…denn es könnte schlimmer kommen. Und ich lächelte und war froh und es kam schlimmer. -> zumindest für den Anfang
Tag 58 – 30.März
Sisian – Goris: 42km; 3:11h im Sattel; -5 – 0 Grad, Schneesturm
Hotel
Als ich heute Morgen aus dem Fenster blickte, fing es gerade an leicht zu regnen. Ich dachte mir, nicht schon wieder Regen… Na ja, erst mal in den Ort, die Essenvorräte aufstocken und eine Kleinigkeit frühstücken. Als ich gerade einen Shawarma verdrückte, fing es an in dicken Flocken zu schneien. Binnen weniger Minuten war die ganze Umgebung weiß. Ok, jetzt also Schnee… Alles schön und gut, doch dann kam wie aus dem Nichts plötzlich auch noch Wind auf. Egal, erst mal wieder zurück zur Hauptstraße. Die 7km waren dann aber bereits ein harter Kampf. Einerseits musste ich aufpassen, dass mich der starke Ostwind nicht vom Rad fegte und andererseits musste ich versuchen, die Straße zu finden. Es handelte sich um eine unbefestigte Straße mit – wie soll es auch anders sein – unzähligen Schlaglöchern. Im Schneckentempo ging es bergauf. Der Schnee setzte sich an den Schutzblechen fest und erschwerte zusätzlich das Vorankommen. Ich passierte eine der Hauptattraktionen von Sisian, so etwas ähnliches wie Stonehenge, aber dafür hatte ich in diesem Moment weiß Gott keine Augen. Auf der Hauptstraße angekommen suchte ich erst mal kurz Unterschlupf um mich vor dem Wind zu schützen. Zu meinem Glück befand sich genau an der Kreuzung ein kleiner Laden mit Gastraum. Erst mal wurde ich ziemlich verdutzt angeschaut, als ich total vereist in die Gaststube stolperte, doch dann bot man mir gleich einen Platz an und ich machte es mir gemütlich. Draußen tobte der Schneesturm mit ungehinderter Gewalt. Ich hatte immer wieder Sorge, dass das Dach der kleinen Hütte bald weggerissen wird. Ich gönnte mir ein kurzes Nickerchen und später noch ein vorzügliches Mittagessen… Die Zeit verging und die Lage wurde nicht wirklich besser. Der Schneefall hatte zwar nachgelassen, doch der Wind tobte weiterhin. Meine Strecke nach Goris verlief schnurgerade nach Osten, eben genau der Richtung aus welcher der Wind kam. Also noch ein wenig abwarten… Gegen 14 Uhr startete ich dann. Anfangs kam ich noch ganz gut voran. Der Wind hielt sich in Grenzen und stellenweise kämpfte sich die Sonne auch kurz durch. Doch immer wieder kam der Schneesturm zurück. Die Straßenverhältnisse waren alles andere als optimal. Mein einziges Glück war, dass der Schnee noch recht trocken war, sodass die Gangschaltung nicht einfror. Trotzdem musste ich immer wieder halten, um das angesammelte Eis von den Schutzblechen zu klopfen, da ich sonst gar nicht mehr vorangekommen wäre. Es ging bis auf 2200m hinauf. Was mich wirklich angetrieben hat, weiß ich selbst nicht. Es war grenzwertig, doch offenbar gab es noch einen Funken Hoffnung. Kurz bevor ich den höchsten Punkt erreicht hatte, bot mir ein freundlicher Autofahrer eine Mitfahrgelegenheit bis nach Goris an. Ich lehnte aber ab, da es nur noch gut 1 1/2h Fahrt waren.
Anfangs freute ich mich, dass es endlich bergab ging, doch bald stellte sich heraus, dass das Bergabfahren um keinen Deut besser ist. Aufgrund der Schnee- / Eisfahrbahn konnte ich nur im Schneckentempo fahren. Ständig musste man den Schlaglöchern ausweichen. Die Fingern wurden ziemlich kalt und es war gar nicht mehr so einfach, das Rad gerade zu halten.
Durchgefroren und ziemlich erledigt kam ich dann in Goris an. Nun war es auch mit meiner Gangschaltung geschehen. Ich konnte nur noch auf den vorderen drei Kränzen schalten, die Kassette war total eingefroren. Zu meinem Glück fand ich gleich ein sehr nettes Hotel. Die Besitzer nahmen mich überaus freundlich auf. Zu Beginn bekam ich gleich mal den Chefsessel vor dem Heizstrahler und dann durfte ich mein Zimmer beziehen. Abends wurde ich sogar noch zum Essen eingeladen. Die ganze Familie war versammelt, weil der Schwiegersohn Fisch gefangen hatte. Wie so oft floss Vodka in Strömen. Ich komme damit jetzt aber schon ganz gut klar. Mein persönlicher Trick ist es, bei jeder Runde das Glas nur halb auszutrinken, dann kommt man noch halbwegs nüchtern aus der Sache raus…
Der Wintereinbruch hat die Leute hier im Ort auch total unerwartet getroffen. Im ganzen Haus war es ziemlich kühl. Trotz Heizkörper stieg die Temperatur im Zimmer nicht über 12 Grad. Aber egal… erst mal erholen von den heutigen Strapazen. Für morgen ist wieder Schneefall angesagt. Na Bravo!
Eigentlich wollte ich ja noch eine Top-Sehenswürdigkeit mitnehmen. In Tatev steht ein sehr sehenswertes Kloster und ausserdem gibt es – laut Internet – die längste Seilbahn weltweit… Auf meiner Karte ist die Fortführung der Straße in Richtung Süden als unbefestigter Weg eingezeichnet. Trotzdem schlägt die Routenplanung diese Strecke vor. Bei diesen Wetterbedingungen ist mir die Sache aber zu riskant und ich bleibe auf der M2. Laut Karte geht die Straße bis zur iranischen Grenze. Google Maps zeigt aber, dass die Strecke mehrfach in das Territorium von Azerbaijan führt. Ich riskiere es trotzdem. Irgendwo müssen die iranischen LKWs ja auch herkommen. Und schlimmstenfalls stehe ich eben vor einem Grenzsoldaten, der mich hoffentlich weiterfahren lässt.
Tag 59 – 31.März
Giris – Kajaran: 95km; 6:30h im Sattel; -5 – 9 Grad, sonnig
Hotel
Der morgendliche Blick aus dem Fenster ließ mein Herz gleich mal höher schlagen… die Sonne spitzte durch und es schneite nicht. Ha, vielleicht habe ich ja doch noch Glück. Erst mal die Packtasche ein wenig erleichtern und großzügiges Frühstück im Zimmer. Als ich meine Sachen gepackt habe, besteht der Hotelbesitzer noch darauf, dass ich mit ihm kurz frühstücke. Na gut, warum nicht… ich habe eh einiges vor heute. Er gibt mir noch die besten Wünsche mit auf den Weg und dann gehts los. In der Stadt wird gerade damit begonnen, die Zugänge zu den Häusern vom Schnee zu befreien. Es hat gestern und über Nacht ca. 30cm geschneit. Die Straße ist – mehr oder weniger – frei. Erst einmal geht es eine gefühlte Ewigkeit bergab. Die Hände werden schon wieder kalt und auch so fröstelt es mich ein wenig. Ich bin heilfroh, dass ich meine Softshell Hose in Tiflis nicht nach Hause geschickt habe. Sie leistet mir heute hervorragende Dienste.
Immer wieder bleibe ich stehen, diesmal aber nicht, um das Rad von Schnee zu befreien, sondern um die Winterlandschaft zu genießen. Die Sonne beginnt gerade den Nebel zu vertreiben. Es herrscht eine atemberaubende Stille.
Auf 800m angekommen liegt immer noch ordentlich viel Schnee. Der Winter hat wirklich kräftig zurückgeschlagen. Doch jetzt muss ich mir für längere Zeit keine Sorgen mehr über kalte Fingern machen. Es geht jeden Höhenmeter wieder bergauf, den ich zuvor runtergerollt bin. Immer wieder kommen mir Reisebusse aus dem Iran entgegen. Die Straße muss also frei befahrbar sein. Es ist schon eigenartig, wie sehr man sich von Erfahrungsberichten aus dem Internet beeinflussen lässt. Obwohl ich immer wieder damit rechne, lassen sich nirgendwo Grenzsoldaten blicken. Offenbar sind die Grenzstreitigkeiten momentan beiseite gelegt.
Obwohl der Schweiß in Strömen fließt, radle ich in einer Glückseligkeit durch die prächtige Winterlandschaft. Gestern noch so unsagbar hart, zeigt sich der Winter heute von der besten Seite.
Seit ich damals mit Martin den “Umweg” über Armenien gemacht habe, grüble ich darüber nach, wie eigentlich hier mit dem Winterräumdienst umgegangen wird. Räumgeräte wie ich sie aus Deutschland kenne, habe ich noch nicht gesichtet. Doch dann klärt sich langsam alles auf. Erstens verwenden alle Leute hier noch Ketten für die Fahrzeuge und zweitens wird praktisch alles zum Schneeräumen verwendet, was eine Art Schaufel hat. So kann zumindest ein kleiner Korridor freigeräumt werden. Für mich aber erstaunlich, wie gut die Leute mit den Konditionen zurecht kommen. Gibt es in Deutschland bei unerwartetem Wintereinbruch stets Chaos und unzählige Unfälle, werden hier einfach die Ketten aufgezogen und v.a. langsam gefahren.
Je nach Sonnenstand springen die Temperaturen von deutlich unter Null auf gut über Null. Durch den Schneematsch auf der Straße vereist meine Kassette immer wieder. Auch das Schaltseil rührt sich irgendwann gar nicht mehr. Doch das ist alles binnen kürzester Zeit wieder behoben. Ich erinnere mich gut an den Reisebericht von Heike Pirngruber (http://www.pushbikegirl.com/), die im Winter 2013 exakt dieselbe Strecke in Armenien geradelt ist. Als ich den Eintrag damals noch in Wien gelesen habe, hätte ich mir im Traum nicht vorstellen können, dass ich fast in dieselbe Situation gerate. Für Heike war damals aber leider kein Weiterkommen mehr. Sie musste bis zur iranischen Grenze den Bus nehmen.
Nach einer scheinbar nicht enden wollenden Abfahrt erreiche ich endlich Kapan. Durchgefroren und ausgehungert lasse ich mich in einem gemütlichen Restaurant nieder. Hier kann ich nochmal Kräfte sammeln für den kommenden Anstieg. Ich möchte heute zumindest noch bis Kajaran kommen. Über den Pass schaffe ich es nicht mehr, doch von Kajaran aus sind es nur noch 700 Höhenmeter und dann geht es konstant bergab in Richtung iranischer Grenze. Es ist schon eigenartig, dass man die Mühen des Anstiegs praktisch immer im Moment des Ankommen am höchsten Punkt wieder vergisst. Offenbar werden da besondere Hormone ausgeschüttet, ansonsten kann ich mir nicht erklären, weshalb man sich immer wieder der Herausforderung des nächsten Anstiegs stellt.
Das Wetter hält gottseidank noch aus, sodass ich bei Sonnenschein den Anstieg in Angriff nehmen kann. Die Straße ist teilweise sogar schon wieder trocken. Die Räumgeräte hatten hier anscheinend etwas gewissenhafter gearbeitet. Auffallend ist auch, dass jetzt plötzlich mehr LKW Verkehr aus dem Iran zu sehen ist. Es wirkt so, als ob Kapan ein zentraler Anlaufpunkt für Fracht aus dem Iran ist. Zumindest war der Ort erstaunlich stark belebt. Bezüglich meiner Unterkunft heute Abend zerbreche ich mir während des schweißtreibenden Anstieges immer wieder den Kopf. Laut Internet handelt es sich bei Kajaran um eine – wie so oft – ehemalige Mienenstadt. Der Abbau hat aber schon vor geraumer Zeit ein Ende gefunden und so leben hier nur noch gut 8000 Menschen. Die Chance auf ein Hotel ist also relativ gering.
Die Freude ist dafür umso größer, als ich direkt an der M2 ein großes Hotel erblicke. Für heute ist es mir praktisch egal, was das Zimmer kostet. An Zelten ist heute nicht zu denken, die Temperaturen sind schon deutlich unter Null gefallen und ich bin bis auf die Haut nassgeschwitzt. Heute scheint aber mein Glückstag zu sein. Das Zimmer ist auf 28 Grad aufgeheizt und es gibt reichlich heißes Wasser.
Es sind nur noch 50km bis zur iranischen Grenze. Ich hoffe im Iran dann auch dem Winter zu entkommen.
Ich bin gespannt, was mich in den kommenden Wochen erwartet. Armenien hat mich schwer begeistert. Die Herzlichkeit der Leute, die aber keinesfalls aufdringlich sind. Auch wenn mir das ewige Auf und Ab jetzt schon ein wenig auf den Geist geht, hat mich die Naturkulisse in Armenien ständig zum Staunen gebracht. Auf den verspäteten Wintereinbruch hätte ich durchaus verzichten können, aber alles Übel hat auch seine guten Seiten. Immerhin konnte ich so noch ein wenig Winter Wonderland genießen.
3 Responses to Tag 58/59: Lächle und sei froh…
Hallo Daniel! Super Reisebericht und super Fotos, lese und gucke ich immer gern 🙂 Ich kriege wirklich einen Guster, selbst eine Radtour zu machen! Mit den Buben ist schon geplant mal zu Siko und danach nach Sandl zu fahren, aber ohne so viel Gepäck. Und bei wärmeren Temperaturen. Mit hochleistungs Strassenrennern, die quasi von selbst fahren Wenn es soweit ist, schicken wir dir auch einen kleinen Reisebericht 🙂 Viel Spass beim Radeln weiterhin und pass halt auf, dass es dich nicht einschneibt! Glg, Simon
Hi Daniel, starkes Stück! Bei dem Spruch aus der Überschrift muss ich immer an Großmutters Haus in Ebersberg denken. Dort hing genau dieser Spruch an der Toilettentüre. Als kleiner Bub hab ich nie verstanden, was der eigentlich bedeuten soll.
Ich wünsch dir weiterhin alles gute, kräftiges Sitzfleisch und hoffentlich wärmere Temperaturen.
Liebe Grüße, Janne
Eis im bart, die temperatur nicht zart, das rad nicht smart, macht den daniel hart. Ich lass das mal mit dem reimen 🙂 hardcore route! Unpackbar!
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