Tag 24
Istanbul – Derince: 89km; 4:10h im Sattel; 8-10 Grad, Regen
Warmshowers
Nach drei Tagen in Istanbul war es Zeit, wieder aufs Rad zu steigen. Bis alles zur Abfahrt bereit war, verging heute relativ viel Zeit. Es gab aber auch keinen Grund zur Hektik. Kurz vor unserer Abfahrt erhielt ich noch eine überraschende Zusage für eine Übernachtungsmöglichkeit in Derince. Somit war das Etappenziel festgelegt.
Bei leichtem Regen und Temperaturen unter 10 Grad navigierten wir unsere Räder das Kopfsteinpflaster mit 18% Steigung hinab.
Die Überfahrt mit der Fähre hatten wir ja schon einen Tag zuvor “geübt”. Auch wenn in vielen Reiseforen viel über die potentielle Möglichkeit einer Überquerung des Bosporus über die Brücke diskutiert wird, fand ich die Überfahrt mit der Fähre einen sehr angenehmen Übergang von Europa nach Asien.
Der Regen hatte an Intensität zugenommen, trotzdem wuchs die Vorfreude auf die nächsten Kilometer mit jedem Meter, den wir dem Festland näher kamen.
Zu meinem Erstaunen konnten wir die ersten 20km auf einem Fahrradweg zurücklegen. Der Uferstraße folgend versuchten wir so lange als möglich uns von der D 100 fernzuhalten.
Nach einer kurzen Pause in Tuzla war es dann soweit. Wir mussten auf die D 100 einbiegen. Mit ohrenbetäubender Lautstärke sauste der Fernverkehr an uns vorbei. Doch noch zeigte sich die erste Tagesetappe gnädig. Nur wenige leichte Anstiege waren zu bewältigen. Ausreichend breite Seitenstreifen gaben ein Gefühl von Sicherheit. Für Martin eine perfekte Strecke zum Eingewöhnen in den türkischen Verkehr. Ich fühlte mich von Anfang an wieder sehr wohl in Mitten des Fernverkehrs.
Praktisch ohne es zu merken passierten wir Städte mit 100.000 bis 300.000 Einwohnern. Die Bebauung schien nicht aufzuhören. Zu unserer Rechten ankerten eine Vielzahl von Schiffen, die darauf warteten beladen zu werden. Ein wunderschönes Bild.
Nach knapp vier Stunden erreichten wir schließlich Derince und arrangierten ein Treffen mit unserem Gastgeber (seit Istanbul besitze ich nun eine türkische Mobilfunknummer).
Kurtulus begleitete uns zu seinem Haus, musste dann aber gleich wieder aufbrechen, weil er private Englischstunden geben musste. Nach einer wärmenden Dusche bereitete uns Kurtulus Vater ein köstliches Abendessen.
Das war die erste Gelegenheit, die bisher erworbenen Kenntnisse der Zeichensprache in die Praxis umzusetzen. Mein Türkisch beschränkt sich leider immer noch auf die Zahlen von 1-10, ein paar Grußformeln, einfaches Bestellen im Lokal und Bitte und Danke. Immerhin besitze ich seit Istanbul Dank Herbert und Eliane einen MP3 Sprachkurs für Türkisch , doch leider kam der MP3 Player bisher noch nicht zum Einsatz.
Kurtulus ist als Englischlehrer an der örtlichen Privatschule angestellt. Sehr gerne erklärte ich mich bereit, am folgenden Tag an seiner Schule mein Fahrradprojekt zu präsentieren. Nachdem wir einige Gläser selbstgemachten Raki genossen hatten, stellten wir gemeinsam eine kurze Powerpoint-Präsentation auf die Beine.
Somit ist für morgen wieder ein fahrradfreier Tag angesetzt. Eigentlich wollte ich zügig ans Schwarze Meer gelangen, doch so eine nette Gelegenheit kann ich nicht ungenutzt verstreichen lassen. Die Wettervorhersage für die kommenden Tage verspricht mehr Regen als Sonne. Einen Regentag auf dem Rad kann ich ohne große Probleme einsparen…
Tag 25
Derince: Fahrradfreier Tag; 6-8 Grad, Regen
Warmshowers
Obwohl die Nacht etwas kurz war, startete ich hochmotiviert in den Tag. Gemeinsam mit Kurtulus fuhren wir zu seiner Schule und wurden nahezu dem gesamten Kollegium vorgestellt. Während der ersten Unterrichtsstunde konnten wir noch im Lehrerzimmer gemütlich frühstücken, dann durfte ich zum ersten Mal meine Reise vor einer Gruppe von 20 interessierten Schülern präsentieren. Im Laufe des Tages folgten noch weitere vier Präsentationen in unterschiedlichen Klassen. Die Englischkenntnisse waren entsprechen unterschiedlich stark ausgeprägt, so reichten die Fragen der Schüler von meiner Lieblingsfarbe / Lieblingsband / Lieblingssportart bis zu grundsätzlichen Fragen, z.B. warum ich neun Monate mit dem Fahrrad unterwegs bin, wenn ich doch auch die selbe Zeit Computerspielen könnte…
Generell war das Interesse der Schüler aber sehr groß. Gespannt verfolgten sie den Vortrag. Die Unterrichtseinheiten sind mit 35 Minuten deutlich kürzer als in Deutschland, für meinen Vortrag aber ideal.
Für den Direktor der Schule übersetzte Kurtulus mehr oder weniger simultan, da der Direktor kein Englisch sprach. Die Bilder der PowerPointPräsentation erklärten sich aber im großen und ganzen von alleine…
Wir wurden sehr herzlich an der Schule aufgenommen. Sämtliche Englischlehrer zeigten größtes Interesse an unserem Vorhaben und die Schüler freuten sich auch über etwas Abwechslung im Schulalltag. Ausserdem gab es zur Mittagspause neue Gegner beim Tischtennis…
Gemeinsam mit Asta, einer Englischlehrerin aus Indonesien statteten wir dem Kindergarten ebenfalls einen kurzen Besuch ab. Stolz präsentierte uns Asta den Englischunterricht im Kindergarten. Sie ist seit 6 Monaten an der Schule und ist für die Schulung der Aussprache sämtlicher Englischklassen zuständig.
Der Schulleiter legt großen Wert darauf, dass die Kinder eine gute Englischausbildung erhalten. Dank Kurtulus kommen in unregelmäßigen Abständen immer wieder Reiseradler an seiner Schule vorbei und berichten über ihre Unternehmungen. Seit kurzem wird bereits darüber nachgedacht, direkt in der Schule eine Unterkunftsmöglichkeit für Reiseradler zu schaffen, sodass eine fixe Anlaufstelle geboten werden kann. Meiner Meinung nach eine hervorragende Idee, von der sowohl die Schule, als auch viele Radler profitieren können.
Abends begleiteten wir Kurtulus noch zu einer seiner privaten Englischstunden. Für viele Leute, mit denen ich bisher in der Türkei gesprochen habe ist es schwer nachvollziehbar, wie es möglich ist, eine derart lange Reise zu unternehmen. Soweit ich es einschätzen kann gibt es in der Türkei wenige Leute, die das Land verlassen. Trotzdem ist das Interesse meiner Reise gegenüber sehr groß.
Gestern hatten wir mit Kurtulus Bruder vereinbart, dass wir morgen an seiner Schule (er unterrichtet an einer staatlichen Schule) ebenfalls einen Vortrag halten werden. Heute habe ich erfahren, dass für morgen Proteste in den staatlichen Schulen angesetzt wurden und daher der Unterricht entfällt. Wir haben uns daher dazu entschlossen, die Reise morgen wieder fortzusetzen.
Ich bin immer noch überwältigt, wie herzlich wir hier in Derince aufgenommen wurden. Unser Gastgeber wirkte etwas enttäuscht, als wir ihm mitteilten, dass wir schon morgen wieder weiterreisen wollen. Mir fiel die Entscheidung auch nicht sehr leicht, da ich den heutigen Tag sehr genossen hatte, aber es muss weitergehen. Bis zum schwarzen Meer sind es noch ein gutes Stück. Um die Berge in Küstennähe zum umfahren versuchen wir, erst auf Höhe von Samsun ans Meer zu kommen. Trotzdem stehen uns einige Kletterpassagen bevor. Ich hoffe, dass der Regen bald nachlässt. Das Thermometer ist heute bereits unter 5 Grad gefallen…
12 Responses to Tag 24/25: Hallo Asien!
Wow, sehr schön! Die Fotos in der Schule und im Kindergarten sind toll! Bin sicher, dass das eine tolle Erfahrung war!
Willkommen in Asien!
Wo, Du schon mal da bist, wie wärs mit einem Abstecher nach Singapur? 😉
Lg und weiterhin gute Reise!
Katharina
PS: das Foto mit dem Direktor lässt fast darauf schließen, dass ihr gerade über den Weltfrieden verhandelt habt. 😉
oder sie haben grade das budget für die marslandung klar gemacht?! oder hat es etwas mit dem nobelpreis zu tun?!
ok. also bei lieblingsfarbe hab ich keine ahnung was du den schülern geantwortet hast.
lieblingsband würd ich sagen … metallica und deutsche marschmusik.
lieblingssportart: tischtennis oder kajak. eher kajak. radfahren zählt nicht. dass is bei dir eher berufung.
😉
Ich geb dir 7 von 10 punkten!
Lieber Daniel,
vielen Dank, für deine Disziplin, deine Sorgfalt, dein Schaffen. Dass Du dich nach deinen ganzen Eindrücken und Fußtritten gegen die Pedale noch an den Blog ranmachst. Dass du das Erlebte durch diesen Fleischwolf der Sprache drückst. Dass du dann so delikate Würste ohne Kraftmeierei oder Schnickschnack herausbekommst und die dann auch noch auf einem perfekt angerichteten Teller (dieses cms) anrichtest. Es ist fast so als ob man beim Lesen in jene schöne leichte Melancholie gerät, die einem plötzlich beim Reisen überfallen kann, und für die man meistens viele Kilometer hinunterspulen muss. Und ich sitze hier im Archiv…
Alles Liebe,
Jakob
Ps. Ich finde du passt so gut zu den Türken und die Türken zu Dir. Die haben etwas noch Bäuerliches, aber gleichzeitig Elegantes. Etwas Vernünftiges, aber doch Geheimnisvolles. Eine gewisse Stoik ihrer wandernden seldschukischen Vorfahren, die schon damals in einem Pragmatismus mündete. Z.B. Konstantinopel zu erobern oder eben nach Wladiwostok zu fahren. Problem yok!
zaxndi! Du hast mich gerade wieder ein bisschen weltoffener gemacht 😀
Na schau, das freut mich aber!
ich pack ihn nicht! nicht nur, dass er von der halben türkei mit essen und unterkunft versorgt wird, nein, auch englischstunden und der weltfrieden stehen am programm! kann man davon ausgehen, dass du die kinder beim wissensquiz gewinnen hast lassen, aber dafür beim tischtennis gezeigt hast, wo der sultan zu hause ist?! übrigens find ich das Ikea sackerl am gepäckträger deines mitstreiters genial 🙂
Beim Wissensquiz haben wir einmal ganz knapp gewonnen, beim zweiten aber haushoch verloren… Beim Tischtennis musste ich offensichtlich gegen den Besten der Klasse antreten. Da kam ich ganz schön ins Schwitzen. Aber zumindest machte ich da einen bessere Figur, als beim Tischfußball.
Hallo reinhard, mit dem Ikea”sackerl” sprichst du mir aus der Seele, ich hoffe nur, dass sich IKEA aufraffen kann und die Reise mit einem dicken Sponsorbetrag unterstützt!! Übrigens find ich das Wort “Sackerl” einfach wunderbar. Ein Beweis für die Vielfältigkeit der “deutschen” Sprache im österreichischen Sprachgebrauch. Erstmals ist mir das Wort bei einer Flugreise aufgefallen, als ich ein Speibsackerl (das stand wirklich auf der Tüte) vor mir im Sitz fand.
@Johanna: jaja, das gute alte fly niki speibsackerl 🙂 ich sprech mich hiermit dafür aus, dass das Ikea sackerl daniels flagge wird und am himalaya gehisst werden muss.
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