Tag 52 – 24.März

Tiflis – Djudjevan: 110km; 5:47h im Sattel; 14-21 Grad, sonnig
Camping

So, die Ruhetage in Tiflis sind nun zu Ende. Obwohl ich die letzen Tage sehr genossen hatte, freute ich mich schon wieder darauf, aufs Rad zu steigen und in Richtung Süden aufzubrechen. Mit einem gemütlichen Frühstück ließen Tyson, Hanne und ich unsere gemeinsame Zeit in Tiflis ausklingen. Ein paar Kilometer radelten wir noch gemeinsam, dann trennten sich unsere Wege. Die beiden fahren in Richtung Azerbaijan weiter und werden dann in Baku per Fähre übersetzen. Es fiel mir nicht leicht, mich von den beiden zu verabschieden, doch unsere gemeinsame Zeit ist nun zu Ende. Mag sein, vielleicht treffen wir auf dem Pamir Highway wieder zusammen. Zumindest haben wir ab Samarkant wieder dieselbe Route.
Die ersten Kilometer wieder völlig alleine… Ein etwas seltsames Gefühl. Beim Blick in den Rückspiegel war bis auf ein paar vereinzelte Autos nichts zu sehen. Der Blickreflex, den ich mir beim radeln mit Martin angeeignet hatte, wird mir wohl noch einige Zeit erhalten bleiben.
Nach ein paar Stunden fand ich dann langsam wieder in meinen Rhythmus zurück. Die vier Tage ohne Rad hatten dem Körper ganz gut getan, doch offenbar haben sich sowohl Sitzfleisch, als auch Beinmuskulatur auf eine längere Auszeit eingestellt. Auf meiner gesamten bisherigen Strecke hatte ich eigentlich kaum Probleme, doch jetzt machten sich schon auf den ersten Kilometern die Beine und der Hintern bemerkbar. Na ja, hilft nicht, da muss er sich eben wieder daran gewöhnen mein lieber Körper…
Die Strecke bis zur Grenze nach Armenien war mir ja schon bekannt. Vor 5 Tagen war ich exakt dieselbe Strecke geradelt. Diesmal war der Wind gottseidank nicht so stark, sodass ich bereits am frühen Nachmittag an der Grenze ankam. Kurz noch die letzten Lari in Obst und Schokolade investiert und dann zum zweiten Mal nach Armenien.
Nun schlug ich einen neuen Weg ein. Ich bog Richtung Noyemberian ab und sah mich gleich mal mit einem kräftezehrenden Anstieg konfrontiert. Über viele Kilometer schraubte sich die Straße von 400 auf 1200 Höhenmeter hinauf. Die Nachmittagssonne tat ihr Übriges dazu, dass der Schweiß in Strömen floss. Wie schon bei meinem letzten Besuch in Armenien wurde ich auch diesmal wieder von praktisch Jedem freundlich gegrüßt. In Haghtanak versuchten ein paar Kinder einige Meter mit mir mitzuradeln, blieben dann aber am nächsten Anstieg zurück. Überall freundliche Gesichter und aufmunternde Gesten aus den vorbeifahrenden Fahrzeugen. Die Straße war traumhaft ruhig und ziemlich gut in Schuss.
So langsam musste ich mir Gedanken machen, wo der heutige Schlafplatz aufgeschlagen wird. Bereits als ich aus Tiflis losfuhr war klar, dass die heutige Nacht im Zelt verbracht werden wird. In Noyemberian stockte ich meine Vorräte noch einmal auf und stellte mein Abendmenü zusammen. Pasta mit Tomatensauce – wie ausgefallen… und zum Nachtisch Mandarinen in der Dose. Die Mandarinen kamen wie so vieles in den Supermärkten aus Deutschland. Offiziell bis 2012 haltbar, doch in Armenien wird das nicht so eng gesehen. Ich machte mir da auch keine Sorgen, da Obst in Zuckerwasser durchaus einige Jahre halten sollte. Mir kommt vor, dass sowohl Georgien, als auch Armenien großzügig mit Lebensmitteln aus Deutschland versorgt werden, deren Mindesthaltbarkeitsdatum entweder schon verstrichen ist, oder in Kürze abläuft. Ein prüfender Blick ist da manchmal ganz sinnvoll.
Voll bepackt gings aus Noyemberian wieder weiter. Ein großer Anstieg stand noch vor mir. Der Plan war, am Gipfel nach einem passenden Platz zum Zelten zu suchen. Zumindest dachte ich, dass dort am wahrscheinlichsten eine ebene Fläche zum Zelten zu finden sei. Die Mühe hatte sich gelohnt. Nachdem ich mein Rad noch einige hundert Meter über einen Feldweg geschoben hatte, konnte ich das Zelt auf einer Anhöhe aufschlagen. Absolut ebene Fläche mit 360 Grad Blick bis tief ins Grenzgebiet zu Azerbaijan hinein. Die wenigen Kühe auf der Wiese machten sich gerade auf den Heimweg und so war ich ganz für mich alleine. Nicht einmal die Autos von der nahe gelegenen Straße waren zu hören.

Tag 53 – 25.März

Djudjevan – Dilijan: 91km; 4:57h im Sattel; 13-21 Grad, sonnig
Camping

Leider wurde ich heute nicht von der Morgensonne aus dem Zelt getrieben. Es dauerte einige Stunden, bis die Sonne die anfangs dichte Wolkendecke durchbrach. Trotz eines ausgedehnten Frühstücks trocknete das Zelt demnach nich vollständig auf. Die Kühe auf der Weide machten einen etwas verwunderten Eindruck, als ich mit meinem vollbepackten Rad an ihnen vorbeirollte. Ich hoffe auch zukünftig mal wieder auf derart idyllische Plätze zum Zelten zu stoßen.
Erst mal ging es die Höhenmeter, die ich mich gestern hinauf gequält hatte wieder hinunter. Abfahrten sind immer eine Freude, doch man betrachtet die ganze Angelegenheit mit anderen Augen, wenn man weiß, dass es gleich dieselbe Höhendifferenz wieder bergauf geht.
Anfangs verlief die Strecke nahe an der Grenze zu Azerbaijan. Der Grenzverlauf ist hier etwas kompliziert. Der Ort Voskepar gehört z.B. laut Karte zu Azerbaijan, liegt aber in Armenien. Dass es hier immer wieder zu Streitigkeiten gekommen ist, lässt sich auch gut an den vielen verlassenen Häusern am Straßenrand sehen. Vereinzelt sieht man Grenzsoldaten mit Ferngläsern auf den Dächern stehen. Feldwege mit meterhohen Erdwällen auf den Seiten stellen offenbar sicher, dass bei Bedarf Fahrzuge unerkannt passieren können. Ein etwas eigenartiges Gefühl kommt auf, wenn man diese Gegend durchquert. Ich bin leider nicht wirklich gut informiert, ob es aktuell noch Grenzstreitigkeiten gibt, oder nicht. Sehr deutlich ist aber, dass es sich hier um strittiges Gebiet handelt.
Nachdem ich völlig ausser Atem meine Anfangshöhe wieder erreicht habe, steht erneut eine rasante Abfahrt bevor. Nun geht es von 1250 auf gut 600m bergab. Im Hinterkopf die Tatsache, dass ich eigentlich noch über den Pass nach Sevan möchte und der liegt auf etwa 2200m.
Bevor die Abfahrt ganz hinter mir liegt, lege ich noch eine kurze Mittagspause ein und lasse bei der Gelegenheit Zelt und Schlafsack in der Sonne trocknen. Bei angenehmen 18 Grad und leichtem Wind klappt das hervorragend. Auf den letzten Kilometern ist mir kein einziges Restaurant begegnet. Im Hinterland scheint die Dichte an Lokalen deutlich abzunehmen. Am Straßenrand sieht man zwar viele Grillstellen, doch offenbar ist hier im Winter nichts los. Ein Glück, dass mein Essensvorrat noch lange nicht aufgegraucht ist.
Ab Gazagh geht es dann gemütlich am Fluss bergauf. Die Steigung ist erträglich und so lassen sich die Höhenmeter über die Distanz ganz gut absolvieren. So ganz habe ich in meinen Rhythmus noch nicht zurückgefunden. Die vielen Anstiege machen die Tagesetappe etwas unruhig. Mir fällt auf, dass ich heute immer wieder auf den Tacho schaue und die gefahrenen Kilometer überschlage, was sonst eigentlich eher selten vorkommt.
Kurz nach Ijevan sehe ich schon von Weitem Rauch aus einem Grill am Straßenrand aufsteigen. Kurzentschlossen bleibe ich stehen und erkundige mich, was auf dem Grill liegt. Fünf Burschen aus dem Ort haben sich hier getroffen und lassen sich frisch gefangenen Fisch grillen. Offenbar sieht man mir an, dass ich durchaus Lust auf gegrillten Fisch habe und ich werde großzügig zu ihrer Runde eingeladen. Neben dem köstlichen Fisch gibt es noch allerlei Kleinkram am Tisch. Aufstriche, Gemüse, Käse, Brot etc.
Die Verständigung ist etwas schwierig, da ich meinen Vokabel-Spickzettel in der Lenkertasche vergessen habe, doch auch so können die wichtigsten Fakten ausgetauscht werden. Einer der fünf freut sich ganz besonders, weil er auch Daniel heißt. Gemeinsam sind sie vor ein paar Jahren nach Deutschland gefahren, um sich dort zwei Autos zu kaufen. Auch in Armenien offenbar sehr üblich, sich in Deutschland mit Autos zu versorgen.
Als ich die 1,5l Colaflasche mit klarem Inhalt sehe, hatte ich schon etwas Sorge, dass es wieder mal ein sehr alkoholreicher Nachmittag werden würde, doch zu meiner Überraschung respektierten die fünf meinen Einwand, dass ich noch einige Kilometer vor mit habe und schenkten jedesmal nur sehr wenig nach. Zum Abschied wollte noch jeder eine kleine Runde mit dem Fahrrad drehen. Drei der fünf kamen gar nicht aufs Rad, und die anderen beiden hatten ziemliche Schwierigkeiten, das Rad gerade zu halten. Zu ihrer Verteidigung muss ich aber zugeben, dass das Gewicht am Rad durchaus Schwierigkeiten bei der Balance erzeugt und gerade die schwer bepackte Gepäcktasche hinten etwas Beweglichkeit beim Aufsteigen erfordert.
Für mich gings schließlich wieder weiter. Der Nachmittagsimbiss kam gerade zum rechten Zeitpunkt. Es standen aber noch einige Kilometer an. So langsam wurde mir klar, dass ich die Überquerung des Passes heute wohl nicht mehr schaffen werde. Wenn ich weiterfahre, muss ich das Zelt auf gut 2000m aufschlagen. Irgendwie wollte ich das vermeiden. Ich hatte gerade Dilijan passiert, da tauchte auf der rechten Seite ein Hotelkomplex auf. Ich zögerte kurz, bog dann aber doch ein und erkundigte mich nach einem Zimmer. Der Preis war so unvorstellbar hoch, dass für mich sofort feststand, noch einige Höhenmeter zu machen. Fast 45 EUR für ein Zimmer… da musste ich schon zweimal nachfragen, ob das auch stimmt. Das Hotelpersonal nahm es mir aber nicht übel, dass ich weiterzog. Und siehe da… nur wenige hundert Meter nach dem Hotel gab es bei der ersten Serpentine einen Feldweg, der mit einer Schranke abgesperrt war. Ich bog rasch ein und fand nach wenigen Metern einen fantastischen Platz direkt am Bach gelegen. Mein erster Zeltplatz am Wasser! Für morgen stehen zwar als Aufwachprogramm 500 Höhenmeter Serpentinenstraße bevor, aber dafür kann ich mich heute in aller Seelenruhe im Zelt breitmachen und dem Rauschen des Baches lauschen.
Noch gute 90km bis Yerevan… wenn alles gut läuft sollte ich wie geplant morgen bei Onik ankommen.

Tag 54 – 26.März

Dilijan – Yerevan: 102km; 4:56h im Sattel; 4-23 Grad, sonnig
Privater Gastgeber

Ich war froh, mein Nachtlager nur auf 1600m Seehöhe aufgeschlagen zu haben. Die Temperatur war Nachts gerade unter Null gefallen. Einige hundert Meter höher hätte sich wohl auch im Zeltinneren Eis niedergeschlagen.
Die Sonne spitze gerade hinter den Bäumen hervor, als das noch nasse Zelt in der Packtasche verschwand. Ich hatte mir vorgenommen, auf dem Gipfel das Zelt zum Trocknen aufzustellen.
Gut gestärkt und ausreichend erholt ging es nun an die Serpentinen. Den Dilijan-Tunnel wollte ich nicht befahren, also musste ich einen Umweg über die alte Serpentinenstraße nehmen. Die Straße war traumhaft. Während der ganzen Zeit begegnete mir kein einziges Fahrzeug. Ich dachte zuerst schon, dass die Straße im Nichts endet, doch dann tauchte plötzlich auf dem Gipfel ein kleines Dorf auf. Die Leute auf der Straße schauten mir ein wenig verwundert hinterher und gingen dann wieder ihrer Beschäftigung nach. Auf 2200m legte ich dann die wohlverdiente Gipfelrast ein. Der Ausblick auf den Sevan See war Belohnung genug. Um mich herum grasten ein Paar Kühe und ich genoss die absolute Ruhe.
Ab Sevan wurde die Straße wieder etwas breiter. In meiner Landkarte war die M4 als “Autobahn” eingezeichnet. Vom Verkehrsaufkommen lag sie aber weit hinter den türkischen Landstraßen. Gemütlich konnte man auf dem breiten Seitenstreifen dahinrollen.
Der Sevan See liegt auf 1900m. Jetzt im Frühling gibt es noch keinerlei Anzeichen auf Tourismus. Ich kann mir aber vorstellen, dass im Sommer durchaus einiges los ist. Eine Vielzahl von Hotels deutet zumindest darauf hin… Irgendwie eine eigenartige Szenerie, dieser riesige See auf fast 2000m umgeben von weiß leuchtenden Bergen. Zumindest die Temperaturen ließen den Sommer bereits erahnen.
Nach meiner gestrigen Erfahrung mit dem Straßengrill bog ich gleich wieder rechts ab, als ich etwa 30km vor Yerevan einen rauchenden Grill stehen sah. Diesmal durfte ich mir den Belag für den Grillspieß selber aussuchen. Mir war mal wieder nach Innereien. Dazu gabs Kirschlimonade und eine ausgedehnte “Unterhaltung” mit dem Besitzer des Ladens. Ich bin immer wieder froh, eine Landkarte dabei zu haben. So kann die bereits gefahrene Route und die geplante Route schön beschrieben werden.
Die letzten Kilometer bis nach Yerevan waren praktisch geschenkt. Yerevan liegt knapp über 1000m und ich befand mich noch auf 1800m. Nach den vielen Höhenmetern der letzten Tage mal eine willkommene Abwechslung.
Bereits um kurz vor fünf konnte ich dann bei Onik an der Haustüre läuten. Mein guter Alter Freund Aram hat mir den Kontakt von seinem Onkel in Yerevan weitergeleitet. Onik ist vor einigen Jahren nach Yerevan übersiedelt und lebt hier nun mit seiner Frau.
Nachdem mich die beiden sehr herzlich in ihrem geräumigen Haus aufgenommen haben (es gibt sogar ein eigenes Zimmer für Gäste), werde ich mir morgen einen fahrradfreien Tag gönnen und Yerevan ein wenig besichtigen.