und verfügt nur über ca. 5km Radwege.
Etwas planlos schiebe ich mein Rad durch den Stadtkern von Belgrad. Tagelang habe ich das mehr als einfache Leben auf dem Land gesehen und jetzt wird wieder Pelz getragen und in teuren Boutiquen geschoppt. Dieser Wechsel ging mir heute fast etwas zu schnell.
Ich freue mich schon darauf, morgen wieder weiterzufahren. Als nächster Meilenstein steht nun das Eiserne Tor vor mir. Danach muss ich mich entscheiden, ob ich über Sofia nach Istanbul fahre, oder ob ich noch länger and er Donau bleibe. Der Weg über Sofia führt entlang des Transitkorridors und wird sicher sehr verkehrsreich. Der Weg an der Donau wird aber sehr eintönig werden… Ich bin selbst noch nicht sicher wohin es gehen wird.
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