Tag 60 – 01.April

Kajaran – kurz vor Kharvana: 81km; 5:17h im Sattel; 5-19 Grad, Sonne
Camping

Nun bin ich exakt zwei Monate unterwegs. Am ersten Februar bin ich bei leicht winterlichen Bedingungen gestartet, nun steht mir heute eine tief winterliche Passüberquerung bevor. Mit einem derart intensiven Wintereinbruch hatte ich nicht gerechnet, aber auch der geht wieder vorüber. Es ist schon erstaunlich, wie weit man eigentlich in zwei Monaten auf dem Fahrrad kommt…
Als ich gestern Abend noch kurz im Ort war und meine letzten Dram im Supermarkt ausgegeben habe, konnte man auf der Straße kaum noch laufen, weil die tiefen Temperaturen diese in eine spiegelglatte Rutschpartie verwandelt haben. Mir bereitete das die ganze Nacht über leichte Kopfschmerzen. Nun stehe ich kurz davor, den letzten Pass vor der Grenze zu überqueren und jetzt Glatteis? Nun ja, zu meinem Glück hatte die Morgensonne bereits ziemlich viel Kraft und als ich gegen halb zehn aufs Rad stieg gab es nur noch im Ort ein paar vereinzelte Eisplatten. Der Rest der Straße war frei. Großes Aufatmen…
Die Temperatur war bereits nahe an der 10 Grad Marke. Bei strahlend blauem Himmel und keinem bisschen Wind ging es in Richtung Passhöhe. Es war ein traumhafter Anstieg. Der Schweiß floss zwar nur so in Strömen, doch die Umgebung war atemberaubend. Man fühlte sich wie auf dem Dach der Welt. Der frische Schnee, der blaue Himmel und die angenehmen Temperaturen komplettierten die grandiose Szenerie. Mit jeder gemeisterten Kehre wuchs die Vorfreude auf den Gipfel. Die Höhenangabe auf meiner Straßenkarte lag leider um 100m daneben, also musste ich die Zähne noch einmal zusammenbeissen. Schlussendlich war der Anstieg auf 2570m geschafft. Zur Belohnung gab es ein unbeschreiblich schönes Panorama in Richtung Iran. Zu meiner Überraschung erblickte ich ein ebenso weiß eingezuckertes Bergmassiv auf iranischer Seite. Einmal muss ich also noch über die Berge… Aber fürs Erste geht es jetzt mal fast 2000 Höhenmeter am Stück bergab. So etwas gibt es auch nicht alle Tage. Obwohl es am Gipfel angenehm warm war, wechselte Ich nochmal kurz die Garderobe und ließ dann das Rad rollen. Erst ab ca. 700m Seehöhe verschwand der Schnee und die Wiesen wurden wieder grün. Ich hätte mir nie gedacht, dass der Schnee so weit ins Tal reichen würde.
In Meghri, dem letzten größeren Ort vor der Grenze stockte ich meinen Bargeldvorrat für den Iran noch einmal auf. In meiner Planung hatte ich nämlich die Gebühren für die Visa nicht einkalkuliert. Im Ort gab es einen Geldautomaten und auch eine Wechselstube, sodass ich mit ausreichend Dollar nun in den Iran einreisen kann.
Die letzten Meter auf armenischer Seite geht es am Stacheldrahtzaun entlang. Der Grenzfluss führt rotes Wasser. Von Meghri bis zur Grenze sind es nicht einmal mehr 10km. Ich hatte mich schon darauf eingestellt, dass die Grenzformalitäten etwas länger dauern würden. Auf armenischer Seite musste das Gepäck durchleuchtet werden. Der Grenzbeamte zog es aber vor, währenddessen SMS zu schreiben und widmete dem Bildschirm keinen Blick. Nun gut, mir solls recht sein… Jetzt ging es noch über den Fluss und ich war fast schon im Iran. Zwei, drei kurze Fragen und der Stempel war im Pass… viel Vergnügen im Iran. Zum ersten Mal wurde ich per Handschlag von einem Grenzbeamten empfangen. Irgendwie konnte ich es gar nicht glauben, dass es das gewesen sein soll.
Jetzt noch ein paar Dollar eintauschen und schon steht man mit einigen Millionen Rial da. An diese Währung muss ich mich wohl erst noch gewöhnen. Der Umrechnungskurs ist etwas ungewohnt und für meine Verhältnisse gibt es viel zu viele Nullen.
Die Straßenkarte für den Iran wird ausgepackt und bei einem kurzen Nachmittagssnack die weitere Route entschieden. Man könnte entweder den Gebirgszug umfahren, oder eben direkt in Richtung Süden durchstechen. Ich entschied mich für letzteres. Mal schauen, wie die iranischen Berge so aussehen.
Als ich mich auf den Weg in Richtung Kharvana machte, wurde es um mich herum plötzlich sonderbar ruhig. Der Verkehr hatte schlagartig abgenommen und die Landschaft wirkte irgendwie fast beklemmend. Praktisch keine Vegetation und nichts als Steine… Eigentlich wollte ich heute gerne Zelten gehen, doch in dieser Umgebung ist es schwer, einen Zeltplatz zu finden. Also beschloss cih, in Kharvana eine Bleibe zu suchen. Doch dann, als ich nur noch wenige Kilometer von Kharvana entfernt war, stand ich plötzlich auf einer Anhöhe und es öffnete sich ein sagenhafter Blick auf das vor mir liegende Bergmassiv. Der Ort war bereits zu erkennen, der Schnee hörte erst kurz unterhalb des Ortes auf. Bei so einem faszinierenden Ausblick konnte ich gar nicht anders, als mich kurz umzuschauen, ob es nicht doch einen Platz für das Zelt gibt. Und siehe da, schon nach wenigen Metern war ein idealer Platz gefunden. Einen derart beeindruckenden Ausblick aus dem Zelt hat man selten. Und das Beste überhaupt… ich war noch im schneefreien Gebiet.
Als ich am späten Abend noch einmal kurz vors Zelt husche empfängt mich eine sternenklare Nacht. Kharvana funkelt in der Nähe doch sonst ist keine einzige Lichtquelle weit und breit zu erkennen. Eine traumhafte Kulisse. Nur der Mond ist nirgendwo auszumachen. Aber das wird schon seine Richtigkeit haben. Wenn es nicht so frisch wäre, würde ich am liebsten draussen schlafen und stundenlang in den Sternenhimmel starren.

Tag 61 – 02.April

kurz vor Kharvana – Tabriz: 164km; 8:03h im Sattel; 7 – 23 Grad, Sonne
Gueshouse

Der morgendliche Ausblick aus dem Zelt gab mir recht, dass ich gestern die Tagesetappe etwas früher als sonst beendet hatte. Es war keine Wolke am Himmel und das Bergmassiv leuchtete in strahlendem Weiß. Tagesziel für heute: Tabriz. Mental hatte ich mich schon auf eine ähnliche Kletterpartie wie gestern eingestellt. Abends hatte ich noch intensiv meine offline Karte mit den Höhenschichtlinien studiert. Doch nach gut 15km zeigte sich, dass das Kartenmaterial offenbar nicht mit der Realität übereinstimmt. Ich war auf einer gut ausgebauten Straße unterwegs, die aber nicht eingezeichnet war. Die Bergstraße hingegen war nirgendwo zu finden. Ok, also Rückgriff auf die gute alte physische Karte. Die Route wurde kurzerhand angepasst und verlief nun in Richtung Varzegan.
Gestern noch war praktisch gar nichts los auf den Straßen und heute kamen mir von der Früh weg laufend Autos entgegen. Alle bis auf den letzten Platz besetzt und schwer beladen. Weshalb die Bewegung nur in einer Richtung stattfand, war mir nicht einleuchtend. Heute war der letzte Tag der Neujahrfeierlichkeiten. Im Iran wird Neujahr ganze 13 Tage lang gefeiert und offenbar ist der letzte Tag etwas ganz besonderes. Praktisch alle Läden haben geschlossen und die Familien versuchen aufs Land zu fahren, um hier ein ausgedehntes Picknick zu veranstalten. Praktisch überall sah man Familien mit großem Gepäck durch die Gegend wandern, auf der Suche nach einem idealen Platz. Fast jede Familie hatte ein großes, buntes Wurfzelt mit dabei, um das herum sich schließlich alle niederließen. Auf offenem Feuer wurde Tee gekocht und gegrillt. Die Jüngeren vergnügten sich mit Ballspielen und die Älteren saßen gemütlich zusammen und plauderten. Man spürte förmlich schon im Vorbeifahren die Freude über den heutigen Feiertag.
Heute war der 13. Tag der Neujahrsfeierlichkeiten. Nachdem die Zahl 13 im Iran keine gute Bedeutung hat, versucht man, den 13. Tag im neuen Jahr nicht zuhause zu verbringen, um Unglück vom Heim abzuhalten. Was liegt da näher, als ein Picknick im Freien?
Immer wieder, wenn ich an den parkenden Autos entlangfuhr, wurde mir freundlich zugewunken. “Hello Mister, how are you?” hörte man am laufenden Band. Meist, wenn jemand kurz stehenblieb, um mit mir zu reden wurde ich herzlichst im Iran willkommen geheißen. Individualtouristen, bzw. Fahrradtouristen sind hier in der Gegend ganz sicher noch eine Seltenheit. Daher verständlich, dass sich immer wieder die Köpfe nach mir drehten. Ich habe mich aber auf meiner gesamten Reise bisher noch nie so freundlich aufgenommen gefühlt. Ich bin gespannt, wie sich das in den kommenden Tagen entwickelt.
Als ich Varzegan schlussendlich nach vielen Stunden erreicht hatte, war ich froh, doch noch einen geöffneten Imbissladen zu finden. Meine Energiereserven waren schon ziemlich aufgebraucht. Ich hatte mich nun schon darauf eingestellt, das Tagesziel abzuändern, doch der Lokalbesitzer meinte, es seien nur noch 75km bis nach Tabriz. Ich überschlug das kurz und dachte, dass ich bis kurz nach 19 Uhr eigentlich in der Stadt sein könnte. Die Strecke verläuft nach einem erneuten Anstieg fast dauernd entlang eines kleinen Flusses, ergo mit Gefälle… Juche!
Die richtigen Berge hatte ich nun langsam hinter mir gelassen. Die Straße verlief über eine lange Strecke auf einer Art Hochplateau. Nur der Blick zurück ließ erahnen, woher ich eigentlich gekommen bin. Den landschaftlichen Wechsel nahm ich aber mit Freude zur Kenntnis. Endlich kein ständiges Auf und Ab mehr. Das große Kettenblatt kam immer öfter zum Einsatz und das Tagesziel schien wieder in greifbarer Nähe.
Waren mir in der Früh laufend Fahrzeuge entgegengekommen, so hatte sich das Blatt nun gewandelt. Ich wurde praktisch in einer Tour überholt. Die Meisten hatten ihr Picknick beendet und nun wälzte sich eine nicht enden wollende PKW Lawine in Richtung Tabriz.
Besonders faszinierte mich heute, wie modisch und farbenfroh die Frauen und Mädchen hier gekleidet sind. Ich hatte eigentlich mit einem großen Anteil schwarz verhüllter Frauen gerechnet, doch weit gefehlt. Fröhliche, bunte Farben waren klar in der Überzahl. Ein ziemlicher Kontrast z.B. zur Türkei. Noch ein großer Unterschied zur Türkei war, dass ich auf meiner gesamten Strecke heute keine einzige Moschee zu Gesicht bekam. In der Türkei findet sich in jedem auch noch so kleinen Ort eine Moschee, doch hier gibt es lediglich vereinzelt Gebetsräume.
Nach 75km Fahrt war die Stadtgrenze dann auch erreicht. Nun ging es aber noch ins Stadtzentrum und das waren noch weit über 10km. Die Sonne ging gerade unter, als ich in die Nähe des Stadtzentrums kam. Ein sehr befremdliches Bild, wenn während der gesamten Stadteinfahrt kein einziger Laden geöffnet ist. Es hat den Eindruck, als ob die gesamte Stadt sich im Auto befindet.
Ein Hotel zu finden war heute gar nicht so einfach. Hotels sind offenbar im Iran nicht sehr weit verbreitet. Doch mit Hilfe einiger Passanten konnte ich zumindest die richtige Richtung einschlagen und schlussendlich erblickte ich dann auch noch im letzten Augenblick das Neonschild zu einem Guesthouse in direkter Nähe zum Bazar. Das Guesthouse ist sehr spartanisch ausgestattet, dafür bekommt man aber auch für etwa 4,50 EUR ein Einzelzimmer.
Ab morgen wird im Iran wieder gearbeitet. Ein bisschen was möchte ich mir noch von Tabriz anschauen, bevor ich wieder weiterrolle.

Tag 63 – 03.April

Tabriz – Miyanehi: 167km; 6:57h; 16 – 20 Grad, Sonne
Hotel

Eigentlich wäre für heute ja ein wenig Stadtbesichtigung angesagt gewesen. Ich hatte mir extra in unmittelbarer Nähe zum historischen Bazar eine Bleibe gesucht. Der Rezeptionist hatte mir offenbar nur die halbe Wahrheit erzählt. Das Neujahrsfest ist zwar zu Ende, doch heute bleiben trotzdem alle Geschäfte zu. Irgendein religiöser Feiertag, der sich auf den Tod einer wichtigen Persönlichkeit vor einigen tausend Jahren bezieht. Wenn ich es nicht mit eigenen Augen gesehen hätte, ich hätte es nicht geglaubt. Die ganze Stadt war wie ausgestorben. Praktisch jedes Rollgitter war heruntergelassen, die Straßen waren autofrei und auch sonst waren kaum Leute unterwegs. Nach einiger Zeit fand ich dann zumindest einen kleinen Shop, der geöffnet hatte, so konnte ich zumindest ein wenig Lebensmittel einkaufen. Auf dem Rückweg lag dann noch das zu einem Guesthouse gehörende Restaurant, wo ich eine Kleinigkeit frühstücken konnte. Eigentlich schwer vorstellbar, dass für ein paar Tage wirklich alles geschlossen hat. Jetzt kommt dazu, dass morgen Freitag ist, im Islam vergleichbar mit unserem Sonntag, daher auch morgen einiges geschlossen.
Kurzerhand beschloss ich, meine Zelte für heute abzubrechen und mich wieder auf den Weg zu machen. Einen Zweck muss dieser Feiertag für mich ja auch haben und so entschloss ich mich, das morgige Etappenziel auf heute vorzuverschieben.
Gerade als ich auf die Hauptstraße einbiegen wollte, begegnete mir ein verdächtig nach europäischem Tourist aussehender Typ. Wie sich herausstellte, war es ebenfalls ein Radreisender, der von Venedig aus nach Teheran unterwegs ist. Er bleibt aber noch bis morgen in Tabriz und möchte sich noch etwas von der Stadt ansehen. So ganz glaubte er die Geschichte nicht, dass heute und morgen noch fast alles geschlossen hat. Lustiger Zufall, weil ich erst gestern darüber sinniert habe, wann ich wohl wieder auf einen Radreisenden stoßen werde.
Nun gut, Frischen Mutes wieder aufs Rad und ab in Richtung Osten. Die Stadtausfahrt folgte derselben Strecke, die ich gestern bereits bei anbrechender Dunkelheit geradelt bin. Über einige Kilometer ging es noch einmal bis auf 2100m hoch, doch dann war der Scheitelpunkt erreicht. Von nun an ging es nur noch bergab. Als ich am frühen Nachmittag in Bostan Abad ankam und mich erst einmal königlich verköstigte überschlug ich die kommende Strecke kurz und kalkulierte eine Ankunft in Miyanehi für kurz vor 20 Uhr ein. Warum der ganze Kraftaufwand? Ich möchte möglichst früh in Teheran ankommen, weil ich mich noch mit Mina treffen möchte, bevor sie weiter in den Süden reist. Ausserdem verschafft mir eine frühere Ankunft in Teheran noch mehr Zeit für die Visabeschaffung…
Die Strecke war heute genau für dieses Unterfangen geschaffen. Konstantes Gefälle, kaum Wind und guter Asphalt. Das große Kettenblatt lief wieder warn und die Kilometer purzelten nur so vor sich hin. Schlussendlich schaffte ich es sogar noch vor 19 Uhr in Miyanehi anzukommen. Das Hotel, das mir von mehreren Einheimischen empfohlen wurde, kostete zwar dreimal so viel, wie das Guesthouse gestern, dafür gab es Internet und eine Dusche am Zimmer.
Abends drehte ich dann noch eine Runde im Ort und war völlig überrascht, dass soviel los war. Es schien, als ob der Iran wieder zum Leben erwacht. Ich hatte meinen Chebab beinahe aufgegessen, als mir der Restaurantbesitzer sein Handy ans Ohr drückte. Einer seiner Freunde sprach Englisch und war auch nach 5 Minuten im Lokal, als ich ihm erzählt hatte, dass ich mit dem Fahrrad von Österreich in den Iran gereist bin. Pouria stellte bereits ein mehrtägiges Programm zusammen und ich musste ihn immer wieder daran erinnern, dass ich eigentlich morgen weiterreisen möchte. Als Kompromiss fuhr er dann noch eine knappe Stunde mit mir durch die Stadt und hielt an allen möglichen Läden, um mich seinen Freunden vorzustellen.
Zumindest erfuhr ich durch ihn, dass die Gegend, durch die ich bis jetzt geradelt bin, noch sehr türkisch / azarbayjanisch geprägt ist (sie heißt auch Azarbayjan e Sharqi). Gerade am Essen sollte man das besonders spüren. Doch auch in der Sprache spürt man die Verwandtschaft zur Türkei. Pouria beschreibt die Region etwa so wie die Stellung von Katalonien in Spanien. Miyanehi ist nach Tabriz die zweitgrößte Stadt in dieser Gegend, weiter östlich wird nun aber die persische Prägung deutlich zunehmen. Ich kann also gespannt sein, was mich in den nächsten Tagen erwartet.
Der heute noch ziemlich massive Autoverkehr sollte ab übermorgen auch spürbar nachlassen, da die Rückreisewelle nach den Feiertagen dann zu Ende ist. Es gibt also einiges, worauf ich mich freuen kann.